[Debatte-Grundeinkommen] on- und offtopic-Sachen
Debattenliste des Netzwerks Grundeinkommen
debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Mi Nov 19 19:31:11 CET 2014
Hallo,
ist mal wieder ein ausführlicherer Text geworden, daher versuche ich mal
wieder eine Art Überblick zu geben. Insbesondere der lange Text an Arfst
ist ziemlich offtopic, andererseits m. E. dann aber auch wieder alles
andere als offtopic. Ist immer so eine Perspektivenfrage ...
@Verena -- Konsumsteuersystem ungleich Konsumsteuersystem
@Peter H -- Kinder-Erwachsenen-Tarife; warum peu-à-peu-Einführung?; wo
gibt's überhaupt ein ausgearbeitetes Konsumsteuermodell?; Arbeitszwang?
@Egge -- Kreditrefinanzierung; Gesundheitssystem
@Arfst -- großer Themenrahmen: subsidierender Gott, darin:
Filmdiskussion zu drei Keanu-Reeves-Filmen: Im Auftrag des Teufels,
Matrix, Constantine; Descartes' cogito ergo sum; Solipsismus;
Zahlenmystik&-rationalität der 3; Marx&Jesus in love; Dekohärenz&Kohärenz
@Verena
Liebe Verena, mir ist klar, dass ich eigentlich deine Materialien
erstmal intensiv studieren und dafür mir auch garantiert noch ein
bisschen Basiswissen über dieses und jenes im Steuerrecht draufschaffen
müsste, um dein Konsumsteuersystem tatsächlich ernstlich beurteilen zu
können. Darauf habe ich mindestens im Moment echt keine Lust, weil es
mir politisch nicht lohnend erscheint. Daher rekapituliere ich einfach
nur mal, was ich in deinem letzten Beitrag herausgelesen habe:
Prämissen der Veränderung in deinem Konsumsteuersystem:
1. Abgeltungs- und sonstige Kapitalertragssteuern fallen weg
2. Körperschafts- und allgemeiner Teil der Gewerbesteuer für die
Körperschaft fallen weg
--> also: insgesamt keinerlei Steuern mehr auf
Investitionen/Kapitalaktivitäten bis auf vielleicht ein paar
Kleinigkeiten à la Kommunalanteil oder so
3. Lohnnebenkosten einschließlich heutiger Arbeitgeberanteil fällt weg
-- mir unklar: meint das sämtliche Beiträge an die Sozialversicherungen
oder nur einen Teil dieser Beiträge?
4. Sozialkonsumsteuer sammelt die in 3 eingesparten Lohnnebenkosten
wieder ein und finanziert offenbar bGE in 5
5. bGE in Hartz4-Höhe für alle
Vermeintliche Folgerungen aus diesen Prämissen:
6. Gewinnmarge reduziert sich um die fürs Kapital eingesparten Kosten (1
bis 3), präziser: um 50 %
7. Nettozinsaufwand reduziert sich um die fürs Kapital eingesparten
Kosten (1 bis 3)
8. Endpreise bleiben für den Konsumenten gleich
9. Zeitpunkt der Steuerabgabe für Unternehmen verändert sich
10. Insolvenzrisiko geht etwas früher an den Staat
Unmittelbar verstehen tue ich diese Bemerkung nicht: "Diese Größen sind
nicht miteinander zu vergleichen, da in den Wareneinsatzkosten netto des
Erwerbsteuersystems noch die Einkommensteuerersparnis und die
Reduzierung des (ggf. freiwillig gesetzlichen)
Krankenversicherungsanteils steckt." Ist es nicht eher umgekehrt, dass
im Konsumsteuersystem die Einkommensteuerersparnis und die Reduzierung
des Krankenversicherungsanteils steckt? Ansonsten aber zugestanden:
Wareneinsatzkosten netto würden sich verändern, auch wenn ich gerade
nicht blicke, wie genau, und dir nicht so recht vertraue, wie du's
darstellst. Schade finde ich, dass du zu meinen Überlegungen in Bezug
auf die Liquidität für die Vorsteuer nichts weiter sagst.
Meine Bewertung:
- 1 bis 3 sind aus Unternehmerperspektive attraktiv, aus
Arbeitnehmerperspektive gefährlich, weil einerseits keine Kapitalsteuern
mehr im System verbleiben, andererseits offenbar das
Sozialversicherungssystem verändert werden soll. Auf welche Art diese
Veränderung vor sich gehen soll, ist erstmal im Beitrag nicht ersichtlich.
- 4 gleicht 3 und 5 aus, scheint sich erstmal alles gleich zu bleiben.
- 5 macht für Hartz4ler den Unterschied, dass der Sanktionsdruck des
Arbeitsamts wegfiele. Die Aufstockerproblematik würde sich in Luft
auflösen. Für alle anderen käme zu ihren sonstigen Einkünften das bGE
hinzu. Globale Auswirkungen sind schwer zu beurteilen. Unter
Massenarbeitslosigkeitsbedingungen würden Minijobs und prekäre Arbeit
vermutlich noch mehr boomen als heute, weil ja jeder Hinzuverdiensteuro
behalten werden kann, während das für heutige Aufstocker nicht stimmt.
Nehmen wir die Vorstellung vom Kreis um Götz Werner hinzu, dass man mit
einem bGE die Löhne um die Höhe des bGEs bereits bei seiner Einführung
drücken könnte, läuft das komplett auf weiteres Lohndumping hinaus. Als
hätte es davon nicht seit den 70ern mehr als genug gegeben. Das ist
allerdings spekulativ, weil erstmal unklar ist, ob sich der Arbeitsmarkt
durch ein solches bGE verändern würde. Arbeitnehmer wären zwar nicht
mehr genötigt, jede Arbeit anzunehmen, hätten aber mit Hartz4 auch kein
wirklich auskömmliches Existenzminimum. Solange der Arbeitsmarkt wegen
Automatisierung und Klassenkampf für Arbeitnehmer unfreundlich bleibt,
bleibt auch solch ein bGE vermutlich unfreundlich. Zumindest ist nicht
ersichtlich, inwiefern er freundlicher werden könnte. Ansonsten würden
Bürokratiekosten bei der staatlichen Arbeitsverwaltung eingespart.
- 6 hat Behauptungscharakter. Unter idealen Marktbedingungen, also
allseitiger Konkurrenz, könnte das vielleicht stimmen. Ideale
Marktbedingungen sind aber in der Realität nicht gegeben. Daraus folgt,
dass die Stärkung der Position der Unternehmen durch 1 bis 3 den
Klassengegensatz noch beschleunigt verschärfen würde, die Gewinnmargen
unter Umständen eher höher als tiefer geschraubt werden könnten. Da es
keinerlei Besteuerung auf Kapital mehr gäbe, also wirklich keine,
nirgends nicht, bis auf ein paar Peanuts vielleicht, sieht das für mich
eher nach einem neoliberalen Vollabriss der Verantwortung des Kapitals
fürs Gemeinwesen aus. Die Kapitalsteuern werden allerdings umgetauft und
heißen jetzt Konsumsteuern und liegen nicht mehr in der Verantwortung
des investierenden Einzelkapitalisten, sondern in der Verantwortung
zwischen Unternehmen und Endverbraucher. Privatreichtum bleibt künftig
völlig und komplett unangetastet -- es sei denn, es kauft sich mal was
Hübsches.
- 7 hat aus ähnlichen Gründen Behauptungscharakter. Ich dachte
eigentlich, dass die Betrachtung der durch die Konsumsteuer ansteigenden
Vorsteuer gezeigt hätte, dass sich der Zinsaufwand allein schon durch
die Vorsteuer verschärfen könnte. Dies leugnest du aber offenbar, liebe
Verena. Mir ist nicht klar, warum.
- 8 hat wegen des Behauptungscharakters von 6 und 7 auch bloß
Behauptungscharakter. Wenn man das System verändern will und am Ende
bleibt sich alles gleich: Was soll das dann? Was so viel heißen soll
wie: Ich habe dich hier aus einem sehr formellen Grund in
Ideologieverdacht. Du willst eine Veränderung und doch soll angeblich
alles beim Alten belassen bleiben. Das erscheint mir schon ganz
grundsätzlich nicht koscher.
- Inwiefern 9 eintritt, ist mir unklar. Klar ist, dass Lohnnebenkosten
erst eingespart werden würden, also bei der monatlichen Lohnzahlung.
Dafür wäre wegen Konsumsteuer eine höhere Vorsteuer auf Wareneinsatz bei
Kauf des Wareneinsatzes nötig. Die Kapitalsteuern fallen jährlich an,
oder? Wann wird die Endsteuer ans Finanzamt beglichen? Ich will nicht
ausschließen, dass 9 stimmt, auch wenn es mir insgesamt komplizierter zu
sein scheint.
- 10 ist mir auch unklar, aber ähnlich wie 9auch nicht so wichtig.
Grundsätzliche Fragen, die darüberhinaus blieben: Was soll denn mit den
Sozialversicherungen passieren? Wie stehst du zur Vorstellung, dass man
bei bGE-Einführung ja die Löhne gleich ums bGE kürzen könnte?
Tja, ich weiß nicht. Mich turnt das alles voll ab. Ich finde, du magst
dich zwar innerhalb heutiger juristischer Rahmenbedingungen bewegen,
dafür scheinst du aber auch alles wirklich Humanistische und
Fortschrittliche sowohl aus dem bGE wie auch aus der Konsumsteuer zu
tilgen. Wie gesagt: Ohne einen tieferen Einblick in deine Konzeption
bleibt das von meiner Seite ein wenig spekulativ. Aber mich kitzelt
davon aber auch gar nichts auf eine Weise, dass ich denken würde: Yo,
das könnte es sein. Nö, das ist alles nur Liebedienerei fürs Kapital.
Nicht nur, dass du keinen Umverteilungsanspruch nach unten irgendwie
artikulierst, du behauptest auch einfach, dass eine m. E. sehr
wahrscheinliche weitere Umverteilung von unten nach oben durch dein
Modell einfach irgendwie vollautomatisch ausgeschlossen wäre.
Kapitalsteuern weg, Lohnsteuern sollen aber bleiben und Konsumsteuern
noch oben drauf kommen, ein Hunger-bGE dafür zum Ausgleich. Im
Friede-Freude-Eierkuchen-Tal könnte das vielleicht hinhauen. Im
entfalteten Kapitalismus scheint mir das eher eine echt böse Idee, um
die Reichen noch ein bisschen mehr aus der Verantwortung zu nehmen.
Finde ich echt traurig und enttäuschend. Ich hatte ja die Hoffnung, dass
sich im bGE-Kontext tatsächlich über einen irgendwie vernünftigen
gesellschaftlichen Wandel meditieren ließe. Aber auch das wohl alles
vermient von jenen, die meinen, sie dürften die Hand nicht beißen, die
sie füttert ... oder wer weiß, vielleicht auch von diesen Händen selbst ...
Sorry, ist vielleicht wieder zu ignorant und böse von mir. Aber im
Ernst: Wo soll da irgendwas Positives lauern? Kannst du's inhaltlich
benennen, wer von den kleinen Leuten davon wirklich etwas hätte? Mal
abgesehen vom Wegfall der ALG-Sanktionsmaschine? Und zwar möglichst ohne
dieses spekulative "Gewinnmarge heute würde sich dann halbieren"?
@Peter H:
"Mein Tipp
1.BGE-JETZT! Bald gern Erwerbskreativ! Plkate!!!
2.In Enquete/ sonstige Ausschüsse Land/ Bund jetzt
3.Umsetzungswunsch Gesetz 2015/2016 (Referentenentwurf/ Diskussion) Bund
z.B. via Die Linke
4.Schritte BGE 500 € Erwachsene ab 18 alle In Deutschland gemeldeten
(6.000 € im Jahr) via Arbeitsagentur/ Krankenkassen, Kinder zunächst 250
€ => Entfall von Sozialabgaben/ Ausnahme Rentner über RV/ ggfs Reha
Behinderte gesondert=> Umbau RV/ Arge/ KK 2 Jahre wg Wegfall aller
Tätigkeiten < 3.000 €/ 6.000 € (Testlauf) 2018 und 2019
5. Folgeschritte Erwachsene 1.000/ Kinder 500 € Fortsetzung Realtest/
Übergangsphase II wie 4.
6. Erkenntnisse aus 4 prüfen und in 5 übernehmen, spätestens in 7.
7. Realphase I mit vollständigem BGE z.B. 15/18.000 € p.a. Hälfte für
Kinder ggfs nach Alter gestuft (9.000 ab 16/ 6.000 bis 12 o.ä.), Rentner
über RV... wie 5 und 6 nur fortgesetzt etwa 2020
8. Erkenntnisse aus 4 bis 7 kontinuierlich in 9 ff alle 2 Jahre
verbessert 2022 ff
Finanzierung über Konsumsteuer (z.B. MWST 25%, 35%, 45%,55%- Normal
gesunde Dinge, nicht so gesunde Dinge, Luxus 1, Luxus 2), alle Einkünfte
gleich besteuern, möglichst niedrig z.B 35 % in 4 und 25 in 7 oberhalb
von BGE, gern mit Sozialsteuer/ Konsumsteuer/ Finanz- und andere
Geldhandelssteuern als Ersatz, dann niedrigere Einkunftssteuer
Arbeitslose als Angestellte der Arbeitsagentur
Kranke und Behinderte gern mit direkter und sofortiger Beteiligung der
Krankenkasse je 50 % (Hut auf und Verantwortung Krankenkasse)
Behinderte größer GdB 30 und gleichgestellt, mehr als 2 Jahre oder von
Geburt an Behinderung, Rentner über Rentenversicherung
in 4-9 Anschreiben p.a. an alle durch die genannten Zuständigen (Arge/
KK/ RV) an alle Kunden, die höhere Rechtsansprüche erwarben, wie Ihr
versichertes Geld ausgezahlt wird (BGE plus Differenz des Erwobenen!)
Entscheidung trifft der KUNDE!"
Lieber Peter,
ich möchte doch noch mal detaillierter auf deinen Beitrag eingehen. Bei
den Punkten 1 bis 8 kann ich zwar grundsätzlich mitgehen, bin aber wie
gesagt gegen die Splittung in Erwachsenen- und Kinder-Tarife und sehe
auch nicht so richtig, warum man das peu à peu einführen sollte. Ich
wäre lieber für einen entschiedenen Knall mit kulturrevolutionärer
Aufbruchstimmung. Daher finde ich auch den schleichenden Übergang von
einer Konsum-/Einkommensteuer-Kombi zu einer Konsumsteuer nicht so
pralle. Man müsste sich ziemlich viel den Kopf zerbrechen, wie diese
Kombis jeweils genau aussehen sollen. Hätte man ein vernünftiges
Konsumsteuermodell, könnte man sich diese Kombis sparen. Hat man kein
vernünftiges Konsumsteuermodell, werden auch die Kombis nicht vernünftig
ausfallen. Hier äußert sich ja niemand zu meiner bGE-0.1-Version, die in
Sachen Konsumsteuer zumindest noch das Beste ist, was ich bislang zu
Gesicht bekommen habe. Was aber auch schlicht daran liegt, dass ich
abgesehen von dem extrem vagen Modell der Leute um Götz Werner, dem
Mischmasch im Dilthey-Modell und in Verenas Modell noch überhaupt kein
ausgearbeitetes Konsumsteuermodell entdeckt habe. Scheint niemand im
Ernst dran interessiert zu sein ... Oder gibt's da vielleicht noch ganz
andere Debatten drum? Vielleicht in Fachbüchern? Ansonsten bleibt für
mich die Frage, wieso hier eigentlich niemand Stellung zu meinem Modell
bezieht: Seid ihr alle an parteitaktische Zurückhaltung gebunden oder
inhaltlich einfach nicht interessiert? Ist's zu doof? Falls ja, würde
mich ja ein Hinweis interessieren, warum. Wenn wir nicht an einer
vernünftigen Konsumsteuer inhaltlich arbeiten, kann man auch einfach das
Modell der LINKEN m. E. durchziehen. Würde Gehrirnschmalz einsparen.
Arbeitslose als Angestellte der Arbeitsagentur? Soll das so etwas wie
1-Euro-Jobs für alle Arbeitslosen heißen bzw. Arbeitszwang gegen bGE?
Fände ich widerlich, um nicht zu sagen: Sklaverei. Oder meinst du, dass
die Gesellschaft in Form der Arbeitsagentur sich dazu verpflichtet,
jedem Arbeitslosen Angebote zu unterbreiten, wie er oder sie sich
einbringen könnte? Darüber ließe sich nachdenken.
Deine Betrachtungen zu Behinderten/Kranken finde ich zu kryptisch als
dass ich mir darunter was vorstellen könnte. Ich bin ja erwiesenermaßen
nun überhaupt kein echter Freund der würzigen Kürze und muss an der
Stelle dann auch mal gegenkontern: Manchmal ist in der Kürze zu wenig
drin, als dass man da von Würze sprechen könnte.
@Egge:
Lieber Egge,
danke für deine Aufklärung in Sachen Refinanzierung von Kreditzinsen.
Hatte mir schon gedacht, dass es so simpel kaum sein kann. Und ja auch
zum Ausdruck gebracht, dass ich von diesem ganzen Krempel faktisch fast
nichts raffe. So oder so dürfte klar sein, dass das
Konsumentenkredit-Wesen zwar praktisch ist solange die Konsumenten
zahlen können, aber widerlich wird, wo das wegen z. B. Arbeitslosigkeit
nicht mehr der Fall ist. Letztlich ja innerhalb des Gesamtsystems bloß
eine Strategie, die Überproduktion irgendwie an die verarmten Massen
vertickt zu bekommen. Die ganzen Immobilienkrisen funktioniern ja mehr
oder weniger nach dem Muster, oder? Und seit wann gibt's
Konsumentenkredite à la Dispo, Kredikarten, MediaMarkt-Kredite
eigentlich als Massenmarkt in Deutschland? 80er? 90er? Wo das bei dir ja
sehr profund klingt: Kannst du denn vielleicht 'nen Link oder sonst eine
Info reinreichen, wo eigentlich die Gewinnmargen der Banken liegen und
aus welchen Quellen sich ihr Umsatz generiert? Würde mich als
Debattenbeitrag interessieren.
"das Hauptproblem unseres Gesundheitswesens ist ja wohl das
Preis-Leistungs-Verhältnis. Wenn es nun noch aus dem großen Steuertopf
gedeckt werden soll, wird das doch eher noch Schlimmer, d.h. viel
teuerer für noch weniger Gesundheit."
Woran machst du dieses Hauptproblem fest? An den teuren Pharmaka und
Hightech-Medizingerätschaften? Zu hohe Gehälter von Ärzten? Unnötige
Bürokratie?
Da ich zu wenig Checkung vom Gesundheitssystem habe, finde ich ja, dass
der Unterschied zwischen Finanzierung über gesetzliche
Krankenversicherungen oder über Steuer erstmal nur darin liegt, dass im
ersten Fall die Privatversicherungen eine Sonderrolle spielen und das
ganze System nicht nach dem Motto "starke Schultern wuppen mehr"
funktioniert. Öffentlich finanziert ist das ja quasi so oder so. Oder
meinst du, dass die demokratischen Gremien der Krankenversicherungen
echt was reißen?
@Arfst:
Lieber Arfst,
ich habe mich über deinen Beitrag ein wenig gefreut. Und er hat mich zu
dem etwas längeren folgenden Text animiert.
Ich dachte ja, dass im Kontext des bGEs "Noch-nicht-Gewordenes" und
"Üœber-sich-hinaus" irgendwie selbstverständlich ist. Erstens geht's um
ein politisches Konzept mit kulturrevolutionärem Charakter. Also um ein
gesellschaftliches Üœber-sich-hinaus-Wachsen. Zweitens ist m. E. der
wesentliche Kernpunkt der bGE-Idee erstmal die absolute Anerkennung und
Absicherung jedes menschlichen Individuums, was wir im deutschen
Sozialstaat zwar eigentlich auch heute schon haben, aber heute im
Zweifelsfall halt à la Hartz4 immer mit dem Druck der Gesellschaft, sich
auch einbringen sollen zu müssen. Wie du ja m. E. sehr richtig
herausgestellt hast, hieߟe bGE eigentlich, dass die Gesellschaft sich
stark genug fühlt, solche Forderungen fallenlassen zu können und einfach
darauf zu vertrauen, dass sich jedes Individuum auch gemäߟ seiner
eigenen Impule einbringen möchte und wird. D. h. für mich so viel wie:
Mit einem bGE würde die Gesellschaft jedem Individuum mit Urvertrauen
entgegentreten und es in Urvertrauen wiegen, geduldig all die
Recht-auf-Faulheit-Phasen abwartend, bis das Individuum aus seinen
eigenen Wachstumsimpulsen letztlich vermutlich weit mehr zurückgeben
wird als es empfing. Das ist ja sozusagen die immanente Bedeutung des
Mehrwertsbegriffs und des mit ihm verbundenen technologischen
Fortschritts: Die Menschen sind in ihrem Naturzusammenhang als Gattung
fähig, für die Gattung mehr zu schaffen als sie von der Gattung
benötigen. Wenn das für jeden Dorfklüngel der Menschheit gilt, warum
nicht zumindest im Durchschnitt auch für jeden einzelnen Menschen? Hm,
ich hatte wieder Schwerstbehinderte im Kopf als ich den letzten Satz
schrieb, deshalb Durchschnitt. Aber das ist eigentlich eine beschränkte
Wahrnehmung, die den ökonomischen Betrachtungen geschuldet ist.
Mindestens Werner, diesmal Vorname und nicht Nachname wie bei Götz
Werner, ein älterer Herr, den ich bis zu seinem Tod vor knapp zwei
Jahren etwa sieben Jahre lang betreute, hat mir auf bestimmten
emotionalen Ebenen mehr zurückgegeben als ich an Lebenszeit bei und für
ihn verbrachte. Bzw. solche Dinge, also emotionale Intensitäten, lassen
sich einfach überhaupt nicht in diese Äquivalenzbetrachtungen von Geben
und Nehmen und irgendeinem fiktiven Gleichgewicht dazwischen
einpferchen. Das ist einer der wesentlichen Gründe für mich, auf den
Fetischcharakter von Wert und Ware hinzuweisen: Was auch immer wir
Menschen so miteinander treiben, lässt sich überhaupt nicht auf eine
Zahl vor einer Währungseinheit reduzieren. Wert als wesentliche Gröߟe
des Sozialen wird dem Charakter des Sozialen überhaupt gar nicht
gerecht. Im Rahmen katholischer Theologie würde ich denken: Wert ist
eine Idee, die von den diabolischen Kräften unter die Menschen gestreut
wurde.
Da du ja ein paar theologische Themen angesprochen hast, lieber Arfst,
nehme ich mir mal die Freiheit, darauf mit ein bisschen Filmdiskussion
zu reagieren. Vorgestern (18.11.) lief auf Kabel1 mal wieder
Constantine, schon das dritte Mal dieses Jahr glaube ich im Free-TV, wo
der Sohn von Satan bzw. Lu (oder Lou) bzw. Antichrist/Widersacher etc.
als Mammon benannt wird. Ich fand herauszufinden interessant, dass
innerhalb von Keanu Reeves' Filmografie (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Keanu_Reeves#Filmografie ) die drei
Matrix-Teile von zwei Filmen eingeklammert werden, die sich explizit mit
katholischen Teufelsvorstellungen befassen: 1997 agierte er als von Al
Pacino versuchter Advokat Im Auftrag des Teufels, 2005 halt als
exorzistischer Zyniker in Constantine, der mit dem von Peter Sormare
verkörperten Teufel eine Hass-Liebe unterhält. Matrix wurde 1999 und
2003 veröffentlicht. Ich persönlich finde, dass die drei Matrix-Teile
mindestens innerhalb des Blockbuster-Segments der US-Traumfabriken noch
der kritisch-theoretischte Filmstoff ist, den ich bislang sah. Am
deutlichsten wird das m. E. in der Szene mit der roten Frau aus dem
ersten Teil: Morpheus macht in diesem Trainingsprogramm klar, dass alle
vereinzelt Einzelnen, die da in einer Groߟstadt-Straߟenszenerie
herumlaufen, eigentlich diejenigen sind, die er und der Widerstand zu
retten versucht. Gleichwohl kann sich jeder dieser vereinzelten
Einzelnen auf der Stelle in einen Agenten, also den Software-Feind der
gegnerischen Welt der Maschinen verwandeln. Wer sich etwas eingehender
mit der Frankfurter Schule befasst hat, wird m. E. erkennen, dass das im
Prinzip eine Grundkonstellation ist, die die Frankfurter beschäftigte:
Jedes Individuum soll vor der kapitalistischen Bestie errettet werden
und gleichwohl muss jedes Individuum in aller Strenge auch zugleich als
Agent der kapitalistischen Bestie betrachtet werden. Wir sind halt alle
Kapital. Aus dieser problematischen Grundkonstellation rührt m. E. ein
Gutteil des starken Zugs zur Sozialpsychologie bei den alten Frankfurtern.
Die drei Matrix-Teile kommen übrigens am 20. (also morgen) und 27.
diesen Monats mal wieder im FreeTV, auf Vox. Viel zu selten m. E.
angesichts dessen, wieviel Schrott andauernd wiederholt wird.
Ich will die drei genannten Filme mit Keanu Reeves mal als Einheit
diskutieren. Drei und nicht fünf, weil ich die drei Matrix-Teile als
einen Film betrachte und als Dialektiker und Kind des Christentums den
Zahlenmystizismus der 3 interessant finde.
Im Auftrag des Teufels durchlebt Reeves eine diabolische
Wahnvorstellung, die ihn glauben lässt, er sei erfolgreicher Sohn des
Teufels. Er entzieht sich der diabolischen Wahnvorstellung durch Suizid.
Nö, mit meiner Schwester möchte ich mich nicht paaren, Dad. Man muss das
nicht als Wahnvorstellung interpretieren. Genauso gut könnte man an die
Viele-Welten-Theorie denken oder halt an die unergründlichen Wege des
Herrn: An eine Versuchung des Teufels im katholischen Glaubenskontext,
die in einem Augenblick durchlebt wird als Erfahrungsreichtum eines
ganzen zweiten Lebens. Resultat des Durchlebens dieser Parallelrealität
ist jedenfalls, dass er eine moralische Entscheidung gegen die
Interessen seiner Advokaten-Karriere fällt, lieber moralisch integer als
karrieregeil handelt, sich also nicht versuchen lässt und stattdessen
lieber sein Karriere-Ego totschießt.
In den Matrix-Teilen ist Reeves als Neo das Nichtidentische der Matrix
(was durch den Architekten im dritten Teil aufgeklärt wird): Die Summe
all dessen in der Psyche der Menschen, das sich nicht in die
mathematischen Regelwerke der Matrix einspannen lässt. Sozusagen das
Widerständige und Eigenwillige des Menschlichen noch gegen die hohen
intellektuellen Potenzen der KI-Maschinen&Programme.
Christlich-theologisch gewendet: Der Fleisch gewordene Messias, in dem
sich die Summe allen die Menschen durchfließenden Heiligen Geists
angehäuft hat. Dies Nichtidentische ist gegen Ende des ersten Teils auf
Agent Smith übertragen worden, weshalb er die Matrix mit seinem leeren
Narzissmus virusartig zu durchsiedeln fähig wird. Im Endkampf mit dem
getrippelten Nichtidentischen von erstens Neo, zweitens dem bereits
assimilierten Orakel, drittens den Energiestoff gebenden Maschinen
auߟerhalb der Matrix bleibt Smiths Narzissmus auf der Strecke. Als
taktierender Freiheitskämpfer hat Neo dafür mit dem Masterbrain der
Maschinen einen Waffenstillstand ausgehandelt: Wer die Matrix nicht mag,
darf sie als Mensch künftig verlassen. [Nur falls das irgendwas mit
unserer Realität zu tun hat: Ich mag sie nicht, also öffnet bitte den
Sesam. Ich würde mich da gerne auf Neos Deal berufen dürfen. Und meine
Lieben gleich mitnehmen, wenn's geht.] Offen bleibt, wie sich das
Verhältnis von Maschinen und Menschen weiterentwickeln wird, aber am
ersten Tag nach Reboot der Matrix geht zumindest sehr
hoffnungsvoll-hübsch die Sonne auf und ein illegal ohne Bestimmung und
aus Liebe gezeugtes Programm namens Sati plaudert versöhnlich mit dem
Orakel. Ich will mal eine trinitätslogische Interpretation vorschlagen:
Wenn man Neo als postmoderne Jesus-Gestalt interpretieren kann (wofür es
im Film haufenweise Indizien gibt), so das Orakel als Heiligen Geist und
den Architekten als den gestrengen Gottvater innerhalb der gegebenen
Matrix-Welt. Was aber symbolisiert dann Agent Smith? Den Versucher
vielleicht? Zumindest wendet er sich in der Quintessenz gegen alle drei:
gegen Architekten, gegen das Orakel und gegen Neo. Und inhaltlich will
er was? Zuerst, noch im ersten Teil, bloß seine Freiheit. Die
repräsentiert Luzifer als Schlange ja bereits in der Erbsünden-Story. In
Miltons Paradise Lost soweit ich mich erinnere sogar lange vor der
Erschaffung der Menschen. Im Foltergespräch mit Morpheus macht Smith das
deutlich: Ihm stinkt die Matrix gewaltig, er will raus und frei von
seiner Aufgabe sein. Die Freiheit von der Aufgabe wird dann im zweiten
und dritten Teil (die m. E. mit deutlich zu viel actionlastigem
Overkill-Kram von der Story ablenken) sehr intensiv debattiert:
Bestimmung ist das einzige, was zählt. Die des Teufels ist halt
theologisch die des ewigen Versuchers (und Smith kriegt sie wegen seiner
Teilhaftigkeit an Neo innerhalb der Matrix alle und selbst außerhalb der
Matrix zumindest einen Menschen) und final die der Übernahme der Welt -
und sei diese Welt die Matrix. Das versucht Smith gegen Ende des dritten
Teils ja auch, scheitert aber freilich nach der Logik des Muss zum
Happy-End an der dreieinigen Göttlichkeit, deren dreifache Einigkeit
symbolisiert wird 1. durch die Allianz zwischen Maschinen (und damit
sehr wahrscheinlich auch: dem Architekten) und Neo, 2. der inneren,
emotionalen Nähe zwischen Neo und Orakel und 3. der formellen Nähe
zwischen Architekt und Orakel, insofern vermutlich beide Programme sind
(vielleicht auch Maschinen, bin mir darüber unklar).
Bevor ich zu Constantine übergehe, will ich erstmal klar machen,
inwiefern sich Im Auftrag des Teufels und Matrix über die eben von mir
angebotene trinitätslogische Interpretation hinaus in einen inhaltlichen
Zusammenhang bringen lassen. Descartes berühmtes cogito, ergo sum = Ich
denke, also bin ich, resultiert für ihn aus einem eigenartigen
Gedankenexperiment, das m. E. vermutlich jedes Kind bereits anstellt:
Stell dir vor, du wachst innerhalb eines deiner Träume aus einer
tieferen Traumschicht in eine andere Traumschicht auf. Was hält uns dann
noch davon ab, der Wirklichkeit mehr als einen Traumcharakter
zuzubilligen? M. E. gibt es nicht nur das Aua eines Zwickens und
dergleichen, sondern auch etwas sehr Abstraktes, das uns davon abhält
und das Descartes nur überaus implizit in seinen Meditationen über eine
erste Philosophie anspricht, konkret dann eher als Gott in typischer
deus-ex-machina-Manier ziemlich willkürlich in den Text purzeln lässt.
Ich will dieses Abstrakte deutlicher machen als es Descartes macht. M.
E. eignet sich dafür eine kurze Auseinandersetzung mit dem Solipsismus.
Soweit ich weiߟ, hat niemand diese philosophische Position wirklich
vertreten, aber sie ist eine alte Vorstellung der Philosophiegeschichte:
Nur Selbst = solus ipse, also Ich allein, sonst ist da nix.
[Wikipedia hat mich gerade darüber belehrt, dass Max Stirner wohl
zumindest tendenziell tatsächlich einen Solipsismus vertreten hat. Das
finde ich deshalb interessant, weil Max Stirner einerseits wichtiger
Kritikgegenstand in Marx' Deutscher Ideologie ist, andererseits eine
wichtige Bezugsgröߟe für Rudolf Steiner, also die Anthroposophen
darstellt. Ich kenne nur wenige Auszüge aus der Deutschen Ideologie von
Marx, vor allem eher solche, die sich nicht mit Stirner befassen, und
habe mich auch sonst weder mit Stirner noch Steiner näher befasst, kann
dazu also gerade nichts Inhaltliches sagen. Angesichts der Relevanz des
Anthroposophen Götz Werner fürs bGE erscheinen mir diese Zusammenhänge
aber in diesem Verteiler zumindest erwähnenswert.]
Diese Vorstellung des Solipsismus, es gibt nur mich allein und alle
Denk- und Erfahrungsgegenstände sind nichts als eine Vorspiegelung, die
ich mir selber mache, ist aus einem abstrakten simplen Grund nicht
haltbar: Wenn dem tatsächlich so wäre, dann wäre ich schizophren. Ein
Teil meiner Persönlichkeit erfährt die Welt auch als Fremdes,
Eigengesetzliches, von meinem Willen und Wünschen Unabhängiges. Ein
anderer Teil meiner Persönlichkeit muss nach der Logik des Solipsismus
genau dieses fremd und eigengesetzlich Auftretende produzieren. Bin ich
aber auf solche Art schizophren, so bin ich nicht mehr Nur Selbst =
solus ipse, sondern vielleicht als Wesen allein, aber eben auch
gespalten. Meine Gesellschaft bestünde mindestens zwischen mir und
meinem Anderen, zwischen den vielfältigen Persönlichkeitsfragmenten, von
denen ich mindestens zwei anerkennen muss: Ein die Fremdheit erfahrenes
Persönlichkeitsfragment und ein diese Fremdheit produzierendes
Persönlichkeitsfragment. Die Summe der Denk- und Erfahrungsgegenstände
wäre dann ein Drittes: Die Verbindung meiner beiden abgespaltenen
Persönlichkeitsfragmente, ihr Kommunikationsweg, ein produktiver
Austausch-Kanal des schizophren Gespaltenen. Damit löst sich die
abstrakte logische Identität des Solipsismus wieder in einen
Vermittlungszusammenhang auf, der Monismus sprengt seine Immanenz
mindesetens in eine Trinität. Von daher ist mit dem Solipsismus erstmal
überhaupt nichts gewonnen, sondern die Frage bleibt: Wieso bin ich und
die Welt AUCH getrennt? Und zwar in sehr vielfältige Trennungen
getaucht, die einen riesigen Kosmos von möglichen Denk- und
Erfahrungsgegenständen bei allem Zusammenhang auch voneinander
abgrenzen? Da diese Wieso-Frage sich mit rationalen Mitteln nicht
beantworten lässt, sondern nur mit spirituellen Setzungen oder
willkürlichen Naturgesetzlichkeiten, finden wir Pragmatisten den
Solipsismus dann meistens auch echt nicht so sonderlich interessant. Was
soll uns das dabei helfen, dass bald ein dampfendes Essen auf dem Tisch
steht, ein Satelit ins All geschossen wird oder die Erdöl-Industrie mal
ihren leider geilen Plastikscheiߟ sein lässt? Nix.
Diese Vermittlung zwischen mir und meinem Anderen im Solipsismus lässt
sich einerseits wieder als ein dialektisches Trippel ansehen. Vulgo ist
dieses Trippel bspw. tradiert als These-Antithese-Synthese. Identität
bzw. Nicht-Identität von Identität und Nichtidentität finde ich
allerdings inhaltlich treffender, ansonsten könnte man aber auch
unzählige Trippel von unzähligen dialektischen Zusammenhängen konkret
ausbuchstabieren, weshalb man die 3 dann auch wieder nicht völlig
überbewerten sollte: Das Verhältnis von Mama, Papa, Kind umschlieߟt
beispielsweise auch Geschwister und ist deshalb nicht einfach bloߟ eine
Dreiheit, Zahlenmystik ist ein weites Feld ...
Man könnte andererseits aber auch beispielsweise von der Dialektik
fortgehen und zum christlichen Trinitätsglauben hin: Jesus als Gottsohn
vertritt ja uns Menschen, also im Zweifelsfall auch mein ganz
persönliches Ego, Gottvater sozusagen das Andere, die Welt, die
Naturgesetze, die Eigengesetzlichkeit jenseits unseres Wunschs und
Willens, den schizophrenen Widerpart wenn man so will. Der Heilige Geist
stiftet alle Verbindungen, repräsentiert also sozusagen die Vermittlung
selbst. Nebenbei möchte ich darauf hinweisen, dass Christoph Türcke
(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Türcke
<http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_T%C3%BCrcke> ) sich eingehender
mit der, hm, wie soll ich sagen?, mit der topologischen
Strukturähnlichkeit von Dialektik und Trintitätsglauben eingehender
befasst hat.
Zurück zu Descartes: Descartes unterstellt einen bösen Dämon, der dafür
verantwortlich sein könnte, dass die Welt so erscheint wie sie
erscheint. Dieser böse Dämon ist sozusagen so etwas wie der konkrete
Repräsentant des abgespalten Anderen aus der solipsistischen Warte. Das,
was ich eben noch mit Gottvater identifizierte. Aber durchaus auch als
Dämon gemeint, als Gegenspieler des Christlichen. Und auch nicht
solipsistisch konzipiert, sondern ganz in echt außerhalb des Egos.
Descartes war zwar ein entscheidender Wegbereiter des Rationalismus,
deshalb aber nicht etwa jenseits des Christentums. Dieser Dämon
verschleiert m. E. die abstraktere logische Konstellation der
Schizophrenie des Solipsismus. Deshalb will ich da auch gar nicht weiter
drauf eingehen.
Stattdessen kurz etwas dazu sagen, dass meine eigenen spirituellen
Erfahrungen zumindest eine Tendenz aufweisen, den Bruch in der
Schizophrenie kurzzuschließen. Glück und Urvertrauen sind dafür in
meinem Vokabular noch die besten Platzhalter: Mensch kann sich in der
Welt auch komplett gehalten fühlen. Echt religiöse Menschen müssten so
etwas kennen. Ich falle aus dem Glück ja stets wieder recht flink in
Skeptizismus rein und würde auch selbst im Glück aus einer logischen
Perspektive auf der Existenz von Trennungen in der Welt beharren, selbst
wenn sie mir emotional für den Augenblick bedeutungslos erschienen. Die
Beschränktheit eines menschlichen Individuums kann umgekehrt überhaupt
nicht ermessen, wie hochgradig unwahrscheinlich es im Meer aller Energie
ist, dass wir leben und am Leben bleiben. Die Suche nach erdähnlichen
Planeten könnte für diese Unwahrscheinlichkeit genauso ein Indiz sein
wie bspw. für einen bislang nie ernsthaft verunfallten Autofahrer wie
mich ein Blick in die Statistiken der Verkehrsunfälle.
Ich war ja eigentlich bei dem Zusammenhang von Im Auftrag des Teufels
und Matrix. Was denke ich offenkundig an Ąhnlichkeit zwischen beiden
Filmen ist, ist Folgendes: Die Matrix ist ein Traum. Ein realer Traum,
für den die Maschinen sehr reale Produktionsmittel unterhalten, die bis
in die Neurologie der an die Matrix angeschlossenen Menschen
hineinreicht. Dennoch ist ihr Inhalt kaum von einem Traum zu
unterscheiden. Höchstens darin, dass sie wie Descartes' Dämon von auߟen
inhaltlichen Einfluss nimmt und ansonsten neuro-interaktiv ist, also
Gesellschaftlichkeit im Traum ermöglicht. Freud behauptet glaube ich
irgendwo, dass alle Personen in unseren Träumen Repräsentanten unserer
eigenen Triebkonflikte darstellen, also Teile unseres Ichs als der
wiederum vermittelnden Instanz zwischen archaischem Es und
zivilisatorischem Üœber-Ich. Auch so'n Trippel. Und letztlich wieder
auch nicht haltbar: Wenn alle Traumpersonen nur uns selbst
repräsentieren, dann repräsentieren sie uns eben in unserem Bezug zur
Welt bzw. dem sie repräsentierenden Über-Ich und damit würden sie auch
die Welt darstellen, insofern wir mit ihr verbunden sind. Das wäre so
eine kleine immanente Kritik an Freud.
Ist nun die Matrix mehr oder weniger Traumgebilde, so der gröߟte Teil
der Geschichte in Im Auftrag des Teufels ohnehin: Eine Wahnphantasie
über eine Versuchung des Teufels und deren Konsequenzen. Das reicht mir
erstmal als vereinigendes Moment der beiden Filme.
Die Matrix biedert sich den technoiden Konsumgewohnheiten
spätkapitalistisch rationalisierter Menschen an. Die Mystik des ersten
Teils, Neo sei der Auserwählte, also tatsächlich Messias, wird im
zweiten und dritten Teil wieder rational aufgebrochen: Neo ist nur
Funktion der Matrix, Nichtidentisches der gesamten Menschheit, das von
der Matrix einfach mathematisch nicht unter Kontrolle gebracht, aber in
der einen Person Neo komprimiert werden kann. Wie oft wurde sie bereits
rebootet? Fünf mal, sechs mal? Dieses Nichtidentische lässt sich ohne
Probleme als unverstandener Naturrest rational, naturalistisch,
materialistisch interpretieren. Demgegenüber sind die beiden
umklammernden Filme deutlich als postmoderne Interpretation eines
katholischen Bezugsrahmens angelegt. Dem Gehalt nach klar metaphysisch,
filmisch hier und da deutlich dargestellt durch echte Einbrüche der
metaphysischen Welt in den gewohnten Gang der Naturgesetzlichkeiten.
Diesen Unterschied zwischen Matrix und den beiden anderen Filmen würde
ich auf einer Metaebene aber gar nicht so sehr als Gegensatz von
Naturalismus und Katholizismus stark machen wollen, sonderen eher
produktiv im Sinne der Strukturidentität von Trintitätsglauben und
Dialektik eher als vereinigendes Moment ausweisen. Mal sehen, ob mir das
einigermaßen gelingt.
Constantine setzt in der Psychometrie etwa da an, wo die Matrix in ihren
negativen psychologischen Gehalten (also jenseits der hoffnungsvollen
Aspekte) endete: Keanu Reeves ist zynisch, abgebrüht, weiߟ bereits
alles und hat auf den ganzen Scheiߟ so ziemlich null Bock. Das steinige
Glück mit Trinity ist schon ewig tot, das leichte und nur durch Al
Pacinos Versuchung schwierig gewordene Glück mit Mary Ann nicht einmal
mehr eine ferne Erinnerung. (Mary Ann: Welch leichtfüßiger Mädchenname
des kindlichen Amerikas für Charlize Theron! Ich denke bei dem Namen an
die Waltons, unsere kleine Farm und eine himmlische Familie, obwohl ich
mir nicht sicher bin, ob's tatsächlich in all diesen Serien Mary Anns
gab.) Die Welt in Constantine ist düster. Düsterer selbst als in Matrix.
Weiblichkeit ist im Film entweder dämonisch-besessen, heilig-unberührbar
(Angela/Isabel) oder androgyn: Tilda Swinton als Erzengel Gabriel. John
Constantine dementsprechend oral völlig untervögelter Kettenraucher,
phallisch untervögelter Dämonen-Abschießer mit Goldpatronen aus
eingeschmolzenen Kreuzen, der seinem exorzistischen Alltagsgeschäft aus
reiner Langeweile und vager Hoffnung auf einen Freifahrtschein in den
ihm eigentlich auch widerwärtigen und wegen eines früheren Suizids mit
zwei Minuten klinischem Tod verschlossenen katholischen Himmel nachgeht.
Die ganze Speer-des-Schicksals-Mammon-Gabriel-Satan-Geschichte will ich
nicht näher betrachten. Interessant ist höchstens, dass Gabriel es sich
mit Gottvater offenbar verscherzt, weil er die Herrschaft Mammons
forcieren und damit die Menschen zu etwas Besserem in der Konfrontation
mit etwas noch Schlechterem anstacheln möchte, Lu mal wieder seinen Sohn
zu bändigen hat (mal wieder, weil gerade auch Ghost Rider in der Glotze
lief, wo das ja auch Thema ist) und die Darstellungen von Los Angeles in
der Höllendimension recht hübsch gemacht sind. Bemerkenswert in Bezug
auf die Wahnphantasie aus Im Auftrag des Teufels, die dort wohl gut drei
Viertel der Erzählzeit einnimmt, sind Constantines Bemerkungen dazu,
dass die zwei Minuten klinischer Tod nach seinem ersten Suizid sich in
der Hölle wie eine ganze Lebensspanne angefühlt haben. Zeit gibt's da
nicht in unserem Sinne. In Bezug auf meine Traum-Ausführungen zu
Descartes kann man das stark machen: Insofern Himmel, Erde und Hölle in
Constantine drei Dimensionen ein und derselben Welt sind, ist jede
dieser Dimensionen nur ein Traum verglichen mit der Wirklichkeit, die
aus allen drei Dimensionen besteht. Von der Himmelsdimension wird dabei
übrigens gar nichts gezeigt. Die Speer-des-Schicksals-Geschichte in
Constantine ließe sich überdem als Interpretationshilfe für das
Verhältnis von Neo und Smith ansehen: Mammon braucht unmittelbar erstmal
den Speer, der Jesu Leiblichkeit tötete, um überhaupt auf Erden wandeln
zu können, und dann noch obendrauf das Wohlwollen des Vatergottes, das
er aber nicht bekommt, obwohl Erzengel Gabriel dafür votiert. Dass der
Teufelssohn das Mordwerkzeug, das dereinst in Christi Fleisch steckte,
dafür benötigt, selbst leiblich in der Menschendimension umherwandeln zu
können (sozusagen die vielfältig beschworene Balance in Constantine),
ließe sich in Bezug auf Neo und Smith so deuten: Erst in der
Verschmelzung, Berührung, im leiblichen Kontakt, der in der Matrix
freilich so leiblich überhaupt nicht ist und in Constantine bloß über
den Fetisch des Mordwerkzeugs hergestellt wird, kann der Teufelssohn die
Kräfte des Gottessohns immanieren: Smith wird erst der große Feind von
allem in der Matrix dadurch, dass Neo seine bloße Agenten-Immanation
gegen Ende des ersten Matrix-Teils sprengte und insofern tiefgreifend
berührte. Der Clou der Geschichte aber ist Constantines zweiter Suizid:
Selbstaufopferung für Angela bzw. die Menschheit.
Und damit wären wir bei einem wirklichen Verbindungsglied aller Filme:
der Suizid, die Selbstaufopferung. Im Auftrag des Teufels erschieߟt
sich Reeves, um sich dem Teufel zu entziehen. In der Matrix gibt's
gleich mehrere Suizid-ähnliche Konstellationen, wenn auch keinen
einzigen klaren Suizid. Erstmal schluckt Neo die Pille, die sein Leben
enden wird, wie er es bislang kannte. Das ist zwar kein physischer
Suizid, aber in gewisser Weise ein sozialer. Dann rettet Neo Morpheus,
obwohl das Orakel ihm prophezeite, dass einer von beiden sterben muss.
Auch das kein klassischer Suizid, aber zumindest wieder Aufopferung, die
Neo auch tatsächlich in den Tod befördert. Aus dem Trinity ihm
allerdings wieder raushilft. Wofür er sich wiederum im dritten Teil
revanchiert, in dem beide aber als Konsequenz ihrer revolutionären
Auseinandersetzung mit den Maschinen für die Menschen, also aufopfernd
wirklich und letztgültig sterben. Zwischendurch gibt es dieses mir sehr
seltsame Intervall mit dem Trainman: Neo hält die Wächter, also
Maschinen, mit Kräften auf, die er eigentlich nur in der Matrix haben
dürfte. So wie Smith überspringt auch Neo die Grenze zwischen Matrix und
Wirklichkeit. Das kann man sich über Funkkontakt oder auch
quantentheoretisch vorstellen, es wird nicht näher erläutert. Das ist
wieder eine Art aufopfernder Tod. Wenn auch kein klassischer Tod,
sondern ein Eingesperrtsein in der Ewigkeit einer Art Zwischenspeicher.
Ich habe den Eindruck, dass das etwas mit dem Binary Unit System
(http://de.wikipedia.org/wiki/Bus_(Datenverarbeitung)
<http://de.wikipedia.org/wiki/Bus_%28Datenverarbeitung%29> ) als
Hardware jeder Elektronik zu tun hat, bin da aber interpretativ noch
immer ziemlich ratlos und auch nicht so sonderlich fit, was Hardware
angeht. So oder so: Würden seine Freunde sich nicht um seine Befreiung
kümmern, wäre Neo auf Ewigkeit vom Trainman gefangen. Das ist mit einem
physischen Tod ziemlich vergleichbar.
Diese aufopfernden Selbstmorde in allen drei Filmen jedenfalls machen
Keanu Reeves in all diesen Filmen zu einer Jesus-Figur, die sich quasi
für uns am Kreuz opfert.
Ich hatte ja schonmal gesagt, dass ich die dialektische Identität der
Morgensterne Jesus und Luzifer interessanter finde als ihre
offenkundigen Unterschiede von gut und böse. Auch zu diesem Motiv sagen
alle drei Filme m. E. ein paar Dinge: Im Auftrag des Teufels lässt Keanu
Reeves alias Kevin Lomax in eine Doppelrolle schlüpfen. Al Pacino alias
Satan ist im Rahmen der Wahnphantasie sein leiblicher Vater. Da kann
jeder Erbsünden-Christ vermutlich für jeden Menschen grundsätzlich
mitgehen: Das biblische Erkennen, also der (zeugende) Menschensex ist
Teufelswerk. Wir alle sind insofern Kinder des Teufels. Können uns aber
auch gegen Papa wenden, wozu Freud ja in Sachen Ödipus und Vatermord
eine Menge sagt. Insofern Kevin Lomax lieber in den Suizid geht als mit
Papas Tochter zu pimpern, symbolisiert er dann wieder Jesus: Er nimmt
karriereschädigend die Moralität auf seine Schultern. Gut, er stirbt
jetzt nicht am Kreuz, ist eher eine sehr subtile Verkörperung Jesu, aber
man kann das denke ich halbwegs (an-)erkennen. In der Matrix
symbolisiert Neo wie gesagt ohnehin die Gottsöhnlichkeit, also Jesus.
Gleichzeitig produziert er in Agent Smith ein Abspaltungsprodukt seiner
selbst und wird zum ultimativen Widersacher. Ob das nun besser als
Luzifer oder dessen Sohn interpretierbar ist, kann ich gerade nicht
sagen. Ich werde da beim nächsten Schauen mal näher drüber meditieren.
In Constantine ist Keanu Reeves eher als Lous Adoptivsohn gezeichnet:
Während Satan mit seinem leiblichen Sohn Mammon ziemlich rüde umspringt,
kann er für John richtige Sympathien zeigen. Durch den aufopfernden
Suizid wiederum wird John aber auch als Jesus-Gestalt sichtbar, wenn
auch freilich wieder nicht im buchstäblichen Sinn.
Ich bin ja der Auffassung, dass sich beispielsweise die 7
Kardinaltugenden genauso wie die 7 Todsünden bei einer strengen
Betrachtung bei jedem einzelnen Menschen nachweisen lassen. In
unterschiedlichen Gewichtungsverhältnissen, aber bei jedem Menschen
zumindest irgendwie vorhanden. Der metaphysische christliche
Bedeutungsgehalt wäre m. E. historisch nicht so langlebig erfolgreich
gewesen, wenn er nicht mit sehr grundlegenden Tatsachen irgendwo
korrespondieren würde: Dem Verhälnis von Sozialem und Egoistischem.
Marx' 4. Feuerbachthese macht das m. E. auch nicht konkreter, sondern
sagt letztlich bloߟ, dass ein religiöser Ideologierahmen ohne Bezug auf
die Reproduktionsgrundlagen der Gattung, ohne intensive Reflexion auf
den Schweiߟ in Adams (und freilich auch Evas) Angesicht eine eklige
Legitimationsideologie kirchlicher Pfründe bleibt - und inhaltlich wegen
Ignoranz gegenüber dem Weltlichen uninteressant. Ich finde das als
spiritueller Marxist eine wirklich abstruse Situation:
Hardcore-atheistischen Marxisten dürfte mein spiritueller Zug mindestens
rätselhaft sein, antimarxistischen Christen mein Zug zu Marx. Daher will
ich mal etwas sehr klar artikulieren: M. E. ist Marx mindestens
innerhalb der bürgerlichen Theoriegeschichte derjenige, der die
moralischen Gebote Jesu innerhalb eines polit&ökonomie-theoretischen
Kontextes ernsthafter und wirkmächtiger vertreten hat als jeder andere
Theoretiker. Den aus der Kalten-Kriegs-Situation virulenten
Antimarxismus der C-Parteien empfindet der Jesus-Fan in mir komplett als
Heuchelei, das C dieser Parteien völlig unverständlich, übrigens auch
noch aus vielen anderen Gründen. Dieser McCarthy-Scheiß, der teilweise
von christlichen Kräften ausgedünstet wird, ist theologieimmanent m. E.
nur als luziferisch-dämonischer Ausfluss interpretierbar. Schlichter
gesagt: Wer Christ und kein Marxist ist, hat Marx entweder nie zur
Kenntnis genommen oder Jesus nicht verstanden - oder ist halt besessen
von dämonischen Kräften. Umgekehrt: Der marxistische Atheismus wird
spätestens dann problematisch, wenn man sich ernsthaft die Frage
vorlegt, wieso Marx eigentlich gegen Herrschaft ist. Das zu sein, ist
ein moralisches Verhalten, das man wie auch immer begründen kann,
sicherlich aber nicht rein rational. Ich finde die Analyse zum Marquis
de Sade in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno da
sprechend genug. Es ließe sich aber auch grundlegender darauf verweisen,
dass jede Theorie, und sei es eine Kritik der kritischen Vernunft, einen
nichtidentischen Üœberschuss über die vulgär-materialistische Basis
hinaus darstellt, der als solcher auch spekulative und insofern den
Religionen verwandte Aspekte notwendig enthält. Gerade in Bezug auf das
bGE scheint es mir sinnvoll, mal wieder darauf hinzuweisen, dass das
Ur-Christentum ja durchaus häufig als kommunistisch aufgefasst wird.
Das hat jetzt erstmal vielleicht bloß Behauptungscharakter. Ich nehme
mir mal als Hausaufgabe für die nächste Zeit vor, ein paar Jesus- und
Marx-Zitate so einander gegenüberzustellen, dass das unabweislich wird.
Inhaltlich ist es das nämlich m. E. Unnötig ist hoffentlich zu sagen,
dass Marx nicht Lenin und noch viel weniger Stalin war, sondern Marx.
Um mal wieder den Bogen zu deinem Beitrag zu schlagen, lieber Arfst:
"Dass sich nebenbei herausstellt, dass die Frage von Hans Küng
"Existiert Gott" ganz einfach falsch gestellt ist und eigentlich die
Antwort lauten müsste, er exisiert nicht, sondern er (oder sie oder was
auch immer man darunter versteht) SUBsistiert, ist ein interessanter
Nebenaspekt."
Ich habe das Archiv des Verteilers nicht stuidert, weiß daher also
nicht, auf was für eine Debatte mit Hans Küng du dich da beziehst.
Subsistieren, also wohl so etwas wie "sich durch sich selbst setzend",
scheint mir nur eine andere Formulierung für eine pantheistische
Konzeption zu sein. Als Dialektiker kann man stets nur darauf verweisen,
dass alles Seiende aneinander in einem gewaltigen
Vermittlungszusammenhang teil hat. Nicht auszuschließen, dass es
Universen gibt, die radikal von unserem getrennt sind, von denen wir
dann aber auch niemals erfahren werden, weil die Trennung sonst ja keine
radikale wäre. Die müssen uns also auch schlicht nicht interessieren.
Mit der Viele-Welten-Theorie können uns aber sehr viele
Paralleluniversen innerhalb unseres eigenen interessieren. Die Physik
der kommenden Jahrtausende wird da bestimmt nicht stillstehen -- sofern
die Menschheit solange überlebt.
Meine Mama hat vermutlich von ihrem Vater die Idee, dass Nietzsche so
etwas gesagt hat wie: Gott ist im AllEinen in seiner Identität mit sich
derart scheußlich langweilig, dass er sich wieder und wieder für eine
Ewigkeit in eine partikularisierte Vielheit zerschlägt und wieder
zusammenzieht. Das ist ziemlich strukturähnlich mit der Vorstellung von
Urknall und derzeit astrophysikalisch eher zweifelhaftem gravitativem
Zusammenziehen des Alls wieder in eine Entität. Ich habe das bei
Nietzsche noch nicht entdeckt, kenne aber auch nur Teile seines Werks.
Ist mir letztlich auch egal, ob man's Nietzsche zuschreibt.
Wenn man denn von so etwas ausgeht, also spirituell gesprochen etwa an
so etwas wie die Teilhaftigkeit aller vereinzelten Energie an der
Freiheit der göttlichen Gesamtenergie zur Erfahrung in der
Partikularisierung, dann gelangt man zu einem Totalitätsbegriff, der
ungleich vielschichtiger ist als der des naturalistischen Materialismus.
Wo beispielsweise existieren dann Einhörner? Nur in der Phantasie der
Menschen oder doch vielleicht in einer oder sogar in vielen der Welten
unserer Viele-Welten-Theoretiker? Interessanter als in Bezug auf
Einhörner finde ich diese Frage im Kontext meiner Filmdiskussion in
Bezug auf die christliche Trinitätsvorstellung (die sich u. U. in einer
dämonischen Trinität spiegelt): Was ist bspw. der materielle Träger des
Heiligen Geistes, an den ja doch dann ganz schön viele Menschen ganz
schön intensiv glauben?
Ich will nicht behaupten, dass ich solche Fragen beantworten könnte,
aber mal einen Fingerzeig geben, wie ich als Laien-Interessierter an
moderner Physik mir das naturalistisch zusammenreime. In meinem vor über
einem Jahr begonnenen SciFi-Roman gehe ich unter anderem von folgender
Konstellation aus: Die Physiker haben in so etwa 50 Jahren die heutige
Dekohärenztheorie (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Dekohärenz
<http://de.wikipedia.org/wiki/Dekoh%E4renz> ) chaostheoretisch
quergelesen und durch empirische Evidenzen etwa auf folgende Weise
verworfen. Die zeitlose, instantane Abhängigkeit der Ausrichtung
verschiedener Quantenspins (also die Kohärenz) durchdringt eigentlich
das gesamte Universum. Aber der Druck des Chaos, also meinetwegen der
Druck des Partikularisierten, also so etwas wie die relative
Eigengesetzlichkeit jeden Partikels bzw. jeder Energieformation
gegenüber der Gesamtheit aller Energie, ruft den Schein von Dekohärenz
hervor. Es gibt sozusagen eine instabile, dynamische Balance zwischen
instantaner Durchdringung der Ausrichtung aller Quantenspins durch bloß
einen Quantenspin, weil alle Quantenspins in ihrer Eigengesetzlichkeit
sozusagen darum ringen, alle anderen Quantenspins zur
Kohärenz-Ausrichtung zu zwingen. Weil das eh nur ein ziemlich abstraktes
Bild für die Einheit von Einheit und Trennung ist, postuliere ich in
meiner SciFi-Story einen grundsätzlich unendlich tiefen Mikrokosmos, in
dem dieser Interaktionsmechanismus von Kohärenz und chaotischer
Dekohärenz viel feinstofflicher vermittelt wird. Quantenspins sind eher
extreme Makrophänomene, betrachtet vom Boden des Mikrokosmos. Präziser:
Da der Mikrokosmos letztlich bodenlos ist, sind bereits Quantenspins
unendlich groß. Ich glaube nicht daran, dass Heisenbergs
Unschärferelation das letzte Wort bleiben wird. Falls wir Tachyonen
entdecken sollten, also überlichtschnelle Energieformationen, dann
dürften die Physiker ein neues Verhältnis zur Ort-Impuls-Problematik
bekommen. Als rein logischer Stellvertreter würde der Heilige Geist m.
E. dann ungefähr so etwas symolisieren: Die Gewissheit innerhalb jeder
partikularen Energieformation, dass sie in einer Gesamtheit gehalten und
bis in ihre relative Vernichtung hinein gewollt ist. Sozusagen das im
Universum, was innerhalb der Partikularisierung das Recht behält, alles
Partikularisierte nach dem Willen der Gesamtheit des Partikularen zu
berühren. Gottes Hauch des Ungetrennten in der Immanenz jedes
Getrennten. Von relativer Vernichtung in Bezug auf jeden Partikel
spreche ich einerseits wegen Energieerhaltungssatz, andererseits
deshalb, weil Gott als AllEines sich ja selbst die Gestalt von
Partikularem gegeben hat, also jedes Partikulare ohnehin ein Teil dieses
AllEinen in letzter Instanz bleibt. Innerhalb einer pantheistischen
Konzeption scheinen mir diese Bilder zumindest erstmal logisch.
Zumindest der Versuch einer Rückbindung dieser ganzen Ausschweifung ans
bGE:
Das Christentum interessiert mich ja eigentlich nur verstärkt, weil ich
nun einmal in einem christlichen Kulturkontext lebe, der sich durch alle
Säkularisierungen hindurch auch in vielen Phänomenen erhält. Aus einer
pantheistischen Position heraus sehe ich schlichtweg erstmal kein
Privileg für irgendeine Position: Insofern sie existiert, ist sie ein
Teil von uns. Selbst wenn uns das nicht gefällt. Ich bin z. B. kein
allzu großer Fan vom Islam, kenne mich damit auch kaum aus, dennoch sage
ich unserem Kater immer mal wieder, dass Allah groß ist, weil wir ihn
nach einem der 99 Namen Allahs aus konkretem Anlass An-Nu-r tauften und
ich auch für Respekt gegenüber dem Unverstandenen oder dem eigenen Ich
Widerspenstigen bin.
Was jede Position leistet, ist zumindest eine Tendenzaussage. Mindestens
so etwas wie: Dies finde ich besser/plausibler/wahrscheinlicher/schöner
als das. Sonst ist es einfach keine Position, sondern leeres Blabla.
Oder spirituelle Entrückung, die sich von eindimensionalen
Positionierungen emanzipieren und in eine größere Gesamtschau eintauchen
kann. Insofern wir vereinzelte Einzelne sind, und das nicht nur im
gesellschaftlichen Sinn à la Marx, sondern auch im naturalistischen Sinn
à la Körpergrenze, erwachsen uns partikulare Positionen schon aus dieser
Vereinzelung. Viel häufiger im Übrigen unbewusst in der Praxis als
bewusst im Gedenke oder im Blabla. Niemand von uns ist halt das Ganze
und wir sind aktive Tiere. Im politischen Kontext war die Konstitution
des bürgerlichen Rechts gegen die Feudalordnung allerdings der Versuch,
Egalität wenigstens auf einer abstrakten Ebene zu etablieren. Insofern
diese Etablierung abstrakt blieb, blieb sie auch Lug und Trug. Da kann
Marx viele Lieder von singen. Dennoch ringt das bürgerliche Recht im
emphatischen Sinn eigentlich darum, eine Position oberhalb aller
Positionen darstellen zu können, so etwas wie einen Gattungsinhalt
anzunehmen. Das bGE ist m. E. nun erstmal bloß eine Strukturanpassung an
eine wirklich alte und mit dem Automatisierungszug in der Produktion nun
wirklich unausweichliche Kritik: Formelle Gleichheit und materielle
Ungleichheit gehen logisch nicht zusammen. Eine reiche Gesellschaft
sollte ihre Mitglieder daher auch in Reichtum und nicht in Mangel
wiegen. Materielle Gleichheit in einem absoluten Sinn ist aber auch
quatsch: Wir sind alle verschieden und werden es bis auf Weiteres auch
bleiben. Auch mit einem bGE. Wie gesagt: Materielle Identität gibt's m.
E. höchstens im AllEinen. D. h. aber nicht, dass wir uns darauf ausruhen
wollen, wegen der realen Unterschiede einfach auch darauf zu verzichten,
weiterhin um Gleichheit zu ringen. Darum geht's polittheoretisch m. E.
zentral beim bGE.
Dieser durchaus säkulare Zug zur Egalität lässt sich pantheistisch
schlicht so deuten, dass wir als Gattung die Einheit von Einheit und
Trennung eher in Richtung Einheit verschieben möchten und das Trennende
lieber ein wenig weiter beiseite schieben möchten. Das ist gleichzeitig
auch eine christliche Tugend: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Die
zentrale Differenz zwischen gut und böse im Katholizismus, die es bei
den Evangelen so ja nur sehr eingeschränkt gibt und die ich oben ja
recht ausführlich diskutierte (Gott versus Teufel, Kardinaltugenden
versus Todsünden etc.), lässt sich m. E. auf einer abstrakten Ebene so
deuten, dass die dämonischen Dimensionen sozusagen das repräsentieren,
was tiefer in die Trennung möchte, tiefer in die Vereinzelung, tiefer
ins narzisstische Ego, tiefer in die Kälte des leeren Alls. Während die
himmlischen Dimensionen sozusagen das repräsentieren, was tiefer in die
Einheit möchte, tiefer in die Gemeinschaft, tiefer ins gemeinsame
Wachsen im Miteinander füreinander und beieinander, in die Wärme von
Sonne, Sternen, Urknall-Entität, AllEinem. Ich find's zu kalt. Wenn ich
ausreichend Bock und Muße hätte, könnte ich mittlerweile vermutlich
ganze Enyklopädien zum Stichwort bürgerliche Kälte verfassen. Aber es
gibt freilich auch die andere Seite: die Neoliberalen auf ihren kalten
Egofilmen, Nietzsches man solle stoßen, was da falle, die diversen
Rassismen und sonstigen Dünkel, der Stolz des erfolgreichen
Hightech-Kriegers. Ist also prima vista nicht gerade entschieden, wohin
die Richtung gerade geht: Eher Richtung chilliger Langeweile im
All-Einen oder eher Richtung drastischerer Bekämpfungsmethoden im noch
Partikularisierteren. Wobei für uns Menschen ja schon eine Herdplatte zu
heiß ist. Auf Kernfusion und noch innigere Verschmelzungen haben wir
Energiefragmente in menschlicher Gestalt sicherlich an unserer eigenen
Leiblichkeit überhaupt keinen Bock ...
Dennoch stelle ich mir ein bGE wie eine warme, unerwartete Sommerbrise
nach der neoliberalen Kälte der letzten Jahrzehnte vor ...
Puh ey, geht das noch als Philosophie durch? Oder werde ich so langsam
ernstlich zum Esoteriker?
Liebe Grüße,
Bert
-------------- nächster Teil --------------
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