[fessenheim-fr] Info-Serie Atomenergie - Folge 12
klausjschramm at t-online.de
klausjschramm at t-online.de
So Aug 30 13:02:55 CEST 2009
Hallo Leute!
Hier nun die zwölfte und letzte Folge unserer Info-Serie.
Und nochmals der Aufruf: Am 5. September nach Berlin!
Fahrkarten für Busse könnt Ihr über den BUND bekommen.
Ciao
Klaus Schram
Info-Serie Atomenergie
Folge 12
Das ungelöste Problem der Endlagerung
Bereits im Jahr 2004 wurde das US-amerikanische Projekt eines
atomaren Endlagers vorläufig gestoppt: Ein US-amerikanisches Gericht
bemängelte in seinem Urteil über die Pläne, hochradioaktiven Müll im
Yucca Mountain in Nevada einzulagern, die von der US-Regierung
abgegebene Sicherheitsgarantie für 10.000 Jahren. Diese sei
unzureichend.
Die Halbwertszeit von Plutonium-239 beispielsweise beträgt 24.400
Jahre. Das bedeutet, daß beispielsweise von den 30 Tonnen Plutonium,
die im deutschen Hanau gelagert sind, nach 24.400 Jahren immer noch
15 Tonnen weiterstrahlen. Und nach 48.800 Jahren sind es immer noch
7,5 Tonnen und so fort. Seit Christi Geburt lebten rund 80
Generationen - ein Zeitraum von 24.000 Jahren entspricht rund 960
Generationen.
Eine "Sicherheitsgarantie" für 10.000 Jahre abgeben zu wollen, ist
grenzenloser Hochmut. Es mag zwar sinnvoll erscheinen, angesichts der
Zeiträume, über die große Mengen der bis heute angefallenen
radioaktiven Stoffe äußerst gefährlich bleiben, eine
Sicherheitsgarantie für eine Million Jahre oder mehr zu fordern.
Dennoch ist es sinnlos und zwecklos. Zurück zum Beispiel Hanau:
Selbst nach 366.000 Jahren strahlt von den heute vorhandenen 30
Tonnen immer noch ein Kilogramm. Und wenige Tausendstel Gramm dieses
Stoffes einzuatmen genügt, um unausweichlich Lungenkrebs zu bekommen.
Wie Analysen der hochradioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerken zeigen,
tragen Isotope wie etwa Jod-129, Technetium-99, Zirconium-93, Niob-
94, Uran-233, Cäsium-135, und insbesondere Neptunium-237 sogar nach
mehr als einer Million Jahren noch erheblich zur Strahlenbelastung
des Atommülls bei. Laut einem Gutachten der Universität Bremen ist
radioaktiver Müll, selbst nachdem er in Glasblöcke eingeschmolzen
wurde, noch nach einer Million Jahren und in zehn Metern Entfernung
so gefährlich, daß allein seine Gammastrahlung eine Jahresdosis
bewirkt, die 250- bis 560-mal höher ist, als es der Grenzwert der
Strahlenschutzverordnung erlaubt. Das Governing Council der UNO
spricht nicht ohne Grund von mindestens 20 Millionen Jahren,
innerhalb derer hochradioaktive Abfälle strikt von der Umwelt
ferngehalten werden müssen.
Ein Gedankenexperiment: Gehen wir der Einfachheit halber lediglich
von einer Million Jahren aus. Um ein atomares "Endlager" in dieser
Zeit auch nur von zwei Beschäftigen permanent über- und bewachen zu
lassen, sind rund 17,6 Milliarden Arbeitsstunden notwendig. Bei
Lohnkosten von 20 Euro pro Stunde und Beschäftigten, entstehen
Personalkosten von insgesamt rund 400 Milliarden Euro.
Die ältesten bekannten Keilschriften hinterließen die Sumerer vor
5.000 Jahren - dies entspricht rund 200 Generationen. In 8.000 bis
12.000 Jahren spätestens wird der heutige Sprachschatz komplett
verloren sein. Niemand wird mehr die Warnschilder vor atomaren
"Endlagern" entziffern können. Als "Lösung" dieses Problems wurde
schon ernsthaft vorgeschlagen, eine spezielle Priesterkaste zu
begründen, um das Wissen um die Gefährlichkeit der "Endlager"
zukünftigen Generationen zu übermitteln. Allein diese Überlegungen
müßten jeden verantwortungsbewußten Menschen überzeugen, daß das
Betreiben von Atomkraftwerken ein Verbrechen ist.
Jahr für Jahr kommt allein in Deutschland rund 400 Tonnen
hochradioaktiver Müll in Form von abgebrannten Brennstäben aus
Atomkraftwerken zusammen. Noch 1967 ließ die damalige Bundesregierung
zu, daß rund 100 Fässer mit Atommüll vor Madeira in den Atlantik
gekippt wurden. Bis zum Jahr 2007 häufte sich in Deutschland ein Berg
von 12.500 Tonnen hochradioaktiver abgebrannter Brennelemente und
120.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Müll auf.
Hinzu kommen 80.000 Liter strahlende und wärmeentwickelnde,
radioaktive Flüssigkeit, die "Atomsuppe" in der sogenannten Versuchs-
Wiederaufarbeitsungsanlage Karlsruhe. Die nach der experimentellen
Separierung von Brennstäben aus Atomkraftwerken zurückgebliebene
"Atomsuppe" enthält 504 Kilogramm Uran und 16,5 Kilogramm
hochgiftiges Plutonium als Einlage. Sie dümpelt hinter drei Meter
dicken Stahlbetonwänden vor sich hin und muß permanent gekühlt
werden, da sie sich durch radioaktive Spaltprozesse selbst erhitzt
und hoch explosiv ist. Kühlung und Bewachung kosten Tag für Tag
immense Summen und treiben die Kosten um so höher, je länger sich die
geplante Verglasung hinauszögert. Drei Notstromsysteme werden dafür
vorgehalten, damit verhindert werden kann, daß die radioaktive
Flüssigkeit "kritisch" wird. Die offiziellen Schätzungen der Kosten
für die Beseitigung dieser mittlerweile 19 Jahre alten atomaren
Hinterlassenschaft verantwortungsloser Zauberlehrlinge mußte Jahr für
Jahr erhöht werden und liegt mittlerweile bei 2,6 Milliarden Euro.
Seit Juni 2005 dürfen laut Atomgesetz keine abgebrannten
Brennelemente mehr zur "Wiederaufarbeitung" ins Ausland verbracht
werden. Entsprechend mußten neue Zwischenlagermöglichkeiten
geschaffen werden. Insgesamt gibt es in Deutschland 16 Zwischenlager.
Davon sind 12 in den vergangenen Jahren an AKW-Standorten neu
eingerichtet worden. Die radioaktiven Abfälle werden darin in CASTOR-
Behältern gelagert, die nach offiziellen Angaben gerade einmal 40
Jahre lang dichthalten sollen.
Diese Zwischenlager sind nicht als Bunker sondern als einfache Hallen
gebaut, da im Falle eines Einsturzes die Luftkühlung der sich infolge
anhaltenden Kernzerfalls gefährlich erwärmenden CASTOR-Behälter noch
funktionieren soll und dies bei leichten Hallentrümmern eher
gewährleistet ist. Diese Leichtbauweise erhöht jedoch die Gefahr, daß
bei einem terroristischen Angriff nach dem Beispiel des 11. September
2001 große Teile des radioaktiven Inventars freigesetzt werden. Dabei
kann es sich um ein Vielfaches der beim Atombombenabwurf auf
Hiroshima freigesetzten Menge an Radioaktivität handeln.
Bis zum Jahr 2030 wird der Atommüllberg Dank eines deutschen "Atom-
Ausstiegs", der den Betrieb von Atomkraftwerken mit einer
unbefristeten Laufzeit von mindestens 35 Jahren garantiert, auf über
24.000 Kubikmeter allein an hochradioaktivem Material angewachsen
sein - so denn nicht zuvor eine Katastrophe eintritt oder dem
Wahnsinn Einhalt geboten werden kann.
Ein Atomkraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 1.300 Megawatt
produziert jährlich rund 30 Tonnen und in 35 Jahren Betriebsdauer
demnach rund 1.000 Tonnen hochradioaktiven Abfall. Weltweit entstehen
in den etwa 440 Atomkraftwerken schätzungsweise 8.300 Tonnen
hochradioaktiver Atommüll pro Jahr. Bei einer durchschnittlichen
Betriebszeit von 25 Jahren hinterläßt diese Generation von
Atomkraftwerken rund 200.000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll sowie
ein Vielfaches dessen an schwach- und mittelradioaktivem Müll.
1969 erklärte der deutsche Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker:
"Dieses ist, soweit ich sehen kann, wenn man es ernstlich behandeln
will, überhaupt kein Problem. Ich habe mir in Karlsruhe sagen lassen,
daß der gesamte Atommüll, der in der Bundesrepublik im Jahr 2000
vorhanden sein wird, in einen Kasten hineinginge, der ein Kubus von
20 Meter Seitenlänge ist. Wenn man das gut versiegelt und verschließt
und in ein Bergwerk steckt, dann wird man hoffen können, daß man
damit dieses Problem gelöst hat." Und elf Jahre zuvor, 1955, hatte
der Physik-Nobelpreisträgers Werner Heisenberg frohgemut verkündet:
"Was schließlich den Atommüll betrifft, so genügt es durchaus, ihn in
einer Tiefe von drei Metern zu vergraben, um ihn vollkommen
unschädlich zu machen."
Der Atommüll muß für mehrere Million Jahre sicher von der Biosphäre,
von Menschen, Tieren und Pflanzen abgeschirmt werden. Dies ist
realistisch betrachtet eine unlösbare Aufgabe. Bei einer
unterirdischen Lagerung besteht die Gefahr, daß der Atommüll über
kurz oder lang mit Grundwasser in Berührung kommt. Der Geologe
Professor Eckard Grimmel zeigt in seinem Buch 'Kreisläufe der Erde'
auf, daß es in Folge von Gesteins- und Wasserkreisläufen nach
heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand nur eine Frage der Zeit
ist, bis die Biosphäre mit kurz- und langlebigen Nukliden verseucht
wird.
Auch die U.S. National Academy of Sciences stellte schon 1983 fest,
daß "praktisch das gesamte Jod-129 [Halbwertszeit 15,7 Millionen
Jahre] in nicht wiederaufgearbeitetem bestrahltem Brennstoff in
Endlagern in Naßgestein irgendwann einmal in die Biosphäre
eindringt."
Daß ein sicheres atomares Endlager aus heutiger wissenschaftlicher
Sicht nicht möglich ist, stellte bereits der Sachverständigenrat für
Umweltfragen der Deutschen Bundesregierung - personell noch in der
Besetzung aus der Regierungszeit Bundeskanzler Kohls - in seinem
'Umweltgutachten 2000' fest:
"Eine Abschätzung des Gefährdungspotentials über einen derartig
langen Zeitraum [von über 10.000 Jahren, d. Verf.] hinweg ist nahezu
ausgeschlossen. (...) Der Umweltrat hält aufgrund der
Charakteristiken bestrahlter Brennelemente und der darin begründeten,
in weiten Teilen ungelösten Entsorgungsprobleme eine weitere Nutzung
der Atomenergie für nicht verantwortbar."
grafik: Morsleben, Schacht Konrad, Asse II und Gorleben
Morsleben
Die Regierung der DDR bestimmte in der 1960er Jahren das ehemalige
Kali- und Salzbergwerk Morsleben in der Nähe von Helmstedt an der
Grenze zur BRD zum atomaren Endlager. Ein Langzeit-
Sicherheitsnachweis wurde von den DDR-Behörden nicht als notwendig
erachtet. Gegen das vermeintliche Endlager Morsleben hatte Angela
Merkel, Physikerin und damalige "Umwelt"-Ministerin unter
Bundeskanzler Helmut Kohl, nach dem Zusammenbruch der DDR keine
Einwände erhoben. Aus westdeutschen AKW wurden weitere tausende
Kubikmeter radioaktiver Müll eingelagert. Mittlerweile ist
unstrittig, daß dieses Bergwerk nicht als atomares Endlager taugt.
1998 stoppte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg die weitere
Einlagerung in Morsleben. WissenschaftlerInnen hatten Merkel bereits
1996 ausdrücklich vor der unterirdischen Lagerung von Atommüll in
Morsleben und einer daraus resultierenden radioaktiven Verseuchung
des Grundwassers gewarnt. Merkel informierte die Öffentlichkeit
damals nicht über diese Bedenken, sondern ordnete an, "weiterhin
kostengünstig Atommüll aus Westreaktoren ins Endlager Morsleben in
Sachsen-Anhalt zu verkippen."
Bis 1998 wurden in Morsleben knapp 37.000 Kubikmeter schwach- und
mittelradioaktiver Müll eingelagert. Im Jahr 2001 wurde bekannt, daß
tonnenschwere Brocken sich von der Decke der Stollen lösen und auf
die Atommüll-Fässer zu fallen drohen. Die Einlagerungskammern mußten
umgehend mit Salz verfüllt werden. Seitdem ist das Bundesamt für
Strahlenschutz (BfS) dafür zuständig, den Einsturz des Bergwerks
Morsleben zu verhindern. Doch für ein geeignetes Verfahren, um das
gesamte Bergwerk dauerhaft dicht zu machen, gibt es bis heute kein
Konzept. Die Kosten für die abschließenden Arbeiten, die sich auf
insgesamt 2,2 Milliarden Euro belaufen dürften, werden den
SteuerzahlerInnen aufgebürdet.
Das Versuchs-Endlager Asse II
grafik: Atommüll in unterirdischem Salzbergwerk
Das ehemalige Kali- und Salz-Bergwerk Asse II wurde ab 1965 von der
Bundesregierung als Versuchs-Endlager eingerichtet. Es diente nach
offiziellen Angaben dem Zweck, die Einlagerung von radioaktivem Müll
in Salz zu testen und so letztlich den Beweis für die Tauglichkeit
des Salzstocks Gorleben als atomares Endlager zu liefern. Das im Jahr
1964 stillgelegte Bergwerk wurde von der Bundesregierung für 600.000
DM angekauft und dem Kernforschungszentrum Karlsruhe (KFK) und der
Gesellschaft für Strahlenschutz (GFS) - später: Helmholtz-Zentrum
München - als Atommüll-Lager und Experimentierfeld überlassen.
Im Gegensatz zur Mehrheit der GeologInnen in anderen Ländern der Welt
erachteten WissenschaftlerInnen der Bundesanstalt für Bodenforschung
die in Norddeutschland häufig vorkommenden unterirdischen
Salzvorkommen als ein geeignetes Material, um radioaktiven Müll
einzuschließen. So wurde über Jahre hin bedenkenlos radioaktiver Müll
im Versuchs-Endlager Asse II versenkt. Nach den Angaben der
Betriebsbücher, die sich mittlerweile als äußerst unzuverlässig
erwiesen haben, wurden in Asse II bis 1979 insgesamt rund 126.000
Fässer Atommüll eingelagert. Das radioaktive Inventar stammte
überwiegend aus kommerziell betriebenen Atomkraftwerken, des weiteren
aus den Atomforschungszentren, aus Atommüllsammelstellen und auch von
der Bundeswehr. Es wurden skrupellos auch undichte und korrodierte
Fässer eingelagert, flüssige Abfälle, Rückstände von Pestiziden,
Tierkadaver und giftige Schwermetalle, so etwa mehrere Tonnen Blei,
sowie hochgiftiges Quecksilber und Arsen. Über die Menge des
eingelagerten ultragefährlichen Plutoniums schwanken die Angaben
zwischen 9 und 24 Kilogramm.
Im Jahr 2007 wurde bekannt, daß bereits seit 1988 Wasser in die
Stollen von Asse II eindringt. Der Zufluß hat sich auf insgesamt
zwölfeinhalb Kubikmeter pro Tag ausgeweitete. Über Jahre hin war die
Tatsache von Seiten des Betreibers geleugnet worden. ExpertInnen des
industrienahen 'Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit', hatten
beharrlich behauptet, die Langzeitsicherheit von Asse II sei
gewährleistet und ein ehemaliges Salzbergwerk sei "absolut sicher".
Dabei war damals bekannt, daß die beiden benachbarten Schächte Asse I
und Asse III bereits abgesoffen waren. Von dem weniger als zehn
Kilometer entfernten Salzbergwerk Hedwigsburg war nach einem
Wassereinbruch nur noch ein wassergefüllter Krater übrig geblieben.
Und einer der Gründe, warum der Vorbesitzer des Bergwerks Asse II
1964 die Salzförderung aufgegeben hatte, war das Fehlen eines
Fluchtwegs "im Falle eines größeren Wassereinbruchs."
Die Lauge sammelte sich in den Stollen von Asse II und wurde über
Jahre hin vom Betreiber ohne Genehmigung in tiefer gelegene Stollen
gepumpt und in andere Bergwerke in Niedersachsen geschafft. Die
aggressive Salzlauge greift die Fässer bei Kontakt an und verursacht
eine Korrosion des Metalls. Binnen weniger Jahrzehnte können so
radioaktive Partikel mit dem Wasser durch den Gebirgsdruck nach oben
dringen. Die wasserführenden Schichten oberhalb der Asse-II-Stollen
reichen von Hildesheim bis Magdeburg und vom Harz bis Lüneburg.
Noch 1985 behauptete die GFS in einer Broschüre, daß "ein
Wasserzutritt in das Salzbergwerk Asse im höchsten Maße
unwahrscheinlich" sei.
In einem für das Bundesumweltministerium erstellten Statusbericht
wurde im Sommer 2008 festgestellt, daß Asse II einsturzgefährdet ist
und die radioaktive Lauge das Grundwasser zu verseuchen droht. Nun
soll das Versuchs-Endlager nach Atomrecht stillgelegt werden. Wie
genau das geschehen wird, ist noch unklar. Es gibt Pläne, das gesamte
Bergwerk mit einer Magnesiumchlorid-Lösung zu fluten.
WissenschaftlerInnen, die dies für äußerst gefährlich erachten, raten
dagegen, den Atommüll so schnell wie möglich aus den Stollen zu
bergen und an die Erdoberfläche zu holen.
Im Zeitraum zwischen Mitte 2007 und Mitte 2009 wurden in immer
kürzeren Abständen immer wieder neue Fakten über die ungeheuerlichen
Zustände im "Versuchs-Endlager" bekannt. Bereits im November 2007
mußte Bundes-"Umwelt"-Minister Gabriel einräumen, daß in Asse II eine
Umweltkatastrophe droht. Der Wasserzutritt war nicht länger zu
leugnen und ein Gutachten hatte ergeben, daß "Gefahr im Verzug" ist.
Das unterirdische Salzgebirge, das einem mehrstöckigen Hochhaus
gleicht, verliert an Tragfähigkeit und droht einzustürzen. Doch
Gabriel verzögert die Bergung des Atommülls und spielt stattdessen
auf Zeit.
Im Juni 2008 wurde bekannt, daß Wasserzuflüsse in Stollen von Asse II
bereits radioaktiv kontaminiert sind. Dies läßt darauf schließen, daß
Fässer mit Atommüll bereits durchgerostet sind.
Juli 2008: In einer Liste des Betreibers, des Helmholtz-Zentrums
München, fanden sich Eintragungen über "Brennstäben in Blechdosen".
Es besteht daher der dringende Verdacht, daß in Asse II auch
hochradioaktiver Müll eingelagert wurde.
September 2008: Bundes-"Umwelt"-Minister Gabriel muß einräumen, daß
offenbar niemand genau wisse, was in dem "Forschungsbergwerk"
eingelagert wurde. Es handele sich um die "problematischste
Nuklearanlage in ganz Europa". Die Zustände in Asse II seien
unhaltbar. Als "Konsequenz" wird jedoch lediglich der bisherige
Betreiber, das Helmholtz-Zentrum München, durch das Bundesamt für
Strahlenschutz (BfS) ausgewechselt.
Januar 2009: Seit Dezember 2008 liegen Informationen vor, daß eine in
rund 750 Meter Tiefe liegende Kammer mit schwach- und
mittelradioaktiven Abfällen akut einsturzgefährdet sei. Gabriel
behauptet, hierüber erst wenige Tage zuvor informiert worden zu sein.
Februar 2009: Seit dem 6. Februar wird erneut radioaktiv
kontaminierte Lauge aus Asse II in das stillgelegte Bergwerk
'Mariaglück' transportiert. Die dringend erforderliche Rückholung des
Atommülls aus den einsturzgefährdeten Stollen wird dagegen weiter
verzögert.
23. Februar 2009: Greenpeace deckt auf, daß mehr als 70 Prozent der
Radioaktivität im maroden Salzbergwerk Asse II von atomaren Abfällen
aus Atomkraftwerken stammen. Die aus einem Inventarbericht stammenden
Zahlen widerlegen die bisherige Darstellung der vier großen Energie-
Konzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW, sie hätten nur geringe
Mengen Atommüll in das als Versuchslager deklarierte Bergwerk Asse II
gebracht.
15. April 2009: Der 'stern' berichtet, daß sich in Asse II auch
Fässer mit Pestiziden, Arsen und Blei befinden.
24. April 2009: Laut neu zum Vorschein gekommenen Dokumenten nutzte
auch die Bundeswehr das "Versuchs-Endlager", um radioaktiven Müll
billig loszuwerden.
29. April 2009: Nicht nur Kammer 4 - wie bereits seit Ende 2008
bekannt - , sondern auch Kammer 7 in 725 Meter Tiefe ist akut
einsturzgefährdet.
Schacht Konrad
Das einzige ordnungsgemäß nach Atomrecht genehmigte Endlager für
Abfälle mit "vernachlässigbarer Wärmeentwicklung" in Deutschland ist
das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad bei Salzgitter. Seit
1976 wurde es zunächst als Endlager für schwach- und
mittelradioaktiven, seit 1985 für Atommüll mit "vernachlässigbarer
Wärmeentwicklung" vorgesehen. Es wird derzeit zum Endlager ausgebaut,
2013 sollen die ersten Abfälle eingelagert werden. Oft wird in der
öffentlichen Diskussion Schacht Konrad als "genehmigtes Endlager"
dargestellt und somit suggeriert, daß damit die Problematik eines
atomaren Endlagers gelöst sei. Entscheidend ist jedoch, daß für
hochradioaktiven Müll weltweit bis heute kein Endlager vorhanden ist.
Im Planfeststellungsverfahren erhoben nahezu 300.000 Menschen
Einwendungen. Die "rot-grüne" Bundesregierung beschloß mit dem "Atom-
Ausstieg" im Jahr 2000 zugleich die zwei Jahre später erteilte
Genehmigung für Schacht Konrad. Klagen von AnwohnerInnen und
Nachbargemeinden wies das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2007
zurück. Über die Verfassungsbeschwerde eines Landwirts und der Stadt
Salzgitter ist noch nicht entschieden. Auch in Schacht Konrad sollen
bis zu 865 Kilogramm Plutonium eingelagert werden.
Eine Langzeit-Sicherheitsprognose für Schacht Konrad basiert im
Wesentlichen auf theoretischen Grundlagen und nicht auf empirisch
erhobenen Daten. Die zugrunde liegenden Berechnungen sind Jahrzehnte
alt und entsprechen längst nicht mehr dem Stand der Wissenschaft.
Gorleben
In der BRD wurden in den 1960er Jahren von der Bundesanstalt für
Bodenforschung Salzstöcke als geeignet für die Endlagerung von
hochradioaktivem Müll empfohlen. In den 1970er Jahren kam die Idee
eines "nuklearen Entsorgungszentrums" auf, in dem alle deutschen
Atomabfälle zentral untergebracht werden sollten. Die Wahl fiel ohne
umfangreiche geologische Untersuchungen auf Gorleben. 1979 begannen
die "Erkundungsarbeiten". In einer Anhörung des Innenausschusses des
Deutschen Bundestages am 20. Juni 1984, als die Tiefbohrungen
abgeschlossen waren, sprachen sich fünf von neun ExpertInnen aus
geologischen Gründen für einen Abbruch der "Erkundung" des Gorlebener
Salzstocks aus.
Inzwischen muß selbst der derzeitige Bundes-"Umwelt"-Minister Sigmar
Gabriel einräumen, daß Gorleben nicht aus geologischen Gründen,
sondern wegen der Nähe zur damaligen DDR-Grenze und wegen der
geringen Bevölkerungsdichte, die ein geringes Widerstandspotential
versprach, ausgewählt worden war. Wie im Fall Asse II gab es auch in
Gorleben nie ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren. Die
bisherigen "Erkundungsarbeiten" wurden auf der Grundlage des
Bergrechts durchgeführt, so daß eine Bürgerbeteiligung umgangen
werden konnte.
Eine der wichtigsten Anforderungen, die ursprünglich als unabdingbar
für die Auswahl zu einem Endlager angesehen wurden, galt, daß das
Lager trocken sein müsse und keinen Kontakt zum Grundwasser aufweisen
dürfe. Das "Versuchs-Endlager" Asse II hat bewiesen, daß ein
Salzstock als Endlager diese Anforderung nicht erfüllt. Auch der
Gorlebener Salzstock hat bereits Wasserkontakt.
Bereits seit Mitte der 1980er Jahre wurde von kritischen
WissenschaftlerInnen festgestellt, daß das Deckgebirge des Gorlebener
Salzstocks instabil ist. So liegt die "Gorlebener Rinne", eine bis zu
320 Meter tiefe eiszeitliche Schmelzwasserrinne, die mit
grundwasserführendem Gestein gefüllt ist, genau über dem tektonisch
nach oben aufgewölbten Hut des Salzstocks.
Eine der wesentlichen Anforderungen an ein atomares Endlager ist ein
Mehrbarrieren-System. Bei einem Salzstock wäre als eine
Mindestanforderung anzusehen, daß eine durchgehende tonhaltige
Deckschicht das Salz vom Kontakt mit Grundwasser schützt. Im Falle
des Gorlebener Salzstocks ist jedoch die tonhaltige Deckschicht auf
einer Fläche von rund acht Quadratkilometern komplett erodiert. Das
Salz ist dort nur von wasserführenden Sanden und Kiesen bedeckt.
Zudem steigt der Salzstock weiter auf. Er hat durch Salzauflösung
bereits einen Teil seiner Substanz verloren und wird durch
Wasserkontakt weiter abgelaugt. Eine Vielzahl von Hohlkammern mit
Salzlösung und Gasen widersprechen dem Bild eines homogenen
Salzstocks, der für eine Endlagerung von Atommüll geeignet wäre.
Bundes-"Umwelt"-Minister Sigmar Gabriel ist derweil vom Kriterium
Mehrbarrieren-System abgerückt. In einer von ihm autorisierten
Stellungnahme, in der Sicherheits-Kriterien für ein atomares Endlager
aufgelistet wurden, ist keine Rede mehr vom Mehrbarrieren-System.
Von den AKW-Betreibern wird weiterhin öffentlich behauptet, daß "alle
bisherigen Erkenntnisse die Eignung des Gorlebener Salzstocks
gezeigt" hätten. Seit Jahren wird Atommüll nach Gorleben
transportiert, um so den Widerstand zu zermürben und um vollendete
Tatsachen zu schaffen. Und von den Mainstream-Medien wurde über Jahre
hin mit ihrer Berichterstattung das Bild suggeriert, der in CASTOR-
Behältern herantransportierte Atommüll werde bereits unterirdisch
eingelagert. Tatsächlich jedoch stehen die CASTOR-Behälter lediglich
in einer oberirdischen Leichtbauhalle auf einem Grundstück gegenüber
des Erkundungs-Bergwerks.
Am 28. Mai 2009 wurde bekannt, daß der Ausbau des Gorlebener
Salzstocks zum Endlager seit Mitte der 1980er Jahre heimlich und
illegal vorangetrieben wurde. Aus einem der 'Frankfurter Rundschau'
vorliegenden internen Schriftstück des Bundesamtes für Strahlenschutz
(BfS) geht hervor, daß der Ausbau des Salzstocks unter dem Deckmantel
der Erkundungsarbeiten begonnen worden war, obwohl kein
Planfeststellungsbeschluß vorliegt, der eine Eignung des Salzstock
zuvor bestätigen müßte.
Eine Aussage über die Eignung des Salzstocks kann es laut BfS
frühestens in 15 Jahren geben - und dies heißt im Klartext: Mit dem
Wissen der "schwarz-gelben" (bis 1998), der "rot-grünen" (von 1998
bis 2005) und der "schwarz-roten" Bundesregierung (ab 2005) wurde
hier illegal gehandelt. Darüber hinaus heißt es in dem internen
Schriftstück: "In Gorleben lagen die bisherigen Erkundungskosten
außerordentlich hoch, was jedoch darin begründet liegt, daß hier
parallel zur Erkundung bereits der Ausbau zum Endlager begonnen
wurde." "Die Erkundungslüge ist aufgeflogen", stellte die
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg in einer umgehend
veröffentlichten Medienmitteilung fest.
Ein Sprecher des BfS räumte ein, daß die bislang in Gorleben
angefallenen Kosten höher seien, als es allein für eine "Erkundung"
im Rahmen eines Standortauswahlverfahrens notwendig gewesen wäre. Die
bisher aufgelaufenen 1,5 Milliarden Euro wurden von den deutschen AKW-
Betreibern in den vergangenen Jahren immer wieder als Argument
vorgebracht, eine "weitere Endlagersuche" sei nicht tragbar.
Weltweit kein Endlager
Im November 2003 hatte der italienische Ministerpräsident Silvio
Berlusconi den Beschluß durchgesetzt, in Italien ein atomares
Endlager einzurichten. Wenig bekannt ist in Deutschland, daß Italien
bereits 1987 nach einem erfolgreichen Volksentscheid innerhalb von
nur einem Jahr den Atom-Ausstieg realisieren konnte. Drei
Atomkraftwerke wurden stillgelegt und ein viertes, nahezu
fertiggestelltes Atomkraftwerk wurde auf Gas-Öl-Betrieb umgerüstet.
Offenbar wollte Berlusconi 2003 Italien als europäischen Endlager-
Standort feilbieten. Doch der Proteststurm in der für das Endlager
vorgesehenen abgelegenen Region Basilicata war so stark, daß
Berlusconi seinen Plan bereits im Dezember 2003 zurückziehen mußte.
In der Schweiz und in Frankreich werden Endlager-Konzepte verfolgt,
die unterirdische Tonschichten als ideal zur Aufnahme von Atommüll
darstellen. So ist in der Schweiz der grenznahe, am Rhein gelegene
Ort Benken vorgesehen und Frankreichs Regierung läßt im abgelegenen
Bure in Lothringen auf einem streng bewachten Areal "Erkundungs"-
Bohrungen vorantreiben. Doch im Januar 2009 wurden Untersuchungen an
der Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich bekannt, wonach
sowohl der unter Benken als auch unter Bure befindliche Opalinuston
ungeeignet ist, wärmeentwickelnden Atommüll aufzunehmen. Denn unter
bestimmten Bedingungen, die bei der Einlagerung radioaktiver und
stark Wärme abstrahlender Stoffe angenommen werden müssen, bilden
sich im Opalinuston beträchtliche Risse.
Am 9. März 2009 wurde bekannt, daß die von Ex-US-Präsident George W.
Bush mit wenig Fortune vorangetriebenen Pläne für ein atomares
Endlager im Yucca Mountain in Nevada von der neuen US-Regierung unter
Barack Obama aufgegeben werden. Jahrzehntelange wissenschaftliche
Untersuchungen haben erwiesen, daß die Einlagerung von
hochradioaktivem Atommüll in Granit die vorgegebenen
Sicherheitsanforderungen nicht ausreichend erfüllen kann. Zumindest
hat die US-Regierung die Gelder für Yucca Mountain im nächsten
Haushalt weitgehend gestrichen. Auch das schwedische Endlager-Konzept
in Granit, das bislang als weltweit führend galt, ist gescheitert.
GeologInnen wiesen im angeblich seit 1,6 Millionen Jahre stabilen
Urgestein Spuren von mindestens 58 Erdbeben der Stärke acht auf der
Richterskala allein in den zurückliegenden 10.000 Jahren nach.
Der weitaus größte Teil des weltweit angefallenen Atommülls befindet
sich nach wie vor in "Zwischenlagern". Atomkraftwerke werden nun
schon seit mehr als 50 Jahren betrieben und noch immer weiß niemand,
wo der hochradioaktive Müll einmal bleiben kann. Häufig wird
ausgerechnet von Atomkraft-GegnerInnen ein "konstruktiver" Beitrag
zur Lösung des Endlager-Problems eingefordert. Doch erst wenn alle
Atomkraftwerke in Deutschland stillgelegt sind, wenn also ein Atom-
Ausstieg real ist, kann ernsthaft nach einer Lösung gesucht werden.
Ansonsten würde mit Sicherheit eine allgemein akzeptierte Notlösung
als Argument benutzt werden, den Betrieb von Atomkraftwerken bis zum
nächsten Super-GAU fortzusetzen.
Solange jedoch weiterhin Atomkraftwerke in Betrieb sind, wird der
Druck, ein Lager zu finden, so groß sein, daß nicht der optimale
Standort gewählt wird, sondern ein beliebiger. Denn für die AKW-
Betreiber genügt jeglicher "Nachweis" eines Endlagers, um die Nutzung
der Atomenergie fortzusetzen. Morsleben und Asse II haben deutlich
gezeigt, wohin dies führt.
NETZWERK REGENBOGEN
Die übrigen Folgen der Info-Serie:
1 Grundlagenwissen
2 Der deutsche "Atom-Ausstieg"
3 Die Subventionierung der Atomenergie
4 Der siamesische Zwilling: Atombombe
5 Umweltverbrechen Uran-Abbau
6 Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie
7 Die Geschichte der Atom-Unfälle
8 Die stille Katastrophe
9 Der italienische Atom-Ausstieg
10 Schwedens "Atom-Ausstieg"
11 Atomenergie in Frankreich
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