[Debatte-Grundeinkommen] Zur Sache, Schätzchen! - sowie Dank für und kurze Reaktion auf Joachims Zusammenstellung
Bert Grashoff
unversoehnt at gmx.de
Mi Dez 28 18:22:33 CET 2016
Hallo,
ich finde deinen Strukturierungsvorschlag unterstützenswert, Bernd.
Danke dafür. Als ich mich hier vor gut zwei Jahren angemeldet hatte,
dachte ich eigentlich, dass es hier primär genau um die Diskussion und
Abwägung verschiedener Modelle gehen soll. Das lief hier aber immer
höchstens halbherzig.
Eine Antwort auf deine Frage 4 würde ich erstmal vertagen, deine Frage 5
interessiert mich derzeit eher in Bezug auf die Partei als auf das
Bündnis, weshalb ich sie in diesem Verteiler auch nicht weiter
diskutierenswert finde.
Deine ersten drei Fragen aber spannen einen guten Arbeitsmodus auf,
finde ich: Lasst uns doch mal sammeln, welche Modelle derzeit in der
Diskussion sind, was jeweils dafür und dagegen spricht (also pro&contra)
und welche parlamentarischen und/oder juristischen Hürden für eine
Umsetzung jeweils genommen werden müssten. Mindestens die bGE-Partei
braucht so einen Überblick m. E. ohnehin, wenn man irgendwie auf
potentielle Wähler herantreten möchte.
Ich hatte vor zwei Jahren ein paar längere Texte von Ronald Blaschke
gelesen, die das eh schon ziemlich engagiert versucht hatten. Keine
Ahnung, ob Blaschke da unterdessen updates vorgenommen hat, ist
vermutlich unterdessen etwas veraltet, als grundlegende Quelle finde ich
die aber noch immer empfehlenswert. Vielleicht kann nochmal irgendjemand
die Links dazu geben - sonst such ich die demnächst mal wieder raus.
Ansonsten tauchte hier in der Debatte, soweit ich mich erinnere, neben
deiner Staatsbürgersteuer und Pius' Vorschlag noch ein Vorschlag von
Verena auf, der zudem auf ganz andere Diskussionsforen verwies. Stefan
hat gerade mehrfach auf irgendeine Quelle im Netz hingewiesen, die 20
Modelle zusammenfassen würde. Nochmal die Frage: wo? Karin erwähnte,
dass mehrere Modelle durchgerechnet seien. Wo, wie, welche? Ansonsten
gibt's selbstverständlich immer Götz Werners Modellvorstellungen, zu
denen Stefan mehrfach darauf hinwies, dass eine Mehrwertsteuer über 25 %
derzeit wohl juristisch verstellt sei.
Ich möchte nochmal unterstreichen, dass ich die Vorstellung von
'durchgerechneten Modellen' Scharlatanerie finde. Wenn ein
bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich die soziokulturelle Existenz
absichert, werden wir als Gesamtgesellschaft ein völlig anderes
Verhältnis zum Verkauf unserer Lebenszeit entwickeln. Das ist eines der
charmantesten Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen, macht
eine Zukunftsprojektion aber völlig unmöglich. Wir sprechen von einer
Kulturrevolution, nicht von einer Nebenrechnung des Architekten in der
Matrix. Schon ganz unabhängig davon, dass Prognosen schwierig sind,
insbesondere, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen, und unabhängig
davon, dass heute hippe volkswirtschaftliche Modelle sich andauernd an
der Empirie blamieren, ist es daher m. E. völlig unmöglich, eine
irgendwie seriöse Prognose zum Durchrechnen zu erstellen. Ich finde,
dass wir weder uns noch anderen vormachen sollten, das könnte irgendwer
leisten. Zukunft ist historisch offen.
Mein eigener Vorschlag wäre eine Gegenfinanzierung über
Geldmengenerhöhung bei möglichst sekundengenauer Bindung der Höhe des
bedingungslosen Grundeinkommens an einen möglichst komplexen Warenkorb.
Pro m. E. ist, dass es eine klare Entscheidung wäre, den Geldfetisch als
politischen Gegenstand auch markant politisch zu bestimmen - und dass
sich weiteres Kopfzerbrechen über die exorbitant hohe Gegenfinanzierung
erübrigt. Contra dürfte eine Unmenge sein, die an Urängsten vor
Inflation anknüpft oder an den Interessen von Vermögenden bzw. den damit
verbundenen Detailproblemen für Buchhaltungen und Verträge innerhalb der
Gesamtgesellschaft. Eine absehbare Folge wäre, dass der das
bedingungslose Grundeinkommen bestimmende Warenkorb ein zentraler
politischer und ökonomischer Streitgegenstand werden würde, der z. B.
von Lobbys permanent umlagert wäre. Soweit ich gerade sehe, bräuchte es
mindestens eine Zweidrittelmehrheit in Bund und Ländern, um das GG
entsprechend zu verändern. Darüberhinaus müsste in die bestehenden
Vertragswerke der EU eingegriffen werden. Mein Vorschlag verlangt also,
so ziemlich die größte Hürde zu nehmen, die sich parlamentarisch
überhaupt denken lässt. Das spricht vermutlich nicht sonderlich für ihn.
Andererseits: Wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen auch als
Alternative zu den bestehenden Sozialversicherungen einführen wollen,
dann wäre eine Verankerung im GG ohnehin wünschenswert. Wenn ich das
richtig verstehe, pöbelt der Klüngel um die Nachdenkseiten bspw. vor
allem deshalb gegen das bGE, weil sie den kleinbürgerlichen
Quasi-Eigentumsanspruch an die Sozialversicherungen in kapitalistischen
Gesellschaften eine zukunftsfestere Absicherung finden als ein politisch
einmalig eingeführtes bGE, das in der nächsten Legislaturperiode von der
nächstbesten Asipartei wieder in die Tonne getreten werden könnte. Eine
Zweidrittelmehrheit innerhalb der Bevölkerung für ein bedingungsloses
Grundeinkommen wäre die angemessene Grundlage, eine solche
Kulturrevolution durchzuziehen. Wir können derzeit aber vermutlich froh
sein, wenn sich auch nur ein Drittel dafür ausspricht. Ein drastischer
Grund für gesteigerte Agitation.
Zur bGE-Höhe würde ich Pi*Daumen die Pfändungsgrenze anvisieren.
Blaschke hatte auch dazu eine ausführliche Diskussion der Standpunkte
von BVerfG und Erwerbsloseninitiativen zur angemessenen Höhe von Hartz4
bzw. halt in unserem Kontext: des bedingungslosen Grundeinkommens
irgendwo veröffentlicht. Quintessenz, soweit ich mich erinnere, schien
mir ein Betrag zwischen 1200 und 1300 Euro zu sein, wenn Miete und
Sozialversicherungen vom bGE gedeckt werden sollen. Perspektivisch würde
ich anstreben wollen, das bGE möglichst dicht an das gesellschaftliche
Durchschnittseinkommen ranzubringen, vielleicht 5 oder 10 % darunter.
Das meiste, was an Leistungsideologie zirkuliert, ist m. E.
inhaltsleerer Schrott. Aber klar, es gibt einen gewissen motivatorischen
Anreiz zu Leistung durch höhere Bezahlung. Der ließe sich
aufrecherhalten, wenn ein bGE knapp unterhalb des Einkommenschnitts
gehalten wird. Ansonsten aber wäre klar: Die Gesamtgesellschaft dient
primär der Gesamtgesellschaft und nicht den Profitinteressen Weniger.
Soviel zu Bernds Vorschlag. Dann möchte ich Danke an Joachim für die
Zusammenstellung der Diskussion sagen. Ich fand das vor allem deshalb
interessant, weil du auch Beiträge aus sich überkreuzenden
Kommunikationssträngen dokumentiert hast, die ich sonst nicht mitbekomme.
Sachlich finde ich das Thema "bGE Partei or not?" gegessen: Sie
existiert und wird sich sehr wahrscheinlich auch nicht so bald wieder
auflösen. Wer sie verhindern will, greint über vergossene Milch.
Zitieren möchte ich aber diesen Beitrag von Karl-Heinz:
"Gesendet: Donnerstag, 24. November 2016 um 13:22 Uhr
Lieber Arfst,
im Einvernehmen mit dem Koordinationsrat des Grünen Netzes
Grundeinkommen (Regina Klünder, Claudia Laux, WSK und ich) habe ich
zugesagt, am 17. Dezember nachmittags in München zu einem "ideellen
Austausch-Treffen" der parteigebundenen Grundeinkommensbefürworter*innen
mit Vertreter*innen der neugegründeten Grundeinkommenspartei zu kommen.
Initiiert wurde dieses Treffen von Vertreter*innen der Linkspartei mit
dem Ziel, sich "nicht gegenseitig zu kannibalisieren". Ich werde dort
gegen eine Kandidatur der Grundeinkommenspartei zur Bundestagswahl
inhaltlich und strategisch argumentieren und zugleich ernsthaft, aber
auch teilweise halbironisch für die positiven Handlungs-Alternativen für
in dieser Partei Engagierte argumentieren. Als da sind:
Mitwirkung im GNGE oder in der Linkspartei oder bei den Piraten oder im
allgemeinen über- bzw unterparteilichen Grundeinkommensnetzwerk und in
entsprechenden kommunalen und regionalen Bündnissen.
Aber auch Mitwirkung in den Gewerkschaften mit dem Ziel, ein
glaubwürdiges und schlüssiges Grundeinkommenskonzept durch
Überzeugungsarbeit und geeignete Aktions- und Veranstaltungsformen
intern und öffentlich voran- und durchzubringen.
Daneben bietet sich auch die "Unterwanderung" von CSU (in Bayern),
CDU und SPD an - mit dem gleichen Ziel.
Das meine ich durchaus nicht ganz unernst.
Ich werde berichten, ob das Treffen zustandekommt und was dabei herauskommt.
Herzliche herbstliche Grüße an Dich und alle to whom it may concern aus
Erlangen
Karl-Heinz Stammberger
Gewerkschaftsgrün (tendenziell weltweites Netzwerk)
LAG und BAG Wirtschaft und Finanzen von Bündnis 90/Die Grünen
Grünes Netzwerk Grundeinkommen"
Ich möchte betonen, dass ich diese Einstellung schlicht widerlich finde.
So zu tun, als wären die Aktiven in der bGE-Partei oder auch jenseits
davon verfügbare Verhandlungsmasse irgendwelcher Partei- oder
Verbandsfunktionäre, die man möglichst in die bestehenden Partei- und
Verbandsstrukturen einzubinden versuchen sollte, ist komplett
respektlos, z. B. ein klarer Verstoß gegen Kants kategorischen
Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person,
als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck,
niemals bloß als Mittel brauchst.“ – Immanuel Kant: AA IV, 429, zitiert
nach https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorischer_Imperativ , vgl. auch
andere Varianten dort. Wir sollten uns bei der Gelegenheit vielleicht
auch mal daran erinnern, was denn so ziemlich die gesamte
Verbandsfunktionärsschicht getan hat, als rot-grün Hartz4 eingeführt
hat. Marx spricht schon zu seiner Zeit abfällig über diese Schicht als
einer Aristokratie der Arbeiterklasse. Genau die in Karl-Heinz' Beitrag
zum Ausdruck kommende strategische Einstellung zur politischen
Willensbildung, als seien die Wählenden und Aktiven bloße Figuren auf
einem Schachbrett, drückt aristokratischen Dünkel aus, die Vorstellung,
man selbst sei in irgendeiner Weise relevanter als diejenigen, deren
Interessen man eigentlich qua Verbansfunktion zu vertreten vorgibt. M.
E. ist Karl-Heinz' Statement der bislang beste hier erwähnte Grund für
eine bGE-Partei, die mit den überkommenen Verkrustungen bricht. Und bei
den Grünen wäre ich unterdessen glaube ich wirklich gar nicht mehr
traurig, wenn sie unter der 5%-Hürde verschwänden.
Im Übrigen finde ich es auch polit-strategisch falsch: Die AfD zieht
ihren Erfolg vor allem aus dem rechten Rand der C-Parteien, denjenigen
noch jenseits jenes rechten Rands, vermutlich etlichen FDP-Anhängern und
einer Masse von Protestwählern. Die Ewiggestrigen bei und jenseits der
C-Parteien und in der FDP gab's immer, das ist nix Neues. Die
Protestwähler aber laufen u. a. wegen solchen Funktionärsdünkels zur
AfD. Ihr versprüht nur das selbe alte Gift und hofft, dass es demnächst
mal eine andere Wirkung zeitigen werde. Und das in einer Zeit, in der
sich die ewige Mehrheit für die C-Parteien auf Bundesebene zunehmend
durch das Verscheiden der Babyboomer-Generation auflösen wird. Das wird
nicht aufgehen, ihr unterschätzt maßlos die Eigendynamiken, die da am
wirken sind, und den objektiven Kern des Protests: nämlich vier
Jahrzehnte neoliberale bis neufeudale Restauration. M. E. ist die
Situation relativ klar: Entweder die klein- bis gutbürgerlichen
Schichten machen den Abgehängten mal ein echtes Friedensangebot, und
keines wäre so gut wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, oder es wird
bald keine klein- bis gutbürgerlichen Schichten mehr geben, sondern
entweder einen maßlos autoritären Staat oder bürgerkriegsähnliche
Zustände auch mal wieder innerhalb der EU. Heute wäre ein
bedingungsloses Grundeinkommen der erste Schritt für den Versuch, einen
Glauben an die grundsätzliche Sozialstaatsausrichtung dieses Staates
wiederherzustellen, ein Feuerlöscher, soziale Befriedungspolitik. Das
finde ich persönlich zwar den uninteressantesten Aspekt eines bGE,
hinsichtlich der politischen Dringlichkeit würde ich allerdings denken,
dass wir uns da alle noch überhaupt keine echte Vorstellung von machen,
wie dringlich das ist. Lamentierendes Rumgeeier bei anderen Parteien
finde ich deshalb einen guten Grund unter anderen, eine bGE-Partei aus
dem Boden zu stampfen.
Guten Rutsch und liebe Grüße,
Bert
Am 23.12.2016 um 19:19 schrieb Bernd Starkloff:
>
> Hi, Ihr Debattierer,
>
> In http://www.staatsbuergersteuer.de/Autoren.htm findet Ihr Daten zu
> meiner Person.
>
> Machen wir uns doch nichts vor: In der ersten Wahl wird das Bündnis an
> der 5% Hürde scheitern. In der Zeit bis zur darauffolgenden Wahl kann
> das Bündnis intern klären, was es will, wie es die Wähler erreichen
> und für das Thema interessieren kann. Vielleicht kann eine breite
> Diskussion und Resonanz auch die anderen Parteien beeindrucken, so
> dass sie das Grundeinkommen nicht - wie bisher – abwimmeln, und als
> Thema, dass nur im Wahlkampf als "Me Too" Projekt interessant sein
> könnte, weil man damit Wähler gewinnen kann, um es nach der Wahl aber
> getrost in den Papierkorb nicht erfüllbarer Wahlversprechen abzulegen.
>
> Ich gehe nicht davon aus, dass das Bündnis auf Anhieb oder in späteren
> Wahlen eine Mehrheit erreichen wird. Wenn es die 5% Hürde schaffen
> würde, wäre das ein Riesenerfolg. Eine breite Resonanz für ein
> Grundeinkommen in der Bevölkerung könnte vielleicht die Politiker des
> Bundestages dazu bringen, ein Grundeinkommen ernsthaft in Erwägung zu
> ziehen. Natürlich erst, nachdem die gesellschaftlich relevanten Kräfte
> und Lobbys ihren Senf dazu gegeben haben. Also braucht das Bündnis ein
> Angebot mit Varianten, die in diesen Erwägungen geprüft und ggf. Basis
> für Kompromisse sein können,.
>
> Könnt Ihr Euer Interesse mal von allgemein-politischen Fragen und /
> oder ideologischen Positionen weg auf die Sache, d.h. das Angebot an
> die Wähler richten? Es gibt dabei eigentlich nur 5 Themen:
>
> 1.
>
> Wer soll das Grundeinkommen sein und wer soll es bezahlen?
>
> 2.
>
> Wie sieht ein tragfähiges Finanzierungskonzept aus?
>
> 3.
>
> Welche Bausteine des Konzepts sind essentiell, welcher verhandelbar?
>
> 4.
>
> Wie soll Einigkeit darüber innerhalb des Bündnisses hergestellt
> werden?
>
> 5.
>
> Wie soll für das Bündnis Grundeinkommen geworben werden?
>
> Ich würde mich freuen, senn diese Fragen im Zentrum weiterer
> Diskussionen stehen würden.
>
> Zu den Fragen 1) bis 3) hat die Staatsbürgersteuer mit dem Bürgergeld
> (=Grundeinkommen) eine Antwort. Ich kann mir vorstellen, dass das
> Bündnis in 4) internen Diskussion sich drauf einigen kann.
>
> Frohes Fest und guten Rutsch.
> Wie hoch soll dasBernd Starkloff
-------------- nächster Teil --------------
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