[Debatte-Grundeinkommen] Antwort auf Willis letzte Mail zur Ökonomie-Diskussion

willi uebelherr wube at gmx.net
Fr Sep 12 08:41:54 CEST 2014


Lieber Jochen,

ich war jetzt etwas unschluessig, ob ich auf deinen Text oder dem von 
Bert antworten sollte. Dies deshalb, weil ihr in vielen Betrachtungen 
sehr aehnlich agiert. Aber deine Antwort thematisiert vieles, was mir 
sehr wichtig ist.

Oekonomie

Was wir heute unter Oekonomie verstehen, ist mehr Religion denn klare 
Betrachtung und Analyse. Die "oesterreichische Schule" mit ihrem Anhang, 
die "Chicago Boys", haben mit Oekonomie nichts zu tun. Auch wenn sie 
sich Oekonomen nennen.

Es ist auch nicht relevant, was die "Schulwissenschaft" unter Oekonomie 
versteht. Entscheidend sind hier ausschliesslich unsere eigenen 
Kriterien. Und dies auch dann, wenn sie vollstaendig vom "Normativen" 
abweichen.

Wenn wir Oekonomie als Spaere zur Herstellung unserer materiellen 
Reproduktionsbedingungen begreifen, kommen wir der Sache schon 
wesentlich naeher. Der "Markt" ist kein notwendiges Element der 
Oekonomie. Er ist in seiner heutigen "propagandistischen" 
Begrifflichkeit ausschliesslich notwendiges Element der kapitalistischen 
Distributionssphaere.

Gegen das primitive Modell der egoistischen, kapitalistischen Oekonomie
a) das Kapital, die Eliten
b) die Arbeit, die Sklaven
(in diesem Modell wird der Staat und das Geldsystem zum notwendigen 
Bestandteil).

stelle ich das gemeinschaftliche, kommunistische Modell der Oekonomie:
a) die Natur als Grundlage
b) unsere Taetigkeiten, unsere Zeit
c) unsere Relationen, die Kooperation

Im diesem Modell existiert das Geld nicht. Auch nicht der "Markt" als 
fiktives Orientierungsobjekt. Ich glaube nicht, dass es sich hier lohnt, 
ueber die illusionaere Vorstellung von "Markt" Gedanken zu machen und 
sie mit den realen Ablaeufen zu konfrontieren.

Fuer mich geht es hier mehr um die Unterstuetzung unserer unabhaengigen, 
souveraenen Selbstbestimmung. Weil die Mechanismen der Dogmatik und 
Propaganda nur ueber die Anknuepfungspunkte in unserem eigenen Denken 
Wirkung entfalten koennen.

oekonomische Unabhaengigkeit

Du benennst es richtig. Wis sind Teil der Natur, unsere Existenz basiert 
auf der Gesamtheit der Natur. Von daher ist es nur konsequent, dass wir 
als Ziel eine Lebensweise in Harmonie mit der Natur anstreben. Siehe 
Tiefenecologie (Arno Naess und Theodore Roszak). Aber ist dies eine 
Abhaengigkeit? Oder ist das vielmehr unser Wesen?

Gut, wenn es fuer dich eine Abhaengigkeit ist, dann ist dein Einwand 
berechtigt. Dann wird es notwendig, den Begriff der "oekonomischen 
Unabhaengigkeit" auf die Abhaengigkeit von fiktiv konstruierten 
Verhaeltnissen, die nicht Teil unserer Realitaet sind, sondern nur 
Muster unseres Denkens, einzugrenzen. Fuer mich ist es das gleiche.

Unabhaengigkeit, Autonomie und Isolation

Hier konstruierst du eine direkte Verbindung, die nicht existiert. 
Erinnere dich an den Satz: "die freie Assoziation freier Mitglieder". 
Wir koennen frei unsere Beziehungen und auch deren Existenz bestimmen. 
Das setzt aber Handlungsraeume voraus. Also auch die Moeglichkeit, sich 
von der Assoziation fern zu halten.

Und hat dies nun etwas mit Isolation zu tun?

Eine Bedingung fuer oekonomische Unabhaengigkeit, in meinem Sinne, ist 
die Faehigkeit, all das selbst herzustellen, was wir brauchen oder 
meinen, zu brauchen.

In diesem Zusammenhang kommen wir notwendig zu einem wichtigen Prinzip: 
"Wissen ist immer Welterbe". Damit entfallen alle egoistischen, privaten 
oder institutionellen Ansprueche auf Privateigentum an Wissen. Und damit 
werden alle Patent- und Lizenzkonstruktionen hinfaellig.

Und aus den gegebenen Moeglichkeiten sehen wir sofort unserer 
wichtigstes Instrument hierfuer: das globale Kommunikationssystem, das 
Inter-Net, die "Inter-connection of local Net-works". Es existiert zwar 
nicht, aber wir koennen es herstellen. Natuerlich nur dann, wenn wir uns 
frei machen von all der Dogmatik, die unser heutiges Denken so massiv 
eingrenzt.

Wir hatten hier schon mehrmals Ansaetze einer Diskussion um lokale 
Faehigkeiten. Ich vermute, dass diese Negation primaer von Menschen 
geaeussert wird, die nie in den praktischen Sphaeren zur Herstellung 
dieser Systeme taetig waren. Von daher sind sie leichtes Futter fuer die 
herrschende Propaganda, dass "internationale Arbeitsteilung" notwendig sei.

Wir haben hier ein ganz anderes Prinzip: "global denken, lokal handeln". 
Das macht es uns viel einfacher.

Staat

Die Transformation eines Staates in einen "Partnerstaat" oder aehnliches 
ist eine Illusion. Sie negiert den historischen Generierungsprozess und 
versucht nur, dem Druck auszuweichen. Aber wenn wir ueber unsere Zukunft 
diskutieren wollen, dann muessen wir uns von allen Dogmatiken 
(Religionen) und Tabu's (Denksperren) verabschieden.

Staat ist immer ein Herrschaftsinstrument. Die Demokratie ist mit Staat 
nicht vereinbar. Staat ist immer repraesentativ.

Steuern sind immer Raub. Und die Vorstellung der Notwendigkeit von 
Steuern ist Unsinn, weil die tragende Basis fuer unsere Lebensweise 
immer die kreativen und produktiven Taetigkeiten der Menschen selbst 
sind. Das ganze wird nur notwendig, wenn ein parasitaerer Apparat 
unterhalten werden muss, der der Gesellschaft aufgepropft wird. Ob sie 
will oder nicht.

Ich sehe keinen einzigen Bereich in unseren Gesellschaften, wo ein Staat 
bzw. staatliche Organisationen und Instanzen notwendig ist. Klar, in 
meinem Sinne. Einrichtungen zur Gesundung, zur Wissenserarbeitung, zum 
materiellen und immateriellen Transport, zur Versorgung mit Wasser und 
Energie und aehnliches sind voellig unabhaengig von einem fiktiven 
Staatskonstrukt organisierbar. Und wir sollten immer klar darueber sein, 
dass der Staat real nicht existiert. Es ist nur eine Vorstellung. 
Dogmatik eben.

Wert

" Kein Kapitalist bezahlt einen Arbeiter dafür, daß er Zeit in seinem 
Unternehmen verbringt, sondern er erwartet dafür eine zielgerichtete 
Tätigkeit mit einem vorgeschriebenen Ergebnis."

Hier liegst du voellig falsch. Es gibt viele Beispiele, die genau diese 
deine Aussage widerlegen. Sei es aus strategischen Gesichtspunkten, in 
Phasen von Unterbelastung, sei es aus konkreten taktischen 
Ueberlegungen, um ein Wirkungsmoment zu erzielen. Die Betriebe sind oft 
voll von Menschen, die voellig "Ziel ungerichtet" taetig sind.

Gibt es ein rationales Argument, dass bestimmte Vorbereitungen fuer 
bestiimte Taetigkeiten eine besondere Erhoehung der Wertschaetzung 
legitimieren? Es wird immer Menschen geben, die gerne sich dem Studiom 
widmen, weil es eine wesentliche Eigenschaft der menschlichen Spezie 
befriedigt: die Neugier, der Wunsch nach Erkenntnis. Das, was du 
beschreibst, vollzieht sich nach ganz anderen Regeln: der Mangel. Die 
kuenstliche Verknappung, um dann spekulative "Werterhoehung" generieren 
zu koennen.

Um zu studieren, sind Universitaeten und abgetrennte Bereiche der 
Wissenserabeitung sowieso voellig ungeeignet. An den Universitaeten wird 
nicht studiert, sondern konsumiert. Und das ist etwas ganz anderes.

Wissenserarbeitung ist nur als auto-didaktischer Prozess moeglich und 
umso besser organisierbar, wenn er als Teil unserer Taetigkeiten 
stattfindet. Von daher sind schon aus grundsaetzlicher Betrachtung 
Hochschulen und Universitaeten schwachsinnige Konstruktionen. Nicht 
allerdings dafuer, wofuer sie wirklich gebraucht werden: als 
Indoktrinationsanstalten. Selbst als "industrielle 
Wissensabfuellanlagen" sind sie unbrauchbar, weil wir Wissen nicht 
abfuellen koennen. Es bleibt also nur die Funktion der Herausbildung von 
Sklaven, von willigen Objekten. Souveraene, autonome Subjekte koennen da 
nicht entstehen und sind auch nicht gewollt.

Glaubst du im Ernst, dass wir Fiktionen benoetigen, um "die Vielfalt der 
produktiven Fähigkeiten mit der Vielfalt der Bedürfnisse der Menschen zu 
vermitteln"? Dann verstehst du nicht, wie die wirklich grossen 
Entwicklungen der Menschheit entstanden sind. der Sprache, der 
Begrifflichkeiten, der Logik.

Und die Vielfalt in Produktion und Austausch? Schau dir die Geschichte 
in Asien, Afrika und Lateinamerika an. Auch in Europa vor 2000 Jahren.

Aus den Beduerfnissen entsteht der Drang zur produktiven Taetigkeit. 
Immer. Das ist kein besonderes Merkmal einer bestimmten Zeitphase. Die 
besonderen Merkmale sind die Verhaeltnisse, unter denen diese 
prinzipiellen Wirkungen blockiert oder entfaltet werden.

Wenn wir tauschen, suchen wir ein Aequivalenzkriterium. Im Supermarkt 
genauso wie auf dem Flohmarkt. Heute orientieren sich die Menschen 
primaer an monetaeren Groessen. Sie sind darauf konditioniert. Es ist 
keine Ding-immanente Groesse.

Betrachten wir den Prozess der "Produktion". Was tun wir? Wir formen 
Elemente der Natur um. Wir produzieren nichts. Im organischen Bereich 
machen es die Pflanzen, die Pilze und die Tiere. Auch unser Koerper 
macht es. Insbesonder der Koerper der Frau.

Alles dingliche ist also Natur und unsere Umformungszeit. Alles 
nicht-dingliche ist nur unsere Zeit. Allerdings plus Natur, um unseren 
Koerper mit Energie und Baumaterial zu verorgen. Wenn wir den gezielten 
Mangel ueberwinden, entfaellt auch die spekulative "Werterhoehung".

Jetzt frage ich mich, wofuer wir eine "Fiktion" von Wert brauchen, wenn 
Menschen miteinander in Austausch treten? Worueber wir uns allerdings 
Gedanken machen sollten, ist, was ist zu tun, dass alle Menschen in 
allen Regionen unseres Planeten in der Lage sind, das herzustellen, was 
sie brauchen oder meinen, zu brauchen. Und dies in Harmonie mit ihren 
tatsaechlichen Existenzgrundlagen, der Vielfalt der Natur.

Wir sehen, dass hier ganz andere Fragestellungen entstehen, die nur 
wenig mit Finanzierungsmodellen eines bGE zu tun haben. Aber sehr viel 
mit dem ethischen Inhalt des bGE: die bedingungslose Existenzsicherung 
aller Menschen.

mit lieben gruessen, willi
Esperanza, Ibarra, Ecuador




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen