[Debatte-Grundeinkommen] an Willi über Ökonomie usw.

Jochen Tittel jochentittel at web.de
So Sep 14 13:02:58 CEST 2014


Lieber Willi,
was die Ökonomie als Wissenschaft angeht, sind wir uns wohl einig 
(übrigens auch Brodbeck). Dennoch können wir diese Literatur nicht 
einfach ignorieren, denn diese Theorien dienen als Werkzeuge der 
Organisation der Wirtschaft und haben also sehr praktische Auswirkungen.
Da wir ständig Mißverständnisse erzeugen, wenn wir "Ökonomie" sagen, 
aber nicht das meinen, was in der bürgerlichen Öffentlichkeit damit 
gemeint ist, wird es unumgänglich, ein anderes Wort dafür zu finden, 
oder unsere "Ökonomie" mit einem Adjektiv zu versehen. Ich sympathisiere 
mit dem Wort "Wirtschaft", aber das wird ebenso unterschiedlich verwendet.
Da Produktion und Distribution (also Herstellung und Verteilung) nicht 
getrennt voneinander gedacht werden können - es kann nur verteilt 
werden, was vorher produziert wurde, und es sollte nur produziert 
werden, was dann auch wirklich verteilt wird - plädiere deshalb dafür, 
den Begriff Ökonomie oder Wirtschaftswissenschaft so wie bisher für 
beide Bereiche zu verwenden.
In kleinen lokalen Einheiten kann das sicher alles ohne Geld und Markt 
organisiert werden, aber schon auf regionaler Ebene wird das schwierig, 
denke ich. Deshalb halte ich es für notwendig, solange keine wirklich 
funktionierende Alternative gefunden ist, weiterhin Geld und Markt zu 
benutzen; allerdings mit den wichtigen Korrekturen am Geld und am 
Eigentumsrecht (speziell Bodenrecht), wie sie Gesell vorgeschlagen hat; 
und noch anderen Randbedingungen.
Willi, Deine Gegenüberstellung von kapitalistischer und kommunistischer 
Ökonomie finde ich o.k., aber in der Verwirklichung der kommunistischen 
Ideale (die ich in ihrer ursprünglichen Form auch immer noch vertrete) 
hat es bisher halt nur Pleiten gegeben. Da muß man doch schauen, woran 
das gelegen hat; da reicht es nicht, die alten Ideale immer zu 
wiederholen. Aber damit Du mich jetzt nicht falsch verstehst, ich sehe 
da durchaus Fortschritte, gerade auch in den Befreiungsbewegungen in 
Südamerika.
Ob Du unser Verhältnis zur Natur (und zu unseren Mitmenschen) als 
Verbundenheit oder als Abhängigkeit bezeichnest, ist der Sache nach 
gleichgültig. Abhängigkeit hat eine negative Konnotation, und wenn wir 
unsere Beziehungen von negativen Aspekten frei machen, brauchen wir 
"Abhängigkeit" dafür nicht mehr verwenden. Trotzdem wird dann daraus 
keine Unabhängigkeit.
Die Möglichkeit, sich von einer Assoziation fernzuhalten, die ich auch 
für eine Bedingung für die Freiheit einer Assoziation halte, ist nach 
meinem Verständnis eine Isolation (mindesten partiell und temporär). 
Aber ich glaube, im Grunde sind wir uns einig und müssen über die 
Wortwahl nicht weiter streiten. Wichtiger scheint mir zu sein, wo wir 
die Grenzen für diese autonomen Einheiten sehen und da denke ich, daß 
wir das einmal nur für die jeweilige Einheit mitbestimmen können, der 
wir selbst angehören. Andere Assoziationen werden andere Grenzen setzen 
und höchstwahrscheinlich wird es auch regionale und überregionale 
Kooperationen geben, bis hin zu globalen. Und dafür braucht es 
irgendeine Form von Vermittlung, die bis jetzt noch nicht existiert, 
soweit ich das sehen kann. Was Du vom Wissen als Welterbe und dem 
Inter-Net schreibst, kommt ja etwa auf das selbe hinaus. Du traust der 
Notwendigkeit der internationalen Arbeitsteilung nicht, ich auch nicht. 
Denn so wie es da oft formuliert wird, ist es Ausdruck der 
Herrschaftsideologie, die ihre unlauteren Motive hinter "Sachzwängen" 
verbirgt. Aber das bedeutet doch nicht, daß internationale 
Arbeitsteilung auf der Basis freier Vereinbarungen nicht trotzdem sehr 
sinnvoll und nützlich sein kann.
Wenn Du bei der Staats-Diskussion schreibst: " Staat ist immer ein 
Herrschaftsinstrument", dann erscheint mir das gerade wie eine 
Denksperre, von der Du Dich doch verabschieden möchtest. Wenn es auch in 
der bisherigen Geschichte vielleicht nur Herrschaftsstaaten gegeben hat, 
so hindert uns doch nichts, einen Staat zu schaffen, der eben keine 
Herrschaftsfunktion ausübt; wie ich schon sagte, können wir so eine 
Institution natürlich auch anders nennen. Aber Institutionen sind für 
eine globale Koordination menschlichen Gesellschaftslebens sehr 
empfehlenswert, meine ich.
Da Du auf meine Argumente bezüglich Staat und Steuern offensichtlich 
nicht eingehen willst, bringt es nichts, hier darüber weiter zu reden.
In unserer Diskussion über den Wertbegriff habe ich den Eindruck, Du 
konstruierst Gegensätze, die absurd sind. Die Beispiele, die Du gegen 
meine Äußerung anbringst, entspringen taktischen Überlegungen im 
Konkurrenzbetrieb, sie widerlegen doch nicht meine Aussage. Und mit 
Deinen Bemerkungen zur Wertschätzung von Tätigkeiten wiederholst Du nur, 
was ich in meiner vorherigen Mail auch schon geschrieben hatte. Ob man 
eine Tätigkeit als Arbeit oder als Spaß betrachtet ist eben oft völlig 
willkürlich; letztlich bestimmen das heute die Verwertungsinteressen. 
Was Du zu den Universitäten sagst, sehe ich ganz ähnlich: für mich ist 
das ganze Bildungs- und Erziehungswesen ins Herrschaftsgesellschaften 
eine Untertanenfabrik. Trotzdem würde ich nicht behaupten, daß 
Universitäten usw. nicht auch anders gestaltet werden könnten und dann 
sehr gute Dienste leisten könnten. Aus Deiner Art der Argumentation höre 
ich immer heraus, daß Du das alles, was Dir nicht in den Kram passt, am 
liebsten verbieten würdest. Das sagst Du zwar nicht und wenn ich mich da 
irren sollte, muß ich mich entschuldigen, aber dieser Eindruck drängt 
sich mir auf.
Um "die Vielfalt der produktiven Fähigkeiten mit der Vielfalt der 
Bedürfnisse der Menschen zu vermitteln", brauchen wir ein Instrument 
oder Werkzeug,welches diese Vermittlung leistet; es läuft nicht einfach 
von allein. In den letzten Jahrhunderten ist das mit der Fiktion von 
Geld und Wert geschehen. Sicher können wir andere Vermittlungen 
entwickeln, dafür braucht es aber wohl noch einiges an Aufklärung über 
unser alltägliches Treiben.
Kann sein, daß ich nicht verstehe, " wie die wirklich grossen 
Entwicklungen der Menschheit entstanden sind", wie Du meinst. Deine 
Bemerkung erweckt den Eindruck, daß Du sie verstanden hast. Da wäre 
jetzt die Gelegenheit, das mir und vielleicht der übrigen neugierigen 
Leserschaft zu erklären.
In dem, was Du bisher geschrieben hast, finde ich eine solche Erklärung 
noch nicht. Wenn Du etwa schreibst: "Wenn wir tauschen, suchen wir ein 
Aequivalenzkriterium.", dann sitzt Du nur dem verbreiteten 
Mißverständnis auf, daß es im Tauschverhältnis eine Äquivalenz gäbe, 
dieser falsche Eindruck entsteht aber erst mit der Geldverwendung. Ein 
wirklicher Tausch enthält keine Äquivalenz. Das ist eine der wichtigen 
Erkenntnisse, die man aus Brodbecks Buch entnehmen kann.
Bezüglich Deiner letzten Frage können wir uns sicher wieder leichter 
verständigen: " was ist zu tun, dass alle Menschen in allen Regionen 
unseres Planeten in der Lage sind, das herzustellen, was sie brauchen 
oder meinen, zu brauchen"
Das Haupthindernis liegt wohl in unseren gängigen Vorstellungen vom 
Eigentumsbegriff. Da mit diesem Begriff ein Verhältnis der Menschen 
untereinander bestimmt wird, kann das auch nicht mit Abschaffung 
erledigt werden, wohl aber durch eine klug vereinbarte Umgestaltung.
Soweit mit herzlichem Gruß aus Niederbobritzsch, Deutschland
Jochen



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