[Debatte-Grundeinkommen] Debatte im November
Debattenliste des Netzwerks Grundeinkommen
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Di Nov 25 22:10:43 CET 2014
Einen herzlichen Gruß an alle, die sich hier aktiv oder passiv tummeln.
Ich habe die Debatte der letzten Wochen verfolgt, war aber mit anderen
Dingen zu sehr beschäftigt, um immer gleich einzuspringen. Nun hat sich
so viel angesammelt, daß ich nur auf einige ausgewählte Punkte eingehen
will.
Egge schreibt am 5.11.: " ... Angehäuftes Geldvermögen ist also
angehäufte potentielle Kaufkraft. Gleichzeitig ist es aber eben auch
stillgelegtes Geld, welches keine Produktionsgüter nachfragt und deshalb
in der Zirkulationssphäre fehlt und durch zusätzliche Geldschöpfung
(bzw. Verschuldung) ersetzt werden muss – obwohl die entsprechende Menge
an käuflich erwerbbaren Gütern und Leistungen gar nicht da ist. ..."
Logischer Fehler: Wenn stillgelegtes Geld in der Zirkulationssphäre
fehlt, kann man nicht behaupten, daß gleichzeitig die Güter fehlen, die
mit dem durch Kredit ersetzten Geld gekauft werden könnten.
Allem anderen stimme ich voll zu.
Jens am 6.11.: zur Umverteilung
Daß es bei einer beabsichtigten aktiven Umverteilung die eine oder
andere Komplikation geben kann, sollte kein Grund sein, diese
Möglichkeit gleich pauschal zu ignorieren, aber natürlich muß man sich
überlegen, wie unerwünschte Folgen verhindert werden können.
Die Angst, daß bei einer Blockierung der Geldvermögen der Superreichen
eine Deflation einsetzen könnte, ist, so denke ich unbegründet, wenn ein
BGE ausgezahlt wird (zumindest im Bereich der normalen Bedarfsgüter ist
ja damit Kaufkraft garantiert).
Daß die bisherige Reichtumsanhäufung keine Enteignung wäre, wenn "sie
auf besonders initiativreicher und genialer Produktion beruht" halte ich
in dieser Verallgemeinerung auch für falsch.
Ich gehe aber mit Jens, wenn er vor einem Rachefeldzug warnt.
Egge an Jens 6.11.
Ich habe auch den Eindruck, daß über die Funktionsweise unseres
Geldsystems noch recht viel Unklarheit herrscht, die wir nicht so
nebenbei aufdröseln können. Aber Stück für Stück sollten wir es doch
gleich versuchen. Egge schreibt erst von Geldschöpfung der
Geschäftsbanken und gleich im nächsten Satz meint er, daß 2 Mio. € auf
einem Girokonto stillgelegt seien. Aber die "sogenannte" Geldschöpfung
der Geschäftsbanken ist gerade der Mechanismus, der dieses Geld wieder
in Bewegung bringt (allerdings wird daraus immer gleich eine
Überreaktion unter den gegenwärtigen Verhältnissen).
Bert 6.11.
Mehrwertsteuer und Export ?
Im Film "Grundeinkommen" von Daniel Häni und Enno Schmidt von 2008 wird
folgendermaßen argumentiert: "Heute sind viele Steuern schon im
Produktpreis enthalten und werden mit dem Produkt über die Grenze
exportiert. Dann zahlen die Leute im Ausland das Bildungssystem, die
Infrastruktur und den Sozialstandard des Herkunftslandes mit."
Verena geht am 20.11. unter anderem auch auf diesen Punkt ein. Mit der
Abführung der Steuer im Herkunftsland wird das Problem gelöst.
Verena 6.11.
Wenn die allgemeine Erwerbsbelastung in eine allgemeine Konsumsteuer
umgewandelt wird und die als BGE ausgeteilt wird, ist aber nichts mehr
übrig für alle anderen Aufgaben, die über die Steuern finanziert werden.
Oder habe ich da was übersehen?
Bert 7.11.
Deine Version "Berts bGE 0.1" habe ich mir gerade nochmal durchgelesen
und auch die 0.2-Version. Obwohl ich einsehe, daß es für bestimmte
Zwecke notwendig werden kann, solche Rechnungen aufzumachen, sträubt
sich mir das Fell, wenn ich´s versuche. Ich bin grundsätzlich der
Meinung, daß es nur am politischen Willen liegt, ob ein BGE (bGE)
bezahlbar ist oder nicht. Warum ich so denke, habe ich in meiner
"Geschichte eines Irrtums" ausführlicher dargestellt, damit eröffne ich
einen eigenen Debattenstrang.
Der Gedanke einer einmaligen Auszahlung bei Volljährigkeit stammt (wenn
ich mich recht erinnere) von Thomas Paine aus dem achtzehnten
Jahrhundert. Er wird auch in dem oben schon benannten
Grundeinkommensfilm zitiert.
Daß ein BGE nur in den reichen Ländern bzw. nur in Deutschland keine
nachhaltige Lösung sein kann, ist wohl jedem klar. Und die Mittel für
ein weltweites Grundeinkommen müssen natürlich von da hergenommen
werden, wo am meisten Überfluß herrscht.
Bert an Arfst 15.11.
zu Gleichheit, Ungleichheit und Vergleichbarkeit; Identität
Ich habe schon in anderem Zusammenhang ein Buch empfohlen, in dem aber
auch das Identitätsproblem auf eine sehr einleuchtende Weise behandelt
wird, das ist "Die Herrschaft des Geldes" von Karl-Heinz Brodbeck. Der
Autor ist auch im Internet mit zahlreichen Texten zu finden.
zu Michael Heinrich und dem Marxschen Wertbegriff; Adorno
Den Marxschen Wertbegriff kann man, denke ich, durchaus als
Äquivalenzrelation betrachten (was wohl auch Marx selbst so gesehen hat;
es geht aber dann nur um den Tauschwert. Was Du, Bert, als Gegenargument
anführst, betrifft ja eben den Gebrauchswert. Ansonsten bin ich mit
Michael Heinrichs Werk noch nicht so sehr vertraut, bin erst durch die
Kritik von Robert Kurz mit seinen Ansichten bekannt geworden.
Zur Bodenlosigkeit
Mangelverwaltung; Notwendigkeiten des Stoffwechselprozesses mit der Natur;
Die Verknüpfung der Arbeit mit dieser Notwendigkeit ist das ideologische
Zentrum der modernen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, welches
von allen politischen Strömungen dieser Zeit und größtenteils noch bis
heute unhinterfragt als Selbstverständlichkeit gilt. Selbst Marx hat
sich davon nicht lösen können. Das ist das Paradigma, welches auch dem
Gedanken eines Grundeinkommens entgegensteht. Bis vor wenigen Jahren
habe ich auch noch daran geglaubt, bis mir die Augen aufgegangen sind.
In meiner "Geschichte eines Irrtums" schreibe mehr dazu.
Diese Notwendigkeit spielt auch in Hannah Arendts Buch "Vita activa"
eine zentrale Rolle, und obwohl sie darin sehr interessante Gedanken
entwickelt, führt sie der Glaube an diese Notwendigkeit auf eine falsche
Spur.
Der Stoffwechsel mit der Natur ist natürlich eine Notwendigkeit, solange
wir uns als physische Wesen in einer materiellen Welt bewegen, aber die
Verknüpfung der Arbeit mit dieser Notwendigkeit ist selbst unter dieser
Bedingung eine Täuschung.
allgemein: Pöbelvermehrung
Was Du, Bert, gegen den " Sarrazin-Rotz" schreibst, kann ich auch
unterschreiben. Dennoch bin ich überzeugt, daß die Zukunft der
Menschheit nicht in einer grenzenlosen Vermehrung liegt (zumindest
nicht, solange wir nicht andere Planeten besiedeln können). Natürlich
kann es keine gute Lösung dieses Problems geben, in dem Sinne, daß
irgendwelche selbsternannten Weisen oder Herrscher bestimmen, wer sich
wie vermehren darf. Gelöst werden kann dieses Problem nur, indem wir
darauf vertrauen, daß die Menschen (alle Menschen) vernünftige
Entscheidungen treffen werden, wenn sie auch wirklich in der Lage sind,
zu Entscheiden, wie sie ihre Lebensbedingungen gestalten wollen.
Arfst an Bert 16.11.
Identität, Nichtidentität, Kausalität ...
Das mit dem Hinausragen über sich selbst erleben wir ja überall. Wenn
wir etwa in der
Apotheke irgendwelche Pillen kaufen, steht auf der Packung immer der
Hinweis: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Arzt oder
Apotheker. Aber selbst die wissen nicht alles. Oder wenn Lenin in seinem
"Materialismus und Empiriokritizismus" von der Unendlichkeit des
Elektrons spricht; da geht es um dasselbe. (Im übrigen halte ich mich
mit Leninzitaten lieber zurück.) Daraus aber auf eine teleologische
Zielursache zu schließen, halte ich für falsch, denn wohin dieses
über-sich-Hinaustreiben führt, ist längst nicht ausgemacht. Sicher ist
nur, daß es hinaustreibt. Ich schweife auch mal bisschen ab, wenn ich in
dem Zusammenhang auf eine gängige Fehlinterpretation der Chaostheorie
hinweise. Das berühmte Beispiel mit dem Schmetterling und dem
Wirbelsturm drückt das Unverständnis in verblüffender Weise klar aus,
obwohl ich auch selbst den Widerspruch lange nicht bemerkt habe. Die
Behauptung, daß der Flügelschlag die Ursache für den Wirbelsturm sei,
setzt ja voraus, daß alle dazwischen liegenden Ereignisse determiniert
wären. Aber so wie dieser Flügelschlag ist auch jeder weitere Moment in
der Ereignislinie ein Bifurkationspunkt und kann in unendlich viele
Richtungen weiterführen. Folglich kann man nicht irgendeinen Punkt aus
dieser Linie als Ursache für irgendein späteres Ereignis bezeichnen.
Erst im Nachhinein gibt es diese Bahn.
Bert 17.11.
Jobcenter - Arbeitbeschaffungsmaßnahme;
Ralph Boes hat dafür ein drastisches aber nach meiner Ansicht
zutreffendes Bild gefunden. Die früher im Arbeitsamt und jetzt im
Jobcenter Beschäftigten (und alle, die in Beschaffungsmaßnahmen oder
anderen Eingliederungsveranstaltungen Tätigen) sind Lagerinsassen,
genauso wie alle anderen Hartz-IV Empfänger, denn sie sind alle
Arbeitslos (d.h. sie haben keine Arbeit in irgendeinem anderen Bereich
als eben der Arbeitslosenverwaltung). Diese Beschäftigten entsprechen
den Kapos, während alle anderen "normale" Häftlinge sind.
zum Geldsystem (Kapitalismus): Klassenbegriff, Verteilungskämpfe
zwischen Managern und Sherholdern
Im Laufe der Dauerkrise der letzten Jahre sind einmal die Spitzenmanager
in den Fokus der Kritik geraten und in den Kommentaren der
Nachrichtensendungen tauchten Meldungen auf, daß nun endlich der Gier
dieser Leute Grenzen gesetzt werden würden, weil auf den
Aktionärsversammlungen darüber debattiert wurde, die Gehälter und Boni
zu begrenzen. Damit wurde der falsche Eindruck erweckt, daß dabei etwas
für die "einfachen Leute" abfallen könnte. Es ging aber nur darum, daß
die Aktionäre lieber einen größeren Anteil abhaben wollten. Welche der
beiden Parteien dabei die Oberhand bekommt, kann uns aber ganz egal
sein, denn für "die Allgemeinheit" kommt dabei rein nichts heraus.
Zu grundsätzlichem Geldtheoretischem empfehle ich nochmals Brodbecks
oben schon erwähntes Buch. Für mich das beste und am weitesten
Entwickelte, was dazu bisher geschrieben wurde.
Bert an mehrere 19.11.
zu Keanu Reeves Filmen
"dass das im Prinzip eine Grundkonstellation ist, die die Frankfurter
beschäftigte: Jedes Individuum soll vor der kapitalistischen Bestie
errettet werden und gleichwohl muss jedes Individuum in aller Strenge
auch zugleich als Agent der kapitalistischen Bestie betrachtet werden."
Daß auch die "Realität" der Menschenwelt (Zion) und der Maschinenwelt
nur ein Programm ist, ist Dir, lieber Bert, wohl entgangen? Später
kommst Du nochmal auf diesen Punkt zu sprechen, hast aber nur Zweifel
geäußert.
Ich versuche auch immer wieder, in derartigen Filmen eine ernsthafte
Aussage zu finden, die sicher teilweise tatsächlich enthalten ist, bin
aber meistens enttäuscht, wenn die Logik der Handlung der filmischen
Effekthascherei geopfert wird. Deshalb überlege ich auch immer wieder,
ob es nicht einfacher ist, sich diese Gedanken unabhängig von den
Irrwegen der Hollywood-Indusrie zu machen. Ich gestehe aber zu, daß es
schon auch einen Hoffnungsschimmer bedeutet, daß in diesem Rahmen
Gedanken auftauchen, die geeignet sind, die Systemlogik aus den Angeln
zu heben. Neben den Filmen, die Du erwähnst ist für mich "Avatar" ein
herausragendes Beispiel dazu.
Ich versuche mir mein Interesse an phantastischen Weltuntergangsfilmen
auch dadurch zu rationalisieren, daß ich nach der endgültig richtigen
Interpretation des Guten und des Bösen suche.
zu Descartes und Solipsismus; Marx und Stirner
Der europäische Solipsismus krankt wohl an dem Umstand, daß er auf
halbem Wege stehengeblieben ist; er erkennt die "Außenwelt" als
Illusion, hält aber die "Innenwelt", das Ego für Realität. Im Buddhismus
ist schon vor 2500 Jahren erkannt worden, daß auch dieses Ego nur eine
Illusion ist, und zwar die zentrale Illusion, an der alle anderen
Irrtümer sich entwickeln.
"Der marxistische Atheismus wird spätestens dann problematisch, wenn man
sich ernsthaft die Frage vorlegt, wieso Marx eigentlich gegen Herrschaft
ist."
Das ist zwiespältig. In Marx´ Schriften kann man zweifellos nachweisen,
daß er auch eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstrebte, in seinem
praktischen und politischen wirken hat er aber mit dem Anarchismus eher
ein konfliktreiches Verhältnis und darin sehe ich auch eine Ursache für
die nachfolgende Entwicklung des Kommunismus zum Stalinismus. Das heißt
aber nicht, daß ich Marx dafür rundheraus verantwortlich machen wöllte,
was seine Nachfolger zu verantworten haben.
Zur Kosmologie: Mjkro - Makro
Ist ja interessant, daß Du, lieber Bert, einen SciFi-Roman schreiben
willst. Mich hat das auch früher sehr gereizt. In der DDR wurde diese
Literatur als utopische bezeichnet, weil man sich ja vom Westen abheben
mußte. Meine erste utopische Geschichte habe ich in der dritten Klasse
geschrieben (das war dann 1964 ?); etwas später hatte ich eine
zehnbändige Universal-Zukunftsgeschichte geplant (pro Band etwa 300
Jahre Abstand) und immerhin hatte ich die Überschriften für die zehn
Bände schon konzipiert. Viel mehr ist aber nicht draus geworden, ich
hoffe, die Menschheit verzeiht mir meine Nachlässigkeit.
Über die Implikationen der modernen Physik und Kosmologie denke ich aber
bis heute gelegentlich nach und Deine Äußerung über die Bodenlosigkeit
des Mikrokosmos hat mich an meine Überlegungen erinnert, daß nicht nur
nach "unten", sondern auch nach "oben", also Richtung Makrokosmos kein
Ende zu erwarten ist. Aber, und das ist meine Lösung des
Unendlichkeitsproblems, diese Unendlichkeit ist keine lineare, sondern
eine - wie auf der Kugeloberfläche - geschlossene. Irgendwo geht also
das unendlich Kleine in das unendlich große Über und umgekehrt. Man kann
sich schöne Geschichten ausdenken, was das für kosmische
Entdeckungsreisen künftig für Auswirkungen haben kann.
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