[Debatte-Grundeinkommen] zu den Staatsbürgersteuer-Abschnitten 3. bis 3.2
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Sa Jan 10 19:40:09 CET 2015
Hallo,
ich habe dann mal angefangen, mich beginnend bei 3. weiter durch den
Staatsbürgersteuer-Text zu arbeiten. Die U-V-W-X-Geschichte ist mir noch
immer nicht gänzlich durchsichtig geworden. Wenn ich das richtig
verstehe, wird "gespartes", also investiertes Geld als negativer Konsum
subventioniert? Also auf eine Milliarde Privatinvestition würde der
Staat noch so etwa 400 Mio. zumindest vorerst drauflegen? Jens hat ja
gerade einen ziemlich prägnanten Text zum Zinsfetisch verschickt.
Verstehe ich die U-V-W-X-Geschichte richtig, würden die leistungslosen
Zinseinkommen noch zusätzlich vom Staat subventioniert werden? Naja,
keine Ahnung, ich raff's nicht so richtig, schien mir aber die
Quintessenz zu sein.
Wichtiger aber erstmal: Ich kann mit keiner der "bloß beispielhaften",
aber dann doch sehr verbindlich vorgeschlagen erscheinenden
Diskriminierungen in 3.2 mitgehen. Erstens wären die gegenüber dem
grundsätzlichen Potential der Staatsbürgersteuer zur Flurbereinigung ja
eine neue Flurverschmutzung durch Diskriminierung. Zweitens leuchten mir
die inhaltlichen Argumentationen für diese Diskriminierungen nicht ein.
*
Für die Bevorzugung der Alten kann ich im Text gar kein Argument
erkennen.
*
Die Diskriminierung von Erwerbsfähigen, aber nicht Erwerbstätigen
läuft auf einen abgefederten Arbeitszwang und einen Bestandsschutz
des Minijob-Markts hinaus. Bin ich grundsätzlich gegen. Zudem bedarf
gerade diese Gruppe ein Existenzminimum. Leute mit Einkünften
könnten viel eher auf das Bürgergeld verzichten als Leute ohne
Einkünfte. Soweit ich sehe, würde die Diskriminierung beispielsweise
auch Alleinerziehende im arbeitsfähigen Alter treffen. Geht’s nocht?
Zudem geht's da dann doch wieder à la Hartz4 um Nachweispflichten
(Attest, Ausbildungsbescheinigung, Bewerbungsschreiben). Das, was du
im zweiten Abschnitt gut kritisierst, führst du dann im dritten
Abschnitt einfach locker wieder ein? Das Schwarzmarkt-Argument
überzeugt mich in dem Zusammenhang gar nicht. Im Gegenteil:
Vorgeschlagen wird eine Subvention für alle Tätigkeiten, die heute
dazu tendieren, im Schwarzmarkt ausgeübt zu werden. Auch wenn ich
keinen Gegenvorschlag habe, scheint mir das keine sinnige Lösung.
Der Staat soll sich bei den Schwarzmarkt-Akteuren vom Schwarzmarkt
loskaufen?
*
Die Diskriminierung von Kindern ist mir auch nicht geheuer. Ich
bleibe dabei, dass Kinder wegen Wachstum, Bildung und Ungestümheit
eher mehr als weniger Existenz denn Erwachsene benötigen. Gibt’s da
irgendein Gegenargument? Die Düsseldorfer Tabelle und die
Hartz4-Sätze für Kinder. Mich würde interessieren, ob es innerhalb
des Verteilers profunde Kritiken an der Düsseldorfer Tabelle gibt.
Ich habe keine Kinder, bin da insofern vielleicht auf dem Holzweg.
Aber: In welcher Hinsicht brauchen Kinder weniger (monetär
ausgedrückte) Existenz als Erwachsene? Mir ist das einfach schleierhaft.
*
Die Diskriminierung von Immigranten (20 Jahre ab Einwanderung!)
halte ich für rassistischen Unfug, ein unnötiges Pulverfass.
Nun, lieber Bernd, du betonst im Text, dass das ja alles nur Beispiele,
Vorschläge, Illustrationen sind. Entscheidend ist, wie sich die
Staatsbürgersteuer politisch tatsächlich durchsetzen ließe. Dennoch
machst du diese Beispiele, Vorschläge, Illustrationen ja nicht
willkürlich, oder?
Ich erinnere erstmal grundsätzlich an ein Essential dieses Netzwerks:
Bedingungslosigkeit. Kannst du dich von den Bedingungen nicht lösen,
hast du hier eigentlich nichts zu suchen. Andererseits bist du hier ja
nicht der einzige, der Bedingungen ins Grundeinkommen implementieren
möchte. Ist also vielleicht auch egal, enttäuscht mich gerade nur maßlos
an der Staatsbürgersteuer. Nach dem zweiten Abschnitt hatte ich wirklich
gedacht, dass man damit vielleicht etwas anfangen kann. Als
mathematisches Modell stimmt das vielleicht auch ...
... aber mir ist beispielsweise auch erst in diesem Abschnitt 3.2. klar
geworden, dass du überhaupt keine Konsumbesteuerung vorschlägst, sondern
wie am Anfang von 3.3. gesagt eine Einkommensbesteuerung, die nur
indirekt auf den Konsum schließt: "Konsumaufwand kann praktikabel nicht
direkt ermittelt werden, sondern nur indirekt aus: Konsum = Einkommen -
Ersparnis der Periode."
Warum soll das so sein? Wegen der Schwarzmarkt-Möglichkeiten von Konsum?
Dem die Schwarzmarkt-Möglichkeiten beim Einkommen gegenüber stehen? Oder
einfach, weil die bisherigen Systeme immer auf Einkommen abzielen? Oder
warum? Ist mir unklar.
Aus meiner Enttäuschung heraus bin ich gerade ein bisschen ermüdet, mir
das näher zu vergegenwärtigen. Ich finde auch insgesamt, dass die
Nachvollziehbarkeit des Textes ab 3. stark nachlässt. Den zweiten
Abschnitt finde ich ziemlich brauchbar als Kritik am bestehenden System.
Aber die eigene konstruktive Leistung ist mir dann bislang einfach noch
zu rätselhaft. Ziehe ich mir das jetzt komplett rein, um ein Feeling
dafür zu bekommen? Hm, vielleicht. Besser aber fände ich, wenn du hier
mal ein bisschen im lockeren Ton Stellung dazu beziehen würdest.
Wie stellst du dir beispielsweise die Bewertung bestehenden Vermögens
bei der Einführung der Staatsbürgersteuer vor? Zählt die zum
Lebenseinkommen dazu oder nicht? Sprich: Bleiben die aus dem
existierenden System mitgenommenen Vermögens-Asymmetrien gänzlich
unbesteuert oder fällt da wenigstens am Lebensende die Steuer an?
Derzeit scheint mir meine bGE-0.1-Idee steuerlich simpler und inhaltlich
besser zu sein, außerdem eine tatsächliche Konsumsteuer. Aber gut, dazu
äußert sich ja auch niemand positiv. Bleibt von daher eh nur meine
Schnapsidee. Die Lebenseinkommensbesteuerung ist eine ganz interessante
Idee, ok. Den Marginalsteuer-Ansatz finde ich ebenfalls als Idee
brauchbar, auch wenn ich gerade nicht so recht weiß, wofür ... ergibt
sich vielleicht noch. Die 40 % bzw. 750 Euro sind mir ohnehin definitiv
zu niedrig. Wie weit würdest du denn persönlich da mit nach oben gehen?
Die Überlegungen zum Mietmarkt in Großstädten in 3.2. fand ich auch
ziemlich gleichgültig verhandelt. Gentrifizierung rules, scheint die
message. Ich fände eine sinnige Konsequenz, einfach die
Durchschnittsmiete der teuersten überhaupt am Markt vorfindlichen Region
für alle zum Standardmieten-Aufschlag zu erklären und auf das sonstige
Existenzminimum für jeden draufzuschlagen - also dementsprechend den
Marginalsteuersatz festzulegen. Alle könnten dann überall wohnen,
müssten es aber nicht. Das würde den Mietmarkt insgesamt wahrscheinlich
ziemlich bald durch Aktivitäten des Staats oder der Marktteilnehmer
tendenziell nivellieren und ansonsten weniger attraktive Regionen mit
niedrigeren Mieten zumindest mit mehr sonstiger Konsumkraft versorgen,
also mittelfristig attraktiver machen.
Naja, wäre nett, wenn du denn da deine Sache irgendwie mal so stark
machen könntest, dass bei mir doch wieder die Lust zurückkommt, mich da
weiter durchzukämpfen, lieber Bernd.
Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich mittlerweile den Verdacht, dass aber
auch alle Konsumsteuermodell-Vorstellungen letztlich von
mittelständischen Unternehmerinteressen geleitet werden - oder noch
schlimmer gleich völligen neoliberalen Raubzug darstellen. Erscheint mir
auch bei dir so zu sein, lieber Bernd, auch wenn ich das noch nicht klar
belegen kann. Demokratietheoretisch halte ich diese Interessen weiterhin
für Minderheiteninteressen, also prima vista für irrelevant. Was
politisch nötig ist, siehe Gini-Koeffizienten-Entwicklung, ist eine
Umverteilung von oben nach unten in beträchtlichem Maße. Wenn Politik
das nicht kann, taugt sie einfach nichts. Dafür wird sie mittelfristig
den Denkzettel bekommen. Leider aber im Zweifelsfall nicht nur sie,
sondern alle.
Liebe Grüße,
Bert
-------------- nächster Teil --------------
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