[Debatte-Grundeinkommen] Weg mit dem "offenen Strafvollzug Hartz IV" - Novum im Deutschen Bundestag!

Martin Brucks m.brucks at emsltd.de
Mo Mai 30 19:36:07 CEST 2011


Lieber Werner,

ich habe mich ja zunächst geschmeichelt gefühlt, dass du mir so
ausführlich geantwortet hast - aber das hast du ja jedem.

Überraschanderweise stellst du in einer nicht erwarteten Intensität die
Frage nach dem Sinn des Lebens was ich sehr spannend finde, gleichzeitig
aber auch völlig überflüssig.
Ein Blick in die Natur genügt - der Sinn des Lebens ist das Leben
selbst, besser noch, das Überleben. Wo immer du hinguckst, jede Spezies
versucht zu überleben.
Das Grundeinkommen ist der Kompromiss einer denkenden Gesellschaft an
ihre Mitglieder, die das Überleben sichert, ohne wie sonst üblich im
Kampf dafür andere (,erfolglose) hinter sich lassen zu müssen.

Einmal beschlossen, setzt das Grundeinkommen Mechanismen in Kraft von
denen wir heute noch garnicht wissen, was sie bewirken werden
Ich finde es mutig, darauf zu vertrauen, dass sich diese Mechanismen
positiv für alle auswirken werden.
Haben die Menschen erst einmal begriffen, dass Überleben nicht bedeutet
du oder ich werden sich Alle uns heute vertrauten Dinge rigoros ändern.

Das von dir propagierte Bandbreiten Modell hat Reize, der Nachteil ist,
es wird nur durch Verordnung von oben nach unten funktionieren.
An diesem Punkt setzen meine Bedenken ein was die Realisierbarkeit angeht.


Der freiwillige Verzicht der Besitzenden auf Besitz, der Vermögenden auf
Vermögen oder der Mächtigen auf Macht kann nicht erwartet werden - aber
genau diese Gruppen sind in der Politik aktiv oder nehmen erfolgreich
Einfluss darauf.
Das Volk ist schon lange außen vor - (weil es das so will.)
Erst ernsthafte Krisen werden das Volk zur Stellungnahme bewegen können,
dann aber deutlich.
Und sie werden kommen - die Krisen, einige Nachbarn haben sie schon und
bei uns sind sie nur vertagt.


Beste Grüße

Martin


Am 30.05.2011 10:47, schrieb Werner Popken:
> Hallo Martin!
>
> Martin Brucks schrieb am Samstag, 28. Mai 2011, 21:12:26:
>> Ich mag mir garnicht vorstellen, was die Leute auf diesen Arbeitsplätzen
>> denn so alles tun dürfen.
> Ich denke, die Leute werden genauso wie heute ganz normal arbeiten und
> versuchen, diese Arbeit für sich so befriedigend für möglich zu
> gestalten.
>
>> Ich bin der festen Überzeugung, dass jedes Modell, welches eine
>> Vollbeschäftigung (im klassischen Sinne der Erwerbsarbeit) zum Ziel hat
>> zum scheitern verurteilt ist.
> Ja, das ist wohl richtig: Die Arbeit geht uns aus, weil die Maschinen
> die Arbeit übernehmen. Internet-Kaufhäuser beispielsweise werden bald
> völlig ohne Menschen auskommen können und trotzdem riesige Umsätze
> machen.
>
>> Arbeitgeber wollen keine Arbeitsplätze einrichten, die sie nicht
>> benötigen und Arbeitnehmer wollen nicht irgend welche Arbeiten
>> verrichten um ein Recht auf Überleben zu haben.
> Auch darin stimme ich Dir zu.
>
>> Wir haben ja garnicht das Problem, dass Menschen nicht arbeiten, wir
>> haben das Problem, dass der größte Teil der Arbeit unbezahlt bleibt und
>> dabei handelt es sich um gesellschaftlich wichtige und wertvolle Arbeit
>> und nicht um solche, die eigens zum Erwerb eines Einkommens erfunden wurde.
> Auch das ist richtig. Diese Arbeit soll durch das Bandbreitenmodell
> bezahlt werden. Der Staat gibt einfach nur die Spielregeln in Form von
> Steuerparametern vor. Der Rest muß vom Markt geregelt werden.
>
>> So jedenfalls kommt der Vorstoß des Bandbreitenmodells bei mir an.
>> Sollte damit aber gemeint sein, dass der Mitarbeiter des Unternehmens
>> keine Gegenleistung erbringen muss, dann ist es auch nichts anderes als
>> eine Form von BGE.
> Jein, dieser Ansatz unterscheidet sich in mehreren Punkten ganz
> wesentlich vom bedingungslosen Grundeinkommen. Eine gute Übersicht
> findet sich unter http://www.bandbreitenmodell.de/grundeinkommen.html
> im letzten Abschnitt: Fazit: BGE 1.0 war gestern, Bandbreitenmodell
> (BGE 2.0) ist morgen.
>
> Der eigentliche Motor der dynamischen Umgestaltung der Gesellschaft
> ist nach wie vor der Eigennutz. Der Eigennutz des Unternehmers sorgt
> dafür, daß er genügend viele Arbeitnehmer - anwesend oder abwesend -
> auf seiner Liste hat. Der Eigennutz des Arbeitnehmers zielt auf ein
> möglichst hohes Einkommen oder möglichst viele Einflussmöglichkeiten
> (= Macht) oder auf möglichst freie Gestaltungsmöglichkeit seines
> Lebens ab.
>
> Es ist nicht jedermanns Sache, sein Leben frei zu gestalten, und das
> ist auch nicht ganz einfach, wie jeder Student bemerkt, dem der feste
> Stundenplan und die Kontrolle der Schule fehlt. Man muß lernen, sein
> Leben selbst zu organisieren.
>
>> Es ist schwer, Bedingungslosigkeit zu praktizieren - wir sind es nicht
>> gewohnt und müssen es daher üben, jeder für sich.
> Ja, das ist eine schwierige Übung, im Grunde eine religiöse Übung.
> "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist eine Forderung, die keine
> Gegenleistung erwartet. Überhaupt sollte Liebe bedingungslos gewährt
> werden, sonst ist es nicht wirklich Liebe.
>
> Die Liebe der Eltern ist häufig bedingungslos, aber der umstrittene
> Therapeut Hellinger ist der Meinung, daß die Kinder den Eltern Dank
> schulden, womit die Liebe der Eltern nicht bedingungslos wäre. Dieser
> Meinung bin ich nicht, wie ich überhaupt mit Hellinger wenig
> übereinstimme - ich führe das Beispiel hier nur an, um deutlich zu
> machen, wie schwierig das Thema ist.
>
> Umgekehrt glaubt manch einer, sich Liebe verdienen zu können. Auch das
> ist unmöglich.
>
> Es läuft auch darauf hinaus, daß jeder seinen Sinn im Leben sucht und
> findet. Selbstverwirklichung nennt man das wohl auch. Wenn ich weiß,
> warum ich lebe, werde ich meinen Lebenszweck erfüllen, auch wenn ich
> dafür nicht belohnt werde.
>
> Ich sehe die Schwierigkeit eigentlich darin, daß jeder Mensch sein
> Leben sinnvoll füllen muß. Die bisher gängige Münze heißt: Hobby. Ein
> Hobby kann beliebig kostspielig werden, sehr reiche Leute leisten sich
> beispielsweise sehr teure Yachten, andere investieren in teure
> Motorräder und müssen diese dann bewegen. Angeblich macht das auch
> Spaß. Aber ist das der Sinn des Lebens? Oder wird damit die Zeit bis
> zum Tode mehr oder weniger angenehm überbrückt?
>
> Das sind aber Fragen, die über das bedingungslose Grundeinkommen
> hinausgehen. Wer den ganzen Tag emsig schaffen muß, um überleben zu
> können, kann sich dieser existenziell wichtigen Frage nach dem Sinn
> des Lebens überhaupt nicht widmen. Der gesellschaftliche Reichtum, den
> wir den technischen Fortschritt verdanken, bietet uns die Möglichkeit,
> unser Potenzial zu entwickeln und eventuell auszuschöpfen.
>
> Man muß allerdings auch mit der Möglichkeit rechnen, daß viele
> Menschen dieser Frage nicht gewachsen sind. Auch das ist nicht neu.
> Reiche Leute, die alles im Leben erreicht haben und trotzdem depressiv
> werden und sich gegebenenfalls umbringen, machen immer wieder mal
> Schlagzeilen und beleuchten das Problem.
>
> Man kann es auch so formulieren: Wenn die Existenzsicherung - auf
> welchem Wege und nach welchem Modell auch immer - gelöst ist und ein
> ausgeglichenes und menschenwürdiges Leben geführt werden kann, stellt
> sich die Frage nach der Zufriedenheit und dem Sinn des Lebens mit
> zunehmender Dringlichkeit. Die Befriedigung materieller Bedürfnisse
> kann es eigentlich nicht sein. Was kann die Sehnsucht in unserem
> Herzen füllen? Was macht uns zu voll entwickelten, weisen Menschen?
>
> Die hat es im Laufe der Menschheitsgeschichte zweifellos immer wieder
> gegeben, auch ohne technischen Fortschritt und ohne bedingungsloses
> Grundeinkommen. Solche Menschen haben andere Menschen wiederum
> fasziniert und angezogen. Die Befreiung des Menschen von materieller
> Not ist sicher genauso wichtig wie die Befreiung des Menschen von
> religiöser Indoktrination und falschen Versprechungen. Was zählt ist
> nur die gelebte Seligkeit des Einzelnen, nicht seine
> Glaubensgrundsätze oder sein Selbstbetrug. Da kommt noch einiges auf
> die Menschheit zu!
>
>> Am Infostand zum BGE heute Morgen haben wir Kuchen angeboten, nicht
>> verkauft, durften wir nicht, wollten wir aber auch nicht.
>> Auf die Frage von Passanten, ob sie ein Stück Kuchen haben könnten sagte
>> die Kollegin, "ja, gegen Spende" - Ziel verfehlt.
> Ja. Es ist nicht einfach. Neulich war ich bei einem türkischen
> Friseur, da wurde Kaffee und Kuchen angeboten. Ich selbst wollte
> nichts, aber ein anderer Kunde hat ganz überrascht erst den Kaffee und
> dann auf den Kuchen angenommen und war sichtlich verwirrt über diese
> Gastfreundschaft. Die Türken haben sich gefreut und fanden das ganz
> normal.
>
> Die türkischen Besucher warfen manchmal auch Münzen auf den Fußboden.
> Einer sammelte die ein und wurde aufgeklärt, daß das ein Brauch sei,
> der Glück bringen solle. Vielleicht ist es einfach nur eine Frage der
> Kultur und somit sehr leicht änderbar. Schließlich haben wir es ja
> auch geschafft, in kürzester Zeit eine Gesellschaft der Missgünstigen
> zu werden. Warum sollte sich das nicht ebenso schnell wieder ändern
> lassen? Im Grunde sind die Menschen gut, finde ich, und sie merken
> sehr schnell, daß es eine tiefe Befriedigung einträgt, wenn man sich
> anständig und gut verhält. Es macht nämlich Spaß, etwas ohne
> Gegenleistung zu verschenken.
>
> In östlichen Kulturen leistet der Bedürftige dem Spender einen Dienst,
> nicht umgekehrt wie bei uns, indem dieser nämlich seine Großherzigkeit
> beweisen und damit sein Karma verbessern kann.
>
> Mit freundlichen Grüßen
> Werner 
>
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