[Debatte-Grundeinkommen] Monothematische Partei vs Vollpartei

Arfst Wagner arfst_wagner at web.de
Di Dez 20 18:51:35 CET 2016


Liebe Karin,

ich wurde öfters als ich im Bundestag war, damit konfrontiert, dass mir 
jemand sagte. na jetzt sahnst Du ja finanziell richtig an.

Vielleicht wissen das ja alle hier, ich schreibe es trotzdem mal, da ich 
dennoch davon ausgehe, dass bei vielen hier ein Vorurteil bzgl. des 
Einkommens von MdBs herrschen.

ich erhielt damals eine Aufwandsentschädigung von 8600 EUR. Davon zahlte 
ich jeden Monat 3200 EUR Steuern. Blieben 5400.- EUR. Davon zahlte ich 
1500 EUR Fraktionsabgabe für die Fraktionsstruktur an die Partei. 
Blieben 3900.- EUR. Dann zahlte ich 640 EUR Krankenversicherung.  3260 
EUR. Davon zahlte ich Miete für meine Berliner Wohnung (die ich 
zusätzlich zu meiner Wohnung in Tetenhusen mieten musste)= 420.- EUR.  
blieben 2840 EUR. Davon musste ich auch noch, um meine Rentenjahre voll 
zu bekommen, Rentenbeitrag zahlen. Ich zahlte nur den Mindestsatz, da 
mehr auch nichts gebracht hätte.  Blieben etwa 2700.- EUR übrig. Zwei 
Haushalte kosten strukturell auch noch Geld außer Miete.

Ich hatte allerdings noch die Vergünstigung einer 100% 
Bundesbahnfahrkarte und konnte den Fahrdienst in Berlin kostenfrei nutzen.

Dazu bekam ich 4000 EUR Steuerfrei für mein Berliner Büro und für meine 
3 Regionalbüros und deren Struktur.

Es blieb also zum Reichwerden nichts übrig. Das soll jetzt kein Jammern 
sein, aber wenn ich sehe, dass ein mittelmäßiger 
Drittliga-Fussballspieler mehr verdient, halte ich die Behauptumg, 
jemand würde wegen des Geldes in den Bundestag gehen, für überzogen.

Dass es etliche Piolitiker gibt, die noch "Nebenbschäftigungen" in der 
Industrie haben (Aufsichtsräte und Co), ist wahr. Diese sitzen 
allerdings vermutlich nur zu einem sehr kleinen Teil in der Linkspartei 
oder bei den Grünen. Wenn überhaupt.

Ob jemand wegen der Macht in den Bundestag geht? Das kollidiert mit der 
von vielen vorgetragenen Aussage: man kann ja als MdB eh nichts bewirken.
Da ich selbst ja behaupte: doch, das kann man, muss ich die Machtoption 
als Motiv, MdB zu werden, natürlich gelten lassen.

Diese vorhandene Macht kann man dann natürlich unterschiedlich 
einsetzen. Für eine Lobby, deren Interessen man bedient, damit man 
selbst auch wiederum davon profitiert. Oder aber die Lobby, der ich 
jedenfalls mich verpflichtet gefühlt habe: der gesamten Bevölkerung.

Und genau deshalb meine ich, die Vorstellung, man könnte mit der Idee 
bGE allein im Bundestag sitzen (dem hier ja auch schon wiedersprochen 
wurde), ist falsch. Wenn ich einen Besuch hier auf dem Dorf mache und 
jemand sagt: Zu viel Maisfelder und die blöden Biogasanlagen müssen weg, 
dann kann ich nicht antworten: ich will aber das bGE, sondern ich muss 
das Anliegen Ernst nehmen und darauf sachgemäß antworten. Und das gehört 
meiner Ansicht nach zu den Aufgaben eines MdB, seine wenige freie Zeit 
dafür zu nutzen, sich in den vielen Lebensfragen sachkompetent zu 
machen. Dafür hat man dann auch seine drei wissenschaftlichen 
MitarbeiterInnen, die einem dabei helfen. Und die MitarbeiterInnen in 
den Regionalbüros.

Die bei den Politikern auftretenden Macht- und sonstigen Probleme gibt 
es übrigens auch überall sonst in der Gesellschaft. Zum Beispiel in 
unserem Schulsystem, das hierarchischer ist, als die Katholische Kirche 
erlaubt. Ich würde sagen: sogar in sehr vielen Familien, in denen auch 
unter Biodeutschen immer noch das Patriarchat herrscht. Ich denke, da 
könnten wir uns einig sein. Es ist also nicht NUR das Problem von 
PolitikerInnen, sondern von ziemlich vielen anderen.

Viele Grüße!
Arfst


Am 20.12.2016 um 18:18 schrieb Karin Teetzen:
> Lieber Arfst,
>
> Nun, du wirst zugeben, dass es Politiker gibt, die ihren Job nur machen,
> weil es ihnen Geld und Macht einbringt. Meine Frage war, ob du zu dieser
> Sorte gehörst, weil du mir ein wenig vorher geschrieben hast:
>
>> Woher nimmstz Du denn, dass ich noch an das jetzige System glaube? Nur
> weil ich in einer Partei bin?
> Und
>> Wo habe ich gesagt, dass der Kampf üm die Macht überhaupt durch Wählen von
> Parteien zu lösen ist?
>> Habe ich alles nicht geschrieben, aber Du unterstellst es mir und kämpfst
> dann dagegen.
>
> Daraus habe ich den Schluss gezogen, du wärst desillusioniert.
>
> Ich freue mich wirklich, dass du nicht so bist! :-)
>
> Ich bin selbst Idealist, wünsche mir eine bessere Welt und kann mir auch
> vorstellen, dass eine Utopie doch möglich ist. Nur leider bin ich einfach zu
> pessimistisch/realistisch um unserer Gesellschaft so eine Kehrtwende
> zuzutrauen.
>
> Ich provoziere gern mal um eine Reaktion herauszufordern. Hat ja auch gut
> geklappt ;-), bitte nicht böse sein.
>
> Zu meiner Kritik am System:
>
> Es ist mir klar, dass es viele Politiker gibt, die mit Idealismus und
> Engagement ihre Arbeit machen. Leider zählt aber was am Ende dabei
> herauskommt und trotz Lippenbekenntnissen aller Politiker und Parteien
> klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Es gibt mehr
> Altersarmut. Die Industrie wird gefördert, deren Steuersätze gesenkt,
> während viele Menschen prekäre Arbeitsverhältnisse eingehen müssen.
>
> Nach dem zweiten Weltkrieg bis kurz nach der Wende haben die meisten
> Menschen noch die Hoffnung gehabt, es würde (irgendwann) alles besser
> werden. In den letzten 20 Jahre wurde aber der größte Teil unserer
> Bevölkerung so sehr enttäuscht, dass er gar nicht mehr an das System und
> seine Reformierbarkeit glaubt. Und anstatt die Sorgen und Ängste vor der
> Zukunft Ernst zu nehmen und einen Plan zu machen, wie es in Zukunft besser
> laufen könnte, wird nur beschwichtigt und abgewiegelt.
>
> Wenn du wirklich wissen willst, wie ich ticke lies ruhig mal meinen Text auf
> meiner Homepage (www.karin-teetzen.de), nimm dir aber ein bisschen Zeit
> dafür (sind über 8000 Wörter).
>
> Liebe Grüße
> Karin
>
>
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