[Debatte-Grundeinkommen] reife Verhältnisse

Bert Grashoff unversoehnt at gmx.de
So Jan 8 10:59:59 CET 2017


Hallo Bernd,


>     Glaubst Du tatsächlich, dass die – wie Du inzwischen zugibst - von
>     Deinem Vorschlag ausgelöste Inflation für das Grundeinkommen per
>     Dekret verhindert werden kann? Dies geht wohl nur, indem Du das
>     Grundeinkommen mit inflationierst. Mit Lerneffekten ist da nix
>     drin. Das Ende ist nur durch eine Währungsreform möglich, Die
>     Inflation vor 90 Jahren konnte auch nicht anders gestoppt werden.
>     Aber – wie bereits erwähnt – die Zentralbanken werden es gar nicht
>     so weit kommen lassen. Aber scheinbar hast Du diese Idee
>     inzwischen vorläufig fallen gelassen. Prima!
>
Ich verstehe dein "wie du inzwischen zugibst" nicht. Als sich mir die 
Idee einer Finanzierung des bGE mittels Geldmengenerhöhung mitgeteilt 
hat, war mir auf Anhieb klar, dass das zu Inflation führen müsste, 
eventuell sogar zu massiver. So wie mir ja auch klar ist, dass die 
gesamte bGE-Idee eine massive gesamtgesellschaftliche Umverteilung 
verlangt. Ich fand den Inflationseffekt zudem sofort charmant, weil er 
eine Möglichkeit der Vernichtung des beim obersten Zehntausendstel 
angehäuften Geldfetischs darstellt - ohne in geltende Rechtsverhältnisse 
einzugreifen. Welche Idee ich scheinbar inzwischen fallengelassen haben 
soll, ist mir auch unklar.
Die historischen Erfahrungen, die wir mit Inflation haben, basierten 
alle auf massivem Staatskonsum, in aller Regel für kriegerische Zwecke 
oder als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen. Eine Inflation 
mittels egalitärem bGE für jedes Individuum (nicht für den Staat) in 
relativen Friedenszeiten ist sachlich m. E. etwas völlig anderes und es 
gibt damit schlicht keine historischen Erfahrungen. Du jonglierst da mit 
Äpfeln und Birnen.
>
>     Du machst seitdem ja richtig Werbung für die Staatsbürgersteuer,
>     wenn auch nicht für mein Differenzierungsbeispiel
>     (Starkloff-Variante) des Bürgergelds.
>
Ist mir auch aufgefallen. ;o) Ehrlich gesagt ist es bislang auch 
wirklich das einzige Steuermodell, das mir begegnet ist und das ich 
akzeptabel fände - unter der Bedingung, dass wir dein Bürgergeld 
zumindest halbwegs dicht an etwa 1.250 Euro heutige Kaufkraft egalitär 
für alle bringen. Wie gesagt: Ich find's einen möglichen 
Kompromisskandidaten. Unsere Meinungsunterschiede beziehen sich m. E. 
diesbezüglich eher auf Details als auf das Gesamtkonstrukt.
>
>     Du hast zu Recht die Annahmen zur Sparquote hinterfragt. Nun kann
>     ja in der Staatsbürgersteuer (privilegiertes) Vermögen aus
>     unversteuertem Einkommen gebildet werden. Es wird (mit dem
>     Marginalsatz m) erst versteuert, wenn es zu Konsum führt oder der
>     Vermögensinhaber stirbt. Will er also zu einen bestimmten Zweck
>     sparen, z.B. zur Alterssicherung oder um sich ein Auto zu kaufen
>     oder Seinen Erben ein bestimmtes Vermögen zu hinterlassen, So muss
>     er in der Staatsbürgersteuer höhere Beträge sparen. Damit er*X €*
>     für diesen späteren Zweck übrig hat, muss er*X/(1-m)* zurücklegen
>     (sparen). Beispiel: will später er *600 € (+ Zinsen)* konsumieren,
>     muss er heute *600/(1-m)*, bei *m=0,4 *also *1000 €* sparen.
>
Im ersten Moment leuchtete mir das überhaupt nicht ein: Wer überlegt 
sich denn heute bspw. beim Sparen, dass er nicht nur die Nettokaufkraft, 
sondern auch die Mehrwert- und sonstigen Steueranteile mitsparen muss, 
um ein bestimmtes Konsumziel zu erreichen? Dann habe ich mir aber klar 
gemacht, dass meine kleinbürgerlichen Kinderzimmerphantasien von 
Robert-Lemke-Sparschweinchen ja gar nicht das Thema sind, sondern dass 
Sparen bei dir die Chiffre für privates Kapital darstellt. Deine 
Befürchtung ist, dass die Einführung deiner Staatsbürgersteuer 
(insbesondere bei eher hohem Bürgergeld, folglich einer eher hohen 
Marginalsteuer) dazu führen würde, dass das oberste 
Vermögenszehntausendstel seine Dagobert-Duck-Geldspeicher an seine 
Privatjets (oder Privathelis) ketten und damit fortfliegen würde, 
vielleicht Janoschs Ausspruch 'oh wie schön ist Panama' folgend. Das ist 
hier dein Punkt, oder? Du befürchtest ein politökonomisch motiviertes 
Sparen, das deine Staatsbürgersteuer und die ihr zugrundeliegende 
Volkswirtschaft aus bloßem Elitekalkül an die Wand fahren würde?
Ich finde den Geldfetisch ja gnadenlos überbewertet, von zentraler 
Bedeutung ist eigentlich der Eigentumsfetisch, insbesondere das Eigentum 
an Produktivkapazitäten. Die lassen sich weit schwerer mal eben an einen 
Jet oder Heli ketten und außer Landes bringen, weshalb ich diese ja 
hinlänglich bekannte Schaumschlägerei vom 'Kapital als zartem 
Pflänzchen, das nicht verprellt werden darf' im Wesentlichen Ideologie 
finde. Würde es tatsächlich massive Kapitalflucht geben, könnte der 
politische Souverän ja intervenieren und das herren- oder zumindest 
funktionslos zurückgelassene Produktivvermögen requirieren und wieder 
einer gesellschaftlichen Nützlichkeit unterstellen. Dafür dürfte Art. 14 
GG ja nun wirklich ausreichen.
Wahr daran finde ich ein ganz anderes Motiv: Würden zu große Teile der 
gesellschaftlichen Funktionseliten dem Land den Rücken kehren, weil eine 
bestimmte politische Reform durchgezogen wird, könnte das Know How für 
die Nutzung der produktiven Kapazitäten so stark leiden, dass es einen 
massiven ökonomischen Verfall geben könnte. Ich finde nicht, dass 
irgendwas wirklich darauf hinweist, dass deine Staatsbürgersteuer oder 
auch mein Geldmengenerhöhungsvorschlag so eine Landesflucht auszulösen 
in der Lage wäre. Im Gegenteil, beide Vorschläge dringen auf ihre 
eigenen Arten auf eine sozialere Gesellschaft und würden daher für das 
Gros der Bevölkerung das Land eher attraktiver als heute machen. Von 
daher verstehe ich nicht recht, warum du dir da so einen Kopf drum machst.
>
>     Im Bezugsjahr 2010 haben private Haushalte im Monat
>     durchschnittlich 178.75 € gespart. Sie müssten also eigentlich
>     *178,75 €/(1-m)*, bei *m=0.4* also *297,24 €* sparen. Dieses
>     mindert den 2010 mit der Staatsbürgersteuer erzielbaren
>     Steuerbetrag und damit entsprechend das Bürgergeld.
>
>     Dieser Sparbetrag ist wichtig für die Volkswirtschaft, denn sie
>     ist die Quelle aller Investitionen – auch wenn da meistens Banken
>     dazwischen geschaltet sind..Ich habe dann dann überlegt, ob die
>     Staatsbürger tatsächlich so hohe Betrage sparen würden. Ein Teil
>     der Vorsorge entfällt, weil (in meinem Vorschlag) das
>     Altersbürgergeld höher ist als die heutige Rente und weil andere
>     Vorsorgegründe bzw. ökonomische Risiken aus dem höheren (Brutto-)
>     Vermögen abgefangen werden können und weil es bestimmt Unternehmer
>     gibt, denen es egal ist, wie viel sie ihren Erben vererben und es
>     daher versäumen, zu Lebzeiten Geld zurück zu legen (zu sparen).
>     Diese Effekte verringern die Sparquote. Ich habe daher mit *150 €
>     /(1-m)* einen geringeren Betrag angesetzt. Als 2010 gespart wurde.
>
Ich teile Egges Einwand gegen deine Vorstellung vom ach so wichtigen 
Sparbetrag. Die Hebel im Kreditwesen sind enorm.
Ansonsten stimmen deine Ausführungen halt höchstens für das von dir 
favorisierte m, nicht aber z. B. für ein m von 80 %. Da wäre die 
Sparquote gemäß deiner Formel gigantisch viel höher als heute.
>
>     Für sehr*m>0,6* führt dies zu erheblichen Abstrichen beim
>     Bürgergeld; bei m=1 (100%) zu unendlich hohen Sparbeträgen.
>     Letzteres ist natürlich Quatsch, stimmt aber in der Tendenz: Wenn
>     alles Zusatzeinkommen weggesteuert wird, werden die Leute die
>     letzte legale Chance, möglichst viel Geld vor dem Fiskus zu
>     retten, nutzen. Sie hoffen vielleicht, dass sie ihr so gebildetes
>     privilegiertes Vermögen doch noch irgendwie am Fiskus vorbei
>     konsumieren zu können.
>
In Panama z. B. Ja, wie gesagt: Überzeugt mich nicht. Während die reinen 
Mehrwertsteuer-Verfechter so tun, als gäbe es kein privates Vermögen, 
tust du hier umgekehrt so, als gäbe es keinen Wirtschaftskreislauf. Es 
gibt aber beides.
>
>     Eine weitere Bemerkung ist noch wichtig: Die ganze Rechnung
>     gilt*nur für das Jahr 2010* als Einführungsjahr. In späteren
>     Jahren generiert ja das gesparte privilegierte Vermögen
>     Zusatzeinkommen bzw. Zusatzkonsum und damit wieder höhere
>     Steuereinnahmen.und automatisch höhere Bürgergelder. Für
>     längerfristige Rechnungen kannst Du also den Sparterm *S*
>     weglassen oder besser noch, die in
>     http://staatsbuergersteuer.de/StAufkommen.htm#4.1.9
>     <http://staatsbuergersteuer.de/StAufkommen.htm#4.1.9> angegebenen
>     Entwicklungen einsetzen. Dieses Modellsimulation unterstellt
>     konstantes Volkseinkommen/Kopf. Die der Realität sieht es noch
>     besser aus, weil das Volkseinkommen/Kopf ja ohnehin steigt.
>
Ja, den Link hatte ich mir auch vor dem Schreiben meiner letzten Mails 
an dich vergegenwärtigt. Er hatte für mich aufklärenden Gehalt. Erst 
dadurch habe ich verstanden, was dein S-Term eigentlich will und dass es 
abstrus ist, ihn so zu konzipieren, wie du das tust.
>
>     Ich verstehe aber, dass Du da anders rangehen willst. Ein
>     möglichst hohes Bürgergeld bzw. Grundeinkommen soll
>     agitationstechnisch (Deine Wortwahl) Wähler gewinnen. Dass man
>     dies später im Zuge der Verhandlungen und politischen Kompromisse
>     nicht durchsetzen kann, ist dann die Ausrede, warum das
>     Eingangsversprechen nicht durchgehalten werden kann. Meinst Du das
>     so?
>
Nö. Ich bin ein für das ökonomische Gesamtgetriebe völlig unerhebliches 
Individuum, das auf der stofflichen Seite selbst im Arbeitsleben 
(abgesehen vielleicht von wirklich nicht erwähnenswerten Ausnahmen) 
reiner Konsument ist und vermutlich auch immer bleiben wird. Ich bin 
auch nicht König von Deutschland oder so etwas. Ich mache hier folglich 
überhaupt keine Versprechen. Ich schlage im Rahmen der von mir mehr oder 
weniger gut verstandenen Rahmenbedingungen eine m. E. mögliche 
politische Reform vor, propagiere sie, setze mich dafür ein, fordere sie 
auch. Als Forderer sehe ich mich überhaupt nicht oder höchstens 
innerhalb der winzigen Möglichkeiten, die ich so als Individuum habe, in 
der Verantwortung, irgendjemandem das Funktionieren meiner Forderungen 
zu garantieren. Ich möchte auch nicht ein bGE von 1.500 Euro heutiger 
Kaufkraft, weil ich da ein paar Hunderter Verhandlungsmasse für 
Koalitionsgespräche eingeplant habe, sondern weil das eine m. E. 
angemessene Hausnummer ist. 1.250 Euro wären vermutlich auch noch 
akzeptabel, 1.000 Euro erscheint mir bei Berücksichtigung von Kranken- 
und Pflegeversicherung schon deutlich zu tief gegriffen. Ich finde 
diesbezüglich Blaschkes Auseinandersetzungen mit der Haltung des BVerfG 
und diverser Erwerbsloseninitiativen überzeugend, auch aus persönlicher 
Erfahrung.

Vielleicht nochmal etwas weiter ausgeholt: Auch wenn die 
gesellschaftliche Gesamtstruktur mir einerseits zu komplex, andererseits 
in vielfältiger Hinsicht zu intransparent ist, um das schlussendlich zu 
beweisen, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die allermeisten 
kapitalistischen Krisen Überproduktions- bzw. Unterkonsumtionskrisen 
sind. In der Struktur der subprime-Krise in den USA und in Spanien, die 
Prolog der Meistererzählung im letzten massenmedialen Aufbäumen der ja 
bis heute bloß weiter angeheizten, nicht etwa in irgendeiner Weise 
bereinigten Finanzmarktkrise war, ist ja für jeden offensichtlich 
gewesen, dass die Produktivkräfte potenter als die 
Produktionsverhältnisse sind: Massenhaft wurden Immobilien in die 
Landschaften geknallt, die grundsätzlich auch nützlich wären, nur leider 
nicht von ausreichend Leuten bezahlt werden können, die sie nutzen 
wollen. Ich find's u. a. daher offenkundig, dass wir uns 
weltgesellschaftlich in einer historischen Phase bewegen, in der Marx' 
Formulierung, dass die Produktionsverhältnisse die Produktivkräfte 
fesseln, quasi für jeden mit Händen zu greifen ist, der in den 
privilegierten Weltgegenden lebt. Und das ist m. E. auch der 
politökonomische Hintergrund, auf dem z. B. so eine Idee wie das bGE 
fähig wird, massenhaft politische Sympathien zu erhalten. Vgl. z. B.: 
"Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, 
politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das 
Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr 
gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen 
Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der 
Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen 
oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den 
Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. 
Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse 
in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution 
ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze 
ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher 
Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, 
naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den 
ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, 
religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen 
Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn 
ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, 
was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche 
Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr 
dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem 
vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und 
Produktionsverhältnissen erklären." (MEW13, 8f) Im weithin bekannten 
Manifest der Kommunistischen Partei taucht dieser Gedanke zur 
Beschreibung der bürgerlichen Revolutionsphasen auf: "Die Produktions- 
und Verkehrsmittel, auf deren Grundlage sich die Bourgeoisie 
heranbildete, wurden in der feudalen Gesellschaft erzeugt. Auf einer 
gewissen Stufe der Entwicklung dieser Produktions- und Verkehrsmittel 
entsprachen die Verhältnisse, worin die feudale Gesellschaft produzierte 
und austauschte, die feudale Organisation der Agrikultur und Manufaktur, 
mit einem Wort die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten 
Produktivkräften nicht mehr. Sie hemmten die Produktion, statt sie zu 
fördern. Sie verwandelten sich in ebensoviele Fesseln. Sie mußten 
gesprengt werden, sie wurden gesprengt." (MEW4, 467)

Während nun ein bGE in Höhe von 1.500 Euro heutiger Kaufkraft nur etwa 
die Hälfte des BIP politisch umverteilen will, sich also allemal im 
Rahmen der heute ohnehin produzierten Wertgegenständlichkeiten bewegt, 
und während du davon ausgehst, dass dein Bürgergeld in deiner 
Staatsbürgersteuer moderat wachsen würde wie hoffentlich das BIP, glaube 
ich grundsätzlich, dass wegen der heutigen Fesselung der Produktivkräfte 
durch die Produktionsverhältnisse bei einer Entfesselung der 
Produktivkräfte auch locker ein bGE in Höhe von 5.000 Euro heutiger 
Kaufkraft drin wäre - obwohl das offenkundig oberhalb des heutigen BIP 
liegt, zumal ich das global meine. So eine Höhe bringe ich hier aber 
nicht in die Diskussion ein, weil Leute wie du mich ja schon bei 1.500 
Euro für einen Spinner halten. Bernd, sieh's ein: Ich spinne immer noch 
ein bisschen mehr als du ohnehin schon denkst. ;)

Bei all dem dürfen wir allerdings selbstverständlich nicht vergessen, 
dass wir uns nicht nur in einer Situation durch die 
Eigentumsverhältnisse gefesselter Produktivkräfte befinden, sondern als 
Weltgesellschaft bereits seit der ersten industriellen Revolution, also 
seit bald drei Jahrhunderten, in ökologisch schädlichen und tendenziell 
immer schädlicheren Bahnen produzieren. Ökonomische Betrachtungen machen 
heute nun wirklich keinen Sinn mehr ohne Reflexion darauf, dass wir die 
bestehenden Produktivkräfte massiv dafür nutzen müssen, sie in ein 
ökologisch verträgliches Design zu überführen - zumindest, wenn wir z. 
B. noch drei weitere Jahrhunderte damit weitermachen wollen. Schon dafür 
wäre eine Befreiung der Produktivkräfte von den Restriktionen des 
Eigentumfetischs eigentlich eine Frage von Überleben und Tod. Aber im 
Moment sieht's ja eh eher danach aus, dass wir gesamtgesellschaftlich 
mal wieder unseren Thanatos ordentlich umarmen und herzen wollen, indem 
wir das üblich gewordene Spiel bei zu stark gefesselten Produktivkräften 
noch einmal spielen: Aus den Mainstreammedien weht mir zwischen den 
Zeilen eigentlich beständig nur noch ein 'welcome to world war three' 
entgegen.
>
>     Ich bin immer noch bereit eine Bert-Varante in
>     http://staatsbuergersteuer.de/Varianten.htm#5.4.2 einzutraen. Sag
>     mir Deione Parameter (m und ggf. Differrenzierung des
>     Bürgergelds). Vielleicht entspricht BGE4 mit m=0,6 Deinen
>     Vorstellungen?
>
Wenn du deinen S-Term durch meinen linearen ersetzt, kannst du 
meinetwegen m=0,77 als Bert-Variante aufführen, ist mein Geburtsjahr, 
wird schon irgendwie passen.
>
>
>     Lieber Bert,
>     Egal wie Du es anstellen willst:*jede* Finanzirung über Steuern
>     produziert das Problem, dass arbeitende Hausfrauen schlechter
>     gestellt werden, wenn sie aus einer steuerfreier
>     Hausfrauen-Tätigkeit in eine steuerpflichtige Tätigkeit wechseln.
>     In der Nedden-Sozialkonsumsteuer oder der bisherigen
>     Einkommensteuer sogar noch erheblich schlechter als in jeder
>     Variante mit noch höherem *m *als 0,5 in  der Staatsbürgeteuer. 
>     Dies gilt auch für andere Finanzierungsmodelle eines Grundeinkommens.
>
Na, komm, die von dir da behauptete systemische Schlechterstellung 
resultiert aus deiner Annahme, dass die Hausarbeit dann von einer 
Minijobberin oder dergleichen eingekauft werden muss. Ich finde das 
ganze Thema nicht hinreichend relevant. Der gesellschaftliche Trend geht 
zum Singlehaushalt und zum Haushaltsroboter. Sich eine Putze oder Nanny 
für den Privathaushalt zu besorgen, dürfte zudem nur für die oberen 
Mittelschichten und Oberschichten eine Option sein. Mag ja sein, dass 
das in deinen Milieus eine interessante Frage ist, mir scheint das eher 
ein Minderheitenproblem zu sein, dem ich keine systematische 
Bedeutsamkeit zuerkennen mag.
Ich hab das nur angesprochen, weil du mit Hilfe dieses Beispiels zu 
demonstrieren versuchst, dass ein hoher Marginalsteuersatz zu einer 
Schlechterstellung von Bürgergeld plus Arbeitseinkünften gegenüber 
niedrigen Marginalsteuersätzen führt. Das fand ich unlogisch, es erklärt 
sich aber vermutlich komplett aus deiner eigenwilligen Konzeption des 
S-Terms.
>
>     Uns hat dieser Vorschlag eingeleuchtet.  In
>     http://staatsbuergersteuer.de/Haushalt.htm#tz62 der Urfassung ist
>     er bereits gemacht, und ich habe ihn seither in vielen
>     Diskussionen zu verteidigen versucht.  Ähnlich sieht es mit der
>     Differenzierung nach Alter aus. Ich glaube, dass die
>     Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens eine ideologisch bedingte
>     heilige Kuh (Forderung der egalite?) ist. Sie stammt vermutlich
>     aus der Auseinandersetzung mit Hartz IV und anderen persönlichen
>     Subventionen des heutigen Systems, deren Sinn kaum noch zu
>     verstehen ist. Für eine sinnvolle Differenzierung des
>     Grundeinkommens wie für das Bürgergeld der Staatsbürgerrsteuer in
>     http://staatsbuergersteuer.de/Differenzierung.htm#3.2.1
>     vorgeschlagen kann man die egalite durchaus modifizieren.
>
Ich hatte die vergangenen beiden Wochen häufiger mal darüber 
nachgedacht, dass es irgenwo absurd ist, dass du ja vermutlich mehr als 
fast jeder andere klar hast, was für einen Skandal das heutige 
Sozialstaatssystem anreizpolitisch und gerechtigkeitstheoretisch 
insbesondere für die ganze Gruppe prekär Entlohnter darstellt, 
andererseits aber in deinen Staatsbürgersteuertexten andauernd 
irgendwelche Beispiele und Reflexionen einfließen lässt, die von der 
Frage motiviert sind, ob es nicht ganz grundsätzlich unfair sei, 
irgendwelche fleißigen Vermögensaufbauer mit einem Bürgergeld zu 
düppieren. Ganz grundsätzlich: Dir ist klar, dass jede Form von 
Staatsfinanzierung und erst recht von Sozialstaatsfinanzierung den 
Fleißigen etwas wegnehmen muss, nicht wahr? Warum tust du dann immer 
wieder in allen möglichen Details so, als sei das nicht einzusehen?

Ansonsten: Modifizierung der egalité? Höhö. Modifiziert man Gleichheit, 
bekommt man was? Ungleichheit.
Gleichheit ist für uns ja allerhöchstens eine regulative Idee. Nicht 
einmal Justizia ist so blind, dass sie formelle Gleichheit oder formelle 
Gerechtigkeit verbürgen könnte. Ich finde Anne Clarks Albumtitel 'the 
law is an anagram of wealth' noch immer die prägnanteste Kurzformel in 
punkto egalité für den Umstand, dass innerhalb des Eigentumsfetischs 
nirgends eine echte Vorstellung von den drei Leitthemen der Frz. Rev., 
also von liberté, egalité, fraternité entwickelt werden kann. Wir sind 
auch diesbezüglich völlig verstrahlt und halten alles Mögliche für mehr 
oder weniger frei, gleich und/oder brüderlich, was es null ist. Es gibt 
keine richtige liberté, egalité, fraternité im falschen Leben, nicht 
einmal eine richtige Vorstellung davon. Insofern habe ich auch keine 
Lust, meine falschen Vorstellungen davon mit deinen falschen irgendwie 
in Konkurrenz zu setzen. Ein bGE gemäß der vier Kriterien dieses 
Netzwerks ist formell egalitär, aber selbstverständlich nur in seinem 
Geltungsbereich, also dem des soziokulturellen Existenzminimums. Ich 
finde die Idee der egalité tatsächlich eine wichtige theoretische 
Referenz, Marx' Kritik an der gesellschaftlichen Realität der 
bürgerlichen Ideale aber schon viel wichtiger. Für mich ist das 
jedenfalls keine heilige Kuh, schon weil diese Kuh heute faktisch 
ohnehin nur als Gulasch existieren würde und ich meine Lust an 
Blasphemie schon hinreichend anderweitig ausgetobt habe. Ich hänge am 
viel zu sehr durchlöcherten Respekt des GG vor dem Existenzminimum jedes 
Individuums und sehe in der mit dem bGE propagierten Idee der egalité 
eine grundsätzliche Möglichkeit für einen produktiven 
gesamtgesellschaftlichen Konsens, der uns bestenfalls vor der nächsten 
Eskalationsstufe der prozessierenden Gesellschaftskatastrophe bewahren 
könnte. Und ich sehe keinen guten Grund, die formelle Gleichheit des bGE 
irgendwie aufgeben zu wollen. Mehr ist da nicht. Auch das bGE wäre ein 
Fetischverhältnis, nicht der verwirklichte Verein freier Menschen, in 
dem "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!" 
(MEW19, 21) gilt, sondern bestenfalls Vehikel dorthin.

Ich sag's dir mal, um's dem Verteiler zu sagen: Mir ist klar, dass ich 
die vergangenen Monate hier im Verteiler wieder ziemlich präsent war, 
Diskussionsfäden offen einer weiteren Bearbeitung harren, ich zudem 
appellierte, eine ausführliche Modelldiskussion zu starten, an der sich 
hier zumindest ja aber eh kaum jemand beteiligt. Zudem stelle ich dir 
Fragen und motiviere somit zu weiterer Auseinandersetzung. Es gibt viel 
zu tun - ich aber habe andere Prioritäten. Ich entschuldige mich dafür, 
dass ich den Vorsatz habe, mich wieder deutlich aus diesem Verteiler 
zurückzunehmen. Mir fehlt dafür einfach die nötige Zeit. Ich hoffe mal, 
dass die dieses Wochenende tagende bGE:open die nächsten Tage dazu 
führen wird, dass andere Leute vielleicht auch mit ganz anderen 
Perspektiven hier ihre Schwerpunkte anbringen.

Liebe Grüße,

Bert
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20170108/d2f54f49/attachment.html>


Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen