[Debatte-Grundeinkommen] Banker of the world, unite and take over
Debattenliste des Netzwerks Grundeinkommen
debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Mo Nov 17 10:17:10 CET 2014
Hallo,
ich möchte über eine Bemerkung in meiner letzten Mail weitermeditieren.
Nämlich über diese:
"Diejenigen, die etwas gegen Geldmengenerhöhung haben, würden ganz schön
zu rotieren anfangen und vielleicht wirklich gute Modelle ausarbeiten.
Das sind ja schließlich auch die Experten des Geldsystems. Man muss sie
halt nur auch nötigen, sich was Cleveres einfallen zu lassen."
Für alles vereinzelt Einzelne bleibt es nach meiner Einschätzung eine
stete Aufgabe, gegen die eigenen Gewohnheiten und Vorurteile anzudenken
und anzuhandeln. Mein Gefühl ist, dass in dieser Formulierung zu viele
antikapitalistische Reflexe bei mir durchkamen. Ich will mal versuchen,
es versöhnlicher zu denken.
Ein Aspekt der bGE-Debatte, die von Götz Werner und den Leuten in seinem
Umkreis stark gemacht wird, ist die Einsparung von Bürokratiekosten.
Nach meinen Kontakten mit dem Jobcenter in Bremen habe ich ja stark den
Eindruck, dass das gesamte Jobcenter eine riesige
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ohne nennenswerten Output ist. Zumindest mit
mir wissen die überhaupt nichts anzufangen. Aber man muss sich ja an die
Gesetze halten, also mindestens abstrakt Druck aufbauen auf einem
Arbeitsmarkt, von dem man als Sachbearbeiter im Jobcenter genauer als so
ziemlich jeder andere weiß, wie desolat er aussieht. Ich bin mir
angesichts dieser Kontakte jedenfalls nicht mal mehr sicher, ob die
Gesellschaft Arbeitsvermittler braucht. Klar ist allemal, dass ein bGE
enorme Mengen Personal freisetzen würde, das heute mit der individuellen
Berechnung von Hartz4-Bescheiden befasst ist. Jedem ein bGE zu
überweisen ... das kann auch ein Computer.
Was ist nun aber mit diesen Leuten? Unmittelbar ist unsere Forderung:
Schickt sie in die Arbeitslosigkeit. Das ist nicht sehr nett. Diese
Leute sollen ihre persönlichen Tagesgewohnheiten à la Fahrt zur Arbeit,
Kaffeetrinken, Bürostuhlverspannungen wegmeditieren etc. einfach
aufgeben, nur weil wir das politisch sinnvoll finden. Bin ich der
Einzige, der sieht, dass das auch eine Zumutung für diese Leute ist?
Zumindest sein könnte?
Ich will ja viel grundlegender eingeschliffene gesellschaftliche
Verfahrensregeln und Gewohnheiten in Bewegung setzen. Ich stehe als
politisches Wesen dazu, dass kein Individuum das Recht hat, aus bloßer
Bequemlichkeit ein besseres Miteinander zu verhindern. Im Gegenteil: Es
liegt quasi im Wesen bürgerlicher Vergesellschaftung, das wir uns alle
eigentlich auch für uns alle verantwortlich fühlen müssen. Für die Polis
muss jeder Einzelne auch mal über den eigenen Schatten springen. Dafür
muss man aber auch von der Polis erwarten können, dass sie für das
Individuum über den eigenen Schatten springt. Sozusagen
Musketiere-Slogan: Einer für alle und alle für einen.
Das ist weit leichter gesagt als getan. Wir sind nämlich sehr viele
Einzelne und man kann es keinem Einzelnen aufbürden, die Verantwortung
für ein paar Milliarden Menschen zu tragen. Das wird ja aber auch nicht
verlangt: Denn umgekehrt gibt es eben auch Milliarden Einzelne, die
abstrakt diese Verantwortung gemeinsam tragen. Es hängt nicht an einem
Individuum.
Nach diesen allgemeineren Vorüberlegungen: Zurück zum Fokus auf die
Experten des Geldsystems. Klassenkampftheoretisch sind insbesondere die
leitenden Angestellten des privaten Bankwesens bloße Agenten des
Kapitals. Ich gehöre ja zu jenen Menschen, die darauf bestehen, auch
Ackermann einen Proletarier zu nennen. Ich habe da einen strengen
marxologischen Begriff von: Er verkauft seine Ware Arbeitskraft. Das
wäre für ihn vielleicht nicht unbedingt nötig. Keine Ahnung, wie seine
Biographie aussieht. Aber mindestens heute wird er durch exorbitant hohe
Löhne genug zusammengerafft haben, um eigentlich Teil der anderen Klasse
zu sein: Vermögender, der auch sein Geld für sich arbeiten lassen
könnte. Unmittelbar ist seine Funktion aber genau die andere: Sich darum
zu kümmern, dass Geld arbeitet, also Wert heckender Wert bleibt.
"They're counting their games - as you count your losses" (vgl.
http://youtu.be/cD3VdPfF7Wo ) Das gilt für ihn sowohl als Teil der
Kapitalistenklasse wie auch in seiner proletarischen Funktion als
Hochverwalter des Kapitals.
Gehe ich von der unversöhnlichen Perspektive des Klassenkampfs fort zu
der versöhnlicheren Gattungsperspektive des Miteinanders füreinander im
Beieinander, dann bleibt von der gesamten Arbeitssphäre des privaten
Bankenwesens halt erstmal dies über: Die Angestellten dieser Sphäre sind
die derzeitigen Experten der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion, des
Geldwesens, von Investment und dergleichen. Damit tragen sie m. E. eine
spezifische Verantwortung: Könnten sie sich von dem ihrer Arbeit
immanenten Klassengegensatz loslösen, so könnten sie sich in unsere
Debatte extrem produktiv einbringen. Einfach, weil sie eine Menge
Checkung auf ihrem Feld haben.
Das ist sehr abstrakt-allgemein gesagt. Ich kenne keine Banker bis auf
flüchtig eine und kann's daher genauer überhaupt nicht bestimmen. Ich
will's aber doch mal auf ein persönliches Level bringen und damit klarer
machen, dass ich die Verantwortung von Bankern nicht bloß als die
abstrakte jedes Bürgers für die Polis und nicht bloß spezifisch als die
den Fähigkeiten dieser Menschen entsprechende Verantwortung denke,
sondern auch historisch als eine sehr besondere, schwerwiegende
Verantwortung nach den Verwüstungen, die diese Menschen meinetwegen in
den letzten Jahrzehnten angerichtet haben.
Ich habe gestern ein für meine Verhältnisse sehr unhöfliches
Kündigungsschreiben an die Landesbank Berlin verfasst. Vor einem guten
Jahrzehnt habe ich eine ganze Reihe von Girokonten eröffnet und in Bezug
auf die Landesbank Berlin: ein amazon-Kreditkartenkonto eröffnet. Meine
damalige Gefährtin hat sich damals eine Weile intensiver mit
geizkragen.de befasst. Als verzogene Gören der Mittelschicht haben wir
einfach jede Eröffnungsprämie einer Bank mitgenommen, die sich greifen
ließ. Ich war da zwar nicht die treibende Kraft, habe aber mitgemacht.
Solange ich ausreichend Geld aus Arbeitseinkünften für meinen Konsum
hatte, war da auch schlichtweg nichts Problematisches dran. Hat man
Geld, sind Kreditkarten echt praktisch. Das änderte sich aber mit der
Arbeitslosigkeit. Nein, schon davor: Ich hatte 2012 eine spirituell
motivierte Stimmung, die mich mit dem bis in diverse Dispokredite hinein
verfügbaren Geld nach dem Motto "Was kostet die Welt?" umgehen ließ. Mit
der Arbeitslosigkeit kam dann nur die Perspektive hinzu, dass sich
erstmal von dem Schuldenberg auch nicht mehr runterkommen lässt.
Außerdem führte mein halbes Dutzend Bankkonten zu einem fetten
Papierstapel, als das Jobcenter eine Offenlegung unserer Finanzen forderte.
Worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Vor etwa einem halben Jahr führte
mich diese Situation in eine Schuldnerberatung. Die habe ich für mich
selber als Abzockenmechanismus analysiert. Unter 10 tausend Euro
Schulden lohnt sich so etwas m. E. überhaupt nicht, weil die
Verfahrenskosten in Höhe von mindestens 1.700 Euro bei einem
Privatinsolvenzverfahren letztlich am Schuldner kleben bleiben. Es sei
denn, man kommt für ein ganzes Jahrzehnt nicht aus dem Existenzminimum
heraus, dann trägt's der Staat. Ansonsten, also falls man Einkommen
oberhalb des Existenzminimums generiert, bleibt man sechs Jahre lang für
die Grundschuld zahlungspflichtig und dann weitere vier Jahre für die
Verfahrenskosten. Spannend war für mich aber eine Überlegung des
Schuldnerberaters, die mir klar machte, wie krass die Landesbank Berlin
z. B. an meiner Schuld verdient. Er stellte mir die Frage, wie hoch der
EZB-Leitzins ist und wie hoch mein Kreditkartenzins ist. EZB-Zins liegt
bei so 0,25 % derzeit, Kreditkartenzins bei, keine Ahnung, habe keine
Lust das ganze Kleingedruckte in meinen Verträgen zu lesen, gut 15 %.
Für 100 Euro, die sich die Landesbank Berlin bei der EZB für meine
Kreditkarten-Liquidität besorgt, zahlt sie 25 Cent, ich aber gut 15
Euro. 15 Euro durch 0,25 Euro wären eine Marge von 6.000 %. Muss man
nach dieser Überlegung noch irgendwas dazu sagen, dass die Banker in
besonderer Weise deshalb für die Polis verantwortlich sind, weil sie die
Polis in besonderer Weise ausgequetscht haben? Ob nun als Verkäufer von
Ware Arbeitskraft an das Bankkapital oder als Teil der
Kapitalistenklasse ist mir dabei völlig schnurz: Die Leute, die eine
exorbitante Bereicherung insbesondere auf Kosten der ohnehin schon
Verschuldeten organisiert haben, müssen echt mal dringend an ihrem Karma
arbeiten. Nicht vergessen möchte ich dabei allerdings, dass freilich
auch die Kontoeröffnungsprämien, die mich in diese Situation
hineinköderten, ein Teil dieses schlechten Karmas sind. Da meine
Schuldzinsen unterdessen aber den Reibach durch Eröffnungsprämien wett
gemacht haben, habe ich nicht den Eindruck, dass ich persönlich damit
gerade noch übermäßig viel zu tun hätte.
Ich finde, dass dies ein guter Zusammenhang ist, um mal eine Kritik an
Marx zu formulieren. Als marxistischer Marxologe sollte man von Zeit zu
Zeit auch mal klar machen, dass auch der große Kalle nicht alles
gänzlich klar sah. Implizit für Insider hatte ich schon einmal klar
gemacht, dass ich das Ende von Bretton-Woods als Beleg dafür ansehe,
dass auch die Geldware unabhängig von einem spezifischen materiellen
Trägermedium funktionieren kann. Ja, ich hatte geradezu Marx'
Fetischbegriff mit der reinen Fetischhaftigkeit des Weltgeldkonstrukts
empirisch zu bestätigen versucht. Marx war da allerdings anderer
Ansicht: Geld musste seiner Ansicht nach an ein materielles Trägermedium
gebunden bleiben. Er kannte freilich auch noch kein Internet. Und behält
im Kern auch recht: Ohne Trägermedium wäre der Wert nicht vorhanden. Er
konstituiert sich nur über den Zugriff auf Dinge und Menschen. Und die
Geld-Bits&Bytes werden vor Hackern nicht grundlos mit immensem Aufwand
behütet. Deshalb muss aber das allgemeine Äquivalent nicht an ein
spezifisches Trägermedium gebunden bleiben. Vielmehr ist es doch so: Das
allgemeine Äquivalent ist der leere Stellvertreter aller konkreten
Äquivalente, die Gesamtheit der Äquivalenzen viel eher als irgendein
spezifisches Äquivalent. Das Tier im Tierreich, also jedes Tier und
nicht etwa ein Tier, dass alle Tiergattungen und Tierindividuen als
Individuum vereint darstellen, ausmachen, immanieren könnte. Ist
vielleicht noch immer zu sehr Insider-mäßig formuliert, aber zumindest
für mich dann auch mal klar ausgesprochen.
Hm, merde, gestern hatte ich noch irgendeinen zweiten Punkt im Kopf, den
ich an Marx kritisieren wollte. Gerade ist er mir aber entfallen. Naja,
kommt vielleicht wieder ... von daher breche ich's hier einfach mal ab.
Liebe Grüße,
Bert
Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen