[Debatte-Grundeinkommen] galoppierende Inflation, Inflationsbegriff

unversoehnt unversoehnt at gmx.de
Di Aug 26 20:21:33 CEST 2014


Hallo Manfred,

mal abgesehen davon, dass Willi wohl recht hat und es eher darum ginge, 
die vom bGE nicht überzeugten Menschen davon zu überzeugen, als sich 
innerhalb der Anhängerschaft einen großen Kopf darüber zu machen, in 
welcher Form wir das denn am besten umsetzen können, bin ich dann wohl 
doch zu sehr der von Willi denunzierte Philosoph und mehr an Klärung als 
an Agitation interessiert. Wenn's klar ist, so ist ja immer mein Gefühl, 
dann muss man auch nicht mehr lange agitieren. Leider habe ich mein 
ganzes Leben lang festgestellt, dass das Unfug ist und die Agitation 
jedes noch so schlechten Werbe-Jingles mehr Wirkung erzielt als ein 
gutes Argument in meinem Mund. *seufz* Dennoch ...

... habe ich zumindest mal in den Inflationsartikel bei Wikipedia 
reingeschaut (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Inflation ), um zu 
überdenken, ob mein Szenario wirklich so naiv war, wie du es empfunden 
hast.

Mag sein, dass du mit deinen Betrachtungen zum bGE als "Grundumsatz der 
Wirtschaft" recht hast, aber mein Argument war anders gestrickt: Ich 
habe einen Verteilungskampf ums BIP zwischen Staat/bGE, Arbeit und 
Kapital postuliert, der über steigende Preise ausgefochten wird. Die 
Grunddefinition im Wikipedia-Artikel ist damit per Postulat "steigende 
Preise" erfüllt: "Minderung der Kaufkraft des Geldes".

Der Abschnitt 
http://de.wikipedia.org/wiki/Inflation#Binnenwert_und_Kaufkraft neigt 
sich dann eher in deine Richtung, bleibt aber grundsätzlich dabei, große 
Diskrepanzen festzuhalten: Es kommt bei einer Minderung der Kaufkraft 
des Geldes zu einer Verschiebung der Rahmenbedingungen, welche die einen 
im Verhältnis zu früher zu Gewinnern, die anderen zu Verlierern macht. 
Der Satz "Die größten Verlierer sind Inhaber von Geldvermögen und 
festverzinslichen Wertpapieren wie Staats- oder Unternehmensanleihen." 
könnte die Sinnhaftigkeit meines Postulats in Zweifel ziehen, dass die 
Deutsche Bank stellvertretend für "das" Kapital über eine Minderung der 
Kaufkraft des Geldes = Inflation die eigene Verfügungsgewalt über den 
gesellschaftlichen Reichtum zu sichern versuchen könnte. Immerhin würden 
wesentliche Fraktionen des Kapitals dabei auch verlieren. Aber wir reden 
hier halt auch nicht über Peanuts, sondern über eine Veränderung der 
Geschäftsgrundlage des Kapitals, weil, wie du schreibst, mit dem bGE die 
"Gewerkschaft eine praktisch unschlagbare Streitmacht" werden könnte. 
Ich will's mal so sagen: Hätten wir die Think Tanks der Deutschen Bank 
zur Verfügung, um den sozialpolitischen Effekt zu erzielen, um den es 
uns geht, dann könnten wir uns unser bisschen Gehirnschmalz und 
Halbwissen in diesen Dingen getrost an die Backe kleben und den Dingen 
ihren Lauf lassen. Aber wir haben diese Think Tanks ziemlich sicher 
nicht auf unserer Seite, sondern gegen uns. Obgleich ich mir da durchaus 
nicht 100%ig sicher bin, weil das Kapital durchaus ein Interesse an 
guten Gesamtreproduktionsbedingungen hat, die sich mit einem bGE 
durchaus einstellen könnten. Aber allein die Formulierung "praktisch 
unschlagbare Streitmacht" in Bezug auf Gewerkschaften dürfte ziemlich 
abturnend auf die Hochverwalter des Kapitals wirken. Meine und Willis 
Vorstellungen davon, dass ein bGE einen grundsätzlichen Freiraum für 
alle ausreichend Interessierten von den Rahmenbedingungen der 
Wertverwertung erlauben und damit sogar ernsthafte Konkurrenz zur 
Wertverwertung ermöglichen und fördern würde, vermutlich sogar noch 
abturnender. Was m. E. der tiefere Hintergrund dafür sein könnte, dass 
abgesehen von der ja ohnehin als SED-Stasi-Maueropfer-Outsider 
gebrandmarkten Partei DIE LINKE laut 
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2012/08/12-06-modelle-tabelle.pdf 
keine Partei bei mindestens 1.000 Euro liegt, sondern lieber ein bGE auf 
Armutsniveau organisieren möchte. Das käme den Interessen des Kapitals 
anscheinend eher zupass, wäre vermutlich sogar eine ziemlich bequeme 
Restauration, weil man gleichzeitig die bestehenden Sozialsysteme 
schleifen könnte. Anders jedenfalls kann ich mir kaum erklären, dass 
keine Partei sich zu Götz Werners 1.000 Euro vorwagen mag, was nach 
meinen Konsumerfahrungen definitiv "zum Leben zu wenig, zum Sterben zu 
viel", also eine gute anreizorientierte bGE-Höhe wäre.
Wenn wir uns darüber klar sind, dass wir die Geschäftsgrundlage des 
Kapitals in Frage stellen, dann sind solche Themen wie faschistischer 
Putsch oder beinhart über sonstwelche Marktmechanismen geführte 
Machtkämpfe vollkommen notwendig im Horizont unserer Debatte. Am 
wahrscheinlichsten dünkt mir, dass "das" Kapital einfach ausreichend 
viele Charaktermasken-Experten in Talkshows, Zeitungen und 
Werbekampagnen platziert, die die verdummte Öffentlichkeit so lange 
bequatschen, bis sie noch ein bisschen mehr verdummt ist. Wenn es eine 
parlamentarische Mehrheit für ein bGE in relevanter Höhe geben sollte, 
könnten wir uns vermutlich echt erstmal intensiv für unseren 
Agitationserfolg auf die Schultern klopfen ... um dann abzuwarten, wie 
die Reaktion den Spieß wieder drehen wird. Faschistischer Putsch ist dem 
Kapital hoffentlich heute in Deutschland/Westeuropa einfach zu unsexy, 
wenn auch überall sonst in der Welt ja ein gerngewähltes Mittel der 
Wahl. Selbst Westerwelle kann sich ja entspannt als schwul outen. Will 
man sich wirklich noch einmal mit den verrückten Barbaren den Arsch 
retten oder nicht lieber erstmal aus der Portokasse ein bGE bezahlen und 
gucken, ob's sich nicht vielleicht sogar für die oberen Zehntausend 
charming entwickeln könnte? Falls es aber nicht charming genug ist, 
halte ich mein Szenario wiederum für denkbar. Mir spukt dabei im Kopf 
herum, dass ich wiederholt gelesen habe, dass sich mit den Reagonomics 
das Volumen des Geldvermögens in der Welt drastisch vom Welt-BIP nach 
oben fortentwickelt hat, die verfügbare Geldmenge also heute schon 
eigentlich Hyperinflation produzieren müsste. Aber das Kapital spielt 
mit der Kohle anscheinend recht unverfänglich in der Finanzsphäre herum, 
die zwar sicherlich tagtäglich Einfluss auf die stoffliche 
Wertproduktion und -distribution nimmt, wirkliche Durchschlagskraft auf 
die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen aber nur beim 
Blasenplatzen à la subprime-Krise entfaltet. Vielleicht ist massive 
Geldentwertung für die Hauptagenten des Kapitals zwar nicht unbedingt 
das Lieblingsmittel der Wahl, aber dann doch auch wieder nicht so 
schlimm, wenn es darum geht, auf mehr oder weniger friedlichem Weg die 
Kontrolle über die Produktionsmittel der Gesellschaft zu behalten.

Was denkst du?

Liebe Grüße,

Bert Grashoff







Am 23.08.2014 23:27, schrieb Manfred Bartl:
> Hallo, Bert!
>
> Ich bin zwar auch kein Ökonom, aber nachdem ich mich nun eine Dekade
> auf dem Feld von Politik, Ökonomie und Philosophie tummle, habe ich
> wohl eine gewisse Erfahrung im Umgang mit diesen Themenkomplexen.
>
> Wenn ich es richtig betrachte - korrigiert mich bitte unbedingt, wenn
> ich falsch liegen sollte -, ist das bedingungslose Grundeinkommen in
> erster Linie ein Inflationsdämpfer!
>
> Nicht umsonst bezeichnet man das Aufkommen an Grundeinkommen umgekehrt
> auch als Grundumsatz der Wirtschaft, weil definitionsgemäß restlos
> ALLES, was als Grundeinkommen ausgezahlt wird, in der einen oder
> anderen Form unmittelbar im gleichen Monat, in dem es ausbezahlt wird,
> über die Wirtschaft wieder umgesetzt wird.
>
> Dieses Geld zeichnet sich also dadurch aus, dass es aus der Wirtschaft
> entnommen wird und noch im gleichen Monat - volkswirtschaftlich also
> praktisch unmittelbar - in den Wirtschaftskreislauf zurückfließt. Das
> Geld hat in der Zwischenzeit wohl kaum Gelegenheit, auf irgendeine
> Weise auf die Geldmenge einzuwirken. Alle damit angeschafften
> Sachwerte haben noch ziemlich genau denselben monetären Wert, den sie
> mit ihrer Produktion an (Lohn-)Kosten verschlungen haben.
>
> Du versuchst, Inflation als bloße Verteuerung durch Lohnforderungen
> hier und Kostensteigerungen dort abzubilden. Inflation ist aber die
> Dynamik der (steigenden) Geldmenge im Vergleich zu den Produktwerten.
> Das bedingungslose Grundeinkommen wirkt sich aber auf die Geldmenge
> nicht aus. Bei seiner Einführung mögen die Preise von
> Grundversorgungsgütern und -dienstleistungen etwas ansteigen, weil die
> Nachfrage danach ansteigt, aber da die Höhe des Grundeinkommens an den
> Preisindex genau jener Grundversorgungsgütern und -dienstleistungen
> gekoppelt ist, zieht das Grundeinkommen volkswirtschaftlich betrachtet
> praktisch ebenso schnell nach.
>
> Auf Arbeitskostenseite verschwinden die volkswirtschaftlichen Kosten
> der Arbeitslosigkeit definitionsgemäß vollständig, weil es
> Arbeitslosigkeit im heutigen Sinne nicht mehr gibt, sondern nur noch
> Sabbaticals. Die Kosten für die Sabbaticals - also schlicht die
> Nicht-Produktivität - hingegen werden bei weitem nicht so weit
> ansteigen, dass sie denen der heutigen Arbeitslosigkeit entsprechen
> könnten, weil zugleich natürlich ein gehöriger Rationalisierungsschub
> einsetzt. Wer würde seine Lebenszeit noch verschwenden wollen, indem
> man Parkraumbewirtschaftung betriebe (das Berufsbild der "Politesse"
> wird vollständig von der Bildfläche verschwinden) oder an der Kasse
> einer Lebensmittelverteilstelle säße (auch das Berufsbild der
> "KassiererIn" verschwindet - ich betone es - vollständig!)??
>
> Problematisch ist in erster Linie der Gewerkschaftseffekt. Heute
> glauben viele GewerkschafterInnen, dass das BGE die Gewerkschaften
> schächen würde, weil niemand mehr um seine Existenzgrundlage kämpfen
> müsste. Das ist natürlich ein hanebüchenes Argument, weil es davon
> ausgeht, dass die Gewerkschaften (noch) gar nicht existierten und die
> ArbeitnehmerInnen würden sich erst im Moment der Einführung des BGE
> organisieren. Das ist offenkundig totaler Quatsch! Tatsächlich ist es
> vielmehr so, dass wir Gewerkschaften doch nun wirklich schon sehr
> lange haben und dass somit kein/e organisierte/r (!!!) ArbeitnehmerIn
> mehr um die Existenzgrundlage kämpfen müsste und mit der - bereits
> existierenden und nun aus lauter sorglos jederzeit Streikenden
> bestehenden - Gewerkschaft eine praktisch unschlagbare Streitmacht
> entstünde!
> Wenn die Gewerkschaften das endlich kapieren würden, könnte eine
> gewisse Anfangsinflation bei der Einführung des BGE resultieren, aber
> die werden wir wohl verschmerzen können, wenn das BGE wiederum an die
> Preise gekoppelt ist ;-)
>
> Mit solidarischen Grüßen
>
> Manfred
>
>




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