[Debatte-Grundeinkommen] Konfus-ius sagt

Debattenliste des Netzwerks Grundeinkommen debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Do Nov 27 10:16:57 CET 2014


Hallo,

wie gesagt, gerade andere Foki, eigentlich gar keine Zeit, aber dann 
doch zu sehr angetan von Jochens Text und außerdem mit ein paar 
pragmatischen Dingen im Hinterkopf. Versuch's knapp zu halten.

Pragmatisches:
Ich hatte gegenüber dem Moderator Matthias in einer Mail nur an ihn 
darüber nachgedacht, dass ich es eine sinnvolle Idee fände, das Archiv 
des Debattenverteilers inhaltlich in irgendeiner Form aufzubereiten. 
Autor, zentrale Themen/Thesen, Eingangs-/Ausgangsdatum&zeit, Bezüge auf 
vorangegangene Beiträge fände ich Minimum, richtige inhaltliche 
Rekapitulationen über dieses Minumum hinaus engagiert, aber für mich 
mindestens in Bezug auf alles vor August 2014 auch spannend. Moderne 
Medien geben viele Möglichkeiten inhaltlicher Aufbereitung. Ich sehe 
nicht, warum wir die nicht auch nutzen sollten.
Auch so bemerke ich langsam, dass ich den Überblick über die vielen und 
vielschichtigen Diskussionsfäden zunehmend verliere. Mail-Verteiler sind 
der reinen technischen Form nach m. E. nicht unbedingt das 
übersichtlichste Format. Wenn wir uns denn als politische Bewegung ernst 
nehmen, sollten wir uns m. E. möglichst auch so gut es geht 
strukturieren. Matthias hat durchblicken lassen, dass er auch so schon 
eine ziemliche Menge ehrenamtlicher Arbeit mit dem Verteiler hat. Von 
daher und sowieso wäre für mich die Frage: Wollen wir, also zumindest 
die Aktiven, peu à peu an einer strukturierten Aufbereitung unserer 
Themenfelder arbeiten? Falls: Welche Form kann das annehmen? Eine Idee, 
die mir gerade im Kopf rumspuckt, ist z. B. die Möglichkeit von Polls. 
Es sind ja wesentlich mehr inaktive als aktive Leute im Verteiler. Polls 
haben eine kleine Hemmschwelle für Leute, die nicht schreiben, und 
könnten den Aktiven signalisieren, in welche Richtungen der 
Gesamtverteiler inhaltlich am ehesten weiter tasten möchte. Neben der 
Verteiler-Öffentlichkeit könnte man zusätzlich auch Polls für die 
Öffentlichkeit bereitstellen - sofern wir entsprechende 
Software-Lösungen auf der Webpräsenz von grundeinkommen.de etablieren 
(dürfen). Ist jetzt erstmal nur vage von mir angedacht, Sinnhaftigkeit 
steht für mich aber ziemlich außer Frage. Zumal wir ja alle auch immer 
wieder ganz andere Sachen zu tun haben und der Mensch auch ein 
vergessliches Wesen ist. Insbesondere die Kifferfraktion der Menschheit. 
;o)

So alles in allem stelle ich mir so etwas wie eine Baumstruktur vor, in 
der unterschiedliche inhaltliche Prioritäten/Auffassungen/Positionen zu 
Verästelungen führen. Was wiederum nicht heißt, dass ich der Meinung 
bin, dass alle Aspekte gebundener Rede in eine Struktur gepresst werden 
könnten. Für einen Überblick schadet das m. E. aber nicht. Wäre 
andererseits eine Menge Arbeit, um die ich mich nicht unbedingt reiße, 
die ich je nach sonstigen Foki in meinem Leben aber durchaus bereit 
wäre, zumindest dann und wann als Teil des Kollektivs zu leisten.

zu Andreas S.:
Wir haben eine Henne-Ei-Problematik am Laufen, die mich in 
Paranoia-Gestrüppen herumkriechen lässt, worauf ich wenig Bock habe. 
Will's zumindest insoweit für den Verteiler offenlegen: In meiner 
letzten Mail erwähnte ich z. B. Orwell. Das tat ich und sendete es auch 
an den Verteiler ab, und zwar bevor Andreas' Mail über den Verteiler 
ging, in der er auch unter anderem Orwell erwähnte. Da seine Mail vor 
meiner über den Verteiler ging, stecke ich diskurstheoretisch da gerade 
irgendwie in temporalen Anomalien.

zu Jochen:
Fand ich alles schön zu lesen. :o)
Inhaltlich nur Folgendes: Ich meine, dass der Marxsche Wertbegriff über 
das Verhältnis der getauschten Gebrauchswerte konstituiert wird. 
Zumindest ist das im ersten Kapitel des Kapitals so, gibt da ja auch 
andere Herangehensweisen von ihm in den Grundrissen und so - da fehlt 
mir der Gesamtüberblick. Mir scheint darüber hinaus, dass die m. E. 
fehlende Symmetrie im Wert auf sehr grundsätzliche Dinge hinweist: 
gesellschaftlichen Stoffwechselprozess, aber auch die Leere des 
Schatzes. Wird Wert festgehalten, also als symmetrische Identität 
aufbewahrt, eben als Schatz, dann ist der Wert komplett nutzlos - wie 
die Goldreserven in Ford Knox meinetwegen, deren Aufbewahrung mehr 
kostet als nutzt. Will man den Wert nützlich machen, muss man ihn 
entweder verknuspern, also wieder in Gebrauchswert verwandeln, oder halt 
wieder verticken, in die Wertzirkulation bzw. -akkumulation werfen. 
Schatz ist insofern irrsinnig. Auch darauf weist die fehlende Symmetrie 
m. E. hin. Beim Geld ist das vielleicht ein bisschen anders gelagert ... 
das allgemeine Äquivalent hat ja eine gewisse Verselbständigungsstruktur 
gegenüber dem Wert, auf dem es eigentlich basiert.
Berts bGE 0.1, 0.2: Ich bin auch ziemlich skeptisch, was Systembastelei 
angeht. Andererseits ist das System real und braucht 
Transformationsperspektiven. Daher meine Bastelei. Spirituelle 
Revolution, irgendein großes Happening, das globale Rückbesinnung auf 
uns innerhalb von Mutter Natur einfach zur unmittelbaren Gewissheit 
werden lässt, fände ich auch besser, aber halt auch durch die 
Komplexität der patriachalen Welt ziemlich verbaut. Inhaltlich dazu 
passender Querverweis auf einen früheren Text von mir: 
https://www.facebook.com/Hippiephantasie/posts/1396922660555683
Exportthematik muss ich wohl irgendwann bei Muße nochmal gründlicher 
durchdenken ...
Buddha zum europäischen Solipsismus - Ego ist nicht weniger Schein als 
Außenwelt ... da bin ich ganz bei dir. Wie überhaupt so ziemlich bei 
allem, was du schreibst.

Was mich inhaltlich kitzelt auch an deinem Text, übrigens auch vorher 
schon in privater Korrespondenz mit Willi, die noch nicht über den 
Verteiler ging, ist die Sintflut-Frage. Als Bild, ob nun Komet oder 
Saharaisa, das Erdbeben von Lissabon, das nach Adornos Worten Voltaire 
von Leibniz' Theodizee heilte, also allgemein die Erfahrung, dass die 
Natur drastisch, radikal, bis zur Erdvernichtung auf uns Menschen 
scheißen kann. Wenn ich das nicht schlicht naturalistisch, sondern 
spirituell zu deuten versuche, gelange ich zu der Frage, was das 
Universum in uns damit hervorkitzeln will. Die klassische Deutung, dass 
wir irgendeine Gottheit erzürnt haben und sie uns das spüren lassen 
will, finde ich höchstens beschränkt plausibel. Du, lieber Jochen, 
kickst das ja auch zumindest an: Wir Menschen sind DIE Erkenntnisträger 
in Theorie und Praxis auf dem Planeten (wobei in Douglas Adams' Per 
Anhalter durch die Galaxis die Delphine und die eigentlich 
außerirdischen Mäuse über uns stehen, das vielleicht letztlich gar nicht 
so klar ist, wie's scheint). Die Daumenopposition habe ich irgendwie in 
deinem Text vermisst, ist aber auch nicht sooo wichtig. Meine Frage 
wäre: Steckt nicht auch im Patriachat neben seiner offensichtlichen 
technologischen Entfaltungspotenzen irgendein spirituell deutbarer 
Naturwille, der in uns irgendwas hervorkitzeln will, was produktiver ist 
als das Patriachat in seiner Zerstörungslust erscheint? Ich habe da 
keine Antwort zu, aber die Intuition, dass "wir in unmittelbarer Einheit 
mit Mutter Natur" kaum die ganze Lösung des Rätsels sein kann. Logisch 
würde ich es so formulieren: Unsere Trennung von ihr ist Teil von ihr, 
auch in der Abgetrenntheit bleiben wir in der Einheit. Die 
Abgetrenntheit ist Schein, ok, aber dieser Schein muss doch irgendwie 
mehr meinen als ein bloßes Verlaufen der Menschheit im Patriachat für 
8.000 Jahre. Meinst du nicht? Immerhin wurde uns die Erlaubnis zu diesem 
Irrweg erteilt und wir haben massenhaft Erfahrungen darin gesammelt ... 
tja, keine Ahnung, bin etwas ratlos da gerade, aber finde es eine 
spannende Frage.
Damit zusammenhängend frage ich mich schon lange, ob diese spirituellen 
Deutungen nicht einen krass amoralischen Zug aufweisen. Mir klingelt das 
vor allem an der Shoah. Will ich unterdessen im Ernst behaupten, dass 
darin irgendwas Sinniges liegen könnte, bloß einfach deshalb, weil es 
passiert ist und ich die Einheit allen Geschehens unabweislich finde? 
Nee, will ich nicht. Genausowenig wie ich die kapitale Bestie gut finden 
will, obwohl sie mir mein täglich Brot gibt. Ist für mich insofern ein 
ziemlich drastisches theoretisches Problem: Auch die ganze krasse 
Scheiße passiert innerhalb der Gesamtheit, von der wir alle Teil sind. 
In Momenten, wo ich das sehr klar empfinde, mag ich alle Götter, alle 
Göttlichkeit, alle Energie meinetwegen einfach bloß verfluchen. ... Aber 
vor ein paar Jahren gab Morrissey mir dann einen anderen Spin. Wenn er 
das kann, dann kann ich das wohl auch: http://youtu.be/CyVLMfXVPKE
Und mit Jesus dann wohl auch Mutter Natur. Dennoch bleibt's schwer genug.


Liebe Grüße,

Bert



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