[Debatte-Grundeinkommen] Argumente Rolf Meier (DKP)

Agnes Schubert Agne.s at gmx.de
Fr Okt 7 13:49:42 CEST 2011


Hallo Antonius,

Ich will nicht auf alles eingehen, was der DKPler da verzapft hat.

Grundlegend finde ich seine Fehleinschätzung
Ich nehme mir mal einen durchgehenden Absatz vor (und werde ihn hier aus 
einander nehmen:)

/"Ein BGE stellt das gesamte Tarifsystem und die Existenz der 
Gewerkschaften in Frage. "/
In den beiden Punkten hat er recht. Es könnte je nach Höhe des BGE eben 
überflüssig werden - aber im positiven Sinn. Die Aufgabe der 
Gewerkschaft (mit den Mindestlöhnen aller Art) ist, die Konkurrenz der 
Arbeiter untereinander auf oder unter Niveau der nackten 
Existenzgrundlage bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe im Zaum zu 
halten. Dafür organisieren sich die Arbeiter. BGE schafft die 
Alternative das zu erreichen - und zwar für alle und somit auch für die 
Arbeiter und bisherigen Gewerkschafter mit.

/"Verfechter des BGE in den sozialen und demokratischen Bewegungen 
glauben, ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das sowieso jeder bekommt, 
ob er arbeitet oder nicht, stärke die Lohnverhandlungsposition eines 
jeden, wenn er sich bereit findet seine Arbeitskraft anzubieten."/

Genau. (Das aber eben macht deren häufige (bisherige) Forderung nach 
Mindestlohn doch überflüssig und gar kontraproduktiv. Mindestlohn wird 
auch da zur unnötigen Beschränkung auch für den nun von Existenznot 
befreiten Arbeiter. Wenn es (auch) andere Gründe als das Geld gibt, 
einen Job zu machen, werden mit Mindestlohn einige dieser Jobs einfach 
nicht zu stande kommen, wenn sie sich ökonomisch nicht rechnen.)

/"Die Verfechter eines BGE bzw. Bürgergeldes auf Seiten des Kapitals und 
der Politik - auf der Seite der Herrschenden also - haben dagegen 
hinreichend klargestellt, dass es höhere Löhne begleitend zu einem BGE 
nicht geben wird. Im Gegenteil."/

Na wie machen sie das denn? Wenn BGE wirklich Existenz und Teilhabe 
sichernd ist, dann macht das Kapital lauter schlechte billige 
Arbeitsplätze und ... ? Keiner geht hin !

/" Die Löhne werden auf breiter Front fallen..."/
Ja, die Nettolöhne *erst einmal* sicher und zwar ca. in Höhe des BGE. 
Das Gesamteinkommen bleibt annähernd gleich. Wenn das BGE aber die 
(um-)steuernde Wirkung erreicht, die mit der Befreiung von Existenzangst 
verbunden ist, werden sämtliche Jobs und Löhne eine grundlegende 
Umgestaltung erfahren. Ja - der Grund zum Arbeiten wird sich ändern 
(müssen), ...

Das Nettoeinkommen (inklusive Lohn und BGE) muss erwirtschaftet werden. 
Auch die Steuern, die das BGE finanzieren werden also irgendwo als 
Kosten der Produktion auftauchen. In welcher Form die Steuern erhoben 
werden, ändert nur an der speziellen Zuordnung zu einzelnen Produkten 
etwas - nicht insgesamt.
Wenn also Löhne dank BGE fallen (so weit wie das jeweilige 
gesammteinkommen also annähernd gleich bleibt), heißt das nicht gleich, 
dass die Profite der Kapitalgeber allein deswegen steigen.
BGE an sich ist *bei Einführung* nicht primär eine Umverteilung zwischen 
Armen und Reichen, sondern erst in der Wirkung.

/" ...Dies ist jedoch nicht nur der politische Wille dieser Gruppen, 
sondern tatsächlich ökonomisch begründet. Wie der Wert aller Waren hängt 
der Wert der Ware Arbeitskraft von den Kosten für ihre Produktion und 
Reproduktion ab - wobei bei den Löhnen der Tauschwert natürlich auch 
beeinflusst wird vom vorherrschenden Wohlstandsniveau, der Kampfkraft 
der Gewerkschaften, der Qualifikation der Arbeitskräfte etc. Dies ändert 
jedoch nichts daran, dass der Wert der Ware Arbeitskraft, also der Lohn, 
grundlegend von ihren Reproduktionskosten geprägt ist. "/


Was bei Marx im Groben noch stimmte, stimmt aber nicht mehr unter BGE 
Bedingungen.
Zur Reproduktion der Arbeitskraft gehört neben der physischen auch die 
psychische Reproduktion. Wo Existenznot den Arbeiter zwingt, gibt es 
seinen Willen zur Arbeit kostenlos bzw. ist dieser mit dem 
Existenzversprechen des Lohnes schon eingeschlossen.
Unter BGE sind die Kosten des Lohnes dann aber nicht mehr von den 
physischen Reproduktionskosten bestimmt (Sie fließen gar nicht mehr ein, 
sondern werden ja bereits vom BGE gedeckt) sondern ausschließlich vom 
von den Arbeitsbereitschaftskosten des freien Willens.
So gibt es eben auch keinen Mindestlohn mehr, sondern Ehrenamt mit der 
Arbeitsmotivation, die im Arbeitsprozess selber - also in der 
Gebrauchswertproduktion steckt, einerseits und Arbeit für mehr 
persönlichen Luxus im Leben (Motivation Tauschwerteproduktion) 
andererseits werden einen fließenden Übergang in der Arbeitslandschaft 
haben.

Wie die relative Lohnhöhe genau aussehen wird, ist schwer vorhersehbar. 
Sie wird aber wohl immer mehr abnehmen (Deswegen halte ich ein 
langfristiges Festhalten an der Lohnsteuer auch für nicht sinnvoll) 
zugunsten von besseren Arbeitsbedingungen einhergehend mit einer 
Umstrukturierung der Produktionszweige Pazifisten werden sich eher 
weigern Waffen zu produzieren, Umweltaktivisten werden bei 
Verschmutzungen durch die Produktion ihren Dienst versagen, ... weniger 
bezahlte Nachbarschaftshilfen und Freundschaftsdienste werden häufiger, ...
und zugunsten eines stetig wachsenden BGEs, denn wenn es einst eine 
Mehrheit für ein BGE gibt, dann auch immer eine für ein *möglichst 
*hohes BGE.

/
"Wenn nun der Staat diese Reproduktionskosten grundsätzlich garantiert, 
verliert das Lohnsystem die genannte Grundlage und existenzsichernde 
Löhnen haben ökonomisch keinerlei Existenzberechtigung mehr."
/Es bekommt - wie oben beschrieben - eine (vorübergehend?) andere 
Grundlage - Reproduktionskosten des Willens zur Arbeit der Arbeiter muss 
seine Mühsal mit dafür zu erzielendem Luxus aufgewogen sehen.
Aber statt sich ein Kommunist auf das ende des Lohnsystems freut, sieht 
er die Felder schwinden auf denen man - moralisch irgendwie 
gerechtfertigt - noch zur Gewalt greifen darf:
/" Schon aus diesem Grund werden die gewerkschaftlichen Positionen durch 
ein BGE nicht verbessert werden."/

/"Die herrschende Klasse, die sich nicht scheut, Polizei und Militär 
gegen streikende Arbeiter einzusetzen, die für den Gewinn von globalem 
Einfluss und für höhere Profite Kriege führte und führt und 
faschistische Systeme installierte und installiert, wird sich nicht 
ausgerechnet ihre Macht in der Lohnfrage einfach nehmen lassen. "/

Nun zerbricht sich also wiedermal ein Kommunist den Kopf, um die 
Herrschenden glücklich zu sehen. Rolf Meier glaubt, dass etwas worüber 
sich der Arme freut, den reichen schon aus Prinzip ärgern muss. Als wenn 
der Reiche sich den Regen wünscht, damit der Arme,dem er die Sonne nicht 
gönnt, ordentlich leidet.
Aber nicht das Elend des Arbeiters ist sein primäres Anliegen (auch wenn 
er ersteres durchaus für letzteres in Kauf nimmt)
Die herrschende Klasse ist dem Profit "verpflichtet". Danach strebt sie 
und die Macht ist Mittel zu diesem Zweck. Gibt es eine Aussicht, dass 
unter BGE Bedingungen die Produktion profitabler  ist als ohne, dann 
wird sie immer für BGE sein. Darauf kommt es an , und darauf wird sich 
die Höhe des BGE beschränken müssen, weil sonst die eigenen 
Produktionskosten in der Konkurrenz mit der globalisierten Welt zu hoch 
sind.

Steigt aber letztlich die Rentabilität dank BGE durch 
Motivationssteigerung, Abbau von Bürokratie und sonstigen 
Unnützlichkeiten (wie ja auch bisher Sozialstaat und Bildung hier mehr 
einbringen als sie kosten), dann wird sich keine herrschende Klasse 
einem BGE in den Weg stellen - im Gegenteil.

Das letzte wird also so oder so der entscheidende Punkt sein, ob  und 
bei welchem Produktivitätsniveau ein BGE erfolgreich sein kann.

/
"Hinzu kommt, dass das BGE - unter günstigen Umständen - evtl. mehr 
bietet als Hartz IV, aber auch dann nur ein Einkommen knapp oberhalb der 
Armutsgrenze sichert. Der soziale Status wird nach wie vor gering sein. 
Viele werden versuchen, ihr Einkommen aufzubessern - und da tut es 
aufgrund des BGE - ja auch ein Stundenlohn von 1,50 Euro oder 2 Euro. 
Die Massenerwerbslosigkeit wird durch das BGE nicht beseitigt, das ist 
auch gar nicht beabsichtigt. Also wird es auch genug Menschen geben, die 
für 1 Euro die gleiche Arbeit machen. Das Reserveheer an billigen 
Arbeitskräften wird durch das BGE noch vergrößert, die Kampfbedingungen 
also verschlechtert."/


Auch ein geringes BGE kann nicht schlechter sein, als gar keines, wenn 
man sich dafür nicht übermäßig bisherige soziale Strukturen abringen lässt.

"/Viele werden versuchen, ihr Einkommen aufzubessern -" /
Ja, in dem man nicht mehr einzeln oder in Einzelgewerkschaften für mehr 
Lohn kämpft, sondern für mehr Einkommen also auch für mehr BGE.Wenn der 
Lohnkampf der Eisenbahner auch andere Arbeiter und Arme im Land ärgert, 
dann ist das beim Kampf um mehr BGE immer ein gemeinschaftlicher Kampf 
gegen den Profit.
Damit mit jetzigem Kampf um immer mehr BGE (also anfangs Abbau  von 
negativem BGE - wie GEZ und sonstigen allgemeinen Gebühren und 
Pro-Kopfsteuern - dann die Einführung von geringem BGE und dann immer 
mehr) sollte es schlicht losgehen und bei welcher Höhe man dann im 
Ausgleich dafür bereit ist, bisherige soziale Sicherungsnetze 
einzuschränken, muss in der Tat sorgfältig überwacht werden.

soweit dazu
AgneS


> Hallo,
>
> ich bin von der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens absolut überzeugt.
>
> Es hat mich aber nun heute ein bei abgeordnetenwatch gefundener Beitrag
> von Rolf Meier von der DKP sehr verunsichert:
>
> http://www.abgeordnetenwatch.de/index.php?cmd=223&q=b%C3%BCrgergeld+rolf+meier
>
> Könnte sich wohl mal jemand mit den dort aufgeführten Argumenten
> auseinandersetzen?  Bin sehr gespannt auf Beiträge dazu.
>
> Vielen Dank und viele Grüße
> Antonius Gusik
> ...
>
> Ende Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 77, Eintrag 2
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