[Debatte-Grundeinkommen] Beitrag zur Debatte: die drei Säulen des BGE

Jochen Tittel jochentittel at web.de
Sa Mai 3 17:55:59 CEST 2014


Mit einem herzlichen Gruß an Udo Rohner, Willi Uebelherr, Jens Kasten 
und alle, die sich an dieser Debatte beteiligen oder still mitlesen, 
will ich mich nun zu Wort melden.

Ich denke oder hoffe, daß es viel Mitleser gibt und ich finde es 
richtig, daß nicht jeder immer und sofort seine Meinung dazu beiträgt, 
denn das kann auch eine Auseinandersetzung zerfasern. So ist mein 
Eindruck, daß der mehrfache Wortwechsel zwischen Jens und Willi sich in 
dem Sinne positiv entwickelt, daß sich die wirklichen Knackpunkte der 
Debatte langsam deutlicher herausschälen.

Mir zeigt sich immer wieder - also nicht nur in dieser 
Auseinandersetzung - daß wir Menschen die gleichen Worte benutzen, 
scheinbar das Gleich sagen, aber doch etwas anderes meinen, gleichzeitig 
aber diesen Unterschied verdrängen. Wir verwenden die gleichen Worte, 
haben aber unterschiedliche Begriffe davon. Das macht die Welt bzw. die 
Verständigung darüber kompliziert. Wenn wir Angst haben, die Übersicht 
zu verlieren, versuchen wir zu vereinfachen - im Grunde ist unser ganzer 
Wahrnehmungsapparat so konstituiert - und übersehen geflissentlich 
"kleine" Unterschiede. Wenn wir dabei Fehler machen, holt uns die 
Kompliziertheit auf einer "höheren" Ebene wieder ein. In diesem Sinne 
ist die gegenwärtige Kompliziertheit der Welt selbsterzeugt. Ich denke, 
es gibt eine wirklich einfache Basis, von der ausgehend wir uns in der 
Welt gut einrichten können und diese Basis - das sehe ich auch so wie 
Jens und Willi - mag bei unseren (sehr frühen) Vorfahren noch wirksam 
gewesen und im Laufe der Geschichte verloren gegangen sein.

Aber egal, wie diese Vorfahren damit umgegangen sind, wir können sicher 
die Geschichte nicht einfach zurückdrehen und müssen also einen neuen 
Zugang dazu finden.

Worin besteht nun diese einfache Wahrheit? Ich denke, es ist die 
Anerkennung der Ebenbürtigkeit oder Gleichrangigkeit aller Lebewesen. 
Etwa im Buddhismus ist diese Anerkennung noch gegenwärtig und auch in 
anderen alten Überlieferungen, wo sie noch lebendig sind. Aber in der 
sogenannten modernen Welt herrscht die Wahnvorstellung, der Mensch sei 
der Herr der Schöpfung (christlich gesprochen). Die Krone der Schöpfung 
mögen wir tatsächlich sein, aber ihre Herren sind wir nicht.

Wie diese Wahnvorstellung entstehen konnte und sich durch die 
Menschheitsgeschichte hindurch ausgebreitet hat, das ist die Geschichte 
des Patriarchats. Das stelle ich hier nur als Anmerkung hin, weil es 
nicht nebenbei abzuhandeln ist.

Wenn wir uns heute von diesem Wahn befreien wollen, müssen wir nicht 
diese ganze Geschichte aufarbeiten, obwohl das hilfreich sein kann, wir 
brauchen uns /nur/auf unsere wirkliche Ebenbürtigkeit besinnen. Das 
fällt uns schwer, weil wir damit viele alte (und schlechte) Gewohnheiten 
aufgeben müssen. Eine solche schlechte Gewohnheit - eine der 
verheerendsten - ist die, zu glauben wir hätten die Fähigkeit und die 
Macht (oder das Recht) zu definieren, wie andere Menschen sind.

Wir tun so etwas ständig, ohne schlechtes Gewissen, weil es eben eine 
weit verbreitete Gewohnheit ist; doch es ist eine Anmaßung und es hat 
verheerende Auswirkungen (oder kann solche haben).

Willi tut es, wenn er an Jens gerichtet schreibt: "Du hast kein 
vertrauen zu den Menschen", oder: "Du hast kein Gemeinschaftsgefühl" etc.

Dabei hat Willi sicher kein schlechtes Gewissen, er meint es ja gut. Wie 
wir wohl alle, hält sich auch Willi für einen guten Menschen, oder 
wenigstens bemüht er sich darum, wie wir alle. Dennoch maßen wir 
(nahezu) alle uns solche Urteile, solche Verurteilungen an, einfach aus 
dieser alten und schlechten Gewohnheit heraus. Einige Menschen, die sich 
als Experten für derartige Sachverhalte als Psychologen bezeichnen, 
haben diese verderblichen Elemente in unserer Kommunikation erkannt und 
Methoden der gewaltfreien Kommunikation entwickelt. Die Literatur dazu 
kann ich allen empfehlen, die ihren inneren Schweinehund überwinden möchten.

Mancher (manche) fragt sich jetzt vielleicht, ob man dann nicht mehr 
sagen darf, was man in einer Auseinandersetzung für einen Eindruck von 
seinem Gegenüber hat. Natürlich darf man das; aber es ist eben ein 
wichtiger Unterschied, ob ich sage: Du bist so und so" oder ob ich sage: 
"Deine Äußerung macht auf mich den und den Eindruck"; oder: "Das 
verstehe ich so und so".

Wenn wir also aus dem Bewußtsein der Ebenbürtigkeit miteinander 
sprechen, finden keine Übergriffe statt, gegen die wir uns verteidigen 
müssen; folglich wird es viel einfacher, sich über Sachverhalte zu 
verständigen.

Und wenn wir diese Ebenbürtigkeit nicht nur für Menschen, sondern für 
alle Lebewesen gelten lassen, dann werden wir auch keine neuen 
ökologischen Konflikte erzeugen. Unser Umgang mit der materiellen Welt 
wird sich dann nicht mehr nur im Horizont der Ressourcenausbeutung 
bewegen. Freie Verfügung über dies und das hat für mich diesen Geruch. 
Ein gutes Buch zu diesen Aspekten unseres Daseins hat Charles Eisenstein 
geschrieben: "Der Aufstieg der Menschheit"; das ist im Internet in 
deutscher und amerikanischer Originalversion herunterzuladen. Eisenstein 
gehört zu den geistigen Vätern der occupy-Bewegung.

Zwei Gegenstände, die in der hier geführten Debatte eine Rolle spielen 
möchte ich noch aufgreifen, die zusammenhängen und die mitunter gern 
abgeschafft werden sollen, das Privateigentum und das Geld. Beides sind 
komplexe gesellschaftliche Verhältnisse, weshalb eine einfache 
Abschaffung unmöglich ist, denn das würde eine - zumindest teilweise - 
Abschaffung der Gesellschaft bedeuten, damit auch eine Abschaffung der 
Menschen als Menschen. Auf keinen Fall bedeutet das allerdings, daß 
Privateigentum und Geld unveränderlich bestehen müßten.

Obwohl Geld in der Form, wie wir es heute verwenden, nicht ohne 
Privateigentum zu denken ist, will ich jetzt nur noch einige Bemerkungen 
zum Geld machen.

Ich kann, wie Jens die Lektüre von Silvios Gesells "Natürlicher 
Wirtschaftsordnung" empfehlen, um sich selbst eine Vorstellung davon zu 
machen, wie eine mögliche alternative Geldverwendung aussehen könnte. 
Aber ich sage auch, daß Gesells (und der meisten Gesellanhänger) 
Vorstellungen vom Geld unvollkommen sind. Sie teilen mit der 
bürgerlicher Mainstreamökonomie zum Beispiel die irrigen Ansichten von 
der Entstehung der Geldwirtschaft aus einer vorgängigen 
Tauschwirtschaft, was mittlerweile als falsch nachgewiesen ist. Und sie 
hängen einer Reihe anderer typisch bürgerlicher Vorurteile an. Aber, 
wenn "bürgerlich" auch bedeuten mag "unvollkommen", so bedeutet es doch 
auch nicht zwangsläufig rundherum "Falsch".

Wenn wir klären wollen, ob oder wie wir künftig mit Geld umgehen wollen, 
müssen wir uns zunächst auf eine gründliche Beschäftigung mit diesem 
Gegenstand einlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese 
Auseinandersetzung den Rahmen sprengt, in dem wir uns hier bewegen. Für 
mich gehört das zwar unverzichtbar zur Debatte über das bedingungslose 
Grundeinkommen, gerade weil ich das auch nicht nur ans Geld gebunden 
verstehen will, aber entscheiden muß das die BGE-Gemeinschaft.

Was Geld, was Wirtschaft wirklich ist, darüber sind sich die "Experten" 
bis heute uneinig und es werden teilweise haarsträubende Theorien 
aufgestellt. Aber ich habe den Eindruck, daß in den letzten vielleicht 
zehn Jahren auch wirkliche Fortschritte der Erkenntnis gemacht worden 
sind, über die ich gern diskutieren möchte. Falls es zu einer solchen 
Debatte hier kommen sollte, empfehle ich für Interessenten einige 
Bücher, auf die ich mich bei meiner Argumentation stütze. Natürlich sind 
diese Werke auch unabhängig von der Auseinandersetzung hier sehr 
lesenswert. Neben den schon im Text erwähnten (und einigen, die ich 
jetzt erstmal nicht anführe):

Karl-Heinz Brodbeck : "Die Herrschaft des Geldes"

David Graeber: "Schulden - Die ersten 5000 Jahre"

Robert Kurz: "Geld ohne Wert"

Auf den ersten Blick kommen diese Autoren zu teilweise scheinbar 
gegensätzlichen Resultaten, aber das scheint mir ein Irrtum, den man 
ausräumen kann.

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