[Debatte-Grundeinkommen] 'n paar Kleinigkeiten
Bert Grashoff
grashoff at freudenkinder.de
Di Dez 20 20:12:17 CET 2016
Hey,
lieber Stefan, ich hoffe, du hast einen allgemeinen Widerspruch mit
Bezug auf das Sozialgericht-Gotha-BVerfG-Verfahren gegen deine
ALG2-Sanktionen formuliert (vgl. z. B.
https://www.hartziv.org/news/20150603-wichtig-widerspruch-gegen-hartz-iv-sanktion-einlegen.html
). Hilft dir zwar aktuell nicht, dürfte dann irgendwann aber zu einer
fetten Nachzahlung vom Amt führen.
Deine Hoffnung auf einen baldigen Zusammenbruch mindestens der Fassaden
des Systems hat mich an einen alten Song von New Model Army erinnert:
"they're waiting 'round here for something to happen. they won't really
want it when it roles out to greet them." [Deutsch etwa: Hier im Umkreis
warten sie darauf, dass etwas passiert. Sie werden es nicht wirklich
wollen, wenn es herausrollt, um sie zu begrüßen.] (vgl. z. B.
https://youtu.be/xUjxhc2539c ) Verliert das Kapitalverhältnis seine
integrierende Kraft, werden die Zerfallsprozesse in aller Regel überaus
unangenehm für so ziemlich alle Beteiligten. Einige beobachten solche
Zerfallsprozesse schon seit Jahrzehnten, andere sehen die nicht oder
kaum, sondern eher zunehmende Integration. Bleibt historisch offen, u.
a. auch, weil ja z. B. bGE als krasser Systemstabilisierer zumindest in
den Schubladen liegt. Jedenfalls bin ich da weit weniger optimistisch
als du: So furchtbar der Alltagskapitalismus ist, sein Zerfall könnte
zumindest aus privilegierter europäischer Perspektive sehr gut weitaus
furchtbarer sein. Der Aufstieg der menschenverachtenden AfD ist ja z. B.
nun echt für niemanden ein Grund zur Freude, der irgendwie an
humanistischen Werten orientiert ist.
Ich find's leicht absurd, dass du gemeinsam mit Thorsten hier so
skeptisch hinsichtlich einer baldigen Einführung des bGE bist. Was soll
das werden: negative Verstärkung? Da das BVerfG ohne Beschädigung der
eigenen Geschäftsgrundlage gar nicht umhin kommen wird, die
ALG2-Sanktionen für nichtig zu erklären, werden wir bald eh ein
Grundeinkommen haben. Das wird die alte Lohnabstandsdiskussion sehr
wahrscheinlich wieder aufs Tablett bringen. Wir sollten sie auf alle
Fälle aufs Tablett bringen. Auf Kapitalseite scheint's ja mittlerweile
eh schon eine Menge Umdenken in Richtung bGE zu geben. Arfsts
Befürchtung teile ich: Am wahrscheinlichsten laufen wir auf ein
neoliberales Strickmodell des bGE zu, weil große Kapitalfraktionen das
ja viel schneller durchgesetzt bekommen als die zerstrittenen Linken
ihre Modelle. Dein Beitrag im bGE-Partei-Verteiler zu 'nem 400-Euro-bGE
einfach zusätzlich zu allen heutigen (sozial-)staatlichen Strukturen,
hat mich animiert, mich nochmal intensiver mit Bernds Ausführungen im
Abschnitt 2.8 zu befassen (vgl.
http://www.staatsbuergersteuer.de/ANHh.htm#2.8.2 ). Ich hab da am
Wochenende an ein paar Funktionen in der Hoffnung rumgebastelt, das ein
bisschen deutlicher darstellen zu können, bekomm das aber gerade nicht
rund, brauch da jedenfalls noch ein bisschen Zeit für. Ich habe den
Eindruck, dass Bernd das nicht so darstellt, dass es auf Anhieb von
vielen verstanden wird. Das ist schade, weil es m. E. !DEN!
systemimmanenten Grund für ein bGE abgibt, nämlich das alte
FDP-Lohnabstandsgebot-Geseier und die Steuerprogressionsthematik auf
links gedreht. Für die bGE-Partei sollten wir das m. E. so aufbereiten,
dass es echt jeder Idiot auf der Straße oder durch ein youtube-Video in
einer Minute begreift. Scheint mir zumindest ein mögliches
Wahlkampfwerkzeug, das eigentlich voll reinhauen müsste. Mindestens
Bernd und Verena sehen das in der sachlichen Bedeutsamkeit meines
Wissens genauso. 400 Euro bGE und Verrechnung mit Hartz4 würde im
Wesentlichen darauf hinaus laufen, dass wir den ganzen Aufstockern die
Hinzuverdienst-Freibeträge wegkürzen, weil sie die schon mit dem bGE
ausfüllen (und, ok, vielleicht ein paar Leuten echt helfen, die zu stolz
für den Gang zum jobcenter oder derzeit in der Sanktionsmaschine
gefangen sind).
Thorsten und Arfst, würdet ihr kurz Beispiele dafür nennen, was eurer
Ansicht nach wichtiger als bGE ist? Ich würde bei einer Vielzahl
Umweltproblemen, etwa Klimaerwärmung oder Umgang mit Plastik, zustimmen,
dass sie bedeutsamer sind als bGE, weil im Zweifelsfall etwas
unmittelbarer für alle existenziell als bGE. Denkt ihr daran? Ich sehe
allerdings nicht, dass wir da irgendwie als Weltgesellschaft echt
Fortschritte machen. Ist auch nicht wirklich mein Thema, aber nach
allem, was ich so die letzten Jahre gelesen habe, werden die
Umweltprobleme zumindest in der Gesamtheit nur schlimmer, seit die
Politik sich ihrer vor ein paar Jahrzehnten angenommen hat. Falls das
das Feld ist, an das ihr denkt: Was seht ihr denn da für
Veränderungspotentiale? Scheint ja nicht sonderlich gut zu klappen, das
Kapital da irgendwie bändigen und das Nutzerverhalten verändern zu
wollen. Oder an was für Themen denkt ihr sonst?
Dein Statement zu bGE-Vertretern in der CDU fand ich interessant, Arfst.
Ich fand die CDU schon unter Kohl lange vor meiner Pubertät derart
widerlich, dass ich mich nie mehr als unbedingt nötig mit ihr befasst
habe. Mittlerweile bin ich dann aber doch ein bisschen neugierig, wie
die Schizophrenie bei deren Anhängern eigentlich funktioniert. Die
C-Parteien haben ja nun wirklich so ziemlich immer und systematisch echt
alle relevanten christlichen Gebote so sehr in die Tonne getreten, dass
ich da immer das Bauchgefühl hatte, dass es nur heuchlerische
Arschlöcher sein können, die die wählen oder sich da organisieren. Aber
nee, in der zweiten, dritten oder dreizehnten Reihe gibt's durchaus
Leute, die auch ganz vernünftige Sachen von sich geben können und
anscheinend doch so etwas wie christliches Herzblut haben. Da ich den
aktuellen Papst ja mal tatsächlich ganz ok finden kann, fände ich es
mittlerweile tatsächlich interessant, halbwegs zu verstehen, wie das
eigentlich zusammenpasst. Falls da jemand Tipps zum Verständnis dieser
Aliens hat, wäre ich dankbar.
Liebe Grüße,
Bert
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