[Debatte-Grundeinkommen] Indonesien und Grundeinkommen 2.0/Re: Arbeit geht aus? Re: Kommentar zum Artikel/Re: Götz Werner

Werner Popken Werner at Stuerenburg.com
Di Sep 27 18:02:52 CEST 2011


Hallo Christian!

Das Beispiel mit den Programmierern aus Indonesien und so weiter ist
sehr schön; deshalb fasziniert mich der Grundansatz des
Bandbreitenmodells so sehr.

Natürlich geht die Arbeit nicht aus; das behauptet auch niemand, der
klar im Kopf ist. Es wird nur vergleichsweise immer weniger
Arbeitsplätze geben, also immer mehr Menschen, die keine Arbeit
finden.

Im übrigen ist auch die Arbeit eines Müllmanns heute nicht mehr das,
was sie einmal war. Unsere Müllmänner sitzen in ihrem Lkw und steuern
die Entleerung der Tonnen mit dem Joystick. Was ist da der
prinzipielle Unterschied zu einem Gabelstaplerfahrer?

Die Mähdrescher werden bald ohne Maschinenführer im Einsatz sein, und
auch die Müllmänner werden vermutlich nicht wirklich gebraucht werden,
um die Müllautomaten zu steuern.

Soll man darüber traurig sein? Es ist schließlich nicht gerade eines
Menschen würdig, den ganzen Tag lang einen Müllwagen die Straße
entlangzusteuern und mittels Joystick die Mülltonnen zu entleeren, und
das jeden Tag wieder neu, das ganze Jahr hindurch, im schlimmsten Fall
für das ganze Arbeitsleben. Und je teurer der Müllmann wird, desto
eher wird er ersetzt werden.

Aber diese ganze Diskussion um die Arbeitsplätze lenkt eher ab und
geht am Problem vorbei. Eigentlich geht es um die Frage, in welcher
Welt wir leben wollen, wie unsere Lebensbedingungen aussehen sollen,
wie wir die Menschenrechte verwirklichen können.

Das Bandbreitenmodell ist ja nicht in erster Linie die Lösung für das
Arbeitsplatzproblem, sondern es bietet eine saubere Lösung für die
Schwierigkeiten des kapitalistischen Systems - das bedingungslose
Grundeinkommen fällt gewissermaßen als Geschenk mit ab.

Die philosophischen Implikationen des Bandbreitenmodells will ich hier
nicht diskutieren, sondern nur die praktischen Aspekte vorstellen und
mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens verknüpfen, um die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten zumindest ansatzweise
herauszuarbeiten.

Die Grundidee des Bandbreitenmodells ist, dass der Inlandsumsatz
wesentlich größer ist als der Außenhandelsumsatz und wir deshalb durch
Gestaltung der Inlandsumsatzbesteuerung, die allein der nationalen
Souveränität unterliegt und uns deshalb keine Schwierigkeiten mit dem
Ausland einhandeln wird, eine grundsätzliche Umsteuerung unseres
Wirtschaftssystems herbeiführen können, ohne dass es gewalttätige oder
sonstwie schmerzhafte Übergangsprobleme geben müsste.

Wenn das Bandbreitenmodell einmal in einer Volkswirtschaft eingeführt
ist (es muss nicht unsere sein), werden alle anderen Volkswirtschaften
dieses Bandbreitenmodell ebenfalls einführen wollen und müssen, weil
aus der Logik der Betriebswirtschaft heraus die Volkswirtschaft mit
Bandbreitenmodell noch viel attraktiver ist als jede Steuersparinsel.

Einmal eingeführt, wird das Bandbreitenmodell also nach und nach in
mehr und mehr Nationen eingesetzt und schließlich das
Wirtschaftsmodell der ganzen Welt werden.

Das Wirtschaftsmodell, das durch das Bandbreitenmodell beschrieben
wird, hat sowohl kapitalistische als auch sozialistische Züge, ist
aber weder kapitalistisch noch sozialistisch. Es ist ein vollkommen
neuer Weg, der bisher meines Wissens noch nie angedacht worden ist.

Als Konsequenz ergibt sich die Freiheit für jeden einzelnen Menschen,
sich für einen herkömmlichen Arbeitsplatz zu entscheiden oder sich als
abwesender Arbeitnehmer anheuern zu lassen und dafür ein Monatsgehalt
von 2000 € zu kassieren. Wenn man will, kann man das als
bedingungsloses Grundeinkommen deklarieren.

Es gibt eine sehr schöne Gegenüberstellung zwischen dem allerorts
diskutierten bedingungslosen Grundeinkommen und dem bedingungslosen
Grundeinkommen nach dem Bandbreitenmodell, welches auch gerne als
Grundeinkommen 2.0 bezeichnet wird. In dieser Tabelle kann man sehr
schön die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sehen, und ich glaube
nicht, dass irgendjemand verkennen wird, dass das Grundeinkommen 2.0
in jeder Hinsicht überlegen ist.

Diese abwesenden Arbeitsplätze, die jedem Menschen die Freiheit geben,
sich selbst zu verwirklichen, werden von den Unternehmern freiwillig
und reichlich angeboten, weil die Steuergesetzgebung vorsieht, dass
die Umsatzsteuer, die - im Gegensatz zur Mehrwertsteuer - so gut wie
nicht manipulierbar ist, variabel ist - deshalb der Name
Bandbreitenmodell. Die Umsatzsteuer wird innerhalb einer gewissen
Bandbreite festgelegt, wobei die Eckdaten von der Regierung festgelegt
werden und nach Bedarf angepasst werden können.

Der Staat ist also aus der Einkommensicherung völlig heraus - damit
entfallen auch alle Notwendigkeiten der Verwaltung. Jeder kann sich
selbst entscheiden, ob er sich auf eigene Faust durchschlagen oder auf
der Gehaltsliste eines Unternehmens stehen möchte.

Die Idee ist nun folgende: Weil Kleinunternehmen gefördert werden
sollen, fällt bis zu einer gewissen Mindestumsatzgröße jeweils die
minimale Umsatzsteuer an. Bei größeren Unternehmen wird die
Umsatzsteuer regelmäßig anhand der Monatsumsätze angepasst, und zwar
mit Hilfe der sogenannten Beschäftigtenquote, das heißt der Anzahl von
Arbeitnehmern pro Umsatzeinheit.

Wer also die Produktivität erhöht und damit den Umsatz und
möglicherweise auch noch gleichzeitig Mitarbeiter entlässt, gerät
dadurch vollautomatisch in eine höhere Umsatzsteuerklasse und
gefährdet seine Wettbewerbsfähigkeit.

Er wird nicht darauf verzichten können, Mitarbeiter zu entlassen, die
er nicht mehr braucht, die Konsequenz der höheren Umsatzsteuer aber
durch Anstellung abwesender Arbeitnehmer vermeiden können. Er wird
also, das gebietet die betriebswirtschaftliche Logik, abwesende
Arbeitnehmer einstellen müssen - eine andere Möglichkeit hat er nicht.
Das ist das Grundeinkommen 2.0.

Wer nicht genug Arbeitnehmer im Inland beschäftigt, unterliegt der
maximalen Umsatzsteuer, was sich niemand leisten kann, weil seine
Produkte dadurch nicht mehr marktfähig sind. Also wird jeder
Unternehmer die optimale Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigen, um
einen Umsatzsteuersatz zu erreichen, der ihn konkurrenzfähig bleiben
lässt.

Der Unternehmer legt also durch die Beschäftigtenpolitik selbst die
Höhe seiner Umsatzsteuer fest. Zwar ist er völlig frei zu entscheiden,
wie viele Arbeitnehmer er zu welchen Bedingungen beschäftigt, aber die
Umsatzsteuergesetzgebung sorgt dafür, dass die gesamtgesellschaftlich
gewünschten Ergebnisse dabei herauskommen. So einfach geht das.

Um zu vermeiden, dass die Menschen weiterhin durch Billigjobs
ausgebeutet werden, zählen steuerlich nur solche Arbeitsplätze, die
menschenwürdig sind. Es bleiben also nur abwesende Arbeitnehmer, wenn
der Unternehmer gar keine weiteren regulären Arbeitsplätze anbieten
kann (niemand möchte für eine Fotokopie fünf Leute beschäftigen, das
möchten die fünf Leute auch nicht).

Die regulär Beschäftigten verdienen mindestens 4000 € im Monat, müssen
dafür aber wesentlich weniger als bisher arbeiten und dürfen laut
Steuerregel auch nicht mehr arbeiten. Auch das hat interessante
Konsequenzen, die ich hier aber nicht erläutern möchte.

Die Unternehmer selber wiederum unterliegen keinerlei Beschränkung,
weder im Einkommen noch in der Arbeitszeit. Wer also rund um die Uhr
arbeiten möchte, kann sich als Unternehmer auf diese Weise
verwirklichen.

Ausländische Unternehmen, die im deutschen Markt bestehen wollen,
müssen deutsche Arbeitnehmer in ausreichender Anzahl beschäftigen,
ansonsten sind ihre Produkte sofort nicht mehr konkurrenzfähig.

Deutsche Unternehmen können diese Gesetzmäßigkeit nicht dadurch
umgehen, dass sie Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Das Beispiel
mit den Programmierern aus Indonesien hat sich damit also vollständig
erledigt. Das läuft nicht mit dem Bandbreitenmodell. So einfach ist
das.

Auslandsumsätze werden gar nicht besteuert, alle anderen Steuern
fallen ersatzlos weg. Deutschland wird also zu einem Steuerparadies,
mit dem keine Insel konkurrieren kann, und infolgedessen werden in
kürzester Zeit alle internationalen Konzerne im Interesse ihrer
Anteilseigner aus steuerlichen Gründen ihre Zentrale in Deutschland
einrichten müssen, was wiederum die davon negativ betroffenen Staaten
dazu zwingen wird, selber ebenfalls das Bandbreitenmodell einzuführen.

Wer arbeiten will, kann das im Bandbreitenmodell nach wie vor nach
Herzenslust tun, wer nicht arbeiten will, kann das auch tun, und damit
alle zu ihrem Recht kommen, kann die Regierung die Steuerschrauben so
einstellen, dass die Rechnung sauber aufgeht.

Ganz nebenbei wird dadurch ein gewaltiger Aufschwung produziert, die
Staatsverschuldung kann abgebaut, Bildung, Erziehung, öffentlicher
Nahverkehr, kurz alle öffentlichen Aufgaben können endlich wieder
angemessen bewältigt werden.

Freilich werden nach diesem Modell die Reichen noch reicher. Wer daran
etwas ändern möchte, braucht zusätzliche Mechanismen, die aber mit dem
Bandbreitenmodell selber und auch mit dem Grundeinkommen gar nichts zu
tun haben. Es gibt übrigens auch in den USA und England schon
Überlegungen, auch von sehr reichen Menschen, an dieser Situation
etwas zu ändern - aber das ist ein ganz anderes Thema.

Wer immer von einem bedingungslosen Grundeinkommen träumt, muss sich
fragen, wie das Realität werden kann. Das Bandbreitenmodell erfordert
lediglich zwei neue Steuergesetze. Es kann innerhalb von wenigen
Monaten umgesetzt werden. Freilich kann das nur die Regierung tun.

Sollte Angela Merkel eines Tages in ihrer Ratlosigkeit auf das
Bandbreitenmodell aufmerksam werden und darin die Lösung ihrer
Probleme erkennen, kann sie es gerne übernehmen. Dem Erfinder des
Bandbreitenmodells ist es völlig egal, wer es umsetzt.

Mit freundlichen Grüßen
Werner 

-- 
________________________________________________________________

Dr.math. W. Popken · 32609 Hüllhorst · bandbreitenmodell.tumblr.com
Tel. +49-5744-511-574  ·  Fax. -575 ·  Mobil. +49-151-2327 3955

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Bandbreitenmodell eingeführt 
werden muß, und zwar global. http://www.bandbreitenmodell.de/vision

  




Christian Thun schrieb am Dienstag, 27. September 2011, 16:11:28:
> Hi,

> Das Ende der Arbeit sehe ich auch noch nicht. Man muss aber dazu sagen, dass sowohl das Ende der Arbeit, als auch das "Fortbestehen" der Arbeit nicht wirklich beweisbar sind.
> Ich denke auch, dass es für das Grundeinkommen keine Rolle spielt. Dabei geht es ja nicht darum wie viel Arbeit vorhanden ist, sondern um den Zwang zur Arbeit um das Grundeinkommen zu sichern. Mit
> dem BGE wird dieser Aspekt abgeschafft und der Mensch kann sich darauf konzentrieren sich selbst zu verwirklichen - wie das in dieser Diskussion ja auch festgestellt wurde.
> Zum Glück gehen wir davon aus, dass sich auch mit BGE viele Menschen durch Arbeit, ähnlich dem was heute im Angebot ist, verwirklichen wollen. Gleichzeitig wird es Arbeit geben die nur wenige oder
> niemand mehr tun will. Wodurch entweder diese Arbeit sehr teuer wird (z.B. Müll abfahren) oder Alternativen entstehen (die erwähnten RFID Chips im Supermarkt).

> Aus sozialer Sicht - um noch einmal auf das Thema "Ende der Arbeit" zurückzukommen - würde ich sagen, dass das Problem nicht der Mangel an Arbeit ist, sondern der Mangel an lebenssichernder
> Bezahlung. Dieser Trend wird sich fortsetzen und zwar in allen Bereichen. Wir kennen ja die ausreichend diskutierte Entwicklung Landwirtschaft->Industrie->Dienstleistung. Jetzt sind wir - nach
> meiner persönlichen Meinung - im nächsten Sektor "Wissen" angekommen. Leider ist der Sektor durch unsere neue Fähigkeit Informationen digital zu übertragen total mit Arbeitsangebot aus aller Welt
> geflutet. Ich kann mir einen guten Programmierer in Indonesien für $5/Stunde einstellen und einen Projektmanager in Pakistan für $10/Stunde, damit eine Software erstellen die ein paar Inder für
> $8/Stunde online vermarkten, etc. Gleichzeitig - oder auch deswegen - erleben wir eine enorme Konzentration von Kapital in wenigen Händen und es wird schwerer für die breite Masse in der westlichen
> Welt ansprechende Arbeit zu finden.
> Das beschreibt sicher nur einen Teil des Problems. Man könnte noch über Bildung, Liberalisierung der Märkte, den Abbau von Sozialleistungen, wachsende Bürokratie, veraltete politische Systeme usw.
> sprechen. Aber mir geht es nur darum festzustellen: Nicht das Ende oder der Fortbestand der Arbeit ist das Problem, sondern die Existenzsicherung, bzw. das Aufrechterhalten des Lebensstandards und
> die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Das Grundeinkommen kann genau das lösen.

> Grüße,
> Christian



> On Sep 26, 2011, at 6:29 PM, Agnes Schubert wrote:

>> Hallo,
>> 
>> "Die Arbeit geht aus?" 
>> 
>> Wohin denn? Da wünsche ich ihr viel Spaß - aber um Mitternacht sollte sie wieder da sein.
>> 
>> Werner Popken (nur hier beispielhaft für viele vergleichbare Autoren) schreibt:
>> " Durch die zunehmende und unvermeidliche Rationalisierung und Automatisierung nämlich, nicht so sehr durch die Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer, geht den Menschen die Arbeit aus.
>> Und diese Arbeit kommt nicht wieder, nirgendwo. ..."
>> 
>> Nun, in einzelnen Branchen wird immer mal die notwendige Arbeit weniger. Man schaue sich nur mal die Entwicklung des Grades der Beschäftigten in der Landwirtschaft an. Und inzwischen braucht es
>> Leute, die Apps für Handys programmieren, ... 
>> 
>> Es ist doch gar nicht so, dass es da nichts mehr zu tun gäbe für die Menschen,  und sie deshalb streiten müssten, etwas von der "tollen Erlebniswelt Arbeit" abzubekommen. Neue spannende
>> Beschäftigungen lassen sich immer finden, wenn man denn bereit und physisch fähig ist, denen nachzugehen.
>> 
>> Das Gerede von der ausgehenden Arbeit (mit entsprechender jeweiliger Begründung) ist doch  weder empirisch haltbar -   noch theoretisch nachvollziehbar!
>> Das, was da temporär mal mehr mal weniger ist, ist  eher die renditetaugliche Benutzung von Arbeitern. Wenn man mittels Maschinen das Geschäft rationalisiert, dann braucht man weniger Arbeiter,
>> wenn man neue geschäftsfelder Aufmacht, bracht man wieder welche.  Das insgesamt mal mehr und mal weniger Arbeiter beschäftigt werden, hängt von den zyklischen Krisen in der Marktwirtschaft ab. 
>> 
>> "Für die Frage des Gebrauchtwerdens hat der Autor ebenfalls keine richtige Antwort....
>> Es geht nämlich wirklich gar nicht um mehr oder weniger Geld, sondern um das Selbstwertgefühl,um den Sinn des Lebens."
>> Weil es an dem Widerspruch desjenigen liegt, der da gebracht werden will, gibt es jene verlangte "richtige Antwort" auch gar nicht. Jemandem ohne Gegenleistung dienen zu wollen, soll es ja ehrlich
>> dann doch nicht sein. Sonst könnte man sich ja locker im Ehrenamt betätigen, ... oder gar wildfremden die Schuhe putzen. Eine Anerkennung - wenn nicht mit Geld - dann mit irgendeinem anderen
>> "Leistungsgerechtem" Dank solle schon sein, ...
>> 
>> Was soll der Autor also da für Antworten finden? Oder stehen die Menschen tatsächlich auf der Straße und sagen: "Bitte bitte benutze mich! -Das ist mein ganzer Lebenssinn." ?
>> 
>> "Menschen sind soziale Wesen und leben nicht vom Brot allein."
>> Na denn, braucht es doch keinen Mindestlohn und nur minimalen (Grund-)Einkommens, damit man dann seiner inneren Bestimmung des Dienens nachgehen und glücklich sein kann. - oder doch nicht?
>> 
>> 
>> AgneS
>> 
>> 
>> _______________________________________________
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