[Debatte-Grundeinkommen] Kommentar zum Artikel/Re: Götz Werner

Dr. Gero Jenner info at gerojenner.com
Mo Sep 26 19:10:28 CEST 2011


Warum die Antwort nicht ausgehen wird, sondern die industrielle Revolution im Gegenteil trotz Automatisierung Arbeit in ungeheurem Umfang geschaffen hat - allein daran zu erkennen, dass eine Hälfte der Menschheit - die Frauen seit etwa einem halben Jahrhundert in den Prozess eingegliedert werden konnten, habe ich in "Die arbeitslose Gesellschaft" ausgeführt (Der Titel steht zu meiner These nur scheinbar im Gegensatz, denn die heutige und die uns noch bevorstehende Arbeitslosigkeit hat in Wahrheit ganz andere Gründe).
Dass eine Steuerreform, nämlich der Übergang zu einer echten Verbrauchssteuer viele unserer Probleme lösen würden, wird auf meiner Website unter "Neuer Fiskalismus im Detail beschrieben.

Viele Grüße


Am 26.09.2011 um 18:21 schrieb Werner Popken:

> Hallo zippi!
> 
> Herzlichen Dank für den Hinweis! Der Artikel ist außerordentlich
> interessant und wert, im einzelnen kommentiert zu werden.
> 
> Der Autor Gero Jenner ist leider ein wenig unehrlich, denn er täuscht
> darüber hinweg, dass er selbst keine Lösung für das grundlegende
> Problem unserer Gesellschaft hat, obwohl er sich die größte Mühe
> gegeben hat, dieses immer wieder auf den Tisch zu bringen: Dass
> nämlich die Arbeit ausgeht, unvermeidlich.
> 
> Außerdem hat er die Schärfe der Problematik durchaus unterschätzt und
> die Ursachen nicht korrekt benannt: Durch die zunehmende und
> unvermeidliche Rationalisierung und Automatisierung nämlich, nicht so
> sehr durch die Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer, geht
> den Menschen die Arbeit aus.
> 
> Und diese Arbeit kommt nicht wieder, nirgendwo. Auch in den
> Billiglohnländern wird die Arbeit irgendwann verschwinden. Es ist nur
> eine Frage der Zeit. Er selbst deutet ja an, dass auch der
> Arbeitsplatz an der Kasse von einer Maschine wahrgenommen werden wird.
> 
> Für die Frage des Gebrauchtwerdens hat der Autor ebenfalls keine
> richtige Antwort. Man muss ihm allerdings sehr dankbar sein, dass er
> diese Frage so scharf herausgearbeitet hat. Es geht nämlich wirklich
> gar nicht um mehr oder weniger Geld, sondern um das Selbstwertgefühl,
> um den Sinn des Lebens. Wer nicht gebraucht wird, fühlt sich
> überflüssig und ist gefährdet in jeder Hinsicht. Menschen sind soziale
> Wesen und leben nicht vom Brot allein.
> 
> Dass das Grundeinkommen diese Frage nicht beantwortet, ist eine sehr
> wesentliche Einsicht und Erkenntnis, für die dem Autor großer Dank
> gebührt. Andererseits erkennt er doch auch, dass der Arbeitsplatz an
> der Kasse ebenfalls nicht besonders gut dazu geeignet ist, Sinn zu
> stiften. Man kann nicht davon reden, dass man sich am Fließband oder
> an der Kasse verwirklichen kann.
> 
> Und das ist das eigentliche Problem: Man möchte nicht nur gebraucht
> werden, sondern etwas tun, was für einen selbst sinnvoll ist, womit
> man sich identifizieren kann, wofür man sich begeistern kann, was
> einen persönlich befriedigt - auch die Jugendlichen in London.
> 
> Jörg Gastmann, kein Milliardär, nicht einmal Millionär, hat mit seinem
> Bandbreitenmodell eine meines Erachtens überzeugende Lösung unserer
> Wirtschaftsprobleme vorgeschlagen, aber nicht nur das: Mit dem
> Bandbreitenmodell wird eine völlig neue Wirtschaftsordnung eingeführt.
> 
> Das ist ein großer Unterschied zu den Ideen von Götz Werner, der
> unsere Wirtschaftsordnung ja gar nicht antasten möchte.
> 
> Das Bandbreitenmodell würde unsere Welt wirklich vom Kopf auf die Füße
> stellen: Die Wirtschaft würde den Menschen dienen. Und das ohne große
> Mühe, lediglich mit einer simplen Steuerreform.
> 
> Die Menschen würden gebraucht werden, von den Unternehmern nämlich,
> die genügend viele Arbeitnehmer im Inland benötigen, um steuerlich gut
> dazustehen und wirtschaftlich überleben zu können. Das Modell ist
> total simpel, aber unglaublich trickreich; es gibt keine
> Schlupflöcher, insbesondere kann der Unternehmer der Problematik nicht
> durch Verlagerung ins Ausland entgehen.
> 
> Durch eine Steuerreform werden natürlich keine Arbeitsplätze
> geschaffen, auch mit dem Bandbreitenmodell wird weiter rationalisiert
> und automatisiert, die Zahl der Arbeitsplätze wird auch mit dem
> Bandbreitenmodell weiter schwinden; daher darf der Unternehmer
> abwesende Arbeitnehmer beschäftigen, Leute also, die Geld dafür
> bekommen, dass sie auf seiner Lohnliste stehen, dafür aber nichts tun
> und insbesondere nicht erscheinen müssen. Idealer Arbeitsplätze für
> Studenten, Mütter, Rentner, wobei die ersten beiden Gruppen wissen,
> was sie mit ihrer Zeit anzufangen haben.
> 
> Ob das ausreichen wird, allen Menschen einen Sinn im Leben zu stiften,
> die ausschließlich über Freizeit verfügen, ist natürlich die Frage.
> 
> Jörg Gastmann träumt davon, dass die Menschen sich endlich
> selbstverwirklichen können. Ist das wirklich realistisch, wollen die
> Menschen das, können sie das?
> 
> Und auch da finde ich, dass der Gero Jenner einen ganz wesentlichen
> Punkt herausgearbeitet hat. Ich glaube nicht, dass es für Künstler und
> Intellektuelle besonders leicht ist, sich selbst zu verwirklichen,
> aber für einfache Arbeiter und Angestellte ist es sicherlich besonders
> schwer. Man kennt das von der Rentnerkrise, wenn das Arbeitsleben
> endet und ein neuer Lebensinhalt gefunden werden muss. Manchmal
> gelingt das, manchmal auch nicht.
> 
> Nun ist das kein Argument, das Rentnerdasein als solches abzuschaffen;
> deshalb halte ich auch die Probleme, die durch frei verfügbare
> Lebenszeit entstehen, für nicht unlösbar. Das kann sich als eine
> interessante gesellschaftliche Aufgabe entpuppen; bekanntlich lernen
> viele Rentner, mit ihrer Zeit etwas Sinnvolles anzufangen, zum
> Beispiel gemeinsam zu verreisen oder neue Hobbys zu entwickeln.
> 
> Man wird sich um diese Aufgabe ohnehin nicht herumdrücken können, da
> die Arbeit einfach verschwinden wird, größtenteils jedenfalls. Und
> deshalb braucht man auf jeden Fall tragfähige Lösungen für das Problem
> der frei verfügbaren Lebenszeit. Das Warten auf einen Arbeitsplatz und
> gesellschaftliche Diskriminierung und Schikane machen jedenfalls
> nachweislich krank. Dieses Modell hat keine Zukunft.
> 
> Dass Götz Werner keine Lösung und auch keine Zukunft anzubieten hat,
> wird immer mehr Leuten klar, die sich mit dem bedingungslosen
> Grundeinkommen nach seinem Muster beschäftigen.
> 
> Anders geht es mir mit dem Bandbreitenmodell. Bisher habe ich den
> Eindruck, dass die Ideen von Jörg Gastmann tragfähig sind. Ein ernster
> Einwand ist mir noch nicht begegnet. Zu einer lebhaften Diskussion
> wird herzlich eingeladen - auch Jörg Gastmann ist an Einwänden
> außerordentlich interessiert.
> 
> Seine Vorstellungen liegen seit 2006 in Buchform vor; in den
> vergangenen fünf Jahren hat noch niemand Bedenken vortragen können,
> die Jörg Gastmann nicht mit Leichtigkeit hätte ausräumen können. Es
> wird Zeit, dass seine Ideen einem gnadenlosen Stresstest unterworfen
> werden.
> 
> Mit freundlichen Grüßen
> Werner 
> 
> -- 
> ________________________________________________________________
> 
> Dr.math. W. Popken · 32609 Hüllhorst · http://bbm-ddp.tumblr.com
> Tel. +49-5744-511-574  ·  Fax. -575  ·  Mobil. +49-151-2327 3955
> 
> Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Bandbreitenmodell eingeführt 
> werden muß, und zwar global. http://www.bandbreitenmodell.de/vision
> 
> 
> 
> 
> 
> 
> zippi schrieb am Sonntag, 25. September 2011, 13:19:00:
>> Drogeriekettenchef Götz Werner und das bedingungslose Grundeinkommen
> 
>> Gero Jenner 25.09.2011
>> Wie die schöne neue Welt von einem deutschen Realträumer herbeigelacht wird
> 
>> http://www.heise.de/tp/artikel/35/35532/1.html
> 
>> besonders gut gelungen ist der abschnitt Lüge 3: wer eignet sich den reichtum an
> 
>> "Wenn in erster Linie die Mitarbeiter für den Reichtum verantwortlich sind, warum ist dann nur einer, Götz Werner, zum Milliardär geworden, während alle anderen nach Abschluss ihrer Berufslaufbahn
>> von einer bescheidenen Pension leben müssen?"
> 




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