[Debatte-Grundeinkommen] Bemerkungen zur laufenden Debatte
Jochen Tittel
jochentittel at web.de
Mo Dez 5 09:01:20 CET 2016
Jochen Tittel zur gegenwärtigen Debatte.
Auch ich habe mich zunächst darüber gefreut, daß die Debatten-Liste nach
langem Schweigen wieder zum Leben erwacht ist. Allerdings hat sich dann
bald Enttäuschung breitgemacht angesichts des Eindrucks – meines
Eindrucks - , daß sich in den Auseinandersetzungen seit Jahren (oder
Jahrzehnten) nichts weiterentwickelt hat und immer wieder die gleichen
Gegensätze aufeinanderprallen. Seit Tagen bin ich hin und hergeworfen,
ob ich mich dazu zu Wort melde oder nicht, da ich auch – wie wohl einige
andere – Schwierigkeiten habe herauszufinden, wer mit welchem Beitrag
auf wen antwortet oder sich worauf bezieht. Letztlich denke ich aber,
daß ich das, was ich sagen will, auch ohne diese vollständige Aufklärung
sagen kann.
Wenn ich es richtig sehe, besteht die laufende Debatte aus den
Positionen von Arnold Schiller, Arfst Wagner und einigen Kommentaren von
anderen, die sich mehr oder weniger darauf beziehen.
Im großen Ganzen schließe ich mich den Argumenten von Arfts an und werde
mich an der Parteigründung nicht beteiligen; dennoch finde ich auch
einige von Arnolds Argumenten durchaus bedenkenswert. Was mich aber vor
allem dazu drängt, in diese Debatte einzugreifen, sind nicht die einen
oder die anderen Sachargumente, sondern die Art und Weise, wie diese
Debatte geführt wird und das war schon vor zwei oder drei Jahren der
gleiche Grund, als ich dieser Liste beigetreten bin. Diese Art, Fronten
aufzubauen und Lager zu bilden ist in allen gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen zu beobachten. Und alle diskutieren aus der Haltung
heraus: Ich bin der Wissende; also sind jene, die anderes sagen, die
Unwissenden; einfacher ausgedrückt: Ich bin der Kluge, die anderen die
Dummen; oder: Ich bin der Gerechte, also sind die anderen die
Ungerechten; Ich bin der Gute, die anderen sind die Bösen. …
Die am weitesten verbreitete Form der „Gerechtigkeit“ auf unserer Welt
und in unserer Zeit ist scheinbar die Selbstgerechtigkeit. … !
Natürlich (oder zum Glück) finde ich in der laufenden Debatte – wie auch
bei anderen Zusammenhängen – auch Ansätze für wirkliches miteinander
sprechen, aufeinander hören, einander anerkennen, daß es – bzw. der oder
die andere – zunächst eben so ist, wie er, sie, es ist. Aber die
Versuchung scheint überall groß, das jeweils Andere in einer vorgefaßten
Weise zu interpretieren und diese Interpretation dann für die Sache
selbst zu nehmen.
Ich könnte unzählige Beispiele dazu anführen, will aber nur das eine in
dieser laufenden Debatte erwähnen, daß einer der Teilnehmer die
Behauptung – oder vielleicht nur die Vermutung äußerte, es habe sich ein
BGE-Gegner in die Debatte eingeschlichen. Als ich das las, war mir
rätselhaft, wer damit gemeint sein könnte. Als sich dann herausstellte,
daß damit Arfst gemeint sei, empfand ich das als vollkommen absurd. Wer
es bis jetzt nicht gewußt hat, den hat Arfst ja hier über sein
Engagement für des BGE hinreichend aufgeklärt und schließlich ist dieses
Mißverständnis auch aufgeklärt und beseitigt worden. Aber wenn wir nicht
unsere selbstgerechte Haltung aufgeben, wird es immer wieder solche
Mißverständnisse geben und wir werden ewig – wie Sisyphus – die selben
Lasten wälzen, ohne etwas zu erreichen.
Ein Gespräch bzw. eine Debatte abzubrechen, weil man den Eindruck hat,
es kommt nichts dabei heraus, ist in der Tat die schlechteste
Entscheidung die man in so einer Situation fällen kann. Meistens denkt
man sich dabei, die anderen müßten doch endlich Einsicht zeigen. Diese
Anderen denken aber ebenso über uns … Was ist schließlich das Ergebnis:
es bilden sich feindliche Lager.
Natürlich sind wir alle von unserer eigenen Meinung, unseren eigenen
Ansichten und Einsichten, unserer eigenen Haltung überzeugt, daß es die
richtigen – oder wenigstens die bestmöglichen – sind; so wie auch „die
Anderen“. Daß daraus aber die Schußfolgerung gezogen wird, daß Irrtümer
nur den anderen unterlaufen könnten, ist falsch. Noch schlimmer ist es
aber, wenn wir dann womöglich böse oder unlautere Absichten
unterstellen. Die gibt es zwar wirklich mitunter, aber das muß man dann
mit Fakten belegen.
Für den Augenblick scheint es unnütz und mühselig weiter zu diskutieren,
wenn man sich scheinbar im Kreise dreht und man glaubt, es wäre
einfacher das abzubrechen. Mit ein wenig Weitsicht erkennt man aber, daß
aufgeschoben nicht aufgehoben ist; die selben Probleme und Konflikte
tauchen immer wieder auf.
Einige werden jetzt vielleicht denken, daß es eine Illusion sei, daß man
grundsätzlich bei allen Disputen zwischen Vertretern gegensätzlicher
Standpunkte immer zu einer Einigung kommen könnte, und das will ich auch
gar nicht behaupten. Aber es ist ebenso eine Illusion, daß es
grundsätzliche Unterschiede gäbe, über die man sich nicht verständigen
könnte. Das hängt eben vom Willen, der Einsicht und der Haltung der
Disputanten ab.
Ich habe eben den Begriff „Standpunkt“ gebraucht; in diesem Wort steckt
schon ein Aspekt des Scheiterns einer Verständigung. Ein Standpunkt ist
etwas, worauf man beharrt, man bleibt eben auf diesem Punkt stehen. Da
kann nichts dabei herauskommen, wenn alle sich so verhalten. Deshalb
sollten Gesprächsteilnehmer (oder vielleicht auch besser: Teilgeber)
nicht mit einem Standpunkt in die Debatte gehen, sondern mit einem
Ausgangspunkt. Und sie – wir – sollten uns des Unterschieds bewußt sein.
Eine andere wichtige Unterscheidung wird in der Regel in unserem
gesellschaftlichen Alltag nicht beachtet und so steuern wir unbemerkt
und unbegriffen in eine Katastrophe. Um zu erklären, worum es mir geht,
hole ich ein bisschen aus. Nach der „Wende“, also der Einverleibung der
DDR in die BRD, war ich einige Jahre als Schöffe am Gericht tätig. Dabei
hatte ich das Glück, daß ich längere zeit mit einem sehr guten Richter
zusammenwirken konnte. Von ihm habe ich gelernt, daß in einem
Gerichtsverfahren nicht Menschen, sondern ihre Taten be- und verurteilt
werden. Diese Unterscheidung ist aber leider nicht allen Richtern und
Justizangestellten bewußt. Und in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit
und im allgemeinen Bewußtsein der Menschen scheint diese weise Einsicht
völlig verloren, obwohl sie irgendwo im Gesetz formuliert ist.
Wir können Menschen nicht be- und dürfen sie nicht verurteilen, weil wir
uns dazu über sie erheben müßten – was wir nicht können. Taten,
Meinungen, Haltungen können wir beurteilen und gegebenenfalls auch
verurteilen, aber auch da ist Vorsicht geboten, weil die Zusammenhänge
oft nicht leicht überschaubar sind. Aber wer urteilt, ohne den
Unterschied zu machen, der überschreitet seine Kompetenz und wird schuldig.
Einen herzlichen Gruß an alle, die sich hier tummeln.
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