[Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen - die Pforte zum Paradies

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So Feb 10 10:12:09 CET 2013


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Grundeinkommen – die Pforte zum Paradies

von Gero Jenner 9.2.2013 (aktualisiertes Original unter: http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Contra_Goetzianenses.html)

In wirren und verängstigten Zeiten malen die einen den Zusammenbruch aus, die anderen entwerfen die Blaupausen zu einer besseren Welt. Utopien sind die Antwort auf soziale Spannungen und wirtschaftliche Verunsicherung. Eine Utopie unserer Zeit ist das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee ist verführerisch – und ich meine, dass jeder ein Heuchler ist, der sie nicht beim ersten Hinblick für sympathisch hält. Wer würde sich etwa weigern, einen Lottogewinn einzustreichen oder ein Millionenerbe zu übernehmen, wenn das Schicksal ihm dieses Glück gewährt? Jede Regierung weiß, dass sie Wähler mit großzügigen Glücksversprechungen (Steuergeschenke, Subventionen) für sich gewinnt. Sie muss nur halbwegs überzeugend versichern können, dass sie diese auch halten kann. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Versprechen auf persönliches Glück, denn es bereitet – eben weil es bedingungslos ist - jenen Demütigungen ein Ende, denen sich heute Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose beim Nachweis ihrer Hilfsbedürftigkeit ausgesetzt sehen.

Dem bereitet das Grundeinkommen ein Ende, wenn man es ohne Bedingungen jedem Bürger gewährt. Jeder Mensch wird dann mit diesem Einkommen geboren und stirbt im Besitz eines solchen. Die Existenzsorge, seit Millionen von Jahren die größte Geißel der Menschheit, ist mit einem Federstrich abgeschafft. Alle bisherigen Utopien bis hin zu Karl Marx verlieren ihre Anziehungskraft. Sie scheinen nicht mehr als die unvollkommenen Annäherungen an ein Ziel zu sein, das jetzt zum ersten Mal in greifbare Nähe rückt. So verführerisch ist diese Idee, dass man bei ihren Verteidigern, Propagandisten und Ideologen ganz deutlich religiöse Untertöne und schwärmerische Begeisterung heraushören kann. Es gibt da Leute, die sprechen von der „größten Erfindung seit Abschaffung der Sklaverei“…

Europaweit ist so eine Bewegung von zutiefst gläubigen Menschen entstanden. Neben all den Sekten, die wir seit langem kennen, den Scientologen, Zeugen Jehovas, Mormonen und Raelians, gibt es nun auch die Sekte der Götzianer – so genannt nach dem Mann an ihrer Spitze, der mit seiner Person zugleich die Rolle eines Hohenpriesters, Gurus und Chefideologen ausfüllt.

Sekten rufen bei den einen, vor allem bei denen, die ihnen verfallen sind, größte Hingabe und Begeisterung hervor, während sie bei den anderen Misstrauen provozieren. Man weiß, dass ihre Wirkungen auf die Gesellschaft nicht unbedingt positiv sind. Dieses Misstrauen stellt sich auch gegenüber den Götzianern ein. Ich sagte schon, dass ihre Versprechungen auf den ersten Blick verführerisch sind – wer wünscht sich nicht, in einer Gesellschaft zu leben, die ihn jetzt und für immer von allen Existenzsorgen befreit? Leider hält die berauschende Wirkung nur kurze Zeit an. Ich halte die Götzianer für eine gefährliche und vor allem für eine unmoralische Sekte. Würde man ihre Vorschläge realisieren, dann wäre mit Sicherheit keine bessere, sondern im Gegenteil eine schlechtere Gesellschaft die Folge.

Den Vorwurf der Unmoral möchte ich auf vierfache Weise begründen.

1) Alles menschliche Zusammensein beruht auf Geben und Nehmen (do ut des) – das ist nicht nur das Fundament, welches Menschen zusammenhält, sondern auch eine der ältesten Einsichten der Soziologie. Natürlich muss dieses Geben und Nehmen nicht auf Geld begründet sein, es kann ebenso aus Geschenken, gegenseitiger Hilfeleistung, kurz aus allem bestehen, was in einer bestimmten Gesellschaft als wertvoll gilt. Nur eines war immer klar, wer (außer Kindern, Alten, Kranken usw.) nur nimmt, ohne zu geben, der fällt aus der Gesellschaft und wird von ihr als Parasit betrachtet, weil er das Grundprinzip des Zusammenlebens missachtet. Ich halte es für sehr wohl möglich, dass die Empfänger eines BGEs sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl als höchst nützliche Mitglieder der Gesellschaft erweisen, doch die bloße Möglichkeit, dass es von nun an dem Belieben jedes einzelnen anheimgestellt bleiben soll, ob er auch ein Gebender ist oder sich auf das bloße Nehmen beschränkt, stellt dieses Grundprinzip der Gesellschaft in Frage. Anders gesagt, dadurch wird ihr moralisches Fundament aufgelöst.

2) Die Einführung eines BGE ist zweitens deshalb unmoralisch, weil sie eine beschwichtigende, verdummende, betäubende Wirkung hätte: Sie lenkt nämlich von den echten Problemen ab. Eine reiche Diktatur hätte sicher keine Probleme damit, ihren Bürgern ein BGE in der Absicht zu gewähren, dass ihnen dadurch der Mund gestopft wird. Das war zum Beispiel in Sparta der Fall, wo alle freien Spartaner ein großzügig bemessenes Grundeinkommen genossen, das nur mit einer einzigen Bedingung verknüpft war: Sie hatten es als gottgegeben zu betrachten, dass ein mehr als neun Mal größerer Teil der Bevölkerung (die Heloten) in der Rolle von rücksichtslos unterdrückten und ausgebeuteten Sklaven dieses Einkommen für sie erwirtschaften musste. Ist es da nicht ein böses Omen, dass Götz Werner in seinem einschlägigen 1000-Euro Buch Sparta als Vorbild sieht: „Die erste Überlieferung einer Trennung von Arbeit und Einkommen findet sich in der Verfassung Spartas“ (S. 21). Er hätte auch noch das Beispiel Roms nennen können, wo ein großer Teil freier Bürger durch eine immens reiche Aristokratie und deren Sklavenwirtschaft zum Nichtstun verurteilt war und deshalb ausgehalten wurde – freilich unter der Bedingung über die Missstände zu schweigen und bei entsprechendem Anlass als folgsames Stimmvieh aufzutreten.

Gewiss, auch eine reiche Demokratie könnte sich ein bedingungsloses Grundeinkommen leisten, aber wäre dies ein Gewinn für das demokratische Bewusstsein? Sicher nicht, denn die größte und heute wieder akute Gefahr für jede Demokratie: die zunehmende Spreizung von Einkommen und Vermögen in den Händen einer die Fäden aus dem Hintergrund ziehenden politisch-ökonomischen Oligarchie, würde dann kein Gesprächsthema mehr bilden. Die Massen werden ja mit Panes und Circenses zufriedengestellt! Sicher ist es alles andere als ein Zufall, dass man in den Schriften und Diskussionen der Götzianer kaum Hinweise auf soziale Ungerechtigkeit, gefährliche Machtkonzentration etc. findet. Davon wollen die Gläubigen auch gar nichts wissen! Ihrer Meinung nach wird die Menschheit durch das BGE mit einem Schlag von sämtlichen Übel erlöst.

Man sollte der Sekte nicht unterstellen, dass sie etwas anderes als das Beste will. Leider führt der von ihr gewählte Weg in eine ganz andere Richtung.

3) Mittlerweile gehört auch eine Reihe von Professoren der Sekte an. Eifrig sind sie um den Nachweis bemüht, dass der Übergang zum neuen System den Staat nicht oder nur unwesentlich teurer käme als das bestehende. Das mag richtig sein, aber darin liegt ja von vornherein gar nicht das eigentliche Problem! Dies besteht vielmehr in der Herkunft der Mittel. Je nachdem ist der Übergang entweder unwahrscheinlich oder wiederum unmoralisch.

Bittet man die oberen zehn Prozent zur Kasse, bei denen sich Einkommen und Vermögen konzentrieren, so könnte man immerhin die Meinung vertreten, dass damit ein durchaus wünschenswerter Einkommens- oder Vermögensausgleich bewirkt wird. Götz Werner, der Sektenführer, lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass er an eine solche Lösung so wenig denkt wie die Römer vor zwei oder die Spartaner vor zweieinhalbtausend Jahren. Er will vielmehr die Mehrwertsteuer erhöhen, die bekanntlich eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt, da sie die Kleinverdiener am stärksten trifft (im Verhältnis zu ihren Einkommen ist der Konsum bei ihnen am größten). Damit redet er statt der unwahrscheinlichen Lösung neuerlich der unmoralischen das Wort: Die Benachteiligten unteren 90% (statt der privilegierten oberen 10%) sollen die Mittel für das bedingungslose Grundeinkommen erbringen. In polemischer Zuspitzung hat Sigmar Gabriel dazu gemeint, dass er es einer schwer arbeitenden Krankenschwester kaum klar machen könne, warum sie anderen ein bedingungsloses Einkommen finanzieren solle. Dieser Einwand besteht zu Recht.

4) Noch aus einem vierten Grund vertritt die neuen Sekte eine falsche Utopie, deren Verwirklichung weit mehr Unheil als Gutes stiftet. Wir wissen inzwischen, dass es Kindern nicht gut tut, wenn man sie in einer aseptischen Umgebung aufwachsen lässt. Ihr Organismus muss mit Krankheitserregern in Berührung kommen, sonst verkümmert er an der Unfähigkeit, sich zu wehren. Wir wissen, dass Eltern ihren Kindern auch keinen Gefallen tun, wenn sie diese daran hindern, auf Bäume zu klettern, sich auszutoben etc. So gewissenlos es wäre, sie übermäßigem Risiko auszusetzen, so falsch ist es, sie in ein Gehäuse einzuschließen und sie von jedem Risiko fernzuhalten. Ohne das frühzeitige Training in der Meisterung von Risiken ist keine gesunde Entwicklung möglich.

Seit Beginn der Globalisierung während der neunziger Jahre und in beschleunigtem Tempo seit dem Eintreten der Krise haben die Risiken für viele Menschen eine unzumutbare Höhe erreicht. Schlecht bezahlte Jobs, die jungen Menschen kaum noch Raum für eigenes Privatleben oder gar eine Familiengründung erlauben, gehören ebenso zur neuen Realität wie die Tatsache, dass einem zunehmenden Teil der Geringverdiener – zumindest aus statistischer Sicht – der soziale Aufstieg verwehrt bleibt. Dem Alptraum eines immer härteren sozialen Lebens setzen die Götzianer den falschen Traum einer perfekten Sicherheit und Risikolosigkeit entgegen. Sie wollen die Menschen glauben machen, dass eine kleine Drehung an den administrativen Stellschrauben genügt, um aus der kalten Welt des gegenseitigen Totkonkurrenzierens in das Paradies einer ungestörten Geborgenheit zu gelangen. Das ist ein uneinlösbares und daher unmoralisches Versprechen. Es gehört wenig Verstand dazu, um seine Haltlosigkeit zu begreifen.

Gesammelte Aufsätze „Contra Goetzianenses“ unter:
http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Grundeinkommen.html

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