[Debatte-Grundeinkommen] Jochen Tittel: Antwort auf Berts Text vom 7.1.

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Fr Jan 16 13:34:50 CET 2015


Lieber Bert,
um meine Anmerkungen zu Deinem umfangreichen Text zu einem flüssigen 
Ganzen zu machen, brauchte ich noch mehr Zeit, als ich jetzt schon damit 
verbracht habe. Da die Debatte weiterläuft und ich dabei nicht zu sehr 
hinterherhinken will, ist meine Antwort etwas bruchstückhaft.
Ich habe auch an einigen Stellen auf Anmerkungen erstmal verzichtet, 
einfach um in absehbarer Zeit eine Antwort geben zu können. Ich rechne 
dabei darauf, daß wir an diesen Themen noch weiter dran bleiben werden.

S. 4: "Es geht nach wie vor darum zu verstehen, inwiefern und wie 
vielschichtig das Gesamtsystem ein Herrschaftssystem ist."
Genau das ist auch mein Hauptanliegen und ich muß wohl dazu sagen: Ziel 
ist für mich die Abschaffung jeglicher Herrschaft, also Anarchie. Daß 
Ordnung ohne Herrschaft überhaupt möglich ist, können viele Menschen 
sich nicht vorstellen, weil die Herrschaftsideologen so gründliche 
Arbeit in den Köpfen geleistet haben. Allein das Wort "Anarchie" jagt 
jedem guten Bürger einen Schauer über den Rücken, hinter dem sich so 
manches abspielt, obwohl es ja nur bedeutet: keine Herrschaft. Die 
Verleumdungsarbeit war hier so erfolgreich, daß kaum einer versteht, was 
gemeint ist.
" ... die Klärung der Frage zu unternehmen, welche Spielregeln aus 
Marxscher Sicht denn unvernünftig und daher änderungswürdig sind. ..."
Leider hat auch Marx gegenüber anarchistischen Bestrebungen eine 
ablehnende Haltung eingenommen. Obwohl manches an seiner Kritik an den 
zeitgenössischen Anarchisten berechtigt sein mag, halte ich seine 
Grundhaltung und auch seine Begründung für falsch.

Bernd Starkloff: " ... Probleme über Probleme, nur weil man vermeiden 
möchte, dass der Markt
entscheidet, welche Leistung wie anerkannt wird. ..."
Wenn Bernd nachvollziehbar zeigen könnte, daß die Marktentscheidung in 
irgendeiner Form rational ist, brauchten wir uns vielleicht darüber 
nicht mehr streiten. Ich halte das allerdings für unmöglich.

S. 5: an mich: zu konkreter und abstrakter Arbeit:
" ... Inwiefern beides aber ineinander fließt, sich gar nicht 
voneinander loslösen lässt, scheint dir nicht so ganz klar zu sein, wenn 
ich deine Bemerkung richtig interpretiere. ..."
In dem Fall hast Du, lieber Bert, meine Bemerkung ganz falsch 
interpretiert. Ich hoffe, daß das im weiteren noch deutlich wird.

"Ich bin mir nicht gänzlich darüber klar, welche Position Marx wirklich 
zur Arbeitswertlehre eingenommen hat. ..."
Zu dem selben Ergebnis komme ich nach der Lektüre einiger 
Marx-Interpreten (die ich schon mal aufgezählt hatte).

S. 6: an mich: zu den Quellen der neueren marxologischen Debatte
- zum Wertbegriff
Die meisten der von Dir erwähnten Autoren kenne ich nur dem Namen nach, 
bzw. aus Bemerkungen anderer Autoren (Backhaus´ "Dialektik der Wertform" 
habe ich mir gerade aus dem Netz heruntergeladen; von Reichelt habe ich 
leider nichts herunterladbares gefunden).

S. 7 f: zur Marxschen Methodik: Mir ist klar, daß Marx sich stark an 
Hegel orientiert, leider konnte ich trotz mehrfacher Vorsätze meine 
Hegel-Lektüre noch nicht richtig realisieren. Daher mag bei mir die 
Unklarheit entstehen, wenn Du schreibst, Marx beginne mit einer 
abstrakt-allgemeinen Bestimmung. Für mich klingt der erste Satz im Text 
des "Kapital": "Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen 
kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine "ungeheure 
Warensammlung", die einzelne Ware als seine Elementarform. ...", also 
diesen Satz würde ich eher als konkret phänomenologisch bezeichnen, 
nicht als abstrakt allgemein. Aber über diese Unklarheit können wir 
vielleicht erstmal hinwegsehen. Vielleicht ist auch beides zutreffend?
Grundsätzlich bin ich mit Dir auf einer Linie, was die Aussage betrifft, 
daß Marx mit dem "Kapital"
keine Ökonomie, sondern eine Kritik der Ökonomie geschrieben hat. Diese 
Erkenntnis, die schon aus dem Untertitel des "Kapital" hervorgeht, ist 
dennoch erst fast 150 Jahre nach Marx ins Bewußtsein sowohl seiner 
Anhänger wie seiner Gegner getreten, soweit ich das jetzt beurteilen 
kann. Darüberhinaus kommen viele heutige Marx-Interpreten aber auch zu 
dem Schluß, daß Marx in der Interpretation seiner Ergebnisse und seiner 
Darstellung selbst nicht immer ganz eindeutig ist. Ich erkläre mir das 
auch so, daß Marx ja schließlich seine Arbeit an diesem seinem 
Hauptthema nicht zuende gebracht hat und ein Großteil der nachträglich 
veröffentlichten Texte unfertige Arbeitsmaterialien sind.

S. 8: zum Marx-Zitat: nur heuristische Variante: Waren sind 
Gebrauchswerte und Tauschobjekte (also zunächst keine Tauschwerte). Die 
beiden Bedingungen, die einen Gegenstand zu einer Ware machen, sind 
einmal die Brauchbarkeit, zum anderen sind sie Eigentum (bzw. Besitz). 
Was der Grund ihrer Entstehung ist, ist gleichgültig. Natürlich kommt 
sehr bald die Bedingung hinzu, daß sie auch Arbeitsprodukte sind, weil 
es keine andere Möglichkeit der Aneignung mehr gibt. Wichtig in dem 
Zusammenhang: Den Begriff Aneignung verwendet Marx schon in seinen 
frühesten Schriften zu ökonomischen Themen nicht in ökonomischem, 
sondern in eher philosophischem Sinne.
S. 9: Was Du, lieber Bert, zur Austauschfähigkeit schreibst, hängt eng 
mit der Eigenschaft, Eigentum zu sein zusammen, ist aber wohl nicht ganz 
identisch.
" ... den Charakter dieser Austauschfähigkeit zu bestimmen. ..."
Die Entwicklung, die Marx dazu anstellt, ist - das betont er - nicht 
historisch, sondern logisch zu verstehen. Allerdings entsteht der 
Eindruck, daß er selbst im Laufe seiner Arbeit am Thema diese 
Unterscheidung gelegentlich aus den Augen verliert. Und die meisten 
Marx-Leser haben das in den letzten 150 Jahren nicht erkannt.
Marx hat auch schon sehr früh (ich kann jetzt nicht genau bestimmen, wo 
und wann) seine Absicht geäußert, seine Kritik der politischen Ökonomie 
in der Form der Kritik durch Darstellung zu realisieren. Das nicht 
verstanden zu haben, ist wohl die Ursache der meisten Mißverständnisse 
von Marx-Interpreten, und das liegt wiederum daran, daß Marx selbst eben 
gelegentlich unsicher war.
" ... Dass Waren nahezu immer Arbeitsprodukte sind, ..."
Ein Gedanke, der mir in diesem Zusammenhang gerade kommt: In der 
gegenwärtigen Empörung über die spekulativen Auswüchse des 
Finanzkapitalismus wird immer wieder versucht, zwischen gutem und 
schlechtem Handeln auf dem Markt zu unterscheiden, aber der spekulative 
Charakter steckt bereits im Warenbegriff und ist davon nicht zu trennen. 
Es gibt also keinen Kapitalismus ohne Spekulation.
" ... ist die Tauschfähigkeit zumindest als Intention meistens zeitlich 
noch früher
vorhanden als die Vergegenständlichung der konkreten Arbeit. Nur: Erst 
im vollzogenen Tausch
beweist sich die Austauschfähigkeit. ..."
Eben.
S. 10: " ... Ohne konkrete Arbeit auch keine abstrakte. ..."
Grundsätzlich ist das doch möglich, wenn es auch in der kapitalistischen 
Welt eine Ausnahme bleibt. Aber ohne Eigentum kein Wert und damit keine 
abstrakte Arbeit. Also, wenn einmal der Wert als abstrakte Arbeit 
etabliert ist, so gilt auch der Tauschwert eines Dinges, in dem 
überhaupt keine Arbeit drin steckt, als abstrakte Arbeit.
Zur Globalisierung: Man könnte das Jahr 1492 als eine Zäsur in dieser 
Entwicklung annehmen, aber auch frühere Ereignisse. Selbst in der 
Bronzezeit gab es schon so etwas wie Globalisierung obwohl da von Markt 
im kapitalistischen Sinne sicher nicht die Rede sein kann.
S. 12: zur Notwendigkeit von Arbeit für den gesellschaftlichen 
Stoffwechsel mit der Natur
- diese Notwendigkeit bestreite ich
S. 13: Die geschichtliche Notwendigkeit des Privateigentums bestreite 
ich. Der ganze Rest des Zitats (S. 13 f) bleibt aber gültig.
S. 14: In Deinem Fingerzeig kannst Du das "fast" weglassen, wenn Du von 
menschlichem Stoffwechsel mit der Natur sprichst.
Im folgenden Satz: "Als nächstes geht Marx der Frage nach, wie die 
Wertgröße, also das Maß dieser seltsamen Substanz „abstrakte Arbeit“ 
bestimmbar ist." halte ich es für wichtig, zu betonen, daß der Frage 
nachgeht, wie die bürgerliche Gesellschaft die Wertgröße bestimmt, 
nicht, wie sie (allgemein) zu bestimmen ist. Sachlich und sachlogisch 
ist ja der Wert eben nicht zu bestimmen.
S. 15: Arbeit als " ... eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige 
Existenzbedingung des Menschen, ..." halte ich für übertrieben.
Bemerkung zum Begriff der abstrakten Arbeit: Unter Arbeit versteht man 
allgemein eine ziel- und zweckgerichtete Tätigkeit, bei der Abstraktion, 
die zur Wertsubstanz führt, fällt gerade dieser wesentliche Charakter 
der Arbeit weg; abstrakte Arbeit ist also in gewissem Sinne ein Unbegriff.
An der Formulierung: "hinter dem Rücken" nimmt Brodbeck immer wieder 
Anstoß, und er hat natürlich Recht, daß auch dieser Prozeß sich in den 
Köpfen der Menschen abspielt.
S. 16: Der "Umrechnungsmodus" von potenzierter auf einfache Arbeit, den 
Marx darstellt, ist auch nur die Beschreibung dessen, was praktisch in 
der bürgerlichen Wirtschaft geschieht.
Deine Bemerkung an mich, lieber Bert, hätte ich genau so formuliert, da 
gibt es also keinen Dissens zwischen uns.
Der Markt bestimmt letztlich, wieviel abstrakte Arbeit einer Ware 
zukommt. Die Frage, die sich hier stellt ist offensichtlich: Wie macht 
er das? (Siehe oben meine Bemerkung bezüglich Bernd Starkloffs Äußerung)
S. 17: Zum Verhältnis zwischen stofflichem Reichtum und Wertgröße hatte 
ich in meiner letzten Mail das Gegenbeispiel vom Seebad am Strand gebracht.
Das Zitat S. 17/18 halte ich für äußerst wichtig, wenn man verstehen 
will, wie Marx auf sein eigenartiges Bild von den in der Warensprache 
miteinander kommunizierenden Waren kommt. Das ist wieder eine Aussage, 
in der er nicht sagt, was er über das Marktgeschehen denkt, sondern wie 
es im bürgerlichen Alltagsbewußtsein erscheint.
S. 18: Beim Marx-Zitat zum Geld halte ich es für angebracht, zu betonen, 
daß die ganze Entwicklung der Geldform, die Marx ziemlich aufwendig 
betreibt, ursprünglich nur als logische Entwicklung gedacht ist, nicht 
als historische. Ich glaube aber mit anderen Marx-Interpreten, daß Marx 
selbst sich darüber mitunter nicht im Klaren ist. Tatsache ist aber, daß 
das Geld als Gelderscheinung älter ist als der Kapitalismus, weshalb 
etwa Robert Kurz sein Buch "Geld ohne Wert" geschrieben hat.
S. 19: zur Äquivalenzrelation: Obwohl ich verstehe, weshalb Du sagst, 
die Wertkategorie sei keine Äquivalenzrelation, gibt es doch andere 
Aussagen von Marx, die durchaus nur so zu verstehen sind, daß es eine 
Äquivalenzrelation gibt; andernfalls wäre auch der Ausdruck 
"Äquivalentform" sinnlos. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß 
Brodbeck nachweist, daß der Tausch als solcher keine Äquivalenzbeziehung 
ist. Es muß also noch eine Bestimmung dazu kommen, damit aus dem Tausch 
das wird, was bürgerliche Ökonomen darunter verstehen. Eine Fülle 
historischer Illustrationen dazu liefern die Bücher von David Graeber 
("Schulden - die ersten 5000 Jahre" und "Die falsche Münze unserer Träume").

S. 24 f: zur Austauschbarkeit der Ware: Wenn die Austauschbarkeit direkt 
eine Eigenschaft der Ware ist, dann müßte man sagen, daß ein Produkt 
erst zur Ware wird im Moment des Austauschs. Wenn man dagegen die 
Austauschbarkeit nur potentiell annimmt, kann man das Produkt gleich 
Ware nennen (für den Austausch produziert). Das dürfte der Grund sein, 
warum Marx die Austauschbarkeit an der von Dir besagten Stelle nicht als 
Eigenschaft der Ware nennt.
S. 25: " Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. 
Solange wir da nicht sind, bleibt unsere Ökonomie unvernünftig." 
Praktikabel wird es auch erst, wenn wir uns (als Menschheit) als Teil 
eines größeren Zusammenhangs begreifen, also unsere Bedürfnisse den 
natürlichen Bedingungen anpassen.
S. 26: zur Verstehbarkeit von Gesellschaft: Ökonomie landet schließlich 
sogar bei der Berechenbarkeit von Gesellschaft, was eine absurde 
Illusion ist. Verstehbarkeit würde ich nicht ganz abstreiten, allerdings 
nur als andauernden und nachlaufenden Prozeß, nicht als etwas, was 
irgendwann endgültig geleistet ist.
Marxens Geschichtsmaterialismus ist allerdings auch so eine 
zwieschlächtige Sache, bei der die Freiheit leicht ins Hintertreffen 
gerät. Da streiten sich auch die Experten (die Marxologen).
S. 27: Marx Behauptung: "Da aber Eigenschaften eines Dings nicht aus 
seinem Verhältnis zu andern Dingen
entspringen, sich vielmehr in solchem Verhältnis nur betätigen, 
..."halte ich für falsch. Diese Ansicht war aber auch damals schon 
verbreitet, weshalb die Argumentation im ganzen nicht falsch wird.
In einem Tauschvorgang taucht dieser Mystizismus erst auf, wenn dabei 
abstrakt bewertet wird und da ist das Geld als Denkhorizont schon in den 
Köpfen. Hier ist der Punkt, wo Marx selbst die Unterscheidung seiner 
logischen Entwicklung von der historischen aus dem Blick verliert.
Geldfreien Tausch hat es gegeben, geldfreie Märkte aber nicht. Und in 
vorkapitalistischen Märkten war das Geld nicht dasselbe, wie im 
Kapitalismus; das wird schon allein dadurch klar, daß es Lohnarbeit als 
allgemeines Verhältnis erst im Kapitalismus gibt. Vorher war das eine 
Ausnahmeerscheinung.
S. 29: Was Du bei Deinem Versuch, das rationale und das mystische an der 
Wertschätzung per abstrakter Arbeit zu unterscheiden, übersiehst, es 
geht nicht nur um eine quantitative Aufsummierung durchschnittlich 
gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Die Notwendigkeit ergibt sich erst 
durch den Bezug des Produkts auf ein Bedürfnis. Und Bedürfnisse sind nun 
wieder so unmeßbare Dinge. Die Ökonomen haben die verrücktesten 
geistigen Verrenkungen angestellt, um daraus etwas Berechenbares zu 
machen. Die ganze Mathematisierung der Ökonomie fällt mit diesem Scheitern.
In dem Zusammenhang ist noch wichtig, zwischen Bedürfnis und Bedarf zu 
unterscheiden: Bedarf ist Bedürfnis plus Zahlungsfähigkeit. Dieser feine 
Unterschied macht die ganze Misere aus.
S. 31: Daß Aristoteles stutzt und die Analyse der Wertform aufgibt, ist 
wohl eine leichtfertige Fehleinschätzung durch Marx; die Wertform im 
Marxschen Sinne hat es ja noch gar nicht gegeben. Fetischform oder 
"Notbehelf für das praktische Bedürfnis" sind ja nicht so weit 
voneinander entfernte Begriffe.
Im zweiten Marx Zitat unterstellt er, daß die Warenwerte bereits in der 
Antike nach dem kapitalistischen Gesetz bestimmt würden, das den 
Menschen nur noch nicht bewußt werden konnte, aber das ist falsch. Es 
gab diese Bestimmung noch nicht.
S. 33: Dieses Zitat ist wieder dazu angetan, den Unterschied zwischen 
logischer und historischer Entwicklung zu verwirren, denn historisch 
geht die Entwicklung in der Tat andersherum.
Du, lieber Bert, siehst ja auch, daß hier eine Unklarheit besteht. 
"Abstrakte Arbeit existiert ohne Tausch nicht." Aber Tausch hat auch 
nicht zwangsläufig mit Abstrakter Arbeit zu tun.
S. 34: Die Differenz von innerem und äußerem Gegensatz, die Marx wohl 
aufmacht, um schließlich auf das Geld zu kommen, existiert aber nur in 
seiner Darstellung. Im realen (Wert)Tauschakt kann es sie nicht geben, 
denn wenn die meiner Ware gegenüberstehende Ware nur Wertgestalt wäre, 
würde ich sie nicht brauchen können und wenn der mir gegenüberstehende 
Warenbesitzer meine Ware nur als Gebrauchswert betrachten würde, könnten 
wir uns nicht auf ein quantitatives Tauschverhältnis einigen.
Mit dem folgenden Zitat am Ende der Seite widerspricht er eigentlich 
selbst seiner Aussage zu Aristoteles. Andererseits ist aber die 
Entwicklung der Warenform nicht identisch mit der Entwicklung der 
Wertform, obwohl das natürlich eng zusammenhängt. Antike Märkte waren 
bereits Geldmärkte und in diesem Sinne könnte man die angebotenen 
Produkte als Waren bezeichnen. Den Wert gab es aber noch nicht. Das 
heißt, der Preis ist hier nicht der Geldausdruck des Werts, er ist 
einfach nur Geldausdruck.
S. 35: zum Gesellschaftsbegriff: Wie wenig selbstverständlich der 
Begriff von "Gesellschaft" noch bis ins 20. Jahrhundert hinein sein 
kann, kann man etwa in Hannah Arendts "Vita activa" sehen. Obwohl ich 
weder ihren Gesellschafts- noch ihren Eigentumsbegriff einfach 
übernehmen möchte, ist ihre Sichtweise doch für ein weiteres Verständnis 
interessant.
S. 43 f: Unverstehbarkeit würde ich durch Unverstandenheit ersetzen, 
damit ist die Möglichkeit einer Entwicklung gegeben.
S. 45 f: Daß die Durchsichtigkeit der gesellschaftlichen Beziehungen von 
Produktion, Distribution usw. wegen der www-Netzwerke heute kein Problem 
mehr sei, möchte ich bezweifeln; das ist nicht nur ein technisches 
Problem. Es sind auch nicht nur sozialpsychologische Widerstände, 
sondern eine grundsätzlich Offenheit des ganzen. Das schließt sicher 
Planung nicht völlig aus, aber die wird nie erschöpfend und umfassend 
sein, sondern auch immer offen bleiben; nur als Tendenz realisierbar. 
Und grundsätzlich ist Planung in einer Herrschaftsgesellschaft eben auch 
herrschaftliche Planung. Das heißt, sie verfolgt nicht neutrale 
distributive Zwecke.
S. 48: Daß Geld von Natur Gold und Silber sei, muß wohl relativiert 
werden, in dieser absoluten Formulierung halte ich das für falsch.
S. 53 ff: Hier will ich nur daran erinnern, daß der Geldzins historisch 
älter ist als der Kapitalprofit.
S. 60: Transformationsproblem - Robert Kurz versucht sich in seinem oben 
schon erwähnten Buch auch diesem Problem zu nähern. Soweit ich das bis 
jetzt beurteilen kann, spielt dabei die "wirksame Geldmenge" im 
Wirtschaftskreislauf eine entscheidende Rolle. Diese "wirksame 
Geldmenge" ist eine Größe, die nicht endgültig bestimmt werden kann. Für 
die durchschnittlichen Preisentwicklungen sind dabei Tendenzen der 
Größenänderung entscheidend. Ist alles noch sehr verschwommen in meinen 
Vorstellungen. Sämtliche mathematischen ökonomischen Modelle überwinden 
diese ungelösten Schwierigkeiten, indem sie einfach passende Annahmen 
machen und damit den Boden der Realität unter den Füßen verlieren.
S. 60 f: Die Bewertung stofflichen Reichtums aus früherer Arbeit 
erfolgt, wie Du, lieber Bert, selbst mit Marx gerade zitiert hast, nicht 
nach dem vergangenen Arbeitsaufwand, sondern nach dem gegenwärtigen 
Reproduktionsaufwand.
S. 62: Die Staatsbürgersteuer will ich mir zwar auch mal näher ansehen, 
aber da es mir erstmal um grundsätzliche Fragen der Wertverwertung geht, 
weiß ich noch nicht, wann ich dazu komme. Ich vermute, daß mein Eindruck 
davon ähnlich ausfallen würde, wie Deiner, lieber Bert. Ähnlich verhält 
es sich mit dem Übrigen, was Du Bernd erwiderst. Auf die 
"Leistungserbringer" komme ich später nochmal zurück.

S. 72: Du, lieber Bert sagst: "Psychosozial sind vor allem die globalen 
Militärs und die organisierte Kriminalität erstmal das zentrale 
Problem." Ich denke eher, daß die kapitalistische Normalität dieses 
Problem ist, Militärs und kriminelle Organisationen sind nur 
Konsequenzen daraus.
Daß ich auf eine persönliche Mail von Dir öffentlich reagiert habe, ist 
mir gar nicht bewußt gewesen. Ich habe nicht so genau auf den Absender 
geschaut und gedacht, diese sei auch über den Verteiler gegangen; eine 
Unaufmerksamkeit von mir.
Zum Bildungswesen, speziell zur Geschichte der Volksschule in 
Deutschland gibt es eine leider weitgehend in Vergessenheit geratene 
Schrift von Dr. Walther Borgius (einem Sozialdemokraten) von 1930: "Die 
Schule - ein Frevel an der Jugend". Man könnte demgegenüber einwenden, 
daß sich seitdem viel geändert hat, aber das wesentliche ist bei allen 
guten Absichten der pädagogischen Reformer unverändert geblieben. Schule 
in einer Herrschaftsgesellschaft ist zuerst eine Untertanenfabrik. Daß 
jetzt eine Menge kritische Untertöne zugelassen werden, im Gegensatz zu 
früher, ist leider kein Zeichen von größerer Humanität, sondern von 
größerer Perfektion der Herrschaftstechnik. Aber natürlich gibt es 
unzählige positive Einzelbemühungen innerhalb und außerhalb dieses Systems.
S74: zu PEGIDA usw.: Ich bin in Dresden geboren und hab den größten Teil 
meines Lebens in Dresden verbracht, weshalb es für mich eine Art 
Normalität hat. Ich habe allerdings nie lokalpatriotische Gefühle 
entwickelt und schon zu DDR-Zeiten darüber gestaunt, wenn Leute meinten, 
stolz darauf sein zu können oder müssen, aus irgendeiner Gegend zu 
stammen. Ich bin inzwischen überzeugt, daß solche Identifizierungen 
Ersatzbefriedigungen sind, die den Mangel an Selbstbewußtsein kaschieren 
sollen.
Ich habe mich im Grunde schon mein ganzes Leben lang als Außenseiter 
gefühlt, bin es auch gewesen und bin es noch, wenn ich mich mit dem 
(nicht existierenden) Normalbürger vergleiche. Gleichzeitig habe ich 
auch so lange ich mich zurückerinnern kann gewußt, daß das wirklich 
menschliche Leben ein Leben in Gemeinschaft ist. ...
Ich komme zu weit vom Thema ab, glaube ich. Deshalb zurück zu den Demos. 
Was sich jetzt in Dresden PEGIDA nennt, ist ja aus den neuen 
Montagsdemos und Friedensmahnwachen hervorgegangen, die allerdings nie 
solche Ausmaße erreicht hatten. Es gibt mir durchaus zu denken, warum 
gerade unter diesem Namen und mit dieser Orientierung der Zulauf so groß 
ist. Da denke ich zuerst daran, daß die kapitalistische Globalisierung 
deutlich antiislamische bzw. antiislamistische Züge trägt, der 
Islamismus als Feindbild bewußt aufgebaut worden ist. In dem 
Zusammenhang sollte man daran denken, daß eigentlich alle 
terroristischen Organisationen, die weltpolitische Bedeutung erlangt 
haben (in den letzten Jahren) einerseits von westlichen Geheimdiensten 
aufgebaut oder unterstützt wurden, andererseits eine islamistische 
Oberfläche zeigen. Da sich einige Staaten der USA-Weltmachtpolitik unter 
Berufung auf islamische Werte widersetzen, bietet sich der Islam bzw. 
der Islamismus als Feindbild an. Und obwohl es so klischeehaft klingt, 
ohne Feindbild kann kein Herrschaftsgebilde seine inneren Widersprüche 
unter Kontrolle halten. Wenn also diese Orientierung sich bei den 
Demonstrationen durchsetzen sollte (was noch nicht ausgemacht ist) und 
wenn sich dann Gegendemonstrationen formieren (was schon geschieht), 
dann hätten die Strategen der kapitalistischen Globalisierung erreicht, 
daß sich die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung in einem 
Gegeneinander aufreibt und sie können ihre Plünderungen in Ruhe 
fortsetzen. Das ist in meinen Augen der schlimmstmögliche Ausgang der 
gegenwärtigen Entwicklung. Verhindern können wir eine solche Entwicklung 
nur, indem wir daran erinnern, daß der ursprüngliche aktive Kern der 
Bewegung der Montagsdemos und Friedensmahnwachen nicht um eine 
Islamisierung des Abendlandes fürchtete, sondern um eine Militarisierung 
deutscher Außenpolitik im Schleppzug US-amerikanischer Interessen. Wenn 
es gelingt, dieses Bewußtsein wieder zu wecken (bzw. bei der großen 
Masse der Mitläufer klar zu machen), könnten die Demos und Gegendemos zu 
einer wirklich großen Demonstration des demokratischen Souveräns werden.
Was Flüchtlings- und allgemein Migrationspolitik betrifft, so bin ich 
der Meinung, daß die grundlegenden Fragen in dieser Sache bei uns nahezu 
überhaupt nicht diskutiert werden. Welche Ursachen bewegen Menschen dazu 
zu flüchten oder ein- bzw. auszuwandern? Und nach welchen Kriterien 
sollten Staaten Migration bewerten?
Die furchtbare Tatsache, daß das Leben für Menschen in zahlreichen 
Gegenden der Welt unerträglich geworden ist und sie deshalb versuchen 
dort zu verschwinden, kann doch nicht dadurch gelöst werden, daß sie 
alle in die "Wohlstandsinseln" einwandern, womöglich noch nach 
ökonomischer Verwertbarkeit sortiert werden. Flucht und Asyl sind 
Maßnahmen in akuten Notsituationen, aber doch keine Lösung auf Dauer. 
Wichtiger wäre, die Ursachen zu beseitigen, die die Menschen zur Flucht 
treiben. Neben regionalen Konflikten, die aber ihre letzte Ursache auch 
in der kolonialistischen Vergangenheit haben, ist das die globale 
kapitalistische Plünderung des Planeten. Wenn der Westen also ernsthaft 
das Flüchtlingsproblem lösen wollte, müßte er sich zu einer anderen 
Weltwirtschaftspolitik entschließen. Als erste Maßnahme bietet sich die 
Einführung eines Grundeinkommens für die Bevölkerungen der ärmsten 
Staaten der Welt an. Sicher wäre auch ein Nachhilfeunterricht in 
menschenwürdigem Umgang miteinander notwendig; aber da müssen westliche 
Politiker und sonstige Bonzen genau so erstmal einen Grundkurs 
erfolgreich absolvieren. Schwer zu sagen, wer da als Lehrer auftreten 
darf. Vielleicht das Amt für Bruttosozialglück aus Bhutan?
Du, lieber Bert, machst Dir die Mühe, die technokratisch-bürokratischen 
Berechnungen von Verteilungsschlüsseln zu erklären. Natürlich sind 
solche Methoden notwendig, um die Sache irgendwie zu organisieren, aber 
solange der Geist der Gesellschaft kein andrer wird, gibt es wohl keine 
wirklich gute Lösung. Da ich mich selbst nicht gut damit fühle, nur über 
diese Probleme zu reden und den Politikern die Entscheidungen zu 
überlassen, habe ich im November letzten Jahres eine Gelegenheit 
genutzt, mir selbst zu beweisen, daß ich nicht ausländerfeindlich bin 
und habe einer Rumänin, die an meiner Haustür klingelte um Geld zu 
erbetteln, was ich nicht habe, angeboten, daß sie bei mir übernachten 
könne, wenn sie eine Übernachtung brauche. Ihr das zu erklären war schon 
nicht einfach, weil ich nur deutsch spreche und sie nur rumänisch. Es 
stellte sich heraus, daß sie nicht allein unterwegs war, was ich schon 
vermutet hatte. Es kamen dann am Abend drei Männer und zwei Frauen zur 
Übernachtung. Mit Händen und Füßen und einigen deutschen Worten 
versuchten sie mir dann klar zu machen, daß sie noch mehr Leute waren 
und gern länger bleiben wollten. Etwa zehn Personen wollten für ungefähr 
einen Monat bei mir übernachten und tagsüber auf Betteltour gehen oder 
irgendwo schwarzarbeiten. Die Sache war mir nicht ganz geheuer, weil wir 
uns nicht wirklich verständigen konnten und sich auch gleich 
herausstellte, daß sie andere Vorstellungen vom Eigentumsbegriff hatten, 
als in Deutschland üblich. Als ich meiner Freundin, die mit mir hier im 
Haus lebt davon erzählte, war sie schockiert und wollte ausziehen, 
obwohl sie auch nicht ausländerfeindlich ist. Nach der ersten 
Übernachtung zogen die fünf Rumänen los mit dem Versprechen, am späten 
Nachmittag mit ihren Freunden wieder hier zu erscheinen. Seit dem habe 
ich sie nicht wieder gesehen. So endete mein erster Versuch praktischer 
Ausländerfreundlichkeit. Und ich muß gestehen, daß ich froh war, als sie 
nicht wieder auftauchten. Ich glaube, ich habe auch kein besonderes 
Talent Fremdsprachen zu lernen.
Ich teile Deine Meinung, daß Ausländerfeindlichkeit dort am größten ist, 
wo es keine Ausländer gibt. aber es braucht noch eine zweite Bedingung, 
damit Ausländerfeindlichkeit entsteht. Es muß in irgendwelchen Medien in 
einer bestimmten Weise über Ausländer und damit verbundene Probleme 
berichtet werden. Wenn man sich den Tenor der Berichterstattung in 
Deutschland zu diesem Thema anschaut, dann stehen eben immer Probleme 
und Konflikte im Mittelpunkt, nur ganz nebenbei kommt mal ein Bericht, 
der positives zeigt. Wer nur diese Informationen hat und sich kein 
eigenes Bild machen kann, der bekommt es dann halt leicht mit der Angst 
zu tun.
S. 78: Erich Fromm und Herbert Marcuse kenne ich ein bisschen, aber 
meine Unkenntnis ist da wohl größer als meine Kenntnis. Meine 
Lesekapazität ist halt sehr begrenzt. Einen halben Schrank voll Bücher 
habe ich dastehen, die alle als nächstes dran sind. Und im Abstand von 
einigen Jahren kommt mir mindestens mal der Gedanke, daß ich mein Leben 
nicht nur zwischen Buchdeckeln verbringen möchte.
Ich denke, daß Hannah Arendt in dem Zitat die Behauptung, die sie als 
traditionell referiert, selbst in Frage stellt. Also ist der Widerspruch 
zu Deiner Interpretation gar nicht so offensichtlich.
Was den Wissenschaftsbegriff betrifft (Wissenschaft im Matriarchat), 
sehe ich keinen so krassen Unterschied zwischen dem, was ich dazu 
geschrieben habe und dem, was Du schreibst.
Mir sind Sokrates und Heraklit auch besonders sympathisch. Selbst das 
Sprichwort vom Krieg erscheint mir da in einem anderen Licht, trotzdem 
werde ich es heutzutage nicht verwenden. Aber wenn auch alles gewordene 
vergeht, es vergeht doch nicht zu Nichts, sondern zu etwas anderem, und 
in diesem Sinne bleibt es auch irgendwie. Abgesehen davon ist auch Zeit 
nur eine Erscheinung, eine Illusion. Damit wird auch das entstehen und 
Vergehen irgendwie schwer faßbar.
S. 80: zum Adorno-Zitat und Verständlichkeit: Daß ich Gattung und 
Individuum als Gegensätze denken sollte (würde), bestreite ich glatt. 
Alles, was Du mir sonst dazu schreibst, hätte ich Dir auch schreiben 
können. Was den Sinn oder die Bedeutung von Wörtern bzw. Begriffen 
betrifft, hatten wir ja schon in einer vorherigen Mail einen Austausch, 
da habe ich darauf verwiesen, daß die buddhistische Apoha-Lehre den 
Inhalt der Dialektik vorwegnimmt. Die Zirkularität der 
Begriffsbedeutungen steht für mich also nicht in Frage.
Zur Darstellung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft hat 
Brodbeck in seinem Buch "Die Herrschaft des Geldes" ein Modell der 
sozialen Grundstruktur entwickelt, indem er die Unzulänglichkeiten der 
zwei- und dreiwertigen Logik überwindet. Das wäre sicher eine 
interessante Lektüre für Dich. Darin ergibt sich auch die 
Subjekt-Identität als ein ständiger Prozeß. Brodbeck ist allerdings kein 
Freund der Dialektik, er ist überzeugt, daß die Apoha-Lehre es besser 
macht. (Wenn ich ihn richtig verstehe.)
S. 8o f: "Hm, ach, ich weiß nicht. Ich habe immer den Eindruck: Entweder 
das ist gedanklich klar – oder es ist nahezu unmöglich, das wirklich zu 
erklären."
Ich habe mir mal überlegt, wie ich mir selbst klar machen kann, ob ich 
eine Sache wirklich verstanden habe oder das nur eine Illusion ist und 
bin auf folgende Aussage gekommen: Erst, wenn ich in der Lage bin, einem 
anderen Menschen verständlich zu erklären, was ich verstanden zu haben 
glaube, kann ich annehmen, es wirklich verstanden zu haben. Absolute 
Sicherheit gibt es natürlich auch da nicht. Es zeigt sich aber dabei, 
daß eben auch Verstehen eine soziale Fähigkeit ist.
Ohne Grenzbegriff wäre Herrschaft wohl unmöglich; aber auch die 
Erscheinungswelt - die sinnliche Realität, würde Marx sagen - ist ohne 
Grenzbegriff unmöglich.
S. 81: zu dem Gerangel zwischen Golo Mann und Adorno/Horkheimer
Ich hab den Text überflogen, weil mich vor allem interessierte, 
inwiefern Gödels Unvollständigkeitssatz darin eine Rolle spielte, habe 
den Bezug aber nicht gefunden. Für mich ist der Gödelsche Satz die 
größere Entdeckung im Vergleich mit Einsteins E=m* c2. 
Bezeichnenderweise ist er aber nahezu unbekannt in der Öffentlichkeit 
geblieben, weil er das rationalistische Vorurteil rational vernichtet. 
Dagegen ist Einsteins Entdeckung harmlos und sogar noch im 
Herrschaftsinteresse ausbeutbar.
Nun zu Adornos Joker.
All die Überlegungen, die Du, lieber Bert, dazu anstellst, kann man 
machen, und noch mehr. Wenn aber eine Aussage nahezu beliebig deutbar 
ist, ist das doch genau so gut, als wenn sie nichts aussagt. Ich nehme 
diesen Satz auch in dem Sinne, daß es ein Hilferuf und eine Provokation 
an alle Selbstvertständlichkeiten ist.
Ansonsten würde ich aber behaupten, daß, wenn die ganze Wirklichkeit als 
Totalität falsch ist, die Unterscheidung von Richtig und Falsch falsch 
ist. Denn die Wirklichkeit als Ganzes ist die einzige, die wir haben, 
sie kann nicht falsch sein. Richtig und Falsch sind polare 
Gegensatzbegriffe, sie können nur beide gelten oder gar keiner.
Man kann diese ganzen Überlegungen natürlich auch als eine Bestätigung 
des Gödelschen Satzes verstehen. Mittels reiner Rationalität, also mit 
formallogischen Schlüssen kommt man zu keinem Ergebnis. Letztlich bist 
Du, bin ich, zu einer Entscheidung aufgefordert, die nicht mehr logisch 
begründbar ist. Das betrachte ich als eine Erscheinungsform von 
menschlicher Freiheit.
Im Zitat S. 82/83 überrascht mich, daß Adorno ohne weiteres die 
Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Totalität als die des Tausches 
identifiziert. Da möchte ich nicht mitgehen, weil der Tausch selbst noch 
nicht klar genug bestimmt ist und weil der zugrundeliegende 
Eigentumsbegriff auch außerhalb des Tausches seine Bedeutung hat.
Beim Lesen des Adorno-Zitats kommt mir der Gedanke, daß Adorno mit allem 
was er schreibt - ich muß mich korrigieren: mit allem. was ich bisher 
von ihm gelesen habe - eigentlich nichts anderes sagt, als Sokrates in 
der kurzen und prägnanten Aussage: Ich weiß, daß ich nicht weiß.
Ich bin versucht, ihm das übel zu nehmen, weil ich von einem Philosophen 
gern Antworten hören möchte, die mich beruhigen. Aber klar, das ist eine 
törichte Hoffnung.
Was Du weiter schreibst, kommentiere ich mal mit der Aussage: Verstehen 
ist kein Zustand, sondern ein Prozeß. Ich glaube darauf können wir uns 
einigen.
Mir fällt gerade wieder eine kleine Geschichte ein, die ich vor langer 
Zeit in dem Buch "Gödel, Escher, Bach - ein endloses geflochtenes Band" 
von Douglar R. Hofstadter gelesen habe (wenn ich mich recht erinnere). 
Sie geht etwa so: Ein antiker Reisender kommt nach Kreta und er hat 
gehört, daß die Kreter es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen sollen. 
Deshalb fragt er den ersten besten Kreter, dem er begegnet danach. 
Dieser antwortet: Alle Kreter sind Lügner.
Diese Geschichte von Lem 'Also sprach, Golem' kenne ich leider nicht.
S. 85: "Vorstellungen können ohne Kontur sein, ..." Wenn man "Kontur" 
nur als räumliche oder zeitliche Begrenzung denkt, scheint das 
vielleicht möglich, aber jede Form von Unterscheidung ist eine Kontur, 
würde ich denken, und dann gibt es keine Vorstellung ohne Kontur.
Soweit erstmal. Ich grüße Euch alle herzlich.
Jochen



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