[Debatte-Grundeinkommen] Kommentar zum Artikel/Re: Götz Werner

Werner Popken Werner at Stuerenburg.com
Mo Sep 26 21:04:59 CEST 2011


Hallo Herr Jenner!

> Warum die Antwort nicht ausgehen wird, sondern die industrielle
> Revolution im Gegenteil trotz Automatisierung Arbeit in ungeheurem
> Umfang geschaffen hat - allein daran zu erkennen, dass eine Hälfte
> der Menschheit - die Frauen seit etwa einem halben Jahrhundert in
> den Prozess eingegliedert werden konnten, habe ich in "Die
> arbeitslose Gesellschaft" ausgeführt (Der Titel steht zu meiner
> These nur scheinbar im Gegensatz, denn die heutige und die uns noch
> bevorstehende Arbeitslosigkeit hat in Wahrheit ganz andere Gründe).

Interessant. Kann man über die Gründe irgendwo etwas nachlesen, ohne
gleich das Buch lesen zu müssen? Gefunden:
http://www.gerojenner.com/UserFiles/Image/Die%20Arbeitslose%20Gesellschaft.pdf

Da ich im Moment wenig Zeit habe, habe ich die Stelle mit der
Schaffung neuer Arbeitsplätze gesucht; sofern ich diese gefunden habe,
bin ich nicht überzeugt. Die von Ihnen aufgezählten Beispiele der
neuen Berufe (Reflexzonenmasseur, über den esoterischen Guru bis hin
zu neuen Produkten der Industrie) können nur im letzten Punkt
überzeugen - Handys und MP3-Player sind in der Tat neue Produkte, die
es früher nicht gab. Aber haben sie wirklich nennenswert Arbeitsplätze
geschaffen?

Die Frage ist doch nicht, ob neue Arbeitsplätze geschaffen werden,
sondern wie die Bilanz aussieht! Wie viele neue Arbeitsplätze werden
geschaffen und wie viele alte fallen weg? Ist die Bilanz ausgeglichen,
kann sie ausgeglichen werden, kann sie immer ausgeglichen werden, wird
sie immer ausgeglichen werden können?

Selbst die von Ihnen genannten Berufe, die nicht von Maschinen
übernommen werden können (Lehrer etc.) sind keine Berufe, die auf
Dauer nicht durch Maschinen ersetzt werden können, im Gegenteil:
Überall arbeitet man fieberhaft daran, Maschinen auch für diese
Aufgaben fit zu machen, und hat dabei enorme Fortschritte erzielt, man
denke nur an die Altenpflege in Japan, wobei auch diese Entwicklung
nicht unbedingt nur negativ gesehen werden muss. Schließlich gibt es
auch schlechte Lehrer, die man vielleicht durch gute Maschinen
vorteilhaft ersetzen kann.

Insgesamt sehe ich mich als Optimisten, aber in dieser Hinsicht kann
ich Ihnen nicht folgen. Und warum sollte ich auch? Ich sehe die
Arbeit, besonders die fremdbestimmte Arbeit, nicht als Selbstzweck,
und hätte gar nichts dagegen, wenn sie komplett wegfallen würde.

Ich persönlich arbeite sehr viel, aber das würde ich auch tun, wenn
ich Milliardär wäre, denn ich arbeite selbstbestimmt, und genau das
trifft auf den Großteil der Gesellschaft nicht zu.

> Dass eine Steuerreform, nämlich der Übergang zu einer echten
> Verbrauchssteuer viele unserer Probleme lösen würden, wird auf
> meiner Website unter "Neuer Fiskalismus im Detail beschrieben.

Dann gehen Sie ja zumindest teilweise mit Gastmann konform, wenn ich
das richtig verstehe.

http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Neuer_Fiskalismus.html

Hat die Idee des aufgeschobenen Konsums nicht auch etwas mit dem
Freigeld zu tun? (Ich sehe: Neue Art der Vermögensteuer)

Ich habe im Moment nicht die Zeit, mich ausführlicher mit Ihren
Ausführungen zu beschäftigen, aber eine erste Durchsicht zeigt mir,
dass es eine ganze Reihe von erstaunlichen Übereinstimmungen im
Gedankengang bei Ihnen und Gastmann gibt - natürlich gibt es auch eine
ganze Reihe von Unterschieden.

Außerdem fürchte ich, dass ich einfach nicht genug davon verstehe, um
beide Systeme zu würdigen und gegeneinander abzuwägen.

Daher würde mich interessieren, was Leute dazu sagen, die in diesen
Fragen kompetent sind, insbesondere würde ich gerne Ihre Kritik des
Bandbreitenmodells und Gastmanns Kritik Ihres Neuen Fiskalismus
erfahren. Das würde uns wohl alle sehr weiterbringen.

Auf jeden Fall ist Ihre Kritik der Vorstellungen Görtz Werners, die in
diesem Artikel noch deutlicher wird, nach meinem Dafürhalten absolut
korrekt. Immerhin bringt er durch seinen Einsatz etwas in Bewegung,
das muss man ihm ja lassen. Ohne seine Initiative würde man schwerlich
heute über das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren, oder? Und
dafür muss man ihm schon dankbar sein, finde ich. Aber ich bin auch
Ihnen dankbar für Ihre Ideen und Ihren Einsatz, und Zippi für den
Hinweis!

Mit freundlichen Grüßen
Werner Popken

-- 
________________________________________________________________

Dr.math. W. Popken · 32609 Hüllhorst · http://bbm-ddp.tumblr.com
Tel. +49-5744-511-574  ·  Fax. -575  ·  Mobil. +49-151-2327 3955

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Bandbreitenmodell eingeführt 
werden muß, und zwar global. http://www.bandbreitenmodell.de/vision

  




Dr. Gero Jenner schrieb am Montag, 26. September 2011, 19:10:28:
> Warum die Antwort nicht ausgehen wird, sondern die industrielle Revolution im Gegenteil trotz Automatisierung Arbeit in ungeheurem Umfang geschaffen hat - allein daran zu erkennen, dass eine Hälfte
> der Menschheit - die Frauen seit etwa einem halben Jahrhundert in den Prozess eingegliedert werden konnten, habe ich in "Die arbeitslose Gesellschaft" ausgeführt (Der Titel steht zu meiner These
> nur scheinbar im Gegensatz, denn die heutige und die uns noch bevorstehende Arbeitslosigkeit hat in Wahrheit ganz andere Gründe).
> Dass eine Steuerreform, nämlich der Übergang zu einer echten Verbrauchssteuer viele unserer Probleme lösen würden, wird auf meiner Website unter "Neuer Fiskalismus im Detail beschrieben.

> Viele Grüße


> Am 26.09.2011 um 18:21 schrieb Werner Popken:

>> Hallo zippi!
>> 
>> Herzlichen Dank für den Hinweis! Der Artikel ist außerordentlich
>> interessant und wert, im einzelnen kommentiert zu werden.
>> 
>> Der Autor Gero Jenner ist leider ein wenig unehrlich, denn er täuscht
>> darüber hinweg, dass er selbst keine Lösung für das grundlegende
>> Problem unserer Gesellschaft hat, obwohl er sich die größte Mühe
>> gegeben hat, dieses immer wieder auf den Tisch zu bringen: Dass
>> nämlich die Arbeit ausgeht, unvermeidlich.
>> 
>> Außerdem hat er die Schärfe der Problematik durchaus unterschätzt und
>> die Ursachen nicht korrekt benannt: Durch die zunehmende und
>> unvermeidliche Rationalisierung und Automatisierung nämlich, nicht so
>> sehr durch die Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer, geht
>> den Menschen die Arbeit aus.
>> 
>> Und diese Arbeit kommt nicht wieder, nirgendwo. Auch in den
>> Billiglohnländern wird die Arbeit irgendwann verschwinden. Es ist nur
>> eine Frage der Zeit. Er selbst deutet ja an, dass auch der
>> Arbeitsplatz an der Kasse von einer Maschine wahrgenommen werden wird.
>> 
>> Für die Frage des Gebrauchtwerdens hat der Autor ebenfalls keine
>> richtige Antwort. Man muss ihm allerdings sehr dankbar sein, dass er
>> diese Frage so scharf herausgearbeitet hat. Es geht nämlich wirklich
>> gar nicht um mehr oder weniger Geld, sondern um das Selbstwertgefühl,
>> um den Sinn des Lebens. Wer nicht gebraucht wird, fühlt sich
>> überflüssig und ist gefährdet in jeder Hinsicht. Menschen sind soziale
>> Wesen und leben nicht vom Brot allein.
>> 
>> Dass das Grundeinkommen diese Frage nicht beantwortet, ist eine sehr
>> wesentliche Einsicht und Erkenntnis, für die dem Autor großer Dank
>> gebührt. Andererseits erkennt er doch auch, dass der Arbeitsplatz an
>> der Kasse ebenfalls nicht besonders gut dazu geeignet ist, Sinn zu
>> stiften. Man kann nicht davon reden, dass man sich am Fließband oder
>> an der Kasse verwirklichen kann.
>> 
>> Und das ist das eigentliche Problem: Man möchte nicht nur gebraucht
>> werden, sondern etwas tun, was für einen selbst sinnvoll ist, womit
>> man sich identifizieren kann, wofür man sich begeistern kann, was
>> einen persönlich befriedigt - auch die Jugendlichen in London.
>> 
>> Jörg Gastmann, kein Milliardär, nicht einmal Millionär, hat mit seinem
>> Bandbreitenmodell eine meines Erachtens überzeugende Lösung unserer
>> Wirtschaftsprobleme vorgeschlagen, aber nicht nur das: Mit dem
>> Bandbreitenmodell wird eine völlig neue Wirtschaftsordnung eingeführt.
>> 
>> Das ist ein großer Unterschied zu den Ideen von Götz Werner, der
>> unsere Wirtschaftsordnung ja gar nicht antasten möchte.
>> 
>> Das Bandbreitenmodell würde unsere Welt wirklich vom Kopf auf die Füße
>> stellen: Die Wirtschaft würde den Menschen dienen. Und das ohne große
>> Mühe, lediglich mit einer simplen Steuerreform.
>> 
>> Die Menschen würden gebraucht werden, von den Unternehmern nämlich,
>> die genügend viele Arbeitnehmer im Inland benötigen, um steuerlich gut
>> dazustehen und wirtschaftlich überleben zu können. Das Modell ist
>> total simpel, aber unglaublich trickreich; es gibt keine
>> Schlupflöcher, insbesondere kann der Unternehmer der Problematik nicht
>> durch Verlagerung ins Ausland entgehen.
>> 
>> Durch eine Steuerreform werden natürlich keine Arbeitsplätze
>> geschaffen, auch mit dem Bandbreitenmodell wird weiter rationalisiert
>> und automatisiert, die Zahl der Arbeitsplätze wird auch mit dem
>> Bandbreitenmodell weiter schwinden; daher darf der Unternehmer
>> abwesende Arbeitnehmer beschäftigen, Leute also, die Geld dafür
>> bekommen, dass sie auf seiner Lohnliste stehen, dafür aber nichts tun
>> und insbesondere nicht erscheinen müssen. Idealer Arbeitsplätze für
>> Studenten, Mütter, Rentner, wobei die ersten beiden Gruppen wissen,
>> was sie mit ihrer Zeit anzufangen haben.
>> 
>> Ob das ausreichen wird, allen Menschen einen Sinn im Leben zu stiften,
>> die ausschließlich über Freizeit verfügen, ist natürlich die Frage.
>> 
>> Jörg Gastmann träumt davon, dass die Menschen sich endlich
>> selbstverwirklichen können. Ist das wirklich realistisch, wollen die
>> Menschen das, können sie das?
>> 
>> Und auch da finde ich, dass der Gero Jenner einen ganz wesentlichen
>> Punkt herausgearbeitet hat. Ich glaube nicht, dass es für Künstler und
>> Intellektuelle besonders leicht ist, sich selbst zu verwirklichen,
>> aber für einfache Arbeiter und Angestellte ist es sicherlich besonders
>> schwer. Man kennt das von der Rentnerkrise, wenn das Arbeitsleben
>> endet und ein neuer Lebensinhalt gefunden werden muss. Manchmal
>> gelingt das, manchmal auch nicht.
>> 
>> Nun ist das kein Argument, das Rentnerdasein als solches abzuschaffen;
>> deshalb halte ich auch die Probleme, die durch frei verfügbare
>> Lebenszeit entstehen, für nicht unlösbar. Das kann sich als eine
>> interessante gesellschaftliche Aufgabe entpuppen; bekanntlich lernen
>> viele Rentner, mit ihrer Zeit etwas Sinnvolles anzufangen, zum
>> Beispiel gemeinsam zu verreisen oder neue Hobbys zu entwickeln.
>> 
>> Man wird sich um diese Aufgabe ohnehin nicht herumdrücken können, da
>> die Arbeit einfach verschwinden wird, größtenteils jedenfalls. Und
>> deshalb braucht man auf jeden Fall tragfähige Lösungen für das Problem
>> der frei verfügbaren Lebenszeit. Das Warten auf einen Arbeitsplatz und
>> gesellschaftliche Diskriminierung und Schikane machen jedenfalls
>> nachweislich krank. Dieses Modell hat keine Zukunft.
>> 
>> Dass Götz Werner keine Lösung und auch keine Zukunft anzubieten hat,
>> wird immer mehr Leuten klar, die sich mit dem bedingungslosen
>> Grundeinkommen nach seinem Muster beschäftigen.
>> 
>> Anders geht es mir mit dem Bandbreitenmodell. Bisher habe ich den
>> Eindruck, dass die Ideen von Jörg Gastmann tragfähig sind. Ein ernster
>> Einwand ist mir noch nicht begegnet. Zu einer lebhaften Diskussion
>> wird herzlich eingeladen - auch Jörg Gastmann ist an Einwänden
>> außerordentlich interessiert.
>> 
>> Seine Vorstellungen liegen seit 2006 in Buchform vor; in den
>> vergangenen fünf Jahren hat noch niemand Bedenken vortragen können,
>> die Jörg Gastmann nicht mit Leichtigkeit hätte ausräumen können. Es
>> wird Zeit, dass seine Ideen einem gnadenlosen Stresstest unterworfen
>> werden.
>> 
>> Mit freundlichen Grüßen
>> Werner 
>> 
>> -- 
>> ________________________________________________________________
>> 
>> Dr.math. W. Popken · 32609 Hüllhorst · http://bbm-ddp.tumblr.com
>> Tel. +49-5744-511-574  ·  Fax. -575  ·  Mobil. +49-151-2327 3955
>> 
>> Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Bandbreitenmodell eingeführt 
>> werden muß, und zwar global. http://www.bandbreitenmodell.de/vision
>> 
>> 
>> 
>> 
>> 
>> 
>> zippi schrieb am Sonntag, 25. September 2011, 13:19:00:
>>> Drogeriekettenchef Götz Werner und das bedingungslose Grundeinkommen
>> 
>>> Gero Jenner 25.09.2011
>>> Wie die schöne neue Welt von einem deutschen Realträumer herbeigelacht wird
>> 
>>> http://www.heise.de/tp/artikel/35/35532/1.html
>> 
>>> besonders gut gelungen ist der abschnitt Lüge 3: wer eignet sich den reichtum an
>> 
>>> "Wenn in erster Linie die Mitarbeiter für den Reichtum verantwortlich sind, warum ist dann nur einer, Götz Werner, zum Milliardär geworden, während alle anderen nach Abschluss ihrer Berufslaufbahn
>>> von einer bescheidenen Pension leben müssen?"
>> 




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