[Debatte-Grundeinkommen] Zu Verena Neddens Beitrag "Bewusstseinsfrage" und Bitte um Hilfe für ein Buchprojekt

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Di Sep 9 19:29:35 CEST 2014


Liebe Verena, liebe Mitlesende,

ich hoffe, es ich ok für dich, wenn ich dich duze. Ich mach' das mal 
einfach feist.

Ich habe bereits vor gut zwei Wochen angefangen, mich mit deiner Website 
und deinem Beitrag auseinanderzusetzen. Daraus ist im ersten 
Arbeitsschritt ein 40-Seiten-Textdokument plus 27 Graphik-Dateien mit 
Tabellen und Diagrammen geworden und in einem zweiten Schritt das 
Projekt für ein Büchlein mit derzeit 50 Seiten teils aus dem ersten 
Dokument kopiertem, größerenteils aber neuem Text und weiteren 23 
Dateien mit Tabellen und Diagrammen. Ich habe schon seit einer Woche 
vor, dir und dem Mail-Verteiler zumindest mal bruchstückhaft darüber 
Rechenschaft abzulegen. Jochens Mail animiert mich nun, das auch 
tatsächlich mal zu tun.

Abgesehen von im Endeffekt vermutlich sehr ausgedehnten Betrachtungen zu 
ökonomischen, juristischen, philosophischen, marxistischen und 
theologisch-spirituellen Fragestellungen im Kontext der bGE-Debatten hat 
sich mir die Kernidee durch die Auseinandersetzung insbesondere mit 
deinem youtube-Beitrag (vgl. http://youtu.be/Wx5_oieNajE ) aufgedrängt, 
den ich allerdings noch immer bloß zu etwas mehr als der Hälfte 
angeschaut habe, obgleich ihn eigentlich detailliert kommentieren 
wollte. Für diesen Anstoß möchte ich mich erstmal bei dir bedanken. :o)

Auch wenn ich noch immer etwas skeptisch bin, vertraue ich dir als 
Fachfrau mal dahingehend, dass die Steuer- und 
Sozialversicherungsbelastung oberhalb des Grundfreibetrags quasi für 
alle steuerpflichtigen Personenkreise bei um die 50 % liegt. Als ich 
Anfang des Jahres aus meinem eigenen und neuen Hartz4-Status heraus die 
Einkommens-Verrechnungsregeln nach SGB II § 11 b, Abs. 3 halbwegs 
begriffen hatte, war mir klar, dass ein Wiedereinstieg in prekäre 
Beschäftigung aus monetären Gesichtspunkten null Sinn macht. Mein 
persönlicher Ärger darüber hat sich durch die Beschäftigung mit deinen 
Ausführungen nun zu einem politischen Ärger sublimiert, der es mir 
sozusagen möglich macht, vergleichsweise ziemlich alte offene Rechnungen 
wieder in Angriff zu nehmen. Machst du schon kursorisch klar, dass unter 
Einbeziehung der Sozialversicherungen von einer progressiven 
Einkommensbelastung nicht die Rede sein kann, sondern in Bezug auf 
Lohnabhängige eher von einer degressiven Belastung sowohl im Übergang 
von prekärem zu normalem als auch im Übergang von normalem zu 
Spitzensegment, so scheint mir das aus agitations-taktischen Gründen für 
ein bGE einer präzisen Betrachtung wert. Im ersten, etwas vage 
konzipierten und auf deinen Zahlen fußenden Arbeitsschritt war das 
Ergebnis etwa Folgendes: Betrachtet man Hartz4 als existenzsicherndes 
Grundeinkommen, das zwar nicht bedingungslos ist, aber der allgemeinste, 
weil auf die erwerbsfähige Bevölkerung ausgelegte Repräsentant des 
sozialstaatlichen Netzes, in das so oder so mehr oder weniger alle im 
Fall von Hilfebedürftigkeit fallen, dann kann man sich auf den 
Standpunkt stellen, dass wir quasi alle Harzt4ler sind, nur nicht mit 
gleichem quantitativen Anspruch. Damit ergibt sich eine überaus simple 
Vergleichbarkeit zu einem bGE einerseits. Andererseits macht es dann 
Sinn, die alten offenen Rechnungen, nämlich die politischen 
Mainstream-Debatten um Lohnabstandsgebot und Progression, aus einer 
allgemeineren Perspektive wieder aufzuwickeln. Meine Arbeitsfrage lautet 
daher: In welchem mehr oder weniger allgemeinen Verhältnis steht der 
ökonomische Anreizsetzer Bruttolohn (plus Arbeitgeberanteil an 
Sozialversicherungen) zum tatsächlich verfügbaren Einkommen nach der 
Verzerrung durch Staatsaktivitäten, als da wären: Hartz4, 
Sozialversicherungen und Steuern. Ich hebe also die Frage der 
Steuerprogression auf die allgemeinere Ebene der relevanten 
Staatsaktivitäten insgesamt. Dabei hat sich im ersten, noch recht vage 
konzipierten Anlauf herausgeschält: Diejenigen, die bei um die 2.000 
Euro brutto im Monat liegen, sind gemessen an ihrer durch dieses 
Einkommen bestimmten Leistungsfähigkeit deutlich die stärksten Schultern 
des Gemeinwesens. Ein gerechtigkeitstheoretischer Skandal. 
Anreiztheoretisch ist das gleichbedeutend mit der Feststellung: Jedes 
Einkommen bis um die 2.000 Euro arbeitet im Zweifelsfall mehr für den 
Staat als für sich selbst. Und zwar wegen der Hartz4-Verrechnung sogar 
umso mehr für den Staat, je näher es den ungefähr 2.000 Euro kommt. Ein 
anreiztheoretischer Skandal. An den im Mainstream m. W. nahezu 
ausschließlich von neoliberalen Agenten thematisierten 
Lohnabstandsgebot-Debatten der 90er Jahre hat mich damals schon 
irrwitzig genervt, dass immer nur die Sozialhilfe zur Disposition stand, 
nie aber der Niedriglohnsektor. 20 Jahre später ist es m. E. ernsthaft 
Zeit, diese Debatte nochmal von unten aufzurollen. Das will ich auf 
einer zwar allgemeinen, aber doch möglichst viele Einzelfälle 
einfangenden und präzisen, mathematisch wie juristisch wasserdichten 
Weise einerseits durchdeklinieren. Andererseits will ich mich um 
didaktische Zugänglichkeit bemühen, damit es die bildungsfernen unteren 
Einkommensschichten leichter begreifen. Im Effekt bin ich der Meinung, 
dass man über diesen Weg mindestens für alle, die höchstens zwei- oder 
dreitausend Euro Bruttolohn (oder andere Einkünfte) als Einzelperson 
einfahren, ein objektives Interesse an einem bGE nachweisen kann. Ob das 
dann auch zu einem subjektiven wird, bleibt freilich immer die Frage. 
Grundsätzlich hätte man damit aber aufs Parlament bezogen wohl eine 
Zwei-Drittelmehrheit in der Tasche und könnte sogar im GG die Weichen 
für ein bGE stellen. Gut, das war jetzt eine Höhenflug-Aussage, aber dem 
objektiven Gehalt nach nicht völlig falsch.

Im Moment bin ich noch dabei, die allgemeine Konstruktion erstmal aus 
der Hartz4-Rechtslage in die Nettoebene hinein zu entfalten. Dabei habe 
ich die letzten Tage z. B. begreifen müssen, dass ich noch eine viel zu 
rosige Auslegung von SGB II § 11b, Abs. 3 hatte. Wer sich mit dem Lösen 
meiner Verwirrungen diesbezüglich befassen möchte, könnte mal hier 
reinschauen: http://hartz.info/index.php?topic=82838.0

Grundsätzlich haben sich bei mir schon mal folgende Detailfragen 
aufgehäuft. Da ich vermute, dass es im Verteiler Personen gibt, die mir 
dabei aus dem Handgelenk heraus umständliche Recherchearbeit abnehmen 
können, will ich sie mal formulieren und um Hilfe bitten:

1. Gibt's so etwas vielleicht schon? Ich habe irgendwie eh ein ziemlich 
gespaltenes Verhältnis zu Bibliotheken und seit Ende meines Studiums nur 
noch höchstselten mal eine betreten. Und Literaturrecherche fand ich 
schon immer zum Kotzen. Ich würde vermuten: Wenn es so etwas auf 
wirklich gutem methodischen und didaktischen Niveau gäbe, dann wäre das 
im Netz so verbreitet, das es mir begegnet wäre. Das ist aber keineswegs 
sicher und angesichts der Fülle heutiger Publizistik letztlich ziemlich 
spekulativ.

2. Worauf exakt basieren die Zahlen deiner Folien, liebe Verena? Anders 
formuliert: Ich werde zum Übergang von der Netto- zur Brutto- und dann 
zur Brutto&Lohnnebenkosten-Ebene definitiv einerseits die juristischen 
Grundlagen der verschiedenen Steuer- und Sozialversicherungssätze 
benötigen, andererseits auch möglichst soziologisch-empirisches Material 
zu der realen Einkommensverteilung zumindest in Deutschland. Klar, das 
finde ich sicherlich auch selbst halbwegs flink, aber jemand von euch 
ist vermutlich dennoch wesentlich flinker.

3. Schwieriger als das Auffinden der allgemeinen Steuer- und 
Sozialversicherungssätze dürfte das Einfangen der unzähligen Einzelfälle 
in die allgemeine Betrachtung ausfallen. Dieser ganze Rotz von 
Werbekostenpauschalen und weiß der Geier was, fand ich noch nie im Ernst 
wirklich durchsichtig. Für meine Aufgabenstellung muss ich mir das wohl 
oder übel durchsichtig machen. Hilfe in der Beziehung wäre daher extrem 
erwünscht.

Letzteres hat übrigens einen agitatorischen Nebeneffekt: Zur 
Konstruktion einer zumindest halbwegs allgemeinen Betrachtung wird die 
Diskussion der unzähligen Sonderfälle quasi nebenbei klar machen, dass 
das heutige System im Zweifelsfall nicht einmal von Experten verstanden 
wird, während ein bGE, insbesondere wenn es dann noch mit einem 
schlichten Konsumsteuermodell kombiniert wird, jedem noch so 
kopfdödeligem Teil des formellen Souveräns durchsichtig machen kann, wie 
das Gemeinwesen eigentlich zumindest seiner allgemeinen monetären 
Gestalt nach funktioniert. Das ist mir aus der Hartz4-Perspektive schon 
jetzt klar, wird sich mit dem Übergang von Netto zu Brutto aber noch 
drastischer herausschälen. Ist freilich immer so die Frage, ob mir das 
wirklich gut gelingt, aber die unzähligen Sonderfälle will ich dabei 
nicht als Sonderfälle betrachten, sondern als spezifische Ausformungen 
der allgemeinen Betrachtung. Naja, weiß nicht, ob man sich darunter 
jetzt was vorstellen kann. Soll nur soviel heißen, wie: Eigentlich gehen 
mir die Sonderfälle am Arsch vorbei, aber zumindest diejenigen von 
hinreichender Allgemeinheit werde ich wiederum aus der Perspektive einer 
allgemeinen Konstruktion einzufangen versuchen. Das wirft dann sowohl 
ein Licht auf die Sonderfälle als Sonderfälle als auch auf ihre 
spezifische Verzerrung des Allgemeinen und damit im Zweifelsfall auf 
Gerechtigkeitsprobleme.

Ok, soviel inhaltlich dazu. Formal aber noch dies: Eigentlich sollte es 
einfach nur ein Debattenbeitrag hier im Verteiler werden. Aber erstens 
ist es schon jetzt mitten im Arbeitsstatus so ausgeufert, dass das kaum 
noch verhältnismäßig wäre. Und zweitens meint meine Frau nicht ganz zu 
Unrecht, dass ich mit der Schriftstellerei mal ernsthaft zum 
Haushaltseinkommen beitragen soll bis muss und die Veröffentlichung 
eines Buchs daher sinniger wäre. Angesichts dessen, dass ich eine 
Reproduktionsgrundlage benötige und das Schreiben mir noch am ehesten 
Berufung erscheint, macht das Sinn. Ich plane daher ein 
selfpublishing-ebook mit der Teaser-Offenlegung für die 
www-Öffentlichkeit von zumindest etlichen Teilen und relevanten 
Ergebnissen.

Ich bin, wenn auch freundlich und lieb, ziemlich eigenwillig und 
kritisch, daher auch unter Umständen anstrengend in engen 
Kooperationssituationen. Grundsätzlich aber möchte ich schon dazu 
einladen: Falls jemand in dem skizzierten Gesamtrahmen als Gastbeitrag 
ein Kapitelchen oder ähnliches beisteuern möchte, wäre ich dafür offen.



Nachdem ich das dargestellt habe, will ich aus meiner ersten 
Arbeitsdatei mal das rausfischen, was sich explizit mit deinem Beitrag 
und deiner Website auseinandersetzte, liebe Verena. Vielleicht 
interessiert es dich ja ... Ich habe aber wenig Lust, angefangene 
Gedankenstränge jetzt formvollendet zu Ende zu führen, weil mein Fokus 
sich lieber dem Buchprojekt zuwenden möchte. Ich haue insofern quasi 
einfach aus dem Steinbruch meiner Arbeitsdatei die mehr oder weniger 
ausformulierten Teile einfach mal hier rein und bitte um Nachsicht wegen 
der teilweise vielleicht etwas kryptischen Form:


Ich fand deinen Mail-Beitrag insgesamt nett, deine Fragen gut gestellt 
und bin daher ein wenig über deine Website gesurft und habe mir deine 
Folien-Präsentation auf http://youtu.be/Wx5_oieNajE angeschaut. Vorher 
hatte ich erstmal entschieden, das Modell der Piratenpartei rechts 
liegen zu lassen, weil ich die Ableitung einer Existenzsicherung in Höhe 
von Pi mal Daumen 1.000 Euro im Monat in der auf 
https://www.grundeinkommen.de/die-idee/finanzierungsmodelle verlinkten 
und von Ronald Blaschke verfassten Darstellung (vgl. 
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2013/01/2012-ansaetze_und_modelle_gs_und_ge_blaschke.pdf 
<https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2008/11/vergleich_ge-konzepte.pdf> 
, S. 119-141) ziemlich überzeugend fand, ein Konsumsteuermodell 
bevorzuge und mich nichts darauf hingewiesen hat, dass in der 
Piratenpartei sowohl mindestens 1.000 Euro als auch Konsumsteuer im 
Gespräch sind. Zumindest hinsichtlich der Konsumsteuer hast du mich 
eines Besseren belehrt. Was auch immer offizielle Parteilinie bei den 
Piraten ist, habe ich mir noch immer nicht vergegenwärtigt.
1.000 Euro finde ich mit Blick auf die eher unterdurchschnittlichen 
Konsumgewohnheiten meines Erwachsenenlebens "zum Leben zu wenig, zum 
Sterben zu viel", also bauchmäßig eine gute Hausnummer für ein 
anreizorientiertes bGE. Ist ja auch die derzeitige Hausnummer von Götz 
Werner.
Das zur Kontextualisierung meines Zugangs zu deiner Präsentation.

Sie hat Fragen bei mir aufgeworfen, Anmerkungsbedarf hervorgerufen und 
mich zu ausführlicheren eigenen Überlegungen angestachelt. Vielleicht 
magst du dich damit ja auseinandersetzen. Da der Text ausführlicher 
ausfällt, gebe ich erstmal wieder einen Überblick.


i. Zu Verena Neddens Konsumsteuer-/bGE-Modell

i.i. Steuergemäuer
i.ii. bGE-Höhe von knapp 700 Euro?
i.iii. Kriterien für Mindesthöhe eines bGE
i.iv. Allgemeine und besondere Besteuerung?
i.v. Chimäre der Steuerprogression? Steuerdegression: Hinzuverdienst bei 
Hartz4-Aufstockern, Spitzeneinkommen
i.vi. Ausbeutung von Billiglohnländern
ii. Allgemeinere Überlegungen, die für mich aus der Auseinandersetzung 
resultierten
ii.i. Ein wenig Gepöbel im Kontext des Ideologiebegriffs
ii.ii. Zum Neid-Begriff

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i. Zu Verena Neddens Konsumsteuer-/bGE-Modell

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i.i. Steuergemäuer

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Grundsätzlich finde ich erstmal ziemlich sympathisch, dass du im Prinzip 
an der Abschaffung deines Berufsstands arbeitest. Wer braucht noch 
Fachanwälte für Steuerrecht, wenn das Steuerrecht plötzlich allen 
transparent ist? :o)

Beim näheren Eintauchen in deine konzeptionellen Überlegungen bin ich 
mir dann allerdings schon wieder nicht mehr sicher, ob das so stimmt. Da 
du anscheinend im Gegensatz zum reinen Konsumsteuermodell die 
Unternehmenssteuern (Körperschafts-, Kapitalertrags-, Gewerbesteuer 
etc., siehe 10. Min./Folie 7 und ) belassen willst und auf deiner 
Haupt-Website auch dies als änderungswürdig gegenüber deiner 
Folienpräsentation angibst: "Um eine Änderung der Kaufperise zu 
verhindern, gleichzeitig jedoch die bisherigen Staatseinnahmen aus 
Lohnkosten über das erforderliche Grundeinkommen hinaus und auch das 
netto zur Verfügung stehende Einkommen unverändert zu belassen, hat sich 
nun (Stand Mai 2014) die Konzeptpion einer Lohnabgabe als notwendig 
herausgestellt, welche 19% des hälftigen heutigen Arbeitgeberaufwandes 
beträgt. Der allgemeine Arbeitgeber-Gesamtaufwand beträgt damit 
lediglich 59,5% des heutigen Aufwandes für Arbeitnehmer"

[Nachtrag dazu:
Insgesamt hat sich mir beim derzeitigen Betrachtungsstand deiner 
Ausführungen der Eindruck aufgedrängt, dass von der Konsumsteuer im 
Effekt nicht viel über bleibt, das jetzige Steuersystem relativ 
unberührt bleibt. Inhaltlich wollte ich das eigentlich näher verstehen. 
Bislang habe ich den Eindruck, dass das arbeitnehmerunfreundlich 
ausfällt, kann's aber nicht begründen.]

Dadrüber sagst du dann noch: "Die konzipierte Auslandstransfersteuer ist 
ncht erforderlich. Die Ausführungen auf den weiteren Seiten beinhalten 
die Auslandstransfersteuer nicht."

Wieso, weshalb, warum? Wenn ich's richtig verstanden habe, ist das 
sozusagen das international solidarische Steuerkonzept in deinem Modell, 
etwa analog zu der Idee im Dilthey-Modell, die Import-Export-Beziehungen 
auf einen Sockel sozialstaatlicher Maßnahmen zu stellen. Das lässt du 
einfach so fallen?

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i.ii. bGE-Höhe von knapp 700 Euro?

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5.-9. Minute/Folien 2-6: Verstehe ich deine Ausführungen richtig, wenn 
ich mutmaße, dass du für all deine Berechnungen ein bGE in Höhe von 
knapp 700 Euro zugrundelegst? Du hältst das nirgends explizit fest, aber 
das ist wohl der tiefere Sinn dieser Folien, oder?

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i.iii. Kriterien für Mindesthöhe eines bGE

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7. Minute/Folie 4: "Wenn ich mir Grundeinkommensmodelle ansehe, dann 
schaue ich erstmal, naja: Wie hoch soll denn das sein, was ausgeschüttet 
wird? Liegt das unterhalb der Grundfreibeträge, dann denke ich: Naja, 
das passt ja sowieso nicht, das kann ich nicht gebrauchen für ein 
bedingungsloses Grundeinkommen, weil es nicht reicht." Ich möchte dich 
sehr inständig darum bitten, die oben erwähnten Überlegungen von Ronald 
Blaschke zur Abschätzung einer vernünftigen Höhe für ein bGE zur 
Kenntnis zu nehmen (vgl. 
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2013/01/2012-ansaetze_und_modelle_gs_und_ge_blaschke.pdf 
<https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2008/11/vergleich_ge-konzepte.pdf> 
, S. 119-141). Insbesondere seine Betrachtungen zur 
Verfassungsnonkonformität heutiger Hartz4-Sätze fand ich interessant. 
Ich würde hoffen, dass diese Lektüre deine Meinung dahingehend verändern 
könnte, dass du auch die heutige Existenzsicherungshöhe nicht gebrauchen 
kannst "für ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil es nicht reicht." 
Ich würde zwar auch ein paar Vorzüge in einem bGE auf heutigem 
Hartz4-Armutsniveau sehen (z. B. keine verdeckte Armut unterhalb des 
Hartz4-Niveaus und Abschaffung der skandalösen Verrechnungsgrundlage bei 
Hartz4-Aufstockern), aber nicht derartige Vorzüge, dass ich mich für so 
etwas ernsthaft engagieren würde. Mit anderen Worten: Wenn du weiterhin 
eine bGE-Höhe über die heutige Existenzsicherung ableiten möchtest, nur 
einfach, weil sie nun einmal existiert, dann sehe ich dich eher als 
Blockiererin eines Projekts, das mich vor allem deshalb interessiert, 
weil es ein Potential zur Abschaffung von Armut einerseits, Abhängigkeit 
von Vermögen andererseits hat, während du m. E. die Armut nur in anderer 
Form verlängern möchtest, wenn du dich auf knapp 700 Euro einschießt. 
Was denkst du dazu?

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i.iv. Allgemeine und besondere Besteuerung?

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9. Minute/Folie 6: "Ich unterscheide zwischen allgemeiner Besteuerung 
und besonderer Besteuerung." sowie 11. Minute/Folie 7: "Ich beschränke 
mich auf die allgemeine Besteuerung, also das, was alle ausgeben 
müssen." Wenn ich dich an diesen Stellen richtig verstehe, dann kümmerst 
du dich in deiner Folienpräsentation ausschließlich um das, was du 
allgemeine Besteuerung nennst, während das, was du besondere Besteuerung 
nennst, wohl all die legalen und weniger legalen Steuertricks, 
Branchensubventionierungen, gemeindespezifische Steuersätze und 
ähnliches meint. Stimmt das so? Falls ja: Da ja von den Beführwortern 
einer Konsumsteuer immer wieder stark gemacht wird, dass sie ein 
gerechteres Steuermodell darstellen würde, frage ich mich insbesondere 
nach deiner Darstellung, wo ja als allgemeine Besteuerungslast oberhalb 
des Freibetrags quasi für alle der Steuergesetzgebung unterworfenen 
Funktionsgruppen zumindest mehr oder weniger so oder so immer 50 % 
herauskommt, schon recht intensiv, welchen verzerrenden Einfluss denn 
diese "besondere Besteuerung" einerseits im Rahmen der gesamten 
Steuererhebung (also volkswirtschaftlich), andererseits im individuellen 
Extremfall hat. Könntest du mir davon eine Vorstellung geben oder mich 
zumindest auf weiterführende Web-Literatur verweisen? Solange wir nicht 
über ein bGE in Höhe von mindestens 1.000 Euro sprechen, sondern auf 
derzeitigem Hartz4-Niveau, möchte ich wenigstens verstehen können, was 
sich denn die Konsumsteueranhänger davon konkret versprechen. Dabei 
geht's ja vermutlich weit weniger als mir um Armutsbekämpfung und 
Aufstockerirsinnsverhinderung, vermutlich nicht einmal so sehr um das 
Fehlen einer echten Steuerprogression im Allgemeinen, sondern um ein 
weitläufiges Ungerechtigkeitsempfinden gegenüber dem Steuerwildwuchs in 
Deutschland, oder nicht?

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i.v. Chimäre der Steuerprogression? Steuerdegression: Hinzuverdienst bei 
Hartz4-Aufstockern, Spitzeneinkommen

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13. Minute/Folie 9 und 15.-16. Minute/Folie 11: Hier machst du einige 
interessante Nebenbemerkungen. Ich finde, dass man sich das nicht 
ausführlich genug auf der Zunge zergehen lassen kann. Wenn ich dich 
richtig verstehe und du recht hast, wovon ich jetzt einfach mal ausgehe, 
weil du ja vom Fach bist, dann existiert die sogenannte 
Steuerprogression in der Einkommensteuer de fakto überhaupt gar nicht, 
wenn man die Sozialversicherungen miteinbezieht, also als Quasi-Steuern 
betrachtet: Alle landen mehr oder weniger bei 50 %. Stimmt das wirklich? 
Ist die Steuerprogression völlig fingiert? Auf 
http://de.wikipedia.org/wiki/Einkommensteuer_(Deutschland)#Entwicklung_des_Einkommensteuertarifs_seit_1958 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Einkommensteuer_%28Deutschland%29#Entwicklung_des_Einkommensteuertarifs_seit_1958> 
wird in der Tabelle für 2014 ein Eingangssteuersatz von 14 % und ein 
Spitzensteuersatz von 42 % bzw. 45 % postuliert. Wenn ich dich richtig 
verstehe, rechnest du aber den Grundfreibetrag als existenzsichernden 
Sockel heraus und landest trotz dieser Progression von 
Eingangssteuersatz zu Spitzensteuersatz für alle Einkommenshöhen unter 
Einbezug der Sozialversicherungsbeiträge bei Pi mal Daumen 50 % Steuer- 
und Sozialabgabenlast bei im Prinzip allen besteuerten Gruppen. Im 
Gegenteil gibt es in der Einkommensspitze sogar eine Degression, nämlich 
etwas weniger als 50 %: "Im Spitzensteuersatz entwickeln sich die 
Einkommen über 250.000,- € wie folgt: [...] Erwerbsbelastung 47,475%" 
(vgl. 
http://www.konsumsteuersystem.de/wesentliches_in_kuerze/berechnungen/nachweis_der_50igen_allgemeinen_erwerbsbelastung_/50ige_erwerbsbelastung_schnelluebersicht/index.php 
) Im Ernst, wirklich wahr, kann das denn stimmen?

Falls das wirklich stimmt, wäre es ein Grund, das Verfassungsgericht 
anzurufen und die gesamte Steuer- und Sozialversicherungsgesetzgebung 
einkassieren zu lassen, weil dieser Tatbestand ganz offensichtlich gegen 
Gerechtigkeitserwägungen und das Sozialstaatsprinzip verstößt, wenn auch 
seltsamerweise anscheinend nicht gegen das ziemlich seltsam bestimmte 
Leistungsfähigkeitsprinzip (vgl. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Steuerprogression#Rechtfertigung ). Ich 
habe da ja mehr eine Bauchgefühl-Laienvorstellung, wonach die 
Progression eigentlich dafür Sorge tragen soll, dass stärkere Schultern 
nicht nur absolut, sondern auch relativ stärker zum Gelingen des 
Gemeinwesens beizutragen haben. Aber wenn du Recht hast, liebe Verena, 
dann ist die ganze Steuerprogression eine vollkommene Augenwischerei für 
die Nicht-Fachleute.

Noch absurder und skandalöser wird das Ganze im Einkommenssockel durch 
die Verrechnungsregelungen bei Hartz4, worauf du ja kurz auch hinweist: 
Zwischen 100 und 1.000 Euro Nettoverdienst werden 80 % der Einkünfte mit 
den Hartz4-Bezügen verechnet, zwischen 1.000 Euro und 1.200 bzw. 1.500 
Euro sogar 90 %. [Nachtrag: Dadrüber sogar 100 %] Als mir das vor einem 
guten halben Jahr klar wurde, habe ich die ganzen FDP-Worthülsen von 
"Lohnabstandsgebot" und "Leistung muss sich lohnen" in einem völlig 
neuen Licht gesehen. Stelle ich mich auf den Standpunkt, dass Hartz4 ein 
bGE sein sollte und ich zumindest 10 Euro netto pro Arbeitsstunde 
zusätzlich verdienen möchte, dann hieße das Pi mal Daumen, dass ich 
schon erstmal einen Nettolohn von knapp 50 Euro brauche (wegen des 
Freibetrags von 100 Euro etwas weniger), um in den ersten 20 
Arbeitsstunden auch tatsächlich einen Hinzuverdienst von 10 Euro zu 
realisieren, weil ja etwa 40 Euro sofort beim Hartz4-Bezug 
gegengerechnet werden. Bis zu einem Gesamtverdienst von 1.200 Euro 
bräuchte ich sogar einen noch höheren Nettostundenlohn als 50 Euro, weil 
von den hinzukommenden 200 Euro nur 10 % nach der Verrechnung mit Hartz4 
verbleiben. Umgekehrt: Realisiere ich am Markt einen Nettostundenlohn 
von 10 Euro, dann behalte ich davon die ersten 10 Stunden alles, die 
nächsten 90 Stunden nur 2 Euro pro Stunde und die darauffolgenden 20 
Stunden nur noch 1 Euro pro Stunde. Das rückt auch die 1-Euro-Maßnahmen 
in ein ganz anderes Licht, weil ja die allermeisten Jobs kaum soviel 
Stundenlohn hergeben, dass man nach der Verrechnung wesentlich mehr als 
einen Euro pro Stunde wirklich behalten würde.

[Nachtrag: Hier schließen sich dann in meiner Arbeitsdatei ausgedehnte 
Betrachtungen zu diesem Umstand an, die ich erstmal wegkürze, weil ich 
sie oben allgemein dargestellt habe und sie nichts im eigentlichen Sinn 
mit der Auseinandersetzung zu deiner Website und deinem Beitrag zu tun 
haben.]


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i.vi. Ausbeutung von Billiglohnländern

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33. Min, Folie 22: "Also: Keine Lohnausbeute mehr von Billiglohnländern 
wäre die Konsequenz davon." Warum? "... ergibt den Bruttoproduktpreis, 
der genauso hoch ist wie heute."

Das erscheint mir widersprüchlich: Entweder setzt du voraus, dass die 
(Sozial-)Konsumsteuer auch voll auf Importprodukte gelegt wird. Dann 
würde ich verstehen, warum das mit der Lohnausbeute aus 
Billiglohnländern nicht mehr so gut funktioniert, nämlich weil 
Importprodukte weniger konkurrenzfähig werden würden, aber nicht 
verstehen, warum der Bruttoproduktpreis von Importen genauso hoch wie 
heute wäre. Oder du setzt voraus, dass ausschließlich der inländische 
Weiterverarbeitungsanteil an Importprodukten unter die Konsumsteuer 
fällt. Dann könnte ich mich zumindest erstmal grundsätzlich auf die 
These einlassen, dass alter Preis = neuer Preis hinhauen könnte, aber 
nicht verstehen, was das an der Billiglohnland-Ausbeute verändern soll.

[Nachtrag: Weiter bin ich in der Auseinandersetzung mit deinem 
youtube-Video dann nicht gekommen, weil mich selbstständige Überlegungen 
in ganz andere Richtungen trieben. Bin mir auch nicht sicher, ob ich das 
noch irgendwann nachholen werde. Insgesamt sehe ich zwar einerseits, 
dass du engagiert und grundsätzlich mit sozialdemokratischer 
Gutmenschlichkeit am bGE arbeitest. Andererseits scheinst du im Effekt 
zu ziemlich reaktionären Ergebnissen vorzudringen: bGE auf 
Hartz4-Armutsniveau, Ersetzung bloß eines Teils der Lohnsteuer durch 
eine Konsumsteuer, keine internationale Solidarität ... Ich denke, dass 
das bGE das Zeug zu einem New Deal hat und für ein Großreinemachen im 
intransparenten Steuer- und Sozialversicherungs-Dschungel sorgen kann. 
Zudem geht's definitv um Umverteilung von oben nach unten, sonst kann 
man sich das auch gleich sparen. Das bGE als Reförmchen zu betrachten, 
wird der Idee auf so vielen Ebenen nicht gerecht, dass ich bei aller 
Sympathie für dein Engagement dazu gerade eher denke, dass du das Thema 
weit verfehlst und auf eine technokratische Betrachtungsebene hievst, 
die aus einer guten Idee bloß stinkiges Schmieröl für die Maschinerie 
macht. Ist vielleicht ein etwas hartes Urteil, aber so sehe ich das 
gerade. Sorry. Und nichts für ungut: Ich fand deine Ausführungen 
definitiv interessant und sympathisch, nur halt nicht wirklich 
zielführend aus meiner Perspektive.]

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ii. Allgemeinere Überlegungen, die für mich aus der Auseinandersetzung 
resultierten

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ii.i. Ein wenig Gepöbel im Kontext des Ideologiebegriffs

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Nach dieser Auseinandersetzung mit deinem Steuer- und bGE-Konzept, 
möchte ich zu allgemeineren Betrachtungen übergehen. Dass sich mir bei 
der Auseinandersetzung mit deinen Folien der Eindruck ergab, ich würde 
Zeuge einer David-Copperfield-Vorführung sein [Nachtrag: wegen 50 % 
hier, 50 % dort und siehe da: 50 % auch da], liegt vielleicht erstmal 
einfach daran, dass bei mir alle theoretischen Positionen unter 
Ideologieverdacht stehen, die nicht durchblicken lassen, dass sie einen 
Begriff dessen haben, was Marx Fetisch nennt. Da der Ideologie-Begriff 
insbesondere von vulgär-marxistischer Seite im vergangenen Jahrhundert 
einerseits inflationär, andererseits völlig geistfrei denunziatorisch 
für so ziemlich alles gebraucht wurde, was einem gegen den Strich ging, 
möchte ich mit Bezug auf Adorno ausführen, was ich damit meine: 
Ideologie ist per definitionem notwendig falsches Bewusstsein. Auf einer 
formalen Ebene lässt sich das näher so bestimmen: Falsch ist das 
Bewusstsein, wenn es den Ist-Zustand der eigenen Auffassungen als 
Normalität begreift und somit weder als geschichtlich Gewordenes noch 
als zukünftig Veränderliches noch als individualistisch gegenüber dem 
Gesamtzusammenhang von Gesellschaft und Natur verzerrt. Morrissey hat 
alles zum Normalitätsbegriff gesagt, was man darüber wissen muss: "there 
is no such thing in life as normal" (vgl. http://youtu.be/5mXrksakDUE ). 
Nachdem ich das geschrieben habe, also klar gemacht habe, dass der 
Normalitätsbegriff samt und sonders in die Tonne bereits in dem lange 
vergangenen Moment gehört hätte, in dem er historisch aufkam, schwarnt 
mir Widerwillen. Wer mir jetzt beispielsweise mit industriellen 
DIN-Normen kommen möchte, die sich mit dem Jack-Nickolson-Grinsen des 
Fordismus ausfransend durch alle Dienstleistungssektoren bis hin zur 
Arschputz-Taktung im Pflegesegment fressen, mit [dativisch ins n-te 
Geschlecht deklinierter, fiktiv-phantamagorischer Artikel], das, der, 
dem möchte ich eine ernsthafte Auseinandersetzung über die 
positivistischen Ergebnisse von Chaos-Theorie (vgl. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Chaosforschung ), Heisenbergscher 
Unschärferelation (vgl. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Heisenbergsche_Unschärferelation 
<http://de.wikipedia.org/wiki/Heisenbergsche_Unsch%E4rferelation> ) und 
Quantenphysik (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Quantenphysik ) oder 
wahlweise eine schlichte Beschau des weltgeistigen Witzes im 
Luhmannschen Autopoiesis-Begriff beginnen (vgl. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis#Der_Autopoiesisbegriff_in_der_Soziologie_.28Niklas_Luhmann.29 
). Ins Sinnliche gewendet, lässt sich letzterer so formulieren: Die 
normative Kraft des Faktischen ist weit häufiger die satte 
Selbstzufriedenheit von Onaninsten denn Freuds kindlich-urspüngliche 
polymorph-sexuelle Freude etwa an einem Windhauch auf der Haut, denn 
Marx' ewige Naturnotwendigkeit des Stoffwechsels mit der Natur und denn 
Adornos Erdung der Glücksvorstellung im nichtidentisch Anderen. Ein 
schlechter Witz, ja, aber so ist das System im Großen und Ganzen halt: 
Es reißt bloß schlechte Witze und schneidet Konservenlachen in die 
Audio-Spur. Als im brittischen und US-Exil Überlebender von Auschwitz 
hält Adorno noch für marxistische Fundamentalkritker am unwahren Ganzen 
fest, dass keine Onanie die Sehnsüchte der Herzen stillen kann wie 
paarender Beischlaf und erst recht nicht wie die Orgie der Gattung: "Der 
verstörte und beschädigte Weltlauf ist, wie bei Kafka, inkommensurabel 
auch dem Sinn seiner reinen Sinnlosigkeit und Blindheit, nicht stringent 
zu konstruieren nach deren Prinzip. Er widerstreitet dem Versuch 
verzweifelten Bewußtseins, Verzweiflung als Absolutes zu setzen. Nicht 
absolut geschlossen ist der Weltlauf, auch nicht die absolute 
Verzweiflung; diese ist vielmehr seine Geschlossenheit. So hinfällig in 
ihm alle Spuren des Anderen sind; so sehr alles Glück durch seine 
Widerruflichkeit entstellt ist, das Seiende wird doch in den Brüchen, 
welche die Identität Lügen strafen, durchsetzt von den stets wieder 
gebrochenen Versprechungen jenes Anderen. Jegliches Glück ist Fragment 
des ganzen Glücks, das den Menschen sich versagt und das sie sich 
versagen." (Adorno, Negative Dialektik, GS6, S. 395f)

Allgemein bleibt für staatspolitische Debatten in dem Zusammenhang aus 
Sicht des leidenden Philosophen nur festzuhalten: Der einzig 
ernstzunehmende Begründungszusammenhang für die bürgerliche 
Rechtsegalität, für die "Normalität" des abstrakten und vereinzelten 
Rechtssubjekts, lässt sich ausschließlich im Differenztheoretischen 
auffinden: "Wir sind alle verschieden. Das ist es, was uns gleich macht."

[Nachtrag: Die ganze vorangegangene Passage war etwas kryptisch und 
vulgär formuliert. Wollte eigentlich noch weiterbearbeitet werden. Ich 
setze sie trotzdem mal einfach in den Verteiler.]

Notwendig falsch ist das Bewusstsein, weil es die Komplexität weder 
seines eigenen noch des gesellschaftlichen Gewordenseins jemals völlig 
überblicken kann und stets zu wenig Phantasie für die Möglichkeiten 
einer offenen Zukunft mitbringt. Auf einer materialeren Ebene 
kapitalistischer Vergesellschaftungsformen lässt sich das so 
reformulieren: Falsch ist das Bewusstsein, wenn es den 
gesellschaftlichen Primärzweck der Wertverwertung (bspw. gespiegelt in 
dem wirtschaftspolitischen Muss zur jährlichen BIP-Steigerung im Rahmen 
ungleicher Vermögensverhältnisse) für unangreifbar, ewig oder zumindest 
für die Geschäftsgrundlage, die man derzeit nicht verlassen könne, hält. 
Notwendig falsch ist das Bewusstsein, weil es in vielerlei Hinsicht 
konstitutiv blind dafür ist, die Geschichte der Wertverwertung für die 
Gesamtgesellschaft und für die eigene Biographie zu begreifen, und weil 
es so selbsverständlich an die eigene Konstitution innerhalb der 
Wertverwertung gebunden bleibt, dass systematisch undenkbar bleibt, wie 
ein Leben jenseits von Wertverwertung aussehen könnte.

Adorno meditiert in der Negativen Dialektik etwas ausführlicher über 
diese Konstellation der "Gewalt des notwendig falschen, selbst wiederum 
erst kritisch zu durchdringenden Bewußtseins, das die Gesellschaft über 
die Ihren verhängt" (Adorno, Einleitung zum »Positivismusstreit in der 
deutschen Soziologie«, GS8, S. 327):

"Trotz des Vorrangs des Objekts ist die Dinghaftigkeit der Welt auch 
Schein. Sie verleitet die Subjekte dazu, das gesellschaftliche 
Verhältnis ihrer Produktion den Dingen an sich zuzuschreiben. Das wird 
im Marxischen Fetischkapitel entfaltet, wahrhaft einem Stück Erbe der 
klassischen deutschen Philosophie. Sogar ihr systematisches Motiv 
überlebt darin: der Fetischcharakter der Ware ist nicht 
subjektiv-irrendem Bewußtsein angekreidet, sondern aus dem 
gesellschaftlichen Apriori objektiv deduziert, dem Tauschvorgang. In 
Marx bereits spricht die Differenz zwischen dem Vorrang des Objekts als 
einem kritisch Herzustellenden und seiner Fratze im Bestehenden, seiner 
Verzerrung durch den Warencharakter sich aus. Der Tausch hat als 
Vorgängiges reale Objektivität und ist zugleich objektiv unwahr, vergeht 
sich gegen sein Prinzip, das der Gleichheit; darum schafft er notwendig 
falsches Bewußtsein, die Idole des Marktes. Nur sardonisch ist die 
Naturwüchsigkeit der Tauschgesellschaft Naturgesetz; die Vormacht von 
Ökonomie keine Invariante. Leicht bildet Denken tröstlich sich ein, an 
der Auflösung der Verdinglichung, des Warencharakters, den Stein der 
Weisen zu besitzen. Aber Verdinglichung selbst ist die Reflexionsform 
der falschen Objektivität; die Theorie um sie, eine Gestalt des 
Bewußtseins, zu zentrieren, macht dem herrschenden Bewußtsein und dem 
kollektiven Unbewußten die kritische Theorie idealistisch akzeptabel. 
Dem verdanken die frühen Schriften von Marx, im Gegensatz zum >Kapital<, 
ihre gegenwärtige Beliebtheit, zumal unter Theologen. Nicht entbehrt es 
der Ironie, daß die brutalen und primitiven Funktionäre, die Lukács 
wegen des Verdinglichungskapitels aus dem bedeutenden Buch >Geschichte 
und Klassenbewußtsein< vor mehr als vierzig Jahren verketzerten, das 
Idealistische seiner Konzeption witterten. Dialektik ist so wenig auf 
Verdinglichung zu bringen wie auf irgendeine andere isolierte Kategorie, 
wäre sie noch so polemisch. Worunter die Menschen leiden, darüber 
gleitet mittlerweile das Lamento über Verdinglichung eher hinweg, als es 
zu denunzieren. Das Unheil liegt in den Verhältnissen, welche die 
Menschen zur Ohnmacht und Apathie verdammen und doch von ihnen zu ändern 
wären; nicht primär in den Menschen und der Weise, wie die Ver hältnisse 
ihnen erscheinen. Gegenüber der Möglichkeit der totalen Katastrophe ist 
Verdinglichung ein Epiphänomen; vollends die mit ihr verkoppelte 
Entfremdung, der subjektive Bewußtseinsstand, der ihr entspricht. Sie 
wird von Angst reproduziert; Bewußtsein, verdinglicht in der bereits 
konstituierten Gesellschaft, ist nicht deren Konstituens. Wem das 
Dinghafte als radikal Böses gilt; wer alles, was ist, zur reinen 
Aktualität dynamisieren möchte, tendiert zur Feindschaft gegen das 
Andere, Fremde, dessen Name nicht umsonst in Entfremdung anklingt; jener 
Nichtidentität, zu der nicht allein das Bewußtsein sondern eine 
versöhnte Menschheit zu befreien wäre. Absolute Dynamik aber wäre jene 
absolute Tathandlung, die gewalttätig sich in sich befriedigt und das 
Nichtidentische als ihre bloße Veranlassung mißbraucht. Ungebrochen 
allmenschliche Parolen taugen dazu, erneut dem Subjekt gleichzumachen, 
was nicht seinesgleichen ist. Die Dinge verhärten sich als Bruchstücke 
dessen, was unterjocht ward; seine Errettung meint die Liebe zu den 
Dingen. Aus der Dialektik des Bestehenden ist nicht auszuscheiden, was 
das Bewußtsein als dinghaft fremd erfährt: negativ Zwang und 
Heteronomie, doch auch die verunstaltete Figur dessen, was zu lieben 
wäre und was zu lieben der Bann, die Endogamie des Bewußtseins nicht 
gestattet. Über die Romantik hinaus, die sich als Weltschmerz, Lei den 
an der Entfremdung fühlte, erhebt sich Eichendorffs Wort »Schöne 
Fremde«. Der versöhnte Zustand annektierte nicht mit philosophischem 
Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, daß es in der 
gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des 
Heterogenen wie des Eigenen. Die unermüdliche Anklage von Verdinglichung 
sperrt sich jener Dialektik, und das verklagt die 
geschichtsphilosophische Konstruktion, die jene Anklage trägt. Die 
sinnerfüllten Zeiten, deren Wiederkunft der frühe Lukács ersehnte, waren 
ebenso das Produkt von Verdinglichung, unmenschlicher Institution, wie 
er es erst den bürgerlichen attestierte. Zeitgenössische Darstellungen 
mittelalterlicher Städte pflegen auszusehen, als ob gerade zur 
Volksbelustigung eine Hinrichtung stattfände. Sollte anno dazumal 
Harmonie von Subjekt und Objekt gewaltet haben, so war sie gleich der 
jüngsten vom Druck bewirkt und brüchig. Die Verklärung vergangener 
Zustände dient später und überflüssiger Versagung, die sich als 
ausweglos erfährt; erst als verlorene gewinnen sie ihren Glanz. Ihr 
Kult, der vorsubjektiver Phasen, kam im Zeitalter des zerfallenden 
Individuums und der regressiven Kollektive zu sich selbst im Grauen. 
Verdinglichung und verdinglichtes Bewußtsein zeitigten mit der 
Entbindung der Naturwissenschaften auch das Potential einer Welt ohne 
Mangel; vordem schon war dinghaft Ent menschlichtes Bedingung von 
Humanität13; wenigstens ging diese mit dinghaften Gestalten des 
Bewußtseins zusammen, während Gleichgültigkeit für die Dinge, die als 
reine Mittel eingeschätzt und aufs Subjekt reduziert werden, Humanität 
abtragen half. Im Dinghaften ist beides ineinander, das Unidentische des 
Objekts und die Unterwerfung der Menschen unter herrschende 
Produktionsverhältnisse, ihren eigenen, ihnen unkenntlichen 
Funktionszusammenhang. Der reife Marx hat in seinen kargen Äußerungen 
über die Beschaffenheit einer befreiten Gesellschaft sein Verhältnis zur 
Arbeitsteilung, zum Grund von Verdinglichung, geändert14. Den Stand der 
Freiheit unterscheidet er von urtümlicher Unmittelbarkeit. Im Moment des 
Planens, von dem er Produktion für die Lebendigen anstatt für den 
Profit, in gewissem Sinn Restitution von Unmittelbarkeit sich erhoffte, 
ist das dinghaft Fremde aufbewahrt; noch im Entwurf der Verwirklichung 
des von der Philosophie erst nur Gedachten die Vermittlung. Daß indessen 
Dialektik ohne das Moment von dinghaft Festem nicht möglich wäre und zu 
einer harmlosen Doktrin von Veränderung sich glättete, ist weder 
philosophischer Gewohnheit anzukreiden noch einzig dem sozialen Zwang, 
der dem Bewußtsein in solcher Festigkeit sich zu erkennen gibt. An 
Philosophie ist es, das vom Gedanken Verschiedene zu denken, das allein 
ihn zum Gedanken macht, während sein Dämon ihm einredet, daß es nicht 
sein soll." (Adorno, Negative Dialektik, GS6, S. 190ff)


Und noch ein Adorno-Exkurs, weil er sich aufdrängt: inflationärer 
Gebrauch des Ideologiebegriffs ist nach meiner Bestimmung noch immer ein 
deflationärer Gebrauch, siehe Begriff der immanenten Kritik ...

[Nachtrag: Bei Interesse kann ich das ein andernmal nachreichen. Oder 
ich führ's in meinem Buchprojekt aus ... Gemeint war, dass Ideologie 
innerhalb von Fetischvergesellschaftung universell ist und daher noch 
jeder Inflationierung des Ideologievorwurfs unterm Strich zu wenig 
Ideologievorwurf verbleibt. Ein arg logisches Argument. Da gibt's eine 
Menge Debatten zu à la: "Wenn universeller Verblendungszusammenhang 
herrscht, dann gibt's kein Wahrheitskriterien und folglich ist die 
Behauptung vom universellen Verblendungszusammenhang falsch". So glaube 
ich ungefähr bei Habermas und sicherlich anderen. Nach dem 
Fetischbegriff halte ich den Adornoschen der immanenten Kritik für das 
beste Werkzeug im Umgang mit gesellschaftspolitischen und -theoretischen 
Auseinandersetzungen. Der taugt dazu, das arg logische Argument 
gehaltvoller zu machen. Wollte ich eigentlich demonstrieren, hatte dann 
aber anderes am Hut ...]

******

ii.ii. Zum Neid-Begriff

*******

In deinem Mail-Beitrag schriebst du: "Bei der Linken, vorwiegend auch 
hier im Forum, bemerke ich verstärkt pauschalen Neid, gerade in Bezug 
auf Kapitaleinkünfte."

Ich bin mir unsicher, ob das eine Reaktion auf meinen Beitrag war, habe 
aber den Eindruck, liebe Verena. So oder so möchte ich ein paar 
grundsätzliche Dinge zum "Neiddebatten-Vorwurf" sagen:

Weder die Abschreibe-Möglichkeiten, welche die Reproduktionskosten der 
Produktionsmittel pauschal steuerbefreien, noch die Gewinnabsicht und 
-realisierung der Unternehmen über entsprechende Preise noch die 
unterschiedlichen Lohnhöhen für unterschiedlich qualifizierte Arbeiten 
sind gesellschaftlich neutral. Man kann sich zwar auf den Standpunkt 
stellen, dass unternehmerische Initiative und fachliche Qualifikation 
über monetäre Mechanismen angereizt werden soll. Da habe ich prinzipiell 
gar nichts gegen, sehe allerdings nicht, dass das gesellschaftlich 
vernünftig geschehen würde. Warum haben etwa Börsenjunkies, 
Rüstungsingenieure oder Spitzenmanager ganz andere Verdienstoptionen als 
Pflegepersonal, Ärzte oder Biobauern? Weil sie eine gesellschaftlich 
nützlichere Arbeit leisten? Das sehe ich nicht. Spätestens aber dann, 
wenn die Gesellschaft es zulässt, dass anreizpolitisch vielleicht noch 
vage zu rechtfertigende angehäufte Vermögen auf die nächste Generation 
übertragbar sind, kann und muss man von Klassengesellschaft sprechen. 
Denn Vermögen ist unter Marktbedingungen gleichbedeutend mit 
gesellschaftlicher Gestaltungsmacht. Fällt diese in ungleichem Maße 
Menschen qua Stammbuch zu, lässt sich nicht im Ernst, sondern nur 
formell von demokratischen Verhältnissen sprechen und es wird auch 
verständlich, warum Börsenjunkies, Rüstungsingenieure oder 
Spitzenmanager so gut verdienen, nämlich als Absicherungsbüttel des 
Interesses der vermögenden Klasse. Das lässt sich auch reformulieren, 
wenn man von der Eigentumsfrage zu der Frage der stofflichen Form des 
Eigentums übergeht: Die Fortführung großer, kapitalstarker 
Unternehmungen über Generationen hinweg mag eine gewisse 
gesamtgesellschaftliche Nützlichkeit haben, insofern man bestehende 
Produktionskapazitäten ja nicht sinnlos zerstören und das Rad mit jeder 
Generation neu erfinden möchte. Gleichwohl ist der Selbsterhaltungstrieb 
großer institutioneller Unternehmungen ein Faktum, das sich nicht mit 
der Vorstellung eines flexiblen, chancengleichen "freien Markts" 
vereinbaren lässt. Der Kapitalismus ist zwar irrwitzig flexibel und 
erlaubt in Ausnahmefällen auch mal einen Lebenslauf from dishwasher to 
billionaire, aber er ist unvernünftig darin, dass er im Zweifelsfall 
bestehende Produktivkapazitäten höher gewichtet als eine Ersetzung 
dieser Produktivkapazitäten durch bessere Alternativen. Von 
Chancengleichheit lässt sich in dem Zusammenhang schon überhaupt nicht 
sprechen, weil gesettelte Unternehmungen enorme Möglichkeiten haben, 
sich die Butter nicht vom Brot klauen zu lassen.

Diesen Zusammenhang mit dem Terminus "Neid-Debatte" einfach abweisen zu 
wollen, empfinde ich nicht als trifftig. Es geht eher um eine 
demokratietheoretische Grundsatzfrage, die die bürgerlichen 
Gesellschaften sich mit dem Privateigentum gesetzt und bis heute nicht 
zureichend beantwortet haben. Marx hat diese Grundsatzfrage m. E. am 
eindringlichsten und rezeptionsgeschichtlich wirkungsvollsten 
thematisiert. Aber sie ist älter als Marx, lässt sich für die 
bürgerliche Gesellschaft philosophiegeschichtlich etwa auch bis Rousseau 
(vgl. z. B. http://de.wikipedia.org/wiki/Rousseau#Politische_Philosophie 
) zurückverfolgen, der einen großen Einfluss auf die Jakobiner-Fraktion 
der Französischen Revolution hatte. Ich kann mir jedenfalls nicht 
vorstellen, dass du als Juristin keinerlei Vorstellung davon hast, was 
der demokratietheoretische Hintergrund für das ist, wofür du der 
politischen Linken jegliches Bewusstsein einfach per Neid-Vorwurf 
absprechen möchtest: die Irrealität einer formellen Gleichheit bei 
gleichzeitiger materieller Ungleichheit. Einer meiner Hochschullehrer 
kleidete das gerne in diese Worte: Es ist Millionären und Bettlern 
gleichermaßen verboten, unter Brücken zu nächtigen. Anne Clark fasst es 
allgemeiner: The Law is an anagram of Wealth.

Vor ein paar Monaten bin ich über ein Paper der Konferenz der Vereinten 
Nationen für Handel und Entwicklung gesurft, in dem ich einen kleinen 
Graphen wegen der Informationskomprimiertheit insbesondere auch im 
Kontext von Debatten übers bGE von herausragender Bedeutung halte, vgl. 
http://unctad.org/en/PublicationChapters/tdr2012ch3_en.pdf , rechts oben 
auf S. 51 (bzw. S. 9 nach PDF-Zählung). Für die beiden Graphen der 
westlichen Welt und den Graphen Ost-Europas lässt sich deutlich ablesen, 
dass im Gefolge des Börsencrashs am schwarzen Freitag 1929 die 
Einkommensverteilung eine Tendenz zur Angleichung zeigte (= fallender 
Gini-Koeffizient). Für die USA, Australien, Neuseeland und Kanada kehrte 
sich dieser Trend bereits ab etwa dem Jahr 1960 wieder um, die Einkommen 
drifteten wieder zunehmend auseinander (= steigender Gini-Koeffizient). 
Für West-Europa und noch deutlicher für Ost-Europa hat sich diese 
Trendumkehr mit der Wende 1989 ergeben. Seitdem werden die Reichen immer 
reicher und die Armen immer ärmer. Andere Statistiken könnten 
untermauern, dass dieser Prozess sich seit dem Jahr 2000 fortgesetzt 
hat. Wenig überraschend, aber doch bemerkenswert ist m. E., dass wohl 
noch nie in der Zivilisationsgeschichte die Einkommensgleichheit so weit 
fortgeschritten war wie im osteuropäischen Realsozialismus. Dies war 
freilich politisches Projekt, das aber empirisch-statistisch 
nachweislich offenbar auch realisiert worden war. Auf S. 66 (bzw. S. 24) 
gibt es ein Balkendiagramm, das zumindest für einen historischen 
Zeitpunkt um das Jahr 2000 herum klar macht, dass die 
Vermögensungleichheit drastisch höher ist als die 
Einkommensungleichheit, siehe insbesondere die dunkelblauen Balken und 
vgl. die jeweilige quantitative Höhe der Gini-Koeffizienten beim 
Einkommensverteilungsgraphen und beim Vermögensverteilungsgraphen. Es 
lässt sich daher zumindest vermuten, dass die Zeitgraphen auf S. 51/9 
noch deutlich stärkere Ausschläge insbesondere nach oben aufweisen 
würden, wenn es in dem Graphen nicht um die Einkommens-, sondern um die 
Vermögensverteilung ginge. Ich weise auf diesen ganzen Zusammenhang vor 
allem deshalb hin, weil der pauschale Neid-Vorwurf an alle, die mit der 
Einkommensverteilung unzufrieden sind, systematisch auf 
Geschichtsvergessenheit beruht: Er tut so, als wäre das Verhältnis von 
arm und reich schon immer so wie heute gewesen, als wäre es 
selbstverständlich und unabänderlich, womöglich gar aus irgendwelchen 
zusammengestromerten Vorstellungen heraus: leistungsgerecht. Das ist 
schlicht nicht der Fall, wie die Geschichte zeigt. Zudem reichen die 
beiden genannten Diagramme schon völlig aus, um zu verstehen, warum man 
erstmal ein Bruttomonatseinkommen von etwa 7.000 Euro braucht, um in dem 
Modell des BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE zum 
Nettozahler zu werden.

Ich persönlich beneide reichere Menschen nicht im Ernst, sondern glaube 
daran, dass alle ihr Päckchen im falschen Ganzen tragen. Meine 
Konsumbedürfnisse sind zwar nicht bescheiden und unter 
Hartz4-Bedingungen ganz ernsthaft nicht zu befriedigen, aber zumindest 
auch unterhalb des deutschen Durchschnitts. Mich stört abgesehen von den 
vielen realen Situationen, in denen "der Mensch ein erniedrigtes, ein 
geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Marx, MEW1, 
S. 385) vor allem die normative Kraft des Faktischen am Kapitalismus und 
die allgegenwärtige Fiktion von Mangel im realen Überfluss.

[Nachtrag: Danach folgen noch eine ganze Reihe von Stichwörtern für 
Sachen, die ich auch noch ausführen wollte. Die sind aber zu kryptisch 
als dass sie irgendwie auf Anhieb verständlich würden. Von daher war's 
das an Rausbruch von Elementen aus meiner ersten Arbeitsdatei.]


Liebe Grüße,

Bert


-------------- nächster Teil --------------
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