[Debatte-Grundeinkommen] zur Dezemberdebatte
Karin Teetzen
karin at inkat.de
Sa Dez 31 01:47:17 CET 2016
Lieber Jochen,
Ja, da waren schon ein paar interesante Gedankengänge dabei in der Debatte,
auch wenn ich ursprünglich eigentlich nur mal ein Statement abgeben wollte.
;-)
> auch wenn ein Gutteil dieser Debatte wenig erfreulich ist. Ich
habe auch die Texte auf Deiner Hompage gelesen. Daß Du Dir eine
kindliche oder jugendliche
Phantasie bewahrt hast, finde ich gut; leider sind ja viele
Erwachsene scheinbar der Meinung,
Erwachsenheit bedeute vor allem Phantasielosigkeit. Allerdings denke
ich auch, daß Du mit Deinen
technologischen Phantasien unsere menschliche Problematik verfehlst.
Unsere Probleme entstehen
nicht durch Mangel an irgendwelchen Ressourcen – ob nun materielle,
technologische oder geistige
– sondern aus einer falschen Haltung uns selbst und der Welt
gegenüber. Insofern sollten wir also
unsere Phantasien mit einer vernunftgesteuerten kritischen Distanz
betrachten. In politischen oder
anderen öffentlichen Angelegenheiten ist es oft nicht notwendig,
mehr über die Beteiligten zu
wissen, als welche Haltung sie zu einer speziellen Problematik
einnehmen. Dennoch ist es
förderlich und angenehm, wenn man die Personen, mit denen man zu tun
hat, besser kennt. Deshalb
lese ich gern etwas dazu und gebe auch selbst Einblick in meine
Biographie und meine
Vorstellungswelt. Einige Texte dazu findest Du (und für alle
weiteren Debattenteilnehmer: findet
ihr) auf http://jt.blogger.de Insbesondere zu meinen Ansichten über
die Ursachen unserer heutigen
Konflikte: http://jt.blogger.de/20120226 : Die Geschichte eines
Irrtums. Die Texte dort haben alle
schon ein paar Jahre auf dem Buckel, sind aber immer noch aktuell.
Zum Hauptthema der gegenwärtigen Debatte: BGE-Partei oder nicht, bin
ich immer noch
unentschieden. Ich finde im Grunde alle Argumente und Fragen richtig
und berechtigt, die Arfst
angeführt hat. Dennoch ist mir auch der Gedanke sympathisch, daß mit
dieser Parteigründung der
Mangel an Demokratie unterlaufen werden sollte, saß wir noch nicht
die Möglichkeit einer
bundesweiten Volksabstimmung haben. Ich habe selbst ein paar
Erfahrungen als
Kommunalpolitiker kurz nach der Einverleibung der DDR in die BRD
gesammelt – war als Grüner
in den ersten Jahren nach der Wende im Dresdner Stadtrat. Ich habe
mich da ständig überfordert
gefühlt und habe mich deshalb für einen schlechten Stadtverordneten
gehalten und damit nicht
weitergemacht. Aber ich habe die Überforderung nicht nur meinen
mangelhaften Fähigkeiten
zugeschrieben, sondern auch einem Fehler im System: der Spaltung der
Bevölkerung in „Politiker“
und unpolitische Bürger. Natürlich ist das Beenden meiner Tätigkeit
als gewählter Politiker nicht
die Alternative zur aktiven politischen Laufbahn. Politik ist eben
etwas, was nicht nur in
Parlamenten und Parteien stattfindet. Die Grünen, die selbst mal aus
der außerparlamentarischen
Opposition hervorgegangen sind, sollten das eigentlich wissen. Als
denen aber in den neunziger
Jahren die Beteiligung an der Regierung wichtiger wurde, als ihre
ursprünglichen alternativen
Engagements, bin ich auch aus dieser Partei ausgetreten und bin
politisch außerhalb des
Parteiensystems aktiv. Für mich haben sich die Grünen von einer
pazifistischen
Friedens(bewegung)partei in eine Kriegstreiberpartei verwandelt, wie
es ja auch einige andere hier
sehen. Was aber nicht heißt, daß ich alle Mitglieder für
Kriegstreiber halte. Ebenso gibt es auch in
allen anderen Parteien Menschen, die aktiv für eine Friedenspolitik
eintreten – selbst in CDU und
CSU, was ich früher nicht für möglich gehalten hätte -, und das ist
für mich ein kleiner
Hoffnungsschimmer. Aber die Parteiapparate und der parlamentarische
Mechanismus sind eben
leider so konstruiert, daß davon nicht viel in der letztendlichen
offiziellen Politik ankommt.
Letztlich bestimmen Herrschafts- und Kapitalinteressen die Richtung
der Politik.
Ich habe mir damals Gedanken darüber gemacht, wie man die
repräsentative Demokratie
demokratischer machen kann – was also heißt, wie man mehr politische
Aktivitäten in der
Bevölkerung erreichen kann. Obwohl ich weiß, daß es über die Art und
Weise einer konkreten
Umsetzung noch viel zu diskutieren gibt, stelle ich mir vor, daß –
neben der Etablierung von
Volksbegehren und Volksentscheidungen – eine Einbeziehung von
Bürgerinitiativen und
Bürgerbewegungen eine positive Wirkung auf das jetzige politische
System haben würde. Unter
anderem, weil es auch die Parteien dazu zwingen würde, ihre Energien
weg von den Machtkämpfen
und hin zu sachbezogener Argumentation lenken würde, durch die
Konkurrenz aus den Bürgerinitiativen.
Einige von Karins Vorschlägen bezüglich der Auslosung von
politischen Mandaten sollten
unbedingt weiter diskutiert werden. Aber vor der Installation von
„Expertengremien“ als politischen
Entscheidungsinstanzen warne ich. Politik ist keine Angelegenheit
von Experten; und wer
bestimmt, wer Experte ist? Man denke nur an den heute
allgegenwärtigen Lobbyismus. Experten
müssen Politik beraten, entscheiden müssen aber die Staatsbürger
oder eben eine von ihnen
bestimmte Delegiertenversammlung. In diesen Versammlungen können
natürlich auch Experten
vertreten sein, grundsätzlich aber muß ein Auswahlprinzip gefunden
werden, mit dem garantiert
wird, daß alle von den Entscheidungen betroffenen Bürger in
angemessener Weise vertreten sind.
In der hiesigen Debatte, wie in fast allen öffentlichen Debatten
wird mit viel Aufregung über
Erscheinungen geschimpft, wie Trump-Wahl, Brexit, AfD und PEGIDA;
aber selten wird
verstanden, daß all das Symptome und Folgen der bisherigen
neoliberalen Politik sind und daß man
sich mit dieser kritisch befassen muß, wenn man wirklich schlimmere
Entwicklungen verhindern
möchte und daß es nichts bringt, an den Symptomen herumzukritteln.
Ich wollte noch auf einige Punkte aus Karins Text eingehen und
anderes aus der zurückliegenden Debatte,
aber ich bin gegenwärtig gesundheitlich nicht gut drauf, deshalb
breche ich hier erstmal ab.
Ich bedanke mich auch bei Joachim Winter für die Zusammenfassung,
weil ich mitunter
Schwierigkeiten habe, herauszufinden, wie die Beiträge
zusammenhängen.
Herzlichen Gruß Jochen
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