[fessenheim-fr] [abc] "Es geht nicht, dass Sicherheit der Atomkraft auf gut Glück basiert" / Experte: So nah war der GAU (fwd)

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Do Aug 10 22:59:16 CEST 2006


Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwest schrieb:

http://www.abendblatt.de/daten/2006/08/09/595827.html?s=1

"Es geht nicht, dass Sicherheit der Atomkraft auf gut Glück basiert"

"Sie versuchten verzweifelt, einen der Dieselgeneratoren vom Kontrollraum 
aus zu starten, um die Kühlwasserpumpen für den Reaktor am Laufen zu 
halten. Doch es fehlte der Strom für den Zündimpuls. Hinzu kam, dass 
mehrere Meßinstrumente ausgefallen waren", schildert Lars-Olov Höglund 
die steigende Anspannung im Kontrollraum von Forsmark I.

Nach Höglunds Darstellung wurde die Situation noch brisanter. Im 
Turbinengebäude des Kraftwerks sei Dampf ausgetreten, den die 
Feuermeldeanlage im Gebäude als Feuer identifiziert und mit dem 
automatischen Einschalten der Sprinkleranlage sowie Sirenengeheul 
quittiert habe. "Die automatischen Kameras zur Überwachung des Kraftwerks 
funktionierten nicht - es fehlte der Strom - ebenso wenig die 
Lautsprecheranlage, mit der im Alarmfall die Menschen im Kraftwerk 
gewarnt werden", sagt Höglund.

In ihrer Not hätte die Besatzung des Kontrollraums schließlich aus dem 
benachbarten Atomreaktor Forsmark II Hilfe herbeitelefoniert. Forsmark II 
war zu diesem Zeitpunkt wegen Wartungsarbeiten heruntergefahren und vom 
Netz. Die Kollegen sind hinübergerannt", sagt Höglund. Einer der zur 
Hilfe gerufenen Ingenieure habe dann einen Weg gefunden, den benötigten 
Strom für den Startimpuls von zwei Dieselgeneratoren einzuleiten.

"Ab dann lief es. Aber sie haben einfach probiert. Es war nicht die 
Konsequenz von Sicherheitsanalyse und Training. Der Störfall war nicht 
vorauszusehen, und es war auch nicht abzusehen, ob die Gegenmaßnahmen 
greifen würden", kritisiert Höglund. Die Mannschaft aus dem Kontrollraum 
jedenfalls sei anschließend "so fertig" gewesen, dass sie ihre Schicht 
vorzeitig beendet habe und psychologische Betreuung brauchte, sagt der 
Ingenieur.

Was den Störfall für ihn so gravierend macht ist ein Phänomen, das 
Höglund als "Common Cause Failure" bezeichnet und das in der 
Sicherheitsdiskussion über Kernkraftwerke eine wichtige Rolle spielt: 
"Damit ist gemeint, dass gleichzeitige Fehlfunktionen in Systemen 
auftreten, die einander stützen und ersetzen. Es darf nicht vorkommen, 
dass eine Ursache redundante Systeme außer Funktion setzt."

Das bedeutet, der Kurzschluss hätte nicht dazu führen dürfen, dass keiner 
der vier Generatoren ansprang und auch die vier Batteriesysteme 
lahmgelegt waren. Wenigstens zwei hätten funktionieren müssen. "Mit 
solchen Fehlern rechnet niemand", sagt Höglund. "Um die 
Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiert, möglichst gering zu halten, 
könnten vier Diesel von vier unterschiedlichen Herstellern eingebaut 
werden. Darauf wird aber verzichtet, um die Kosten überschaubar zu halten 
und um die Mitarbeiter einheitlich zu schulen."

Dies sei riskant, zumal es sich bei der Stromversorgung um die 
zweitwichtigste Komponente in einem Atomkraftwerk handelt: "Die 
wichtigste ist die Schnellabschaltung und die Regelung der Steuerstäbe. 
Wenn die nicht mehr in den Reaktor eingefahren werden können, kommt es 
unweigerlich zur Kernschmelze. Auch dafür gibt es redundante Systeme, die 
in Forsmark auch funktioniert haben. Doch dann kommt schon die 
Stromversorgung. Ohne Strom habe ich keine Möglichkeit, Kühlwasser zu 
pumpen, weil die Pumpen elektrisch betrieben werden. Verdampft das 
Kühlwasser, kommt es zur Überhitzung und unkontrollierten Reaktion des 
Kerns. Deshalb darf der Strom nicht ausfallen."

Schon die Arbeiten am Hochspannungsnetz in der Nähe des Reaktors hätten 
niemals während des Betriebs des Kraftwerks unternommen werden dürfen. 
Denn die würden die Gefahr eines Störfalls bergen.

Höglund stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der 
Sicherheitsphilosophie in Atomkraftwerken. "Wenn in so einem kritischen 
Punkt wie der Stromversorgung letztlich der Zufall entscheidet, ob es zu 
einer Katastrophe kommt oder nicht, ist die gesamte Reaktorsicherheit 
infrage gestellt. Dann muss ich mich fragen, wie viele unbekannte Fehler 
sich noch verstecken und wie verlässlich die ganzen 
Sicherheitsberechnungen sind. Es geht nicht an, dass die Sicherheit der 
Atomkraft auf gut Glück basiert."

erschienen am 9. August 2006 

http://www.abendblatt.de/daten/2006/08/09/595732.html

> Experte: So nah war der GAU

Atom-Störfall: Die 23 dramatischen Minuten von Forsmark. Was geschah 
wirklich am 25. Juli in dem schwedischen Kernreaktor? Im Abendblatt 
behauptet der frühere Planungschef: Nur Glück verhinderte eine 
Katastrophe.

Von Frank Ilse

Ein Störfall am 25. Juli im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark bei 
Stockholm hätte beihahe zum Gau führen können.

Ein Störfall am 25. Juli im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark bei 
Stockholm hätte beihahe zum Gau führen können. Foto: DPA

Hamburg/Stockholm -

Im Turbinengebäude trat Dampf aus, die Sprinkleranlage setzte ein, 
Sirenen heulten: Der Störfall in dem schwedischen Kernkraftwerk Forsmark 
I bei Stockholm (wir berichteten) lief offenbar weit dramatischer ab als 
bislang öffentlich bekannt.

Zwei Wochen nach den Geschehnissen erhebt der frühere Chef der 
Konstruktionsabteilung des Reaktors, Lars-Olov Höglund, im Abendblatt 
schwere Vorwürfe.

Im Zeitraum zwischen dem Stromausfall im Kraftwerk und dem Start der 
Notstromdiesel, so Höglund, habe unter den Mitarbeitern Panik geherrscht. 

"Es war die schlimmste Situation seit Tschernobyl und Harriburg. Wir 
waren furchtbar nahe an einer richtig gefährlichen Situation." Eine 
Kernschmelze und damit der GAU (größter anzunehmender Unfall) seien nur 
knapp vermieden worden.

Der frühere Vattenfall-Mitarbeiter hatte nach eigenen Angaben Einsicht in 
die offiziellen Unterlagen über den Störfall: "Je mehr ich darüber lese, 
umso schwerwiegender stufe ich die Sache ein", so Höglund zum Abendblatt. 

"Vattenfall sagt zwar zu Recht, dass alles gut ausgegangen ist. Aber das 
war reines Glück!" Nach Höglunds Schilderung spielte sich im Kontrollraum 
des Meilers Forsmark I am 25. Juli ein 23 Minuten dauerndes Drama ab. 
"Durch Arbeiten am Hochspannungsnetz in der Nähe des Reaktors kam es zu 
einem Kurzschluss, der die Stromversorgung des Kraftwerks von außen 
lahmlegte. Doch anders als vorgesehen lieferten weder die für so einen 
Fall eingebauten Batteriesysteme Strom, noch sprangen die Notstrom-
Dieselaggregate an", sagt Höglund.

Nach seiner Aussage gibt es in schwedischen Atomkraftwerken zwei 
Sicherungssysteme, die bei Stromausfall greifen sollen: "Zum einen vier 
voneinander unabhängige Batteriesysteme, die jeweils 50 Prozent der für 
das Kraftwerk benötigten Leistung liefern. Und unabhängig davon noch 
einmal vier Dieselgeneratoren, die wiederum jeweils 50 Prozent der 
notwendigen Leistung bringen. Theoretisch reicht also die Leistung von 
zwei der insgesamt acht Möglichkeiten, das gesamte Kraftwerk mit Strom zu 
versorgen."

"Diese Eigenvorsorge ist eine Konstruktionsvoraussetzung bei 
Kernkraftwerken. Üblicherweise springen diese Systeme automatisch an. 
Aber nicht in diesem Fall. Keines der Systeme sprang an. Das ist sehr 
ungewöhnlich und darf nicht passieren", sagt Höglund. Dieser Fehler war 
unbekannt und deshalb auch ungeübt. "Die sieben Leute im Kontrollraum 
wussten einfach nicht, wie sie darauf reagieren sollten, und wurden 
panisch."

erschienen am 9. August 2006 

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