[Debatte-Grundeinkommen] Zur Sache, Schätzchen! - sowie Dank für und kurze Reaktion auf Joachims Zusammenstellung
Bert Grashoff
unversoehnt at gmx.de
Di Jan 3 15:24:29 CET 2017
Hallo Karin,
> Ich habe bewusst von einem Endziel, einer Utopie geschrieben. ;-)
Sorry, hatte ich überlesen, wohl, weil in meinen utopischen
Vorstellungen Banken keinen Platz haben.
> Versteh ich nicht. Jeder, der eine BGE erhält kann doch einfach eine Firma
> (z.B. eine Ich-AG) aufmachen. Bei zusätzlichem Kapitalbedarf über das
> BGE-Niveau hinaus gibt es Kredite von Banken (oder vom Staat z.B. KfW
> Existenzgründerkredit). Wenn die Firma wirtschaftlich Sinn macht, wird auch
> kaum eine Bank auf so ein (relativ sicheres) Geschäft verzichten. Warum also
> noch zusätzlich (mehr) finanzieren?
>
> Genau für solche Fälle ist das BGE doch vorgesehen und, wenn man möchte,
> könnte ja auch gleich eine Firmengründung im Warenkorb, der zur Berechnung
> des BGE dient, mit enthalten sein.
Nö, ein bGE ist für die Existenzsicherung vorgesehen, nicht für
ökonomische Aktivitäten. Kredite verlangen meist nicht nur
wirtschaftliche Sinnhaftigkeit, sondern auch einen gewissen Anteil an
Eigenkapital, das bei den meisten Leuten schlicht gar nicht vorhanden
ist, schon gar nicht in Dimensionen, um bspw. mit etablierten
Großkonzernen konkurrieren zu können. Wirtschaftliche Sinnhaftigkeit ist
eine Bedingung, die ich gesamtgesellschaftlich gern über Bord werfen
würde, und nicht nur, weil die Renditeaussichten gerade mies aussehen.
Sehr viele gesellschaftlich nützliche Aktivitäten werden wirtschaftlich,
also kapitallogisch niemals Sinn machen, benötigen aber Ressourcen,
weshalb wir ja z. B. Sozialstaatsstrukturen oder Ehrenämter haben.
Andere Aktivitäten könnten wirtschaftlich Sinn machen und auch
vernünftig sein, werden aber von den etablierten Playern nicht
zugelassen, weil die sich nicht die Butter vom Brot klauen lassen
wollen. Drücken wir jedem Individuum ein bedingungsloses
Wirtschaftseinkommen monatlich in die Hand, könnten solche Aktivitäten
in einem völlig unausdenkbaren Maßstab zunehmen.
Mir hat sich die Idee allerdings aus einer anderen Richtung aufgedrängt:
Größtes Problem meines Vorschlags einer strukturellen Inflation qua
bGE-Geldmengenausschüttung dürfte die relative Zerstörung von
Planungssicherheit für ökonomische Akteure sein. Ich vermute zwar, dass
sich auch das handeln ließe, weil mit dem inflationsresistenten bGE ja
neben den ohnehin vorhandenen Produktivkapazitäten ein stabiler Anker
verbleibt und die bGE-Idee ja ohnehin propagieren will, dass wir weg vom
Zwang zur Wertverwertung (also zur Rendite) kommen und hin zum
freiwilligen Engagement aller für alle. Mit einem wiederum
inflationsresistenten bedingungslosen Wirtschaftseinkommen ließe sich
aber ein weiterer Anker werfen, also mehr Systemstabilität erreichen.
Planungssicherheit für kapitalaufwändigere Projekte könnte durch
Crowdfunding-Konzepte erreicht werden, etwa dadurch, dass eine größere
Menge Leute sich selbstverpflichten, über z. B. 10 Jahre z. B. 10 %
ihres bedingungslosen Wirtschaftseinkommens einem bestimmten
ökonomischen Zweck zur Verfügung zu stellen. Im Effekt wär's eine
Demokratisierung der ökonomischen Gesamtstrukturen, also sowieso
wünschenswert.
Mal abgesehen davon, dass ich's politisch nicht vorstellbar finde, ein
bGE so weit in die Höhe zu treiben, dass es nicht nur die Existenz
absichert, sondern zudem einen reellen Teil bedingungsloses
Wirtschaftseinkommen einfach so nebenbei enthält, würde ich ein
bedingungsloses Wirtschaftseinkommen aus folgenden Gründen zweckgebunden
von dem zur privaten Verknusperung bereitstehenden bGE abgrenzen wollen:
1) Es soll den oben skizzierten Zweck der Systemstabilisierung erfüllen,
was es nicht kann, wenn es massenhaft einfach für privaten Konsum
verwendet werden würde. 2) Es wäre eine Message an jedes
Gesellschaftsmitglied nach dem Motto: 'Auch du bestimmst, wie sich die
Gesellschaft produktiv entwickeln soll. Auch du trägst Verantwortung für
diese Entwicklung. Auch dir wird daher ein bedingungsloses
Wirtschaftseinkommen in die Hand gedrückt.'
Da die Gesamtkonzeption ohnehin von Wertverwertung, Profitmaximierung
oder Renditeansprüchen (wie auch immer das gennant werden soll) fort
will, finde ich's zwar sachlich sowieso klar, erwähne es aber
sicherheitshalber: Die Zweckbindung sollte so formuliert werden, dass
nicht bloß heute profitorientierte Zwecke verfolgt werden können,
sondern auch nicht-profitorientierte wie heute bspw. mit eingetragenen
Vereinen. Wichtig ist in dem Zusammenhang glaube ich nur die Abgrenzung
von der privaten Verknusperung.
> Jedes Modell hat seine Probleme!
>
> Ein Model, welches das BGE NUR über die EINKOMMENSSTEUER finanziert, geht
> nur, solange auch Einkommen generiert wird. Wenn eine (Utopische)
> Gesellschaft den Finanzmarkt abgeschafft hat und es Gehälter nur noch als
> symbolische Anerkennung für Ehrenamtliche Leistungen gibt, dann gibt es auch
> kaum noch Einkommen welches das BGE finanzieren kann.
Was dann ja aber auch komplett überflüssig wäre, oder? Mit utopisch
kannst du hier ja vermutlich nur eine Gesellschaft meinen, die sich
komplett vom Geldfetisch emanzipiert hat und den gesellschaftlichen
Stoffwechselprozess aus Freiwilligkeit heraus organisiert. Ist das
gegeben, braucht niemand ein bGE, also auch keine Finanzierung dafür.
Oder stellst du dir da eine utopische Klassengesellschaft vor, in der
Wenige quasi alles besitzen und mehr oder weniger vollautomatisiert
produzieren und den wenigen überhaupt noch Angestellten nur noch einen
symbolischen Obulus bezahlen sowie die große Masse darben lassen? Ist
gut vorstellbar, ja, ich finde auch, dass Einkommenssteuermodelle keine
gute Langfristperspektive abwerfen.
> Wenn ich es richtig verstanden habe, würde die STAATSBÜRGERSTEUER sich auch
> auf des Einkommen des Bürgers beziehen und die Berechnung erfolgt über das
> Finanzamt, dass ALLE meine Geschäftsabschlussdaten (zumindest meiner
> Einnahmenseite) zur Verfügung gestellt bekommt. Ich weiß nicht, in wie weit
> da der Datenschutz mitspielt und ich für meinen Teil mag einer Behörde auch
> nicht so viel Macht geben wollen (dieselbe Einschränkung bei der NEGATIVEN
> EINKOMMENSSTEUER).
Verstehe ich dich richtig, dass du hier mit Datenschutz gegen
Steuergesetze argumentieren willst? Jede Steuer verlangt die Offenlegung
wirtschaftlicher Verhältnisse. Der Unterschied zwischen Mehrwertsteuer
und Einkommensteuer besteht höchstens darin, dass bei ersterer
juristische Personen, also Unternehmen, ihre Daten mitteilen müssen, bei
letzterer natürliche Personen. Derzeit läuft beides. Während viele
bGE-Verfechter ja von einer radikalen Verschlankung der Staatsbürokratie
träumen, wäre ich eher dafür, z. B. all die Sachbearbeiter zur
Bedarfsprüfung bei den Jobcentern in die Finanzämter zu verschieben (so
das denn für sie ok ist) und mal bei dem oberen Einkommensviertel der
Bevölkerung genauer hinzuschauen. Das wäre einerseits so etwas wie
ausgleichende Ungerechtigkeit, würde sich andererseits für den Staat
sehr wahrscheinlich rentieren und könnte auch die Wissenslücken über den
realen Gini-Koeffizienten auffüllen. Für mich klingt das so, als wenn du
deine Vermögensverhältnisse vor den Augen des Staates verstecken
möchtest. Ok, der Staat ist sicherlich nicht das sympathischte Gebilde,
aber insofern wir hier ja zentral über gemeinwohlorientierte
Gesellschaftsveränderung qua Rechtsstaat diskutieren, scheint mir dein
Statement etwa auf folgende Aussage hinaus zu laufen: 'Meine
Vermögensverhältnisse gehen die Nichtvermögenden nichts an.' Das ist
neoliberale Propaganda. Die meisten Leute haben überhaupt keine
Geschäftsabschlussdaten (oder höchstens bei eBay und ähnlichen Portalen,
denen man problemlos auferlegen könnte, für die Umsetzung von Bernds
Staatsbürgersteuer Sorge zu tragen), sondern sind abhängig beschäftigt
und derzeit in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen für den Staat völlig
transparent. Die Punkte 2 bis 4 in
http://www.staatsbuergersteuer.de/StBSt.htm#3.1.2 würden die meisten
Menschen höchstens sehr selten mal treffen, nur eine Minderheit
regelmäßig, der man das m. E. wirklich problemlos aufbürden kann. Mag ja
sein, dass du das unangenehm fändest, für die Masse der Bevölkerung
wär's das nicht. Für die schnurrt Bernds Staatsbürgersteuer zu so etwas
wie einer integrierten Mehrwert-&Erbschaftssteuer zusammen (wobei Bernds
Todessteuer selbstverständlich keine Erbschaftssteuer ist, in heutigen
Kategorien aber damit am besten vergleichbar ist).
Ansonsten ist mir bislang noch kein Negativsteuermodell begegnet, das
ich diskussionswürdig fände. Ist mir völlig unklar, was an den Modellen
irgendwie reizvoll sein soll.
> Das MEHRWERTSTEUER finanzierte Model funktioniert auch noch am Ende, kann
> auch noch Lenkungsaufgaben übernehmen indem z.B. umweltschonende Produkte
> günstiger gemacht werden, aber es dauert unheimlich lange, bis die Vermögen
> der Reichen langsam weniger werden und durch (noch) höhere Gehälter könnte
> der Abfluss des Geldes in Richtung BGE wieder zurückgedreht werden. Außerdem
> droht Inflation die wiederum durch Erhöhung des BGE ausgeglichen werden
> müsste.
Bernds Staatsbürgersteuer ist mit Lenkungsaufgaben grundsätzlich auch
kompatibel. Die gibt's ja auch heute. Grundsätzlich kann man die in
jedem System extra implementieren.
Definitiv falsch ist die Vorstellung, dass mit einem reinen
Mehrwertsteuermodell 'die Vermögen der Reichen langsam weniger werden'.
Mehrwertsteuer bleibt die unsozialste Steuer, weil sie nur den
konsumptiven Konsum, nicht aber den produktiven Konsum besteuert, also
nicht das, was wir Vermögensbildung, Sparen oder Investieren nennen.
Während die armen Leute permanent ihre kompletten Einnahmen wieder
ausgeben und auf alles Mehrwertsteuer bezahlen und so das
sozialstaatliche Gesamtsystem finanzieren würden, würden die reichen
Leute auf den Teil ihrer Einnahmen, den sie in Vermögen verwandeln,
überhaupt keine Steuern bezahlen. Im Effekt würde das die
Zentralisierung des Kapitals in den Händen sehr Weniger nur weiter
absichern und beschleunigen. In der Form wäre das bGE ein neofeudales
Projekt.
Hm, ok, wenn wir durch ein bGE ideale Marktstrukturen mit idealer
Konkurrenz bekommen würden, dann wäre es vielleicht kein neofeudales
Projekt. Aber diese idealen Strukturen bekommen wir a) in der Realität
sowieso nie und b) müssten wir dafür mindestens erstmal sämtliches
Vermögen einkassieren und egalitär verteilen, um wenigstens so etwas wie
gleiche Startbedingungen zu produzieren - was wir ebenfalls in der
Realität nie bekommen werden. Mir ist unklar, warum innerhalb der
bGE-Szene nicht unterdessen geklärt ist, dass reine
Mehrwertsteuermodelle keine Option sind. Es ist doch wirklich nicht
schwer zu begreifen, dass eine komplette Steuerfreiheit von Kapital die
Schere zwischen reich und arm nur weiter spreizen würde. Angesichts der
Erfahrungen mit dem Mindestlohn, der sich in vielen Sphären zugleich zum
Maximallohn entwickelt, liegt z. B. auch die Befürchtung nah, dass ein
bGE allein überhaupt nicht zu einer Umverteilung von oben nach unten
führt (z. B. wegen bGE=Ersatz des Streikgelds), sondern stattdessen
womöglich das ganze Konzept von Lohn mit dem Hinweis aufs bGE in die
Tonne getreten wird, nicht aber zugleich das Konzept von abhängiger
Beschäftigung.
Ich bin mir nicht sicher, aber das Verständnisproblem liegt vielleicht
daran, dass die Mehrwertsteuer-Verfechter häufig reine
Kreislaufwirtschaftsmodelle suggerieren. Vielleicht hilft ja ein Hinweis
auf dies hier:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Vermoegensrechnung/Vermoegensrechnung.html
. Die Wirtschaft zirkuliert nicht einfach nur, sondern baut systematisch
Vermögensgegenstände auf, die zu großen Teilen dem obersten
Zehntausendstel der Privateigentümer gehören. Z. B. jeder Aldi-Markt in
der Landschaft ist nicht einfach nur eine gesellschaftliche Institution,
in der man Sachen des täglichen Bedarfs kaufen kann, sondern ein die
geographische und sozialpsychologische Landschaft prägender
Vermögensgegenstand im Privatbesitz der Aldi-Brüder (oder wem auch
immer). Mit einem reinen Mehrwertsteuermodell würden die Kunden im Aldi
zwar massiv viel Mehrwertsteuer bezahlen, auf jeden neuen Aldi-Markt
aber, der in die Landschaft geknallt wird, würden niemals irgendwelche
Steuern bezahlt werden müssen. Kapital ist wesentlich auch
gesellschaftliche Gestaltungsmacht und diese würde mit einem reinen
Mehrwertsteuermodell komplett von der Steuerleine gelassen werden. Das
wäre nur unter der Bedingung ok, dass wir alle gleiches Vermögen
besitzen, was völlig offenkundig null der Fall ist.
> Die Erhöhung der Gesamtmenge des Geldes, indem immer zusätzlich das BGE noch
> obendrauf kommt, führt zu einer starken Inflation, welches eine ständige
> Anpassung des BGE erfordert. Ich weiß nicht, ob die Leute das so toll
> finden, wenn sie im Geschäft JEDEN TAG neue Preise vorfinden, selbst wenn
> ihnen auch JEDEN TAG eine ständig erhöhte Menge Geldes zur Verfügung
> gestellt wird. ;-)
Das finde ich keinen ernstzunehmenden Einwand, weil das bGE als
Referenzgröße politisch ja nicht permanent verändert werden würde.
Nichts würde Händler davon abhalten, den Endverbrauchern die Preise
einfach in Bruchteilen des bGE anzugeben und somit intertemporale
Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Das wären ja nur simple mathematische
Operationen, zur Not könnte das auch eine kleine App erledigen. Siehe
oben: Substantiell ist Inflation in meinem Vorschlag für ökonomische
Akteure eine Schwierigkeit bei ihren langfristigen Planungen, vermutlich
bereits bei ihren mittel- und kurzfristigen, nicht aber für die über ein
bGE abgesicherten Endverbraucher.
> Ich persönlich hätte mit diesem Model keine Probleme. Inflation wäre eine
> gute Möglichkeit schnell die Vermögen der Reichen klein zu machen. Aber ich
> bezweifle einfach, dass wir es einer 2/3 Mehrheit der Menschen begreiflich
> machen können, dass sie jedes Jahr mehr und mehr für alles zu bezahlen
> hätten. :-(
Finde ich ähnlich wie Bernds Skepsis: selffullfilling prophecy. Nicht
die absolute Höhe der Währungseinheiten (meinetwegen 10 hoch hundert
Billionen Euro und mehr) wäre für Endverbraucher interessant, sondern
das Verhältnis dieser Währungseinheiten zum bGE. Da das in meinem
Vorschlag inflationsresistent gestaltet wird, bleibt es für alle
verlässlicher Anker. Klar, wäre eine Umgewöhnung. Aber vermutlich werden
wir uns die kommenden Jahre ansonsten ohnehin in vielfacher Hinsicht
umgewöhnen müssen.
> Mit Steuervermeidung kann man aber auch im Knast landen und dies ist in den
> letzten Jahren ja auch vermehrt geschehen. ;-)
> Und Steuervermeidung hängt auch davon ab, ob der Staat wieder Vertrauen
> aufbauen kann, die Menschen also freiwillig Steuern zahlen. Das ist nicht
> unbedingt von der Höhe der Steuern abhängig.
Ich hatte eigentlich an legale Steuervermeidungsstrategien gedacht,
nicht an illegale.
> Nun, ob die Preise steigen, weil eine 50% MwSt. oben drauf kommt oder eine
> 50% Inflation ist wirklich egal. ;-)
Nein, ist es nicht. Die gesellschaftlichen Auswirkungen unterscheiden
sich massiv.
Liebe Grüße,
Bert
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