[Debatte-Grundeinkommen] und ewig grüßt der Demokratieidealismus

Bert Grashoff unversoehnt at gmx.de
Mo Dez 19 21:33:10 CET 2016


Hi,

Arfst ist eh öffentliche Person, Karin stellte sich knapp vor, mach ich 
das also mal auch: Ich werde bald 40, hab 15 Jahre an der Uni meiner 
Heimatstadt Bremen studiert, nen Magister in Philosophie, Soziologie, 
Germanistik gemacht, nebenbei 13 Jahre als individueller 
Schwerstbehindertenassistent gearbeitet, anfangs auf Minijobbasis, dann 
auf Midijobbasis, die letzten vielleicht fünf Jahre auf 
Quasi-Vollzeitbasis (faktisch sogar etwas mehr als Vollzeit). Nach 
meinem Studium bin ich da rausgegangen, war erfolglos auf Suche nach 
einem mir irgendwie entsprechenden Job, drei Jahre im ALG1- bzw. 
ALG2-Status, hab mich außerdem einem Romanprojekt gewidmet. Seit Juni 
bin ich Lehrkraft in Integrationskursen, also Scheinselbständiger des 
Staats. Nen Blog betreibe ich nicht, aber man findet neben dem ersten 
Teil jenes Romanprojekts ein paar Uni-Arbeiten von mir auf dem 
Buchmarkt. Und google weiß vermutlich eh mehr über mich als ich. 
Parteien bin ich bewusst fern geblieben, kenne aber 
Kindergarten-Parlamentarismusspiele von einer Bundesdeligiertenkonferenz 
der JungdemokratInnen/Junge Linke vermutlich in den späten 90ern, aus 
drei Jahren Vorstandsarbeit in der Bremer GesamtschülerInnenvertretung 
und gelegentlichem Gekungel mit dem AStA der Bremer Uni. Die Erfahrungen 
haben für mich völlig gereicht, um Parlamentarismus schon ganz jenseits 
von sachlichen Erwägungen auf einer sozialen Ebene als Graus zu 
empfinden. Als schlimmster diesbezüglicher Erfahrungsgehalt sind die im 
Bremer AStA organisierten Jusos während des Unistreiks 2002/2003 zu 
nennen, die zumindest für mich mehr als klar gemacht haben, dass sie für 
ein bisschen mehr Aussicht auf Parteikarriere nicht nur die Seelen ihrer 
eigenen Omis, sondern die aller Omis und auch sonst aller verkaufen 
würden. Was umgekehrt wiederum nicht heißt, dass ich nicht auch nette 
Leute über diese Sphären kennengelernt hätte.

Da ich erstens vermute, dass sich einige deiner Worte, lieber Arfst, 
mindestens auch, wenn nicht insbesondere auf mich bezogen, zweitens das 
Thema "bGE-Partei or not?" durch eure Beiträge weiter getrieben wird, 
und ich drittens den Eindruck habe, dass echt ziemlich unverstanden 
geblieben ist, warum ich gegen die Grünen pöbelte, mag ich das kurz 
nochmal aus meiner Sicht rekapitulieren: Die diesherbstliche 'Debatte' 
startete mit ungefähr einer Handvoll Beiträge mit der Message 'gründet 
bloß keine neue Partei, sondern engagiert euch lieber in bestehenden 
Parteien' - und ob nun zufällig oder nicht, tauchten da die Grünen als 
exemplarische Möglichkeit häufiger auf. Ich empfand das insbesondere 
wegen der relativen Argumentationslosigkeit als Wahlkampfwerbung, hatte 
ich auch wiederholt fragend oder aussagend in den Raum gestellt. 
Relative Argumentationslosigkeit, weil da wirklich nicht viele gute 
Argumente kamen, und man die alle nun wirklich auch problemlos gegen 
alle bestehenden Parteien wenden kann. (Thorsten hat den Schuh ja gerade 
umgekehrt angezogen: "Eine neue Partei wird eine Partei wie jede andere, 
mit den selben fehlern." Was selbstverständlich unterschlägt, dass 
unterschiedliche Parteien unterschiedliche Foki und Zielsetzungen 
haben.) Ich fand das, also den Debattenstart, eine Vorlage für die 
kleine performative Lektion, dass der bewusst sich auf die vier 
Kriterien reduzierende Minimalkonsens der bGE-Partei vielleicht eine 
gute Idee sein könnte, weil damit sonstige inhaltliche Differenzen 
überbrückt bzw. vertagt werden können. Ich finde, dass das bGE als 
politisches Projekt potent und wertvoll genug ist, um einer solchen 
Überbrückung/Vertagung eine Chance einzuräumen. Um das klar zu ziehen, 
musste nur eine Differenz auch deutlich genug herausgearbeitet werden, 
was ich problemlos fand, weil ich die Grünen mindestens für mich keine 
Spielwiese finde, solange die sich nicht als Partei deutlich und 
glaubwürdig von NATO-Kriegen distanzieren. Ich fühlte also mal mit der 
'Kriegstreiberpartei'-Vokabel an, Stefan war da noch ein bisschen 
deutlicher, et voilá: Thorsten haute den Spruch raus, dass 'das' ja 
schon wieder 10 Jahre her sei, ganz so, als wäre ein 
völkerrechtswidriger Krieg einmal pro Jahrzehnt ja nun wirklich kein 
Beinbruch. Zudem pöbelte er völlig unverhältnismäßig gegen Stefan. Arfst 
verwehrte sich gegenüber der 'Kriegstreiberpartei'-Vokabel und forderte 
damit, nochmal inhaltlich klar zu ziehen, was ich (und auch Stefan) denn 
da meinte. Dieses Klarziehen tat ich dann auf eine rhetorisch so 
anschauliche Weise, dass sich in der Folge nur noch die größten 
Empfindsamkeiten zeigten. Ich wünschte mir, dass es solche 
Empfindsamkeiten bei der sachlichen Frage 'Krieg - ja oder nein?' gäbe, 
aber nein, es gibt sie, wenn mal jemand anspricht, dass grüner Konsens 
halt 'Krieg - warum nicht dann und wann?' zu sein scheint. Was soll man 
dazu noch sagen?

Ich hatte ja gehofft, dass da wenigstens noch irgendwie inhaltlicher 
Widerstand gekommen wäre. Ich befasse mich mit den Grünen als Partei 
seit Fischer echt gar nicht mehr. Wäre ja schön gewesen, wenn mich da 
jemand eines Besseren belehrt und darauf verwiesen hätte, dass die 
Grünen zu ihren pazifistischen Wurzeln zurückgekehrt sind, ich das nur 
nicht mitbekommen hätte. Oder man hätte mich auch durchaus mit Adornos 
'kein richtiges Leben im falschen' auf eine ganz andere 
Auseinandersetzungsschiene bekommen können, für die ich sogar eine 
Vorlage gegeben hatte mit der zumindest impliziten Behauptung, dass "die 
blinden Konsumenten der steril von jedem Anschein irgendwelchen Blutes 
eingeschweißt vermarkteten Weltwaren" ebenfalls in gewissem Sinn Mörder 
sind. Keine Ahnung, wie ihr das seht, ich bin mir darüber bewusst, dass 
ich mit jedem Einkauf beim Bäcker nebenan den gesamten kapitalistischen 
Weltmarkt mitsamt seinen Kriegen mit einkaufe. Wir spielen alle auf 
unterschiedlichen Ebenen mehr oder weniger bei diesen Spielen mit, 
mindestens durch Unterlassung echten Widerstands und durch Genuss der 
Früchte dieses Systems. Etwas weniger abstrakt hätte man ja z. B. 
andiskutieren können, welche praktischen Probleme daraus resultieren 
könnten, wollte Deutschland sich jetzt aus der NATO rausziehen. Das wäre 
gewiss kein Kinderspiel, was zwar nichts daran ändert, dass ich das 
richtig fände, was aber zumindest angerissen hätte, dass es einfach und 
billig, aber auch heuchlerisch ist, eine antimilitaristische Position zu 
vertreten und gleichzeitig, hm, was weiß ich, z. B. ALG2-Kohle 
abzugreifen, die auch über die Steuern von Militärproduzenten 
gegenfinanziert wird. Aber das einzige, was in die Richtung kam, war 
Axels Hinweis auf 'Fraktionszwang'. Da war mir das Ganze einerseits 
schon zu dumm geworden, andererseits fand ich die performative Lektion 
vollübt: Es gibt auch hier drastische inhaltliche Differenzen, bGE ist 
aber dennoch ein gemeinsames Interesse. Warum also nicht bGE-Partei als 
Minimalkonsens? Ich find's einen Versuch wert, was selbstverständlich 
daran liegt, dass ich die Hoffnung trotz so viel schlechteren Wissens 
nicht aufgeben mag, dass es mal eine Mehrheit links von rot-grün in den 
Parlamenten geben möge.

Das alles sage ich, um zu unterstreichen, dass ich zwar 
selbstverständlich in Schubladen denke, weil Denken immer notwendig 
seinen Gegenstand in irgendeiner Weise bestimmen, also in irgendwelche 
Schubladen packen muss (zu Einzelheiten dieses Mechanismus finde ich 
Adornos Negative Dialektik noch immer das Klarste, was mir bislang 
begegnete), dass ich aber einerseits eine Menge Unterschubladen 
aufmachen kann, die zudem in beständigem Fluss sind (mein 
alltime-favorite-Philosophem ist Heraklits 'panta rhei'), und 
andererseits substantiell in Widersprüchen denke (oder zumindest zu 
denken versuche). Dass es Leute bei den Grünen gibt, die ich 
herzallerliebst finden könnte, finde ich duchaus ziemlich 
wahrscheinlich, hindert mich aber nicht, gegen den Kriegskurs ihrer 
Partei zu pöbeln.

Das hoffentlich dann mal hinreichend klargestellt, möchte ich ein paar 
Anmerkungen zu euren Beiträgen machen bzw. Fragen stellen, liebe Karin 
und lieber Arfst. Ich fang mal mit Karins Beitrag an:

"Parteien führen zum Kampf um Macht. Wenn eine Partei an die Regierung 
kommt, sind alle anderen Parteien quasi Machtlos und können kaum 
Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Ein Teil des Volkswillens kann also, 
trotz Wahl von Repräsentanten und Vertretung im Parlament, einfach 
ignoriert werden. Im Extremfall kann sogar eine Minderheit gegen den 
Willen der Mehrheit Entscheidungen umsetzen. Ein gemeinsames finden von 
Lösungen für alle Menschen wird erschwert."

M. E. ist das Ignorieren des Mehrheitswillens nicht der Extremfall, 
sondern Alltagsstandard. Und zwar aus strukturellen Gründen, von denen 
ich nur mal einen nenne, für den du die Vorlage gibst: Du redest kurz 
von Parteiprogrammen, die in der Tat wohl nur von wenigen Leuten 
wirklich gelesen werden, weil sie auch echt dröger Lesestoff sind. Zudem 
sind sie systematisch unverbindlich. Regierungen werden in der Regel 
durch Koalitionen geschmiedet, erster Schritt der Biegung und/oder 
Brechung des Parteiprogramms ist damit ein Koalitionsvertrag. Doch auch 
dieser ist null verbindlich, weil GG38 ein freies Mandat vorsieht (vgl. 
z. B. https://de.wikipedia.org/wiki/Freies_Mandat ). Im Zweifelsfall 
können die Parlamentarier machen, was sie richtig finden, also 
insbesondere z. B. das Programm ihrer Partei ignorieren, wo es ihnen 
nicht passt oder wo sich dafür einfach keine Mehrheiten organisieren 
lassen. Wo bitteschön soll da noch irgendwo eine inhaltliche Rückbindung 
an den Willen eines einzelnen Wählers sein, der zudem im Zweifelsfall 
von der veröffentlichten Meinung stark manipulierbar ist und vielleicht 
viel eher dem simplifizierten Parteimarketing glaubt als der komplexen 
Parteipraxis oder dem drögen Parteiprogramm?
Naja, mittlerweile hast du das in einer weiteren Mail im Prinzip selbst 
mit den verschiedensten Ebenen dargestellt, über die die 
'Kompromissfindung' läuft. Ich lass es aber dennoch sozusagen ergänzend 
mal so stehen.

Lieber Arfst, ich weiß von dir echt nix außer 2 Minuten youtube-Video, 
habe auch kein Bock, mich jetzt intensiv mit deiner Vita zu befassen, 
will aber vorausschicken, dass ich's zumindest gut möglich finde, dass 
du echt ein dufter Typ bist. Vielleicht auch nicht, keine Ahnung. Mir 
geht's um die Argumente und inhaltlichen Stoßrichtungen, nicht um deine 
Person oder deine Parteizugehörigkeit. Da ich dich nicht kenne, halte 
ich's nicht für gänzlich unmöglich, dass du als Person das Folgende für 
dich tatsächlich beherzigst - allerdings finde ich's auch dann schon 
mindestens etwas arg pathetisch vorgetragen:
"Nur kurz sei wiederholt, dass ein(e) Abgeordneter seine 
Aufwandsentschädigung dafür erhält, dass er ALLE Probleme der 
Bevölkerung ernst nimmt und die Interessen der Bevölkerung sehr häufig 
hinter die Seinigen zu stellen hat. Sollte tatsächlich jemand  aus der 
bGE-Partei in ein Parlament gewählt werden, dann bekommt er sein Geld 
auch dafür, dass er sich für Prostituiertenrechte einsetzt, sich um den 
Straßenbau kümmert, sich mit der Frage der Bildungsqualität beschäftigt, 
sich um den Tierschutz kümmert und so weiter. Die BürgerInnen können das 
mit recht erwarten."
Können sie eben nicht, schon gar nicht mit Recht. Sondern es gibt ein 
Freies Mandat und damit auch das Recht des Parlamentariers zu 
vollendeter Ignoranz. Die grundsätzliche Anwesenheitspflicht im 
Parlament, die ja häufig genug aus was für Gründen auch immer beiseite 
geschoben wird, kann zwar mit einer Reduzierung der Kostenpauschale 
sanktioniert werden, die gemessen an Durchschnittsgehältern durchaus 
üppigen Diäten aber bleiben auch davon unberührt. Du postulierst da eine 
ethische Setzung, die juristisch nicht existiert. Ist ja schön, wenn du 
das als ethischen Standard tatsächlich beherzigst (und nicht bspw. nur 
im permanenten Wahlkampfmodus als bloßes Image vor dir herträgst), eine 
echte Pflicht dazu gibt's aber nicht. Viel schwerer wiegt m. E. jedoch 
der inhaltliche Abgrund, den du da einfach zu überbrücken können meinst. 
Gut, als aktiver Politiker kennst du vermutlich echt eine Menge Leute in 
SH. Aber nur weil du jemanden kennst, heißt das ja noch lange nicht, 
dass du dessen Willen zu jedem Zeitpunkt in politischen Entscheidungen 
zu beherzigen wüsstest. Und selbst wenn du ein paar tausend Leute in SH 
kennst, da leben fast drei Millionen. Es ist einfach eine abstruse 
Anmaßung, wenn du meinst, du könntest irgendwie ermessen, wie der Wille 
dieser knapp drei Millionen in jeder x-beliebigen Detailentscheidung 
wohl aussehen könnte. Klar, du kannst Hilfsmittel zu Rate ziehen, 
Sachverständige, die veröffentlichte Meinung, Umfragen, bestimmte 
Debattenkulturen etc. pp. Ändert aber nichts daran, dass du in Bezug auf 
den Willen der allermeisten deiner Mitmenschen erstmal völlig im Dunkeln 
tappst und jede mögliche Infoquelle vor dem selben Problem steht und 
zudem recht häufig von interessierten Kreisen nach Gusto designt wird. 
Also selbst wenn du diesen Ethos beherzigst, hast du m. E. gar keine 
Chance, wirklich zu wissen, was du da in Bezug auf den Wählerwillen tust.

Als sachliches Argument gegen die bGE-Partei hatte ich diesen Hinweis 
übrigens m. E. schon ausgeräumt: Laut Programm sind mögliche 
Parlamentarier jener Partei gewissensfrei hinsichtlich aller Fragen, die 
das bGE nicht berühren. Es gibt da also keine Totalverweigerungshaltung 
hinsichtlich Fragen zu Prostituiertenrechten, Straßenbau, 
Bildungsqualität, Tierschutz oder what ever. Warum also sollten die sich 
bei irgendwelchen Entscheidungen grundsätzlich dümmer oder klüger 
anstellen als du?

Ansonsten habe ich den Eindruck, dass du da nicht das erste Mal zwischen 
den Zeilen so etwas zu sagen versuchst wie 'Hey, seid mal dankbar für 
unsere anstrengende Parlamentarierarbeit.' Wie gesagt, keine Ahnung, was 
du so treibst, insofern kann ich das auch nicht sein. Möglich, dass 
ich's wäre, wenn ich mich damit auseinandersetzte. Thorsten ist in dem 
Punkt etwas klarer: "Wer nur Wähler ist, muss sich zwischen dem 
entscheiden, was die Macher anbieten, die ja auch über Jahre die Arbeit 
damit haben." Gibt zwar noch ein paar andere Optionen, aber ist nicht 
ganz falsch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich schon nach einem Tag 
als Parlamentarier politikverdrossener wäre als ich's jemals als 
Nicht-Parlamentarier bin. Telepolis hat vergangenes Wochenende einen 
groß aufgemachten Artikel zur Antwort einer großen Anfrage der Piraten 
im NRW-Landtag in puncto Bertelsmann-Lobbyismus publiziert und auch 
einen Link auf den Videomitschnitt der Debatte gegeben. Ich habe mir 
ungefähr eine halbe Stunde Parlamentsdebatte reingezogen und kann mich 
nur fragen: Wer tut sich so etwas an? Andererseits, es gibt wesentlich 
schlimmere Jobs mit wesentlich schlechterer Entlohnung.

"Wer mich auch nur ein bisschen kennt (und wer mal bei youtube 
"Grundeinkommen" eingegeben hat, der kennt mich) weiß, dass ich nie 
einen Hehl daraus gemacht habe, dass ich 2004 aus Wut über die 
Grünen-Beteiligung an Hartz IV bei den Grünen eingetreten bin (Du liest 
richtig!)."
Erinnert mich an die Idee von Berliner Studis, die FDP zu kapern (vgl. 
z. B. 
http://www.berliner-zeitung.de/studenten-geben-auf-fdp-uebernahme-gescheitert-16387288 
). Ok, ich bin neugierig: Wie schätzt du da deinen Erfolg ein? Du warst 
es, der mal gesagt hatte, dass bGE ein Thema sei, das bei den Grünen und 
anderen Parteien auf der Kippe stünde, fifty-fifty sozusagen, oder? Mit 
anderen Worten: Es gibt immerhin eine Distanzierung von Hartz4 bei der 
halben Partei?

Ansonsten fand ich's ziemlich gut von dir umrissen, was es so für 
Einigungsprobleme innerhalb der bGE-Szene gibt. Das ist ein breites 
Spektrum und spätestens, wenn's wirklich um eine verbindliche Konzeption 
gehen sollte, werden da wieder sonst was für Konflikte aufbrechen. 
Andererseits sind die vier Kriterien dieses Netzwerks und der bGE-Partei 
durchaus in einigen Hinsichten ziemlich klar bestimmt und dürften es für 
die C-Parteien oder die FDP bspw. ziemlich schwierig machen, ein 
kompatibles Konzept vorzutragen. Ich denke, dass ihr überseht, dass die 
grundlegende Idee der bGE-Partei wirklich erstmal nur zu sein scheint, 
publicity fürs bGE zu produzieren und Druck in den anderen Parteien 
aufzubauen. Letzteres scheint ja zumindest bei euch schon jetzt zu 
funktionieren. Die Ergebnisoffenheit scheint mir durchaus ein taktisch 
kluger Zug, um zu schauen, ob da denn endlich mal irgendwie irgendwas geht.

Alles in allem habe ich den Eindruck, dass es im Wesentlich gerade etwa 
folgende zwei Positionen in dieser Disko gibt: Wenn ich euch, also 
zumindest dir, Arfst, und dir, Thorsten, mal nicht unterstelle, dass ihr 
einfach nur tumbe Wahlfischer im bGE-Teich seid, dann scheint euch ein 
bisschen der Schock über AfD, Trump, Brexit, whatever in den Knochen zu 
stecken und irgendeine Variante von schwarzrotgrünrot (und womöglich gar 
gelb) mit möglichst einem Grünanteil dringend nötig, um einen harten 
Faschismus in Europas Zentren zu verhindern. Weitere 
Parteienzersplitterungen könnten ziemlich gut Wegbereiter einer 
Faschisierung auf breiter Ebene sein. Finde ich ein verständliches 
Motiv, finde ich aber auch deutlich zu wenig. Dagegen sagen ein paar 
Leute neben mir, dass die Mainstreamparteien einfach schon ewig verkackt 
haben und über die Schiene echt nichts Gutes (sondern bestenfalls 
Erhaltung des miesen status quo) zu erwarten ist. Warum nicht eine 
bGE-Partei beseelen, die zumindest ein sozialpolitisches Projekt in den 
Fokus stellt, das im besten Fall einen Unterschied ums Ganze machen 
könnte? Um's vielleicht nochmal etwas anders zu sagen: Horkheimer hat 
mal gesagt, dass von Faschismus schweigen solle, wer vom Kapitalismus 
nicht reden wolle. Ich mag mich ja irren, aber die sozialpsychologischen 
Theorien, die Götz Eisenberg gestern hier: 
http://www.jungewelt.de/2016/12-19/069.php abklapperte, sind doch auch 
in grünen Milieus noch irgendwie relevante theoretische Referenzen, 
oder? Nimmt man die ernst, ist es relativ klar, dass ein bGE auf 
möglichst globalem Niveau zwar kein universaler Problemlöser wäre, aber 
zumindest ein recht guter sozialpolitischer Schutz gegen Faschismus als 
Massenphänomen. Zudem gibt's haufenweise Argumente, die für einen ganz 
ähnlichen Zusammenhang auf der volkswirtschaftlichen Ebene sprechen. 
Findet ihr euer Parteibiotop jetzt echt wichtiger als eine politische 
Idee, die auf allen möglichen Ebenen stabilisierend wirken könnte - 
bevor die aktuelle kapitalistische Großkrise Dinge ins Rutschen bringt, 
die aber auch so ziemlich alles unter sich begraben könnten? Fände ich 
kleingeistig und reaktionär. Ich finde, dass wir die bGE-Partei als 
Testballon probieren sollten, um zu gucken, ob einige AfD-Wähler und 
etliche Nichtwähler nicht vielleicht doch mal wieder an die 
grundsätzlichen Möglichkeiten parlamentarischer Demokratie zu glauben 
fähig sind. Klar, könnte in die Hose gehen, könnte aber auch Potential 
entwickeln. Und mal im Ernst: Wenn nicht bGE, was für eine Karte sollten 
wir denn sonst noch spielen?

Liebe Grüße,

Bert



Am 19.12.2016 um 00:11 schrieb Arfst Wagner:
> Liebe Kartin,
> ich kann Deinen Gedanken grundsätzlich folgen, halte sie aber für 
> unvollständig.
>
> Als früheres Mitglied des Netzwerkrates des Netzwerk Grundeinkommens 
> und auch als Veranstalter einer dreistelligen Zahl von Veranstaltungen 
> zum bGE weiß ich aber auch, dass das bGE überhaupt nicht EIN Thema ist.
> Nicht umsonst hat sich die bGE-Bewegung extrem gespalten und zwar an 
> der Frage der Konzepte.
> Wenn eine bGE-Partei nur die IDEE des bGE vertreten würde, hättest Du 
> möglicherweise total recht, aber vielleicht nicht mal da. Denn es gibt 
> ja auch schon im Bereich der IDEE sehr untersczhiedliche Ansätze (bei 
> der CDU sind einige im Bundestag inzwischen für ein "motivierendes" 
> Grundeinkommen.
> An der Konzeptfrage werden völlig verschiedene Ansätze deutlich, denn 
> es gibt völlig kontroverse Modelle, von neoliberalen Modellen bis hin 
> zu linken. Das wirst Du sicher alles wissen.
>
> Da wird diskutiert, ob es die 1000 (oder 500 oder 1500) EUR im Monat 
> für alle obendrauf gibt, ob sie mit dem bisherigen Einkommen 
> verrechnet werden. Ob Kinder ein niedrigeres, gleiches oder gar 
> höheres bGE erhalten sollen. Durch welche Steuern das bGE finanziert 
> werden soll (sehr komplex) usw. Und wie ist das mit den Migranten? 
> Sollen die auch ein volles bGE erhalten? (Da bin ich schon sehr 
> gespannt auf die künftigen Diskussionen!). Wie ist das mit Menschen 
> mit deutschen Pass, die im Ausland leben, möglicherweise mit doppelter 
> Staatsbürgerschaft?
>
> Da sitzt so viel Sprengstoff drin, dass niemand im Ernst glauben kann, 
> dass, wie Du schreibst, selbst alle Parteimitglieder letztlich hinter 
> dem Modell, dass die Partei letztlich vertreten muss (denn für 
> irgendwas muss sie irgendwann ja auch in dieser Beziehung stehen) 
> stehen werden. Und vermutlich auch niocht alle WählerInnen, die an 
> sich fürs bGE sind.
>
> Ich halte all diese Probleme für lösbar und ich bennene sie nur, weil 
> ich Deiner Auffassung, man könne der Machtfrage entgehen, etwas 
> entgegenzustellen. Ich bin dabei überhaupt kein Anhänger von 
> Machtentscheidungen, nur damit das klar ist. Ich glaube nur, dass man 
> die Machtfrage nicht löst, indem man ihr versucht, auszuweichen.
>
> Wie schnell Parteien von dieser Wirklichkeit euingeholt werden können, 
> haben wir an den Piraten erlebt. Und auch vor Jahren an meiner eigenen 
> Partei, den Grünen, die auch mit anderen ethischen Zielen angetreten 
> waren, man denke an Rotation usw.
>
> Dass auch bei diesem "einem monothematischen" Thema ganze 
> Weltanschauungskreise aufeinanderprallen werden, werden wir innerhalb 
> der Entwicklung der neuen Partei mit Sicherheit erleben.
> Die Auseinandersetzungen führten innerhalb der bGE-Bewegung sogar 
> teilweise zum blanken Hass (z. B. gegen Götz Werner wegen seines 
> Mehrwertsteuer-Modells).
>
> Die scheinbar so schnurrig-nebensächlichen Fragen wie Einkommensteuer- 
> oder Konsumsteuer-Finanzierung beinhalten unglaublich viel 
> Sprengstoff, die auch innerhalb einer bGE-Partei letztlich durch 
> Mehrheiten, also durch die Machtfrage geklärt werden werden.
>
> Meine bisherige Auffassung des bGE war nie monothematisch. Das wurde 
> mir ja auch von einigen bGE-ParteiakrivistInnen bereits signalisiert, 
> dass es das gar nicht ist. Denn das bGE revolutioniert die Berufswahl, 
> die Schulen und Universitäten, ja vermutlich sogar die Ehen.
>
> Nur kurz sei wiederholt, dass ein(e) Abgeordneter seine 
> Aufwandsentschädigung dafür erhält, dass er ALLE Probleme der 
> Bevölkerung ernst nimmt und die Interessen der Bevölkerung sehr häufig 
> hinter die Seinigen zu stellen hat. Sollte tatsächlich jemand  aus der 
> bGE-Partei in ein Parlament gewählt werden, dann bekommt er sein Geld 
> auch dafür, dass er sich für Prostituiertenrechte einsetzt, sich um 
> den Straßenbau kümmert, sich mit der Frage der Bildungsqualität 
> beschäftigt, sich um den Tierschutz kümmert und so weiter. Die 
> BürgerInnen können das mit recht erwarten. Ansonsten müsste man für 
> jedes Thema eine eigene Partei gründen. Aber selbst in diesen 
> Parteiejn (er gibt ja zum Beispiel die Veganer-Partei, die 
> Tierschutz-Partei) wird man sich innerhalb der Parteien intensiv 
> streiten und auch zu verschiedenen Ergebnissen kommen.
>
> Insofern wird die demokratische Auseinandersetzung einfach jeweils in 
> eine Partei verlagert. Doch auch diese muss sich bei Abstimmungen 
> gleichberechtigt den anderen Parteien stellen, die dann natürlich auch 
> beim Zentralthema einer monothematischen Partei in der Mehrheit wären. 
> Oder soll man dann alle anderen Parteien in Bezug auf das EINE Thema 
> der einen monothematischen Partei entmündigen? Das wäre natürlich absurd.
>
> Konkurrenz belebt das Geschäft und vielleicht schafft es eine 
> bGE-Partei ja tatsächlich, die Debatte zu beleben. Dann mag das ja gut 
> sein.
> Ich fürchte nur, es wird anders kommen und die teilweise aggressiven 
> Reaktionen auf meine Posts scheinen mir das bereits jetzt zu bestätigen.
>
> Wer mich auch nur ein bisschen kennt (und wer mal bei youtube 
> "Grundeinkommen" eingegeben hat, der kennt mich) weiß, dass ich nie 
> einen Hehl daraus gemacht habe, dass ich 2004 aus Wut über die 
> Grünen-Beteiligung an Hartz IV bei den Grünen eingetreten bin (Du 
> liest richtig!).
> Und dass ich seitdem für das bGE unterwegs bin und gleichzeitig erst 
> Bundestagsabgeordneter der Grünen und anschliessend Landesvorsitzender 
> der Grünen in SH geworden bin.
> Wenn mich jetzt aber jemand bei dieser Debatte in die Grüne Schublade 
> stecken möchte, dem muss ich entgegenen, dass der, der das tut, selbst 
> in Schubladen denkt und mich dann dort verortet. Ich tue das nicht. 
> Ich war auch schon bei den Piraten als Gastredner auf einem Parteitag, 
> durfte (obwohl Parteimensch) auf dem Occupy-Camp in Kiel reden (gibts 
> bei youtube), bei den Jungliberalen, der CDU und der SPD vielfach als 
> Redner zum bGE. Ich denke nicht in Partei, auch nicht in den 
> gedanklichen Grenzen meiner eigenen. Denn es geht mir um einige 
> politische Ziele. Das bGE ist davon ein sehr zentrales.
>
> Und hier auf der Liste wurde ich schon als bGE-Gegner tituliert. 
> Vermutlich, weil ich in der falschen Partei bin. Das zeigt mir, dass 
> jetzt schon in der bGE-Partei Kräfte sind, die zwar die bisherigen 
> Parteien strukturell ablehnen, selbst aber genauso ticken, was aber 
> dadurch kaschiert wird, dass man über andere Parteien schimpft.
>
> Ich habe damals den Piraten als demokratiebelebende Partei viel Glück 
> gewünscht, habe dort auch noch viele Freunde, sitze gelegentlich in 
> deren Fraktionsräumen zum Kaffee, da ich fand und finde, das waren und 
> sind nette Leute mit teilweise guten Ideen. Dieses Glück wünsche ich 
> auch der bGE-Partei.
> Ich glaube allerdings aus oben genannten und auch noch anderen Gründen 
> nicht, dass es nicht mehr sein wird, als ein Aufflackern. Und ich 
> hoffe sehr, dass sie zumindest der Verbreitung der Idee nicht schadet. 
> Denn auch das kann geschen. Aber diesbezüglich möchte ich nicht weiter 
> Kassandra spielen.
>
> Viele Grüße!
>
> Arfst Wagner aus SH
>
>
>
>
>
> Am 18.12.2016 um 18:44 schrieb Karin Teetzen via Debatte-Grundeinkommen:
>> Hi,
>>
>> bevor die Debatte wieder ganz einschläft, möchte ich mich auch mal zu 
>> Wort
>> melden und da ich hier im Emailverteiler das erste mal schreibe, 
>> möchte ich
>> mich auch kurz vorstellen:
>>
>> Mein Name ist Karin, ich bin 47 Jahre alt, gelernte
>> Wirtschaftsinformatikerin, habe eine Zeitlang in der Altenpflege 
>> gearbeitet,
>> bis ich krank geworden bin, und nun in Frührente.
>> Ich beschäftige mich schon ein paar Jahre mit den Möglichkeiten der
>> Gesellschaftlichen Weiterentwicklung, habe dazu unter 
>> www.karin-teetzen.de
>> auch einen Text veröffentlicht in dem ich meine persönlichen Ideen 
>> (unter
>> anderem auch ein paar Gedanken zum Grundeinkommen) skizziert habe.
>>
>> Um es vorweg zu sagen, IMO sind Parteien (Monothematische-, wie auch
>> Vollparteien) generell nicht (gut) dazu geeignet eine demokratische
>> Vertretung für alle Menschen zu gewährleisten. Parteien grenzen sich 
>> gegen
>> andere Parteien ab und dies führt eher zu einer Spaltung der 
>> Gesellschaft,
>> statt das eine Einigung oder Konsens aller erreicht wird.
>>
>> Parteien führen zum Kampf um Macht. Wenn eine Partei an die Regierung 
>> kommt,
>> sind alle anderen Parteien quasi Machtlos und können kaum Einfluss auf
>> Entscheidungen nehmen. Ein Teil des Volkswillens kann also, trotz 
>> Wahl von
>> Repräsentanten und Vertretung im Parlament, einfach ignoriert werden. Im
>> Extremfall kann sogar eine Minderheit gegen den Willen der Mehrheit
>> Entscheidungen umsetzen. Ein gemeinsames finden von Lösungen für alle
>> Menschen wird erschwert.
>>
>> Aber wir haben nun mal dieses jetzige System mit den Parteien und 
>> müssen nun
>> das Beste daraus machen.
>>
>> Vollparteien stehen für viele Themen. Im Programm finden sich deshalb 
>> auch
>> (fast) immer Wahlversprechen welche persönlich nicht unterstützt werden.
>> Eine 100%ige Übereinstimmung mit dem Programm einer Partei wird es 
>> deshalb
>> auch kaum geben. Wenn nun also einer Vollpartei die Stimme gegeben wird,
>> wird der eigene Wille nur zum Teil abgebildet. Trotzdem wird aber nun so
>> getan, als wenn diese Stimme der gesamten Partei mit dem gesamten
>> Parteiprogramm gegeben wurde.
>>
>> Viele Menschen lesen sich ja auch die Programme von Vollparteien gar 
>> nicht
>> mehr durch, weil sie nur noch das Image der Partei wählen (Früher war 
>> alles
>> besser, also konservativ, Umwelt ist wichtig, also Grün, ich habe 
>> Angst vor
>> Ausländern also AFD, bei der SPD klafft Anspruch und Wirklichkeit 
>> wohl am
>> weitesten auseinander: „Soziale Gerechtigkeit?“)
>>
>> Für Menschen, die noch an dieses System Glauben, kann das OK sein. 
>> Kleine
>> Einschränkungen können in Kauf genommen werden, wenn die Partei im 
>> Großen
>> und Ganzen ungefähr meinem Willen entspricht.
>>
>> Bei Monothematischen Parteien wird dagegen mein Wille zu 100% 
>> repräsentiert.
>> Dafür nehme ich in Kauf, dass, zumindest bei dieser Wahl, andere, mir 
>> auch
>> wichtige Themen, eben nicht im Parlament vertreten werden.
>>
>> Für Menschen, die nicht mehr an das System und seine Reformierbarkeit
>> glauben, kann dies aber eine Alternative sein, doch noch mal zur Wahl zu
>> gehen, wenn dieses eine Thema ihnen wichtig genug erscheint und ihnen
>> Glaubhaft versichert wird, dass die Partei wirklich nur dieses eine 
>> Thema
>> hat und nach dessen Umsetzung am besten aus dem Parlament wieder 
>> austritt.
>>
>> Bei der letzten großen Wahl sind über 40% der Bevölkerung gar nicht 
>> zur Wahl
>> gegangen und in Umfragen sind 2/3 der Bevölkerung mit dem jetzigen 
>> System
>> unzufrieden.
>>
>> Das Potential für eine Monothematische BGE-Partei ist also immens!
>>
>> Liebe Grüße
>> Karin
>>
>>
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