[Debatte-Grundeinkommen] Zur Sache, Schätzchen! - sowie Dank für und kurze Reaktion auf Joachims Zusammenstellung

Bert Grashoff unversoehnt at gmx.de
Fr Dez 30 11:56:43 CET 2016


Hallo Karin,

danke für den Link auf Blaschkes Tabelle. An die hatte ich gedacht und 
an den mit ihr auf 
https://www.grundeinkommen.de/die-idee/finanzierungsmodelle angegebenen 
Text zur sinnigen Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens: 
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2013/01/2012-ansaetze_und_modelle_gs_und_ge_blaschke.pdf 
. Hast mir erspart, die Links selbst wieder zu finden. :o) Allerdings 
sind die Dokumente schon wieder fast fünf Jahre alt und die bGE-Szene ja 
vielfältig quirlig. Ich bezweifle, dass die Tabelle alles abdeckt, was 
so diskutiert wird. Blaschkes Fokus lag vermutlich auf das in Parteien 
und NGOs Diskutierte, wobei auch ein paar Modelle von Einzelpersonen 
auftauchen, etwa das Dilthey-Modell. Bernds Staatsbürgersteuer aber 
taucht bspw. nicht auf. Zudem sehen vielleicht in der Tabelle 
dargestellte Modellvarianten unterdessen anders aus, Zeit steht ja nicht 
still.

 >>bei möglichst sekundengenauer Bindung der Höhe des bedingungslosen

 >>Grundeinkommens an einen möglichst komplexen Warenkorb.

>Dann müsstest du das BGE ja auch Sekundengenau auszahlen?! Ist das nicht ein
>bisschen kompliziert? Das BGE soll doch gerade unser System vereinfachen.

Finanzierung über Geldmengenerhöhung hieße, dass die EZB das ausschütten müsste. Pragmatisch würde ich denken, dass es sinnig wäre, jedem Individuum ein bGE-Konto bei der EZB zuzuweisen, auf das meinetwegen über die Dienstleistungsmodelle der Geschäftsbanken zugegriffen werden kann. Du betonst ja selbst die 'Volatilität der Märkte'. Wir müssen uns m. E. immer wieder klar machen, dass wir hier nie über Pappenstiele sprechen, sondern über einen substantiellen Eingriff in die Gesamtgesellschaft. Pi*Daumen können wir für jeden Euro ausgeschüttetes bGE im Monat von einer Milliarde Euro Gegenfinanzierungsbedarf für D-Land ausgehen (1 Mrd. Personenmonate = 12 Monate * 83 1/3 Millionen Personen). Bei einer bGE-Höhe von 1.250 Euro im Monat erreichen wir somit ungefähr das Volumen des öffentlichen Gesamthaushalts (vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/OeffentlicheFinanzenSteuern/OeffentlicheFinanzen/AusgabenEinnahmen/Tabellen/Tabellen_AusgabenEinnahmenFinanzierungssaldoJaehrlich.html ), gut 40 % des BIP (vgl. http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_jb27_jahrtab65.asp ) und irgendwas zwischen 10 und 20 % der EU-Geldmengen M1 bis M3 (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geldmenge#Geldmengen_der_Europ.C3.A4ischen_Zentralbank ). Es ist völlig klar, dass mein Vorschlag, der diese Summe einfach als zusätzliche Geldmenge über alle Individuen Jahr für Jahr ins Gesamtsystem einspeisen will, zu Inflationseffekten führen würde, gerade in der Einführungszeit vermutlich zu sehr turbulenten. Damit das bGE aber existenzsichernd ist, muss es selbstverständlich gegen Inflationseffekte gefeit sein. Da die Börsen wiederum sekundengenau agieren, kann es pragmatisch kein Problem sein, die bei der EZB geführten bGE-Konten über ein komplexes Warenkorbmodell ebenfalls sekundengenau inflationsresistent zu gestalten. Das wäre auch ein klares Signal an 'die Märkte', das sie gar nicht erst zu versuchen brauchen, das bGE über Markttricksereien zu entwerten.
Wie gesagt wäre der Nachteil selbstverständlich, dass plötzlich alle ökonomischen Akteure jenseits des bGE mit struktureller Inflation umzugehen lernen müssten. Das könnte sich in der Tat kompliziert gestalten, ist aber m. E. nur ein Anpassungs- und Lernproblem, Exponentialfunktionen würden wohl eine bedeutsamere Rolle in der Schuldidaktik bekommen, viele Verträge würden vermutlich auf das bGE als Referenzgröße zugeschnitten werden. Da wir ja ohnehin eine Zweidrittelmehrheit für meinen Vorschlag bräuchten (und letztlich noch viel mehr, wenn wir das in Euro und nicht in Neumark durchziehen wollen: einen Konsens innerhalb der EU), gäbe es ausreichend Vorlaufzeit, damit sich die Gesamtgesellschaft überlegen kann, wie sie das am besten handelt. M. E. positiver Nebeneffekt wäre im Übrigen eine schleichende Entwertung heutiger Ansprüche. Für viele Leute ist ja heute nicht einzusehen, warum ein bGE auch Leuten ausgezahlt werden soll, die z. B. eine gute Rente/Pension, einen guten Lohn oder hohe regelmäßige Einnahmen aus Vermögen haben. Eine strukturelle Inflation würde diese Einnahmequellen teilweise sicher, teilweise wahrscheinlich sukzessive entwerten - ohne wiederum in irgendeiner Weise in geltende Rechtsansprüche einzugreifen. bGE wäre hingegen der Anker, auf den sich alle verlassen können. Alles in allem erscheint es mir daher die einfachste und eleganteste Lösung für die gestellte Aufgabe, wie wir ein bGE in das bestehende System gezimmert bekommen. Eine Steuerreform durchzubekommen, die die Steuerlast annähernd verdoppelt, dürfte weitaus schwieriger und komplizierter sein - scheint mir zumindest. Andererseits ist das derzeitige Steuer-Sozialstaatssystem ohnehin in sich ein Skandal und es bedürfte eigentlich auch ganz unabhängig von bGE-Diskussionen einer radikalen Reform.

Ansonsten: Touristen mit in die Gruppe der Anspruchsberechtigten für ein bGE zu nehmen, geht selbst mir zu weit. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir ein bGE auf globaler Ebene installiert bekommen, dann wäre das selbstverständlich kaum ein echtes Problem. Das dürfte aber weitaus schwieriger zu bewerkstelligen sein als die ohnehin schwierige Aufgabe, ein bGE in D-Land oder der EU zu installieren. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie massive Widerstände es insbesondere in D-Land auch nur dagegen gibt, ein einheitliches Sozialsystem innerhalb der EU zu etablieren, und wie scharf die rechtspopulistischen Angriffe gegen Armutszuwanderung sind, dann dürfte relativ klar sein, dass die Bereitstellung eines bGE für Touristen derzeit wohl nur damit erkauft werden könnte, dass wir sehr strenge Auflagen für ausländische Urlauber etablieren. Das halte ich nicht für wünschenswert, weshalb ich Touristen zumindest vorerst aus der Gruppe der Anspruchsberechtigten ausschließen wollen würde. Sehr eng damit zusammenhängend fürchte ich z. B. auch, dass es politisch alles andere als einfach sein wird, das bGE auch Menschen zur Verfügung zu stellen, die sich illegal hier aufhalten. Ich fänd's einen Skandal, das nicht zu tun, nämlich die Zementierung einer Sklavenkaste - sehr viele Leute aber dürften das exakt umgekehrt empfinden.

Liebe Grüße,

Bert

Am 29.12.2016 um 20:19 schrieb Karin Teetzen:
> Hallo Bert,
>   
>> Karin erwähnte, dass mehrere Modelle durchgerechnet seien. Wo, wie,
> welche?
>
> Ich beziehe mich auf die beim Netzwerk Grundeinkommen veröffentlichte
> Tabelle:
> https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2012/08/12-06-modelle-tabelle.
> pdf
>
>> Ich möchte nochmal unterstreichen, dass ich die Vorstellung von
> 'durchgerechneten Modellen' Scharlatanerie finde.
>
> Stimmt, genauso wie jede andere Voraussage in Bezug auf die Wirtschaft auch!
> Die gesamten "Berechnungen" in der VWL basieren auf Empirie (wir beobachten:
> so ähnlich, wie es vorher war, wird's wohl auch danach sein), nicht auf
> einem funktionsfähigen Modell (der homo economicus verabschiedet sich gerade
> ;-)). Frag nur mal am Morgen an, wie am Nachmittag die Kurse an der Börse
> stehen! Oder wie hoch der Ölpreis in zwei Monaten ist! Im Moment sind z.B.
> die Preise für Luxusimmobilien in Spanien, Italien und Frankreich am sinken,
> weil erwartet wird, das aufgrund der Finanzkrise dort bald höhere Steuern
> kommen, und das ohne BGE. Allein der Plan der Umsetzung eines BGE würde
> schon zu Verwerfungen an den Märkten führen, weil ja eventuell höhere
> Steuern zu erwarten sind. Wenn in Deutschland ein BGE mit höheren Steuern
> eingeführt werden würde, wäre die Kapitalflucht ins Ausland eine der
> wahrscheinlichen Folgen, genauso wie eine Zuwanderung von Armen aus dem
> Ausland. Diese Seiteneffekte KÖNNEN nicht berechnet werden!
>
> Aber sollen wir, nur weil es auch zu negativen Veränderungen kommen könnte
> auf etwas Sinnvolles verzichten? Die Vorteile eine BGE überwiegen IMO die
> Nachteile.
>
>> bei möglichst sekundengenauer Bindung der Höhe des bedingungslosen
> Grundeinkommens an einen möglichst komplexen Warenkorb.
>
> Dann müsstest du das BGE ja auch Sekundengenau auszahlen?! Ist das nicht ein
> bisschen kompliziert? Das BGE soll doch gerade unser System vereinfachen.
>
>
> So und hier noch meine Meinung zu den 5 Fragen:
>
>> 1.	Wer soll das Grundeinkommen sein und wer soll es bezahlen?
> Alle Menschen (egal ob Staatsbürger, Migrant oder Tourist, Erwachsen oder
> Kind) die in dem Bereich, für den das BGE gilt, anwesend sind erhalten
> dasselbe Einkommen.
> Alle Menschen zahlen es über Steuern.
>
>> 2.	Wie sieht ein tragfähiges Finanzierungskonzept aus?
> Erhöhung ALLER Steuerarten (Lohnst., MwSt., Vermögensst. etc.) bis genügend
> Geld für das BGE vorhanden ist. Vor allem Firmen können IMO sehr hoch
> besteuert werden.
>
>> 3.	Welche Bausteine des Konzepts sind essentiell, welcher verhandelbar?
> Verhandelbar ist alles. Selbst ein BGE-Light wäre ja noch ein Fortschritt
> gegenüber dem jetzigen System. Wichtiger als ein fertiges BGE wäre es erst
> einmal einen Einstieg in das neue System zu bekommen.
>
>> 4.	Wie soll Einigkeit darüber innerhalb des Bündnisses hergestellt
> werden?
>
> Diskussionen sind schon mal ein guter Anfang ;-)
>
>> 5.	Wie soll für das Bündnis Grundeinkommen geworben werden?
> Ich glaube, dass passiert von selbst. So eine starke, gesellschaftliche
> Veränderung zu Planen (und eventuell sogar Umzusetzen) führt automatisch zu
> Aufmerksamkeit.
>
> Liebe Grüße
> Karin
>





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