[Debatte-Grundeinkommen] Weg mit dem "offenen Strafvollzug Hartz IV" - Novum im Deutschen Bundestag!

Werner Popken Werner at Stuerenburg.com
Mo Mai 30 10:47:24 CEST 2011


Hallo Martin!

Martin Brucks schrieb am Samstag, 28. Mai 2011, 21:12:26:
> Ich mag mir garnicht vorstellen, was die Leute auf diesen Arbeitsplätzen
> denn so alles tun dürfen.

Ich denke, die Leute werden genauso wie heute ganz normal arbeiten und
versuchen, diese Arbeit für sich so befriedigend für möglich zu
gestalten.

> Ich bin der festen Überzeugung, dass jedes Modell, welches eine
> Vollbeschäftigung (im klassischen Sinne der Erwerbsarbeit) zum Ziel hat
> zum scheitern verurteilt ist.

Ja, das ist wohl richtig: Die Arbeit geht uns aus, weil die Maschinen
die Arbeit übernehmen. Internet-Kaufhäuser beispielsweise werden bald
völlig ohne Menschen auskommen können und trotzdem riesige Umsätze
machen.

> Arbeitgeber wollen keine Arbeitsplätze einrichten, die sie nicht
> benötigen und Arbeitnehmer wollen nicht irgend welche Arbeiten
> verrichten um ein Recht auf Überleben zu haben.

Auch darin stimme ich Dir zu.

> Wir haben ja garnicht das Problem, dass Menschen nicht arbeiten, wir
> haben das Problem, dass der größte Teil der Arbeit unbezahlt bleibt und
> dabei handelt es sich um gesellschaftlich wichtige und wertvolle Arbeit
> und nicht um solche, die eigens zum Erwerb eines Einkommens erfunden wurde.

Auch das ist richtig. Diese Arbeit soll durch das Bandbreitenmodell
bezahlt werden. Der Staat gibt einfach nur die Spielregeln in Form von
Steuerparametern vor. Der Rest muß vom Markt geregelt werden.

> So jedenfalls kommt der Vorstoß des Bandbreitenmodells bei mir an.
> Sollte damit aber gemeint sein, dass der Mitarbeiter des Unternehmens
> keine Gegenleistung erbringen muss, dann ist es auch nichts anderes als
> eine Form von BGE.

Jein, dieser Ansatz unterscheidet sich in mehreren Punkten ganz
wesentlich vom bedingungslosen Grundeinkommen. Eine gute Übersicht
findet sich unter http://www.bandbreitenmodell.de/grundeinkommen.html
im letzten Abschnitt: Fazit: BGE 1.0 war gestern, Bandbreitenmodell
(BGE 2.0) ist morgen.

Der eigentliche Motor der dynamischen Umgestaltung der Gesellschaft
ist nach wie vor der Eigennutz. Der Eigennutz des Unternehmers sorgt
dafür, daß er genügend viele Arbeitnehmer - anwesend oder abwesend -
auf seiner Liste hat. Der Eigennutz des Arbeitnehmers zielt auf ein
möglichst hohes Einkommen oder möglichst viele Einflussmöglichkeiten
(= Macht) oder auf möglichst freie Gestaltungsmöglichkeit seines
Lebens ab.

Es ist nicht jedermanns Sache, sein Leben frei zu gestalten, und das
ist auch nicht ganz einfach, wie jeder Student bemerkt, dem der feste
Stundenplan und die Kontrolle der Schule fehlt. Man muß lernen, sein
Leben selbst zu organisieren.

> Es ist schwer, Bedingungslosigkeit zu praktizieren - wir sind es nicht
> gewohnt und müssen es daher üben, jeder für sich.

Ja, das ist eine schwierige Übung, im Grunde eine religiöse Übung.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ist eine Forderung, die keine
Gegenleistung erwartet. Überhaupt sollte Liebe bedingungslos gewährt
werden, sonst ist es nicht wirklich Liebe.

Die Liebe der Eltern ist häufig bedingungslos, aber der umstrittene
Therapeut Hellinger ist der Meinung, daß die Kinder den Eltern Dank
schulden, womit die Liebe der Eltern nicht bedingungslos wäre. Dieser
Meinung bin ich nicht, wie ich überhaupt mit Hellinger wenig
übereinstimme - ich führe das Beispiel hier nur an, um deutlich zu
machen, wie schwierig das Thema ist.

Umgekehrt glaubt manch einer, sich Liebe verdienen zu können. Auch das
ist unmöglich.

Es läuft auch darauf hinaus, daß jeder seinen Sinn im Leben sucht und
findet. Selbstverwirklichung nennt man das wohl auch. Wenn ich weiß,
warum ich lebe, werde ich meinen Lebenszweck erfüllen, auch wenn ich
dafür nicht belohnt werde.

Ich sehe die Schwierigkeit eigentlich darin, daß jeder Mensch sein
Leben sinnvoll füllen muß. Die bisher gängige Münze heißt: Hobby. Ein
Hobby kann beliebig kostspielig werden, sehr reiche Leute leisten sich
beispielsweise sehr teure Yachten, andere investieren in teure
Motorräder und müssen diese dann bewegen. Angeblich macht das auch
Spaß. Aber ist das der Sinn des Lebens? Oder wird damit die Zeit bis
zum Tode mehr oder weniger angenehm überbrückt?

Das sind aber Fragen, die über das bedingungslose Grundeinkommen
hinausgehen. Wer den ganzen Tag emsig schaffen muß, um überleben zu
können, kann sich dieser existenziell wichtigen Frage nach dem Sinn
des Lebens überhaupt nicht widmen. Der gesellschaftliche Reichtum, den
wir den technischen Fortschritt verdanken, bietet uns die Möglichkeit,
unser Potenzial zu entwickeln und eventuell auszuschöpfen.

Man muß allerdings auch mit der Möglichkeit rechnen, daß viele
Menschen dieser Frage nicht gewachsen sind. Auch das ist nicht neu.
Reiche Leute, die alles im Leben erreicht haben und trotzdem depressiv
werden und sich gegebenenfalls umbringen, machen immer wieder mal
Schlagzeilen und beleuchten das Problem.

Man kann es auch so formulieren: Wenn die Existenzsicherung - auf
welchem Wege und nach welchem Modell auch immer - gelöst ist und ein
ausgeglichenes und menschenwürdiges Leben geführt werden kann, stellt
sich die Frage nach der Zufriedenheit und dem Sinn des Lebens mit
zunehmender Dringlichkeit. Die Befriedigung materieller Bedürfnisse
kann es eigentlich nicht sein. Was kann die Sehnsucht in unserem
Herzen füllen? Was macht uns zu voll entwickelten, weisen Menschen?

Die hat es im Laufe der Menschheitsgeschichte zweifellos immer wieder
gegeben, auch ohne technischen Fortschritt und ohne bedingungsloses
Grundeinkommen. Solche Menschen haben andere Menschen wiederum
fasziniert und angezogen. Die Befreiung des Menschen von materieller
Not ist sicher genauso wichtig wie die Befreiung des Menschen von
religiöser Indoktrination und falschen Versprechungen. Was zählt ist
nur die gelebte Seligkeit des Einzelnen, nicht seine
Glaubensgrundsätze oder sein Selbstbetrug. Da kommt noch einiges auf
die Menschheit zu!

> Am Infostand zum BGE heute Morgen haben wir Kuchen angeboten, nicht
> verkauft, durften wir nicht, wollten wir aber auch nicht.
> Auf die Frage von Passanten, ob sie ein Stück Kuchen haben könnten sagte
> die Kollegin, "ja, gegen Spende" - Ziel verfehlt.

Ja. Es ist nicht einfach. Neulich war ich bei einem türkischen
Friseur, da wurde Kaffee und Kuchen angeboten. Ich selbst wollte
nichts, aber ein anderer Kunde hat ganz überrascht erst den Kaffee und
dann auf den Kuchen angenommen und war sichtlich verwirrt über diese
Gastfreundschaft. Die Türken haben sich gefreut und fanden das ganz
normal.

Die türkischen Besucher warfen manchmal auch Münzen auf den Fußboden.
Einer sammelte die ein und wurde aufgeklärt, daß das ein Brauch sei,
der Glück bringen solle. Vielleicht ist es einfach nur eine Frage der
Kultur und somit sehr leicht änderbar. Schließlich haben wir es ja
auch geschafft, in kürzester Zeit eine Gesellschaft der Missgünstigen
zu werden. Warum sollte sich das nicht ebenso schnell wieder ändern
lassen? Im Grunde sind die Menschen gut, finde ich, und sie merken
sehr schnell, daß es eine tiefe Befriedigung einträgt, wenn man sich
anständig und gut verhält. Es macht nämlich Spaß, etwas ohne
Gegenleistung zu verschenken.

In östlichen Kulturen leistet der Bedürftige dem Spender einen Dienst,
nicht umgekehrt wie bei uns, indem dieser nämlich seine Großherzigkeit
beweisen und damit sein Karma verbessern kann.

Mit freundlichen Grüßen
Werner 

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