[Debatte-Grundeinkommen] Monothematische Partei vs Vollpartei
Arfst Wagner
arfst_wagner at web.de
Mo Dez 19 00:11:33 CET 2016
Liebe Kartin,
ich kann Deinen Gedanken grundsätzlich folgen, halte sie aber für
unvollständig.
Als früheres Mitglied des Netzwerkrates des Netzwerk Grundeinkommens und
auch als Veranstalter einer dreistelligen Zahl von Veranstaltungen zum
bGE weiß ich aber auch, dass das bGE überhaupt nicht EIN Thema ist.
Nicht umsonst hat sich die bGE-Bewegung extrem gespalten und zwar an der
Frage der Konzepte.
Wenn eine bGE-Partei nur die IDEE des bGE vertreten würde, hättest Du
möglicherweise total recht, aber vielleicht nicht mal da. Denn es gibt
ja auch schon im Bereich der IDEE sehr untersczhiedliche Ansätze (bei
der CDU sind einige im Bundestag inzwischen für ein "motivierendes"
Grundeinkommen.
An der Konzeptfrage werden völlig verschiedene Ansätze deutlich, denn es
gibt völlig kontroverse Modelle, von neoliberalen Modellen bis hin zu
linken. Das wirst Du sicher alles wissen.
Da wird diskutiert, ob es die 1000 (oder 500 oder 1500) EUR im Monat für
alle obendrauf gibt, ob sie mit dem bisherigen Einkommen verrechnet
werden. Ob Kinder ein niedrigeres, gleiches oder gar höheres bGE
erhalten sollen. Durch welche Steuern das bGE finanziert werden soll
(sehr komplex) usw. Und wie ist das mit den Migranten? Sollen die auch
ein volles bGE erhalten? (Da bin ich schon sehr gespannt auf die
künftigen Diskussionen!). Wie ist das mit Menschen mit deutschen Pass,
die im Ausland leben, möglicherweise mit doppelter Staatsbürgerschaft?
Da sitzt so viel Sprengstoff drin, dass niemand im Ernst glauben kann,
dass, wie Du schreibst, selbst alle Parteimitglieder letztlich hinter
dem Modell, dass die Partei letztlich vertreten muss (denn für irgendwas
muss sie irgendwann ja auch in dieser Beziehung stehen) stehen werden.
Und vermutlich auch niocht alle WählerInnen, die an sich fürs bGE sind.
Ich halte all diese Probleme für lösbar und ich bennene sie nur, weil
ich Deiner Auffassung, man könne der Machtfrage entgehen, etwas
entgegenzustellen. Ich bin dabei überhaupt kein Anhänger von
Machtentscheidungen, nur damit das klar ist. Ich glaube nur, dass man
die Machtfrage nicht löst, indem man ihr versucht, auszuweichen.
Wie schnell Parteien von dieser Wirklichkeit euingeholt werden können,
haben wir an den Piraten erlebt. Und auch vor Jahren an meiner eigenen
Partei, den Grünen, die auch mit anderen ethischen Zielen angetreten
waren, man denke an Rotation usw.
Dass auch bei diesem "einem monothematischen" Thema ganze
Weltanschauungskreise aufeinanderprallen werden, werden wir innerhalb
der Entwicklung der neuen Partei mit Sicherheit erleben.
Die Auseinandersetzungen führten innerhalb der bGE-Bewegung sogar
teilweise zum blanken Hass (z. B. gegen Götz Werner wegen seines
Mehrwertsteuer-Modells).
Die scheinbar so schnurrig-nebensächlichen Fragen wie Einkommensteuer-
oder Konsumsteuer-Finanzierung beinhalten unglaublich viel Sprengstoff,
die auch innerhalb einer bGE-Partei letztlich durch Mehrheiten, also
durch die Machtfrage geklärt werden werden.
Meine bisherige Auffassung des bGE war nie monothematisch. Das wurde mir
ja auch von einigen bGE-ParteiakrivistInnen bereits signalisiert, dass
es das gar nicht ist. Denn das bGE revolutioniert die Berufswahl, die
Schulen und Universitäten, ja vermutlich sogar die Ehen.
Nur kurz sei wiederholt, dass ein(e) Abgeordneter seine
Aufwandsentschädigung dafür erhält, dass er ALLE Probleme der
Bevölkerung ernst nimmt und die Interessen der Bevölkerung sehr häufig
hinter die Seinigen zu stellen hat. Sollte tatsächlich jemand aus der
bGE-Partei in ein Parlament gewählt werden, dann bekommt er sein Geld
auch dafür, dass er sich für Prostituiertenrechte einsetzt, sich um den
Straßenbau kümmert, sich mit der Frage der Bildungsqualität beschäftigt,
sich um den Tierschutz kümmert und so weiter. Die BürgerInnen können das
mit recht erwarten. Ansonsten müsste man für jedes Thema eine eigene
Partei gründen. Aber selbst in diesen Parteiejn (er gibt ja zum Beispiel
die Veganer-Partei, die Tierschutz-Partei) wird man sich innerhalb der
Parteien intensiv streiten und auch zu verschiedenen Ergebnissen kommen.
Insofern wird die demokratische Auseinandersetzung einfach jeweils in
eine Partei verlagert. Doch auch diese muss sich bei Abstimmungen
gleichberechtigt den anderen Parteien stellen, die dann natürlich auch
beim Zentralthema einer monothematischen Partei in der Mehrheit wären.
Oder soll man dann alle anderen Parteien in Bezug auf das EINE Thema der
einen monothematischen Partei entmündigen? Das wäre natürlich absurd.
Konkurrenz belebt das Geschäft und vielleicht schafft es eine bGE-Partei
ja tatsächlich, die Debatte zu beleben. Dann mag das ja gut sein.
Ich fürchte nur, es wird anders kommen und die teilweise aggressiven
Reaktionen auf meine Posts scheinen mir das bereits jetzt zu bestätigen.
Wer mich auch nur ein bisschen kennt (und wer mal bei youtube
"Grundeinkommen" eingegeben hat, der kennt mich) weiß, dass ich nie
einen Hehl daraus gemacht habe, dass ich 2004 aus Wut über die
Grünen-Beteiligung an Hartz IV bei den Grünen eingetreten bin (Du liest
richtig!).
Und dass ich seitdem für das bGE unterwegs bin und gleichzeitig erst
Bundestagsabgeordneter der Grünen und anschliessend Landesvorsitzender
der Grünen in SH geworden bin.
Wenn mich jetzt aber jemand bei dieser Debatte in die Grüne Schublade
stecken möchte, dem muss ich entgegenen, dass der, der das tut, selbst
in Schubladen denkt und mich dann dort verortet. Ich tue das nicht. Ich
war auch schon bei den Piraten als Gastredner auf einem Parteitag,
durfte (obwohl Parteimensch) auf dem Occupy-Camp in Kiel reden (gibts
bei youtube), bei den Jungliberalen, der CDU und der SPD vielfach als
Redner zum bGE. Ich denke nicht in Partei, auch nicht in den
gedanklichen Grenzen meiner eigenen. Denn es geht mir um einige
politische Ziele. Das bGE ist davon ein sehr zentrales.
Und hier auf der Liste wurde ich schon als bGE-Gegner tituliert.
Vermutlich, weil ich in der falschen Partei bin. Das zeigt mir, dass
jetzt schon in der bGE-Partei Kräfte sind, die zwar die bisherigen
Parteien strukturell ablehnen, selbst aber genauso ticken, was aber
dadurch kaschiert wird, dass man über andere Parteien schimpft.
Ich habe damals den Piraten als demokratiebelebende Partei viel Glück
gewünscht, habe dort auch noch viele Freunde, sitze gelegentlich in
deren Fraktionsräumen zum Kaffee, da ich fand und finde, das waren und
sind nette Leute mit teilweise guten Ideen. Dieses Glück wünsche ich
auch der bGE-Partei.
Ich glaube allerdings aus oben genannten und auch noch anderen Gründen
nicht, dass es nicht mehr sein wird, als ein Aufflackern. Und ich hoffe
sehr, dass sie zumindest der Verbreitung der Idee nicht schadet. Denn
auch das kann geschen. Aber diesbezüglich möchte ich nicht weiter
Kassandra spielen.
Viele Grüße!
Arfst Wagner aus SH
Am 18.12.2016 um 18:44 schrieb Karin Teetzen via Debatte-Grundeinkommen:
> Hi,
>
> bevor die Debatte wieder ganz einschläft, möchte ich mich auch mal zu Wort
> melden und da ich hier im Emailverteiler das erste mal schreibe, möchte ich
> mich auch kurz vorstellen:
>
> Mein Name ist Karin, ich bin 47 Jahre alt, gelernte
> Wirtschaftsinformatikerin, habe eine Zeitlang in der Altenpflege gearbeitet,
> bis ich krank geworden bin, und nun in Frührente.
> Ich beschäftige mich schon ein paar Jahre mit den Möglichkeiten der
> Gesellschaftlichen Weiterentwicklung, habe dazu unter www.karin-teetzen.de
> auch einen Text veröffentlicht in dem ich meine persönlichen Ideen (unter
> anderem auch ein paar Gedanken zum Grundeinkommen) skizziert habe.
>
> Um es vorweg zu sagen, IMO sind Parteien (Monothematische-, wie auch
> Vollparteien) generell nicht (gut) dazu geeignet eine demokratische
> Vertretung für alle Menschen zu gewährleisten. Parteien grenzen sich gegen
> andere Parteien ab und dies führt eher zu einer Spaltung der Gesellschaft,
> statt das eine Einigung oder Konsens aller erreicht wird.
>
> Parteien führen zum Kampf um Macht. Wenn eine Partei an die Regierung kommt,
> sind alle anderen Parteien quasi Machtlos und können kaum Einfluss auf
> Entscheidungen nehmen. Ein Teil des Volkswillens kann also, trotz Wahl von
> Repräsentanten und Vertretung im Parlament, einfach ignoriert werden. Im
> Extremfall kann sogar eine Minderheit gegen den Willen der Mehrheit
> Entscheidungen umsetzen. Ein gemeinsames finden von Lösungen für alle
> Menschen wird erschwert.
>
> Aber wir haben nun mal dieses jetzige System mit den Parteien und müssen nun
> das Beste daraus machen.
>
> Vollparteien stehen für viele Themen. Im Programm finden sich deshalb auch
> (fast) immer Wahlversprechen welche persönlich nicht unterstützt werden.
> Eine 100%ige Übereinstimmung mit dem Programm einer Partei wird es deshalb
> auch kaum geben. Wenn nun also einer Vollpartei die Stimme gegeben wird,
> wird der eigene Wille nur zum Teil abgebildet. Trotzdem wird aber nun so
> getan, als wenn diese Stimme der gesamten Partei mit dem gesamten
> Parteiprogramm gegeben wurde.
>
> Viele Menschen lesen sich ja auch die Programme von Vollparteien gar nicht
> mehr durch, weil sie nur noch das Image der Partei wählen (Früher war alles
> besser, also konservativ, Umwelt ist wichtig, also Grün, ich habe Angst vor
> Ausländern also AFD, bei der SPD klafft Anspruch und Wirklichkeit wohl am
> weitesten auseinander: „Soziale Gerechtigkeit?“)
>
> Für Menschen, die noch an dieses System Glauben, kann das OK sein. Kleine
> Einschränkungen können in Kauf genommen werden, wenn die Partei im Großen
> und Ganzen ungefähr meinem Willen entspricht.
>
> Bei Monothematischen Parteien wird dagegen mein Wille zu 100% repräsentiert.
> Dafür nehme ich in Kauf, dass, zumindest bei dieser Wahl, andere, mir auch
> wichtige Themen, eben nicht im Parlament vertreten werden.
>
> Für Menschen, die nicht mehr an das System und seine Reformierbarkeit
> glauben, kann dies aber eine Alternative sein, doch noch mal zur Wahl zu
> gehen, wenn dieses eine Thema ihnen wichtig genug erscheint und ihnen
> Glaubhaft versichert wird, dass die Partei wirklich nur dieses eine Thema
> hat und nach dessen Umsetzung am besten aus dem Parlament wieder austritt.
>
> Bei der letzten großen Wahl sind über 40% der Bevölkerung gar nicht zur Wahl
> gegangen und in Umfragen sind 2/3 der Bevölkerung mit dem jetzigen System
> unzufrieden.
>
> Das Potential für eine Monothematische BGE-Partei ist also immens!
>
> Liebe Grüße
> Karin
>
>
> ---
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>
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