[fessenheim-fr] Europa und Euratom

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Mi Mär 28 00:36:55 CEST 2007


Hallo Leute!

Hier noch ein Artikel zu >Europa und Euratom<.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


Europa und Euratom

Entgegen den Wünschen von Merkel und Co gerät der verhängnisvolle 
Euratom-Vertrag im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum heutigen, 
50-jährigen Jubiläum der "Gründung Europas" stärker ins Blickfeld der 
Öffentlichkeit. Gefeiert wird heute nicht Europa, sondern eigentlich nur der 
Abschluß der drei "Römischen Verträge" mit denen Frankreich, Deutschland, 
Italien und die Benelux-Staaten mit einer engeren wirtschaftlichen, 
finanziellen, atomtechnischen und atommilitärischen Zusammenarbeit die Grundlage 
für das staatliche Zusammenwachsen Europas legten. Vorteile brachte dies für die 
unteren zwei Drittel der Menschen in Europa nur, solange die Wirtschaft so stark 
wuchs, daß genügend Arbeitskräfte benötigt wurden. Erst danach wurde dann 
sukzessive die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dann die EG und 
schließlich die EU aufgebaut.

Eine "freiheitliche Ordnung" war dies von Anfang an nicht. Denn während die 
Montan-Union vorrangig den Kohle- und Stahl-Konzernen nützte und diese 
international konkurrenzfähig machten sollte, sorgte der dritte der Römischen 
Verträge, der Euratom-Vertrag, erst für den Aufbau einer gewaltigen 
wirtschaftlichen und militärischen Macht, die jene zarten 
Knabenmorgenblütenträume einer europäischen Demokratie bald mit ihrem eiskalten 
Atem verscheuchen sollten.

Der am 25. März 1957 unterzeichnete Vertrag zur Gründung der Europäischen 
Atomgemeinschaft (Euratom) bewirkte den Aufbau und die massive Förderung der 
europäischen Atomindustrie. Euratom ist die Grundlage für die Finanzierung der 
Atomforschung und für die Verteilung von Milliardenkrediten für Bau und Erhalt 
von Atomkraftwerken. In manchen älteren Texten zum Euratom-Vertrag ist noch ganz 
ungeschminkt nachzulesen, daß "die Kernenergie teuer war und die erforderlichen 
Investitionskosten die Möglichkeiten der einzelnen Staaten" - und erst recht die 
der Konzerne - überschritten. "Allgemeines Ziel des Vertrages war es, zur 
Bildung und Entwicklung einer mächtigen Kernkraftindustrie in Europa 
beizutragen."

Weiter erlaubte Euratom die fortlaufende, offene und verdeckte Subventionierung 
der "friedlichen" Atomenergie aus europäischen Finanzmitteln. So wurde in den 
letzten Jahrzehnten die Entwicklung eines neuen Atomreaktors, des EPR, durch das 
Konsortium Siemens-Areva (vormals: Siemens-Framatome) durch EU-Mittel 
finanziert. Weiter sollen beispielsweise die Euratom-Forschungsgelder im 
Zeitraum 2007 bis 2011 um 230 Prozent steigen. Allein für die 
Atomfusionstechnologie und den dazugehörigen Forschungsreaktor ITER sollen in 
diesem Zeitraum mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben werden, obwohl völlig 
unklar ist, ob die Fusionstechnik jemals einen Nutzen haben wird. Für 
"Kernspaltung und Strahlenschutz" sollen aus europäischen Finanztöpfen weitere 
287 Millionen Euro, für die atomare "Gemeinsame Forschungsstelle" 517 Millionen 
Euro zur Verfügung gestellt werden. Dagegen wurden von der EU für erneuerbare 
Energien zwischen 2002 und 2006 gerade einmal 96 Millionen Euro locker gemacht. 

Euratom ist nicht allein ein reicher Fundus für die Subventionierung der 
Atomenergie, sondern stellt auch zinslose Kredite für die Errichtung oder 
Modernisierung von Atomkraftwerken zur Verfügung. Aktuell besteht die Gefahr, 
daß mit Kredithilfe ein neuer Reaktor für das AKW Belene in Bulgarien mit 
Euratom-Geldern gefördert wird.

Das französische Parlament beschloß gegen die Mehrheit der französischen 
Bevölkerung, den mit 3,2 Milliarden Euro teuren EPR als ersten Reaktorneubau 
nach einer 25-jährigen Baupause in Frankreich zu realisieren. Die Finanzmittel 
können jedoch weder aus der maroden französischen Staatshaushalt noch von 
desinteressierten Investoren, sondern allein aus europäischen Töpfen bereit 
gestellt werden. 

Die enormen Baukosten eines AKW von offiziell 3,2 und schätzungsweise nahezu 10 
Milliarden Euro spielen sich erst nach über 10 Jahren Betriebszeit wieder 
herein. Und in Anbetracht der Konkurrenz kostengünstiger moderner Gaskraftwerke, 
die wesentlich kürzere Amortisationszeiten bieten, finden sich keine privaten 
Finanziers für einen AKW-Neubau. Waren in den 50er und 60er Jahren noch fast 
alle europäischen Regierungen mit der Aussicht auf eine eigene Atombombe zu 
Milliardensubventionen für den Aufbau der Atomtechnologie zu gewinnen, erscheint 
heute die Aussicht auf eine solche "Anschub-Finanzierung" wenig 
erfolgversprechend. Denn sämtliche europäischen Staaten haben sich durch eine 
seit Mitte der 80er Jahre mehr oder weniger konsequent verfolgte neoliberale 
Wirtschaftspolitik in eine desolate Haushaltslage manövriert.

Und ohne den Einstieg in die Nutzung der Atomenergie wäre der Aufbau 
beispielsweise der französischen 'force de frappe' oder der britischen 
Nuklearstreimacht niemals möglich gewesen. Den Propagandisten des 
Neoliberalismus in der Europäischen Union sei deutlich ins Stammbuch 
geschrieben: Mit Euratom war von Beginn an in einem zentralen Bereich der 
Wirtschaft die sogenannte Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Dem Protokoll 
einer Kabinettssitzung zufolge hatte der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad 
Adenauer 1956 vor dem Bundeskabinett erklärt, er "möchte über Euratom auf 
schnellstem Weg die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen." 
Und am Ende des Jahres 1957 hatte sogar der französische Verteidigungsminister 
Chaban-Delmas Westdeutschland und Italien den Vorschlag einer gemeinsamen 
Atomwaffenproduktion unterbreitet.

Die Ablehnung des Giscard-d'Éstaing-Entwurfs für eine Europäische Verfassung ist 
nicht zuletzt einer Kampagne der europäischen Anti-Atom-Bewegung zu verdanken, 
die immer wieder darauf hinwies, daß der Euratom-Vertrag, wenn auch im Anhang 
versteckt, substantieller Bestandteil einer Europäischen Verfassung des 
Neoliberalismus und Militarismus werden sollte.

Seltsam ist, daß allzu viele sich nicht an die Schmierenkomödie erinnern, die 
der vormalige deutsche Außenminister Joseph Fischer im Zusammenhang mit Euratom 
über mehrere Jahre darbot. Im Sommer 2003 ließ Fischer via 'taz' verbreiten, er 
wolle "Widerstand" gegen die Aufnahme von Euratom in die Europäische Verfassung 
leisten. Am 11.06.2003 hieß es in den Mainstream-Medien, Fischer habe auf 
"erheblichen Druck" der Anti-Atom-Bewegung und "in letzter Minute" die Aufnahme 
des Euratom-Vertrages in die neue europäische Verfassung abgelehnt. Daß die als 
Erfolg gepriesene Verschiebung des Vertrags-Textes in die Anlage keinerlei 
rechtliche Bedeutung hat, wurde verschwiegen. Nur wenigen war dabei klar, daß 
der Euratom-Vertrag so weiterhin unbefristet gelten würde und damit für alle 
EU-Mitgliedsstaaten verbindlich bliebe - so sie diesen nicht kündigen.

BefürworterInnen der Atomenergie und scheinbare GegnerInnen beriefen sich immer 
wieder darauf, daß die Kündigung des Euratom-Vertrages nicht einseitig durch 
einen Staat möglich sei, ohne gleichzeitig die EU zu verlassen. Inzwischen wurde 
auch diese Behauptung durch mehrere prominente Rechtsgutachten wie 
beispielsweise von Professor Michael Geistlinger von der Universität Salzburg 
widerlegt.

Zu erinnern ist auch daran, daß zwölf Länder sind frei von Atomenergie sind : 
Italien, Dänemark, Österreich, Irland, Luxemburg, Griechenland, Portugal, 
Estland, Lettland, Polen, Zypern und Malta. Vier EU-Staaten haben - zumindest 
auf dem Papier - einen Atom-Ausstieg erklärt: Deutschland, Schweden, Spanien und 
Belgien. Und in Litauen sollen die Reaktoren aus Sicherheitsgründen abgeschaltet 
werden. Von den 27 EU-Staaten sind also nur 10 Profiteure der Zwangsgemeinschaft 
Euratom.

Und obwohl beispielsweise Österreich bereits 1978 den Atomausstieg vollzog, muß 
das Land seit dem EU-Beitritt am 1. Januar 1995 jährlich 40 Millionen Euro für 
die Förderung der Atomenergie in Europa überweisen. Nach aktuellen Umfragen 
wünschen daher auch fast zwei Drittel der ÖsterreicherInnen den Ausstieg ihres 
Landes aus dem Euratom-Vertrag. Auch in Deutschland wird der Ruf nach einem 
Ausstieg lauter, nachdem 2003 ein Dutzend Umweltorganisationen vom BUND über den 
WWF bis zu Eurosolar das Thema aufgegriffen hatten.

"STOPP Euratom!" forderten AtomkraftgegnerInnen anläßlich von 50 Jahre 
Euratom-Vertrag bei einer Protestaktion vor dem Atomium in Brüssel. Kurz vor den 
offiziellen Feierlichkeiten am 25. März protestierte am 23. März ein Bündnis von 
Anti-Atomkraft-Initiativen aus Deutschland, den Niederlanden und Rußland für ein 
Ende des Euratom-Vertrages. "Wir fordern das Ende des anachronistischen Euratom- 
Vertrages! Keine weiteren EU-Gelder für die Atomenergie!" so Markus Pflüger von 
den südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen, einer der Initiatoren des Protestes 
in Brüssel. Nach der Aktion unterstützten die AktivistInnen die Übergabe von 
663.000 Unterschriften für den Ausstieg aus der Atomenergie von EuropärInnen und 
mehr als 750 Organisationen an die EU-Kommission. Der linke Europaparlamentarier 
Tobias Pflüger zeigte den Zu­sammenhang zwischen dem neoliberalen 
EU-Verfassungsvertrag inklusive Militarisierung und dem Euratom-Vertrag auf. Im 
Protokoll 36 des Verfassungsvertrages heißt es, daß die Bestimmungen des 
Euratom-Vertrags "weiterhin volle rechtliche Wirkung entfalten müssen." Pflüger: 
"Dies ist ein Skandal, denn damit würde bei Annahme des Verfassungsvertrages der 
Euratom-Vertrag doppelt abgesichert, einmal im Original als eigenständiger 
Vertrag und einmal im Verfassungsvertrag. Ein weiterer Grund gegen diesen 
EU-Verfassungsvertrag zu sein," so der Europaabgeordnete.

Francis Althoff von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow  Dannen­berg 
kritisierte die Planung eines zentralen "europäischen" AtommüllEndlagers: "Es 
gibt keine sichere Endlagerung. Statt Millionen in erwiesenermaßen ungeeignete 
Standorte wie Gorleben in Deutschland oder Bure in Frankreich zu pumpen, ist der 
Ausstieg überfällig!" Vladimir Slivyak von Ecodefense Moskau forderte einen 
Stopp der Atommüll­Verschiebung von Gronau nach Rußland: "Dies ist ein 
unverantwortlicher Problem- und Risikoexport!" Matthias Eickhoff vom 
Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen kritisierte die Urananreicherung 
und nannte die Urantranporte den Anfang der Atomspirale in Europa: "Deshalb 
konzentrieren wir unseren Widerstand auf Urantransporte."

Protestaktionen für den 12. Mai am deutsch-französischen Grenzbahnhof Perl-Apach 
wurden angekündigt.




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