[Debatte-Grundeinkommen] Beitrag zur Debatte: die drei Säulen des BGE

Udo Rohner rohner at ifingart.de
Mo Mai 12 07:42:12 CEST 2014


Hallo Jochen,

Wenn Du schreibst:

“es ist die Anerkennung der Ebenbürtigkeit oder Gleichrangigkeit aller Lebewesen  “, dann ist genau das einer der Grundsteine für die dritte Säule des Grundeinkommens. 
Das Bewusstsein darüber muss sich jedoch in sehr vielen Köpfen unserer Zeitgenossen zunächst einmal ein wenig Raum verschaffen. Selbst engagierte und versierte Mitdenker wie etwa Katja Kipping, sind doch noch sehr verhaftet in der anthropozentrischen Perspektive – wie ich heute wieder in einem Video mit Frau Kipping bemerkt habe, als sie auf die selbst gestellte Frage: “Wem gehört die Welt”  sich selbst die Antwort gab: “die Welt gehört den Menschen” !
Das meint sie wahrscheinlich gar nicht so absolut und sie ergänzte noch “und seinen friedlichen Interessen” ...... doch die Perspektive des über den Planeten wandelnden Kind Gottes, das sich die Erde untertan zu machen habe, ist tief eingebrannt.

Die Grundfrage die eigentlich niemals wirklich zur Sprache gebracht und die doch letztlich über den Erfolg entscheiden wird ist:
“Wie öffnen wir Herz und Geist einer möglichst großen Anzahl von Menschen, die sich unter dem Einfluss ihrer anthropozentrischen Weltsicht noch ganz wohl fühlen weil sie ihnen einfach so vertraut ist?

Die Antwort die ich persönlich für mich auf diese Frage gefunden habe spiegelt sich skizzenhaft in einem Bild, auf dem ein Mensch einem anderen Menschen die Hand reicht und ihm auf ein Boot hilft.....

Liebe Grüße aus dem Chiemgau, Udo Rohner



From: Jochen Tittel 
Sent: Saturday, May 03, 2014 5:55 PM
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Beitrag zur Debatte: die drei Säulen des BGE

Mit einem herzlichen Gruß an Udo Rohner, Willi Uebelherr, Jens Kasten und alle, die sich an dieser Debatte beteiligen oder still mitlesen, will ich mich nun zu Wort melden.

Ich denke oder hoffe, daß es viel Mitleser gibt und ich finde es richtig, daß nicht jeder immer und sofort seine Meinung dazu beiträgt, denn das kann auch eine Auseinandersetzung zerfasern. So ist mein Eindruck, daß der mehrfache Wortwechsel zwischen Jens und Willi sich in dem Sinne positiv entwickelt, daß sich die wirklichen Knackpunkte der Debatte langsam deutlicher herausschälen.

Mir zeigt sich immer wieder - also nicht nur in dieser Auseinandersetzung - daß wir Menschen die gleichen Worte benutzen, scheinbar das Gleich sagen, aber doch etwas anderes meinen, gleichzeitig aber diesen Unterschied verdrängen. Wir verwenden die gleichen Worte, haben aber unterschiedliche Begriffe davon. Das macht die Welt bzw. die Verständigung darüber kompliziert. Wenn wir Angst haben, die Übersicht zu verlieren, versuchen wir zu vereinfachen - im Grunde ist unser ganzer Wahrnehmungsapparat so konstituiert - und übersehen geflissentlich "kleine" Unterschiede. Wenn wir dabei Fehler machen, holt uns die Kompliziertheit auf einer "höheren" Ebene wieder ein. In diesem Sinne ist die gegenwärtige Kompliziertheit der Welt selbsterzeugt. Ich denke, es gibt eine wirklich einfache Basis, von der ausgehend wir uns in der Welt gut einrichten können und diese Basis - das sehe ich auch so wie Jens und Willi - mag bei unseren (sehr frühen) Vorfahren noch wirksam gewesen und im Laufe der Geschichte verloren gegangen sein.

Aber egal, wie diese Vorfahren damit umgegangen sind, wir können sicher die Geschichte nicht einfach zurückdrehen und müssen also einen neuen Zugang dazu finden. 

Worin besteht nun diese einfache Wahrheit? Ich denke, es ist die Anerkennung der Ebenbürtigkeit oder Gleichrangigkeit aller Lebewesen. Etwa im Buddhismus ist diese Anerkennung noch gegenwärtig und auch in anderen alten Überlieferungen, wo sie noch lebendig sind. Aber in der sogenannten modernen Welt herrscht die Wahnvorstellung, der Mensch sei der Herr der Schöpfung (christlich gesprochen). Die Krone der Schöpfung mögen wir tatsächlich sein, aber ihre Herren sind wir nicht.

Wie diese Wahnvorstellung entstehen konnte und sich durch die Menschheitsgeschichte hindurch ausgebreitet hat, das ist die Geschichte des Patriarchats. Das stelle ich hier nur als Anmerkung hin, weil es nicht nebenbei abzuhandeln ist.

Wenn wir uns heute von diesem Wahn befreien wollen, müssen wir nicht diese ganze Geschichte aufarbeiten, obwohl das hilfreich sein kann, wir brauchen uns nur auf unsere wirkliche Ebenbürtigkeit besinnen. Das fällt uns schwer, weil wir damit viele alte (und schlechte) Gewohnheiten aufgeben müssen. Eine solche schlechte Gewohnheit - eine der verheerendsten - ist die, zu glauben wir hätten die Fähigkeit und die Macht (oder das Recht) zu definieren, wie andere Menschen sind.

Wir tun so etwas ständig, ohne schlechtes Gewissen, weil es eben eine weit verbreitete Gewohnheit ist; doch es ist eine Anmaßung und es hat verheerende Auswirkungen (oder kann solche haben).

Willi tut es, wenn er an Jens gerichtet schreibt: "Du hast kein vertrauen zu den Menschen", oder: "Du hast kein Gemeinschaftsgefühl" etc.

Dabei hat Willi sicher kein schlechtes Gewissen, er meint es ja gut. Wie wir wohl alle, hält sich auch Willi für einen guten Menschen, oder wenigstens bemüht er sich darum, wie wir alle. Dennoch maßen wir (nahezu) alle uns solche Urteile, solche Verurteilungen an, einfach aus dieser alten und schlechten Gewohnheit heraus. Einige Menschen, die sich als Experten für derartige Sachverhalte als Psychologen bezeichnen, haben diese verderblichen Elemente in unserer Kommunikation erkannt und Methoden der gewaltfreien Kommunikation entwickelt. Die Literatur dazu kann ich allen empfehlen, die ihren inneren Schweinehund überwinden möchten.

Mancher (manche) fragt sich jetzt vielleicht, ob man dann nicht mehr sagen darf, was man in einer Auseinandersetzung für einen Eindruck von seinem Gegenüber hat. Natürlich darf man das; aber es ist eben ein wichtiger Unterschied, ob ich sage: Du bist so und so" oder ob ich sage: "Deine Äußerung macht auf mich den und den Eindruck"; oder: "Das verstehe ich so und so".

Wenn wir also aus dem Bewußtsein der Ebenbürtigkeit miteinander sprechen, finden keine Übergriffe statt, gegen die wir uns verteidigen müssen; folglich wird es viel einfacher, sich über Sachverhalte zu verständigen.

Und wenn wir diese Ebenbürtigkeit nicht nur für Menschen, sondern für alle Lebewesen gelten lassen, dann werden wir auch keine neuen ökologischen Konflikte erzeugen. Unser Umgang mit der materiellen Welt wird sich dann nicht mehr nur im Horizont der Ressourcenausbeutung bewegen. Freie Verfügung über dies und das hat für mich diesen Geruch. Ein gutes Buch zu diesen Aspekten unseres Daseins hat Charles Eisenstein geschrieben: "Der Aufstieg der Menschheit"; das ist im Internet in deutscher und amerikanischer Originalversion herunterzuladen. Eisenstein gehört zu den geistigen Vätern der occupy-Bewegung.

Zwei Gegenstände, die in der hier geführten Debatte eine Rolle spielen möchte ich noch aufgreifen, die zusammenhängen und die mitunter gern abgeschafft werden sollen, das Privateigentum und das Geld. Beides sind komplexe gesellschaftliche Verhältnisse, weshalb eine einfache Abschaffung unmöglich ist, denn das würde eine - zumindest teilweise - Abschaffung der Gesellschaft bedeuten, damit auch eine Abschaffung der Menschen als Menschen. Auf keinen Fall bedeutet das allerdings, daß Privateigentum und Geld unveränderlich bestehen müßten.

Obwohl Geld in der Form, wie wir es heute verwenden, nicht ohne Privateigentum zu denken ist, will ich jetzt nur noch einige Bemerkungen zum Geld machen.

Ich kann, wie Jens die Lektüre von Silvios Gesells "Natürlicher Wirtschaftsordnung" empfehlen, um sich selbst eine Vorstellung davon zu machen, wie eine mögliche alternative Geldverwendung aussehen könnte. Aber ich sage auch, daß Gesells (und der meisten Gesellanhänger) Vorstellungen vom Geld unvollkommen sind. Sie teilen mit der bürgerlicher Mainstreamökonomie zum Beispiel die irrigen Ansichten von der Entstehung der Geldwirtschaft aus einer vorgängigen Tauschwirtschaft, was mittlerweile als falsch nachgewiesen ist. Und sie hängen einer Reihe anderer typisch bürgerlicher Vorurteile an. Aber, wenn "bürgerlich" auch bedeuten mag "unvollkommen", so bedeutet es doch auch nicht zwangsläufig rundherum "Falsch". 

Wenn wir klären wollen, ob oder wie wir künftig mit Geld umgehen wollen, müssen wir uns zunächst auf eine gründliche Beschäftigung mit diesem Gegenstand einlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Auseinandersetzung den Rahmen sprengt, in dem wir uns hier bewegen. Für mich gehört das zwar unverzichtbar zur Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen, gerade weil ich das auch nicht nur ans Geld gebunden verstehen will, aber entscheiden muß das die BGE-Gemeinschaft. 

Was Geld, was Wirtschaft wirklich ist, darüber sind sich die "Experten" bis heute uneinig und es werden teilweise haarsträubende Theorien aufgestellt. Aber ich habe den Eindruck, daß in den letzten vielleicht zehn Jahren auch wirkliche Fortschritte der Erkenntnis gemacht worden sind, über die ich gern diskutieren möchte. Falls es zu einer solchen Debatte hier kommen sollte, empfehle ich für Interessenten einige Bücher, auf die ich mich bei meiner Argumentation stütze. Natürlich sind diese Werke auch unabhängig von der Auseinandersetzung hier sehr lesenswert. Neben den schon im Text erwähnten (und einigen, die ich jetzt erstmal nicht anführe):

Karl-Heinz Brodbeck : "Die Herrschaft des Geldes"

David Graeber: "Schulden - Die ersten 5000 Jahre"

Robert Kurz: "Geld ohne Wert"

Auf den ersten Blick kommen diese Autoren zu teilweise scheinbar gegensätzlichen Resultaten, aber das scheint mir ein Irrtum, den man ausräumen kann.



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