[Debatte-Grundeinkommen] Kommentar zum Artikel/Re: Götz Werner

Werner Popken Werner at Stuerenburg.com
Mo Sep 26 18:21:40 CEST 2011


Hallo zippi!

Herzlichen Dank für den Hinweis! Der Artikel ist außerordentlich
interessant und wert, im einzelnen kommentiert zu werden.

Der Autor Gero Jenner ist leider ein wenig unehrlich, denn er täuscht
darüber hinweg, dass er selbst keine Lösung für das grundlegende
Problem unserer Gesellschaft hat, obwohl er sich die größte Mühe
gegeben hat, dieses immer wieder auf den Tisch zu bringen: Dass
nämlich die Arbeit ausgeht, unvermeidlich.

Außerdem hat er die Schärfe der Problematik durchaus unterschätzt und
die Ursachen nicht korrekt benannt: Durch die zunehmende und
unvermeidliche Rationalisierung und Automatisierung nämlich, nicht so
sehr durch die Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer, geht
den Menschen die Arbeit aus.

Und diese Arbeit kommt nicht wieder, nirgendwo. Auch in den
Billiglohnländern wird die Arbeit irgendwann verschwinden. Es ist nur
eine Frage der Zeit. Er selbst deutet ja an, dass auch der
Arbeitsplatz an der Kasse von einer Maschine wahrgenommen werden wird.

Für die Frage des Gebrauchtwerdens hat der Autor ebenfalls keine
richtige Antwort. Man muss ihm allerdings sehr dankbar sein, dass er
diese Frage so scharf herausgearbeitet hat. Es geht nämlich wirklich
gar nicht um mehr oder weniger Geld, sondern um das Selbstwertgefühl,
um den Sinn des Lebens. Wer nicht gebraucht wird, fühlt sich
überflüssig und ist gefährdet in jeder Hinsicht. Menschen sind soziale
Wesen und leben nicht vom Brot allein.

Dass das Grundeinkommen diese Frage nicht beantwortet, ist eine sehr
wesentliche Einsicht und Erkenntnis, für die dem Autor großer Dank
gebührt. Andererseits erkennt er doch auch, dass der Arbeitsplatz an
der Kasse ebenfalls nicht besonders gut dazu geeignet ist, Sinn zu
stiften. Man kann nicht davon reden, dass man sich am Fließband oder
an der Kasse verwirklichen kann.

Und das ist das eigentliche Problem: Man möchte nicht nur gebraucht
werden, sondern etwas tun, was für einen selbst sinnvoll ist, womit
man sich identifizieren kann, wofür man sich begeistern kann, was
einen persönlich befriedigt - auch die Jugendlichen in London.

Jörg Gastmann, kein Milliardär, nicht einmal Millionär, hat mit seinem
Bandbreitenmodell eine meines Erachtens überzeugende Lösung unserer
Wirtschaftsprobleme vorgeschlagen, aber nicht nur das: Mit dem
Bandbreitenmodell wird eine völlig neue Wirtschaftsordnung eingeführt.

Das ist ein großer Unterschied zu den Ideen von Götz Werner, der
unsere Wirtschaftsordnung ja gar nicht antasten möchte.

Das Bandbreitenmodell würde unsere Welt wirklich vom Kopf auf die Füße
stellen: Die Wirtschaft würde den Menschen dienen. Und das ohne große
Mühe, lediglich mit einer simplen Steuerreform.

Die Menschen würden gebraucht werden, von den Unternehmern nämlich,
die genügend viele Arbeitnehmer im Inland benötigen, um steuerlich gut
dazustehen und wirtschaftlich überleben zu können. Das Modell ist
total simpel, aber unglaublich trickreich; es gibt keine
Schlupflöcher, insbesondere kann der Unternehmer der Problematik nicht
durch Verlagerung ins Ausland entgehen.

Durch eine Steuerreform werden natürlich keine Arbeitsplätze
geschaffen, auch mit dem Bandbreitenmodell wird weiter rationalisiert
und automatisiert, die Zahl der Arbeitsplätze wird auch mit dem
Bandbreitenmodell weiter schwinden; daher darf der Unternehmer
abwesende Arbeitnehmer beschäftigen, Leute also, die Geld dafür
bekommen, dass sie auf seiner Lohnliste stehen, dafür aber nichts tun
und insbesondere nicht erscheinen müssen. Idealer Arbeitsplätze für
Studenten, Mütter, Rentner, wobei die ersten beiden Gruppen wissen,
was sie mit ihrer Zeit anzufangen haben.

Ob das ausreichen wird, allen Menschen einen Sinn im Leben zu stiften,
die ausschließlich über Freizeit verfügen, ist natürlich die Frage.

Jörg Gastmann träumt davon, dass die Menschen sich endlich
selbstverwirklichen können. Ist das wirklich realistisch, wollen die
Menschen das, können sie das?

Und auch da finde ich, dass der Gero Jenner einen ganz wesentlichen
Punkt herausgearbeitet hat. Ich glaube nicht, dass es für Künstler und
Intellektuelle besonders leicht ist, sich selbst zu verwirklichen,
aber für einfache Arbeiter und Angestellte ist es sicherlich besonders
schwer. Man kennt das von der Rentnerkrise, wenn das Arbeitsleben
endet und ein neuer Lebensinhalt gefunden werden muss. Manchmal
gelingt das, manchmal auch nicht.

Nun ist das kein Argument, das Rentnerdasein als solches abzuschaffen;
deshalb halte ich auch die Probleme, die durch frei verfügbare
Lebenszeit entstehen, für nicht unlösbar. Das kann sich als eine
interessante gesellschaftliche Aufgabe entpuppen; bekanntlich lernen
viele Rentner, mit ihrer Zeit etwas Sinnvolles anzufangen, zum
Beispiel gemeinsam zu verreisen oder neue Hobbys zu entwickeln.

Man wird sich um diese Aufgabe ohnehin nicht herumdrücken können, da
die Arbeit einfach verschwinden wird, größtenteils jedenfalls. Und
deshalb braucht man auf jeden Fall tragfähige Lösungen für das Problem
der frei verfügbaren Lebenszeit. Das Warten auf einen Arbeitsplatz und
gesellschaftliche Diskriminierung und Schikane machen jedenfalls
nachweislich krank. Dieses Modell hat keine Zukunft.

Dass Götz Werner keine Lösung und auch keine Zukunft anzubieten hat,
wird immer mehr Leuten klar, die sich mit dem bedingungslosen
Grundeinkommen nach seinem Muster beschäftigen.

Anders geht es mir mit dem Bandbreitenmodell. Bisher habe ich den
Eindruck, dass die Ideen von Jörg Gastmann tragfähig sind. Ein ernster
Einwand ist mir noch nicht begegnet. Zu einer lebhaften Diskussion
wird herzlich eingeladen - auch Jörg Gastmann ist an Einwänden
außerordentlich interessiert.

Seine Vorstellungen liegen seit 2006 in Buchform vor; in den
vergangenen fünf Jahren hat noch niemand Bedenken vortragen können,
die Jörg Gastmann nicht mit Leichtigkeit hätte ausräumen können. Es
wird Zeit, dass seine Ideen einem gnadenlosen Stresstest unterworfen
werden.

Mit freundlichen Grüßen
Werner 

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Dr.math. W. Popken · 32609 Hüllhorst · http://bbm-ddp.tumblr.com
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Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Bandbreitenmodell eingeführt 
werden muß, und zwar global. http://www.bandbreitenmodell.de/vision

  




zippi schrieb am Sonntag, 25. September 2011, 13:19:00:
> Drogeriekettenchef Götz Werner und das bedingungslose Grundeinkommen

> Gero Jenner 25.09.2011
> Wie die schöne neue Welt von einem deutschen Realträumer herbeigelacht wird

> http://www.heise.de/tp/artikel/35/35532/1.html

> besonders gut gelungen ist der abschnitt Lüge 3: wer eignet sich den reichtum an

> "Wenn in erster Linie die Mitarbeiter für den Reichtum verantwortlich sind, warum ist dann nur einer, Götz Werner, zum Milliardär geworden, während alle anderen nach Abschluss ihrer Berufslaufbahn
> von einer bescheidenen Pension leben müssen?"




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