[Debatte-Grundeinkommen] pdf Aufsatz
Joerg Drescher
iovialis at gmx.de
Do Apr 28 10:47:17 CEST 2011
Hallo zusammen,
bevor es hier zu einem Werner-Bashing und einer Werner-Verteidigung kommt,
möchte ich ein paar Punkte einwerfen, die man bei Götz Werner bedenken
kann - egal, ob man ihn als "gut" oder "gefährlich" befindet.
1.) Weshalb plädiert Götz Werner eigentlich für ein Grundeinkommen , wenn
seine Argumente gleichzeitig für die Abschaffung des Geldes insgesamt
passen. Wozu sein Umweg über neue Spielregeln für eine monetäre
Umverteilung?
2.) Götz Werner handelt(e) weitgehendst mit "langhaltbaren
Verbrauchsartikeln". Gemeint ist, daß es daneben auch Handelsware gibt, die
"schnell-verderblich" ist (z.B. Lebensmittel) oder "Gebrauchsartikel"
darstellen (z.B. Haushaltsgegenstände, Möbel, Transportmittel...). Inwieweit
ist sich Werner bei einem Grundeinkommen bewußt, welche Auswirkung ein
solches auf den Konsum hat und was mit den "nichtkonsumierten Abfällen"
passiert?
3.) Gerade durch Götz Werner wird die Frage aufgeworfen, ob die Menschen
noch mit Grundeinkommen arbeiten würden. Hier würde mich interessieren, ob
sich Werner wenigstens manchmal fragt, was die Leute denn eigentlich noch
"arbeiten" werden ("arbeiten" im heutigen Sinne). Was passiert nämlich mit
all den "Arbeitsplatzinhabern" von heute, die durch ein vereinfachtes und
gerechteres Steuersystem nicht mehr gebraucht werden? In der freien
Wirtschaft mag die Frage noch relativ einfach zu beantworten sein
(Entlassung), doch wie sieht es bei Beamten aus?
4.) Werner spricht gerne von "zwei Menschenbildern": eins von sich selbst,
und eins von den "Anderen". Wer sind aber die "Anderen", wenn nicht jene,
die wir zu kennen glauben und über die wir direkt oder indirekt etwas
erfahren. Aber was ist mit jenen "Anderen", über die uns keine Informationen
vorliegen? Pauschalisieren wir dann in die eine oder andere Richtung? Sind
es wirklich nur "zwei Menschenbilder" oder einige mehr?
5.) Eine weitere Sache, die Götz Werner zu betonen beliebt, ist, daß man das
Grundeinkommen "denken können soll". Also: was würde passieren, wenn
Deutschland (oder irgendein Land) ein Grundeinkommen einführt. Die meisten
unter uns denken dabei über Änderungen in ihrem eigenen Leben und Umfeld
nach. Was ist aber im größeren Rahmen? Nehmen wir allein die EU mit ihren
offenen Grenzen? Nehmen wir Auswirkungen aufs Ausland hinzu? Denken wir an
Umweltfragen bei der Produktion und Entsorgung? Überlegen wir uns
Auswirkungen auf die Wirtschaft, den Staat und die Gesellschaft?
Es mag ein Verdienst von Götz Werner sein, daß er die Diskussion über ein
Grundeinkommen beflügelt hat und dies zu einer breiteren öffentlichen
Auseinandersetzung führte. Dem Geschäftsumsatz und Bekanntheitsgrad seines
Unternehmens hat es bestimmt nicht geschadet. Dass er auch Professor
ist/war, kommt eher selten zum Ausdruck - noch seltener, was er eigentlich
gelehrt hat (weil wohl kaum jemand etwas mit dem Wort "Entrepreneurship"
anfangen kann). Wer wirklich das Grundeinkommen "denkt", wie es Werner
fordert, müßte selbst ihn kritisch hinterfragen. Wir haben nämlich schon
heute die Freiheit "nein" zu sagen. Doch müssen wir, wie bei jeder
Entscheidung, selbst die Verantwortung für die Konsequenzen tragen. Was eine
"Verneinung" (besser Hinterfragung) der Werner'schen Popularität mit sich
bringt, muß jeder für sich selbst beantworten. Ein "nein" zu Werner heißt
nicht, "nein" zum Grundeinkommen; und eine Hinterfragung des
Grundeinkommens, macht jemanden auch nicht zum Gegner der Idee.
Insofern kann der von Toni Weiser geschriebene Aufsatz, sowie der
taz-Artikel, auf den er hinwies, verstanden werden. Tatsächlich ist ein
Grundeinkommen selbst nicht "systemerschütternd" - vielmehr ist es ein
Werkzeug, mit dem man das System entweder "erschüttern", oder auch
"reparieren" könnte. Es obliegt jenen, die das Werkzeug benutzen - und
Werner verweist eher auf den "persönlichen Gebrauch", ohne auf die
Werkzeug-Eigenschaften im Allgemeinen einzugehen.
Viele Grüße aus Kiew,
Jörg Drescher
Projekt Jovialismus
----- Original Message -----
From: Martin Brucks
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Sent: Thursday, April 28, 2011 12:17 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] pdf Aufsatz
Liebe BGEler, lieber Toni Weiser,
die uns überlassene pdf- Datei kann meiner Meinung nach nicht unkommentiert
bleiben, was ich hiermit tun möchte.
Zitate aus dem Text kursiv und in Anführungszeichen, meine Kommentare in
normaler Schrift und etwas größer.
"Er (GW) tourt seit vielen Jahren durch die Lande und füllt Thatersäle,
Auditorien, Waldorf-
Aulen und viele andere Orte..."
Bravo kann ich da nur sagen, kaum ein anderer Befürworter des BGE kriegt das
hin, es macht die Idee bekannt, nichts anderes ist wichtig.
"Götz Werners Besitz an der Drogeriemarkt-Kette.....hat er massgeblich auf
dem Boden allgemeinen Wirtschaftens ...in einer Phase sich massiv
verschlechternder Löhne und Arbeitsentgelte, erworben."
Genau diese sich verschlechternden Bedingungen und die Vision, dass sich
dieser trend nicht stoppen lässt sind der Grund für die Forderung nach einem
BGE.
"...und offenkundig ging es auch darum, seine sieben Kinder nicht beerben zu
müssen. So werden die Absichten des Unternehmens dm inkclusive
expandierender Einflüsse, was eine Stiftung idealerweise ermöglicht und
begünstigt, in der Regie von Götz Werner bleiben."
Von seinen Kindern habe ich bislang kein weises Wort gelesen - gut, wenn
einer die Kontrolle behält der auch was zu sagen hat.
"Dass praktizierte Menschlichkeit solche finanziellen Gewinne zu
erwirtschaften
vermag, wäre historisch einzigartig und bleibt als Kausalität für derartigen
Markterfolg mehr als fragwürdig."
Dann sollte doch an dieser Stelle mal eine fundierte Untersuchung ansetzen.
"... Bei GW selbst, in seiner Person und Herkunft sind
kaum spirituelle Ambitionen erkennbar, worauf sein Handeln zu begründen
wäre."
Möchte uns der Verfasser etwa glauben machen, es bedürfe ausgerechnet
spiritueller Ambitionen um ein so existenzielles Begehren wie das BGE
befürworten zu dürfen?
"Was das ökologische Wirtschaften, Nachhaltigkeit und der dringend gebotenen
Begrenzung von Konsum angeht, ist das dm-Unternehmen auf stetige Steigerung
des
Konsums (Wachstum) ausgerichtet."
Momentan haben wir Verhältnisse, die stetes Wachstum brauchen um existieren
zu können. In diesen Verhältnissen existiert auch dm. Unstrittig ist und
auch GW bekannt, dass es ein Stetes Wachstum nicht geben kann und darf,
Umverteilung hingegen wird es mE immer geben.
"GWs Modell des BGE zielt darauf ab, dass die Unternehmen weder Steuern noch
Sozialabgaben noch irgendwelche sozialen Leistungen abzuführen haben... "
faktisch ist es so, dass alle Kosten eines Unternehmen über die Preise der
Produkte oder Dienstleistungen an die Kunden weitergegeben werden, anders
ist kein einziges Unternehmen überlebensfähig. Der Ansatz, alle Steuern von
heute auf die nur eine, die Mehrwertsteuer zu reduzieren, ist dabei
verständlich und macht aus bürokratischer Sicht absolut Sinn.
Richtig, und damit zu überdenken ist die Tatsache, dass jegliches Regulativ
wegfällt. Ich persönlich befürworte neben einer deutlich erhöhten
Mehrwertsteuer eine Arbeitsplatzabgabe, die den Gewinn eines Unternehmens in
Relation setzt zu der Anzahl der Beschäftigten und der gesamt Lohnsumme,
sodass Unternehmen, die mit wenig Mitarbeitern hohe Gewinne erzielen
deutlich mehr Steuern zahlen als solche, die bei gleichem Gewinn viele
Mitarbeiter beschäftigen.
"Der Endverbraucher zahlt letztlich am Ende der Wirtschaftskette quasi
"alles"..."
Das tut er heute auch schon, s.o., denn, merke, ein Unternehmen muss alle
Kosten über die Preisgestaltung seiner Produkte an die Kunden weitergeben,
anderenfalls kann es nicht überleben.
"..mit einer saftigen Konsumsteuer, die sich ca. um 100 % erhöhen wird."
Falsch beobachtet oder gelesen, die heute 19% betragende Konsumsteuer wird
sich nach GW`s Konzept um gut 600% erhöhen, nämlich auf ca. 100 % des Netto-
Warenwertes, der allerdings dann deutlich niedriger ausfallen wird als
bisher, weil alle anderen Steuern im Netto- Warenwert nicht mehr auftauchen
und deshalb auch nicht mehr berücksichtigt werden müssen.
Tatsächlich können also mit nur einer Steuer - der Konsumsteuer - alle Waren
preiswerter werden als heute, esrt durch den Aufschlag der Konsumsteuer
werden sie preislich in etwa wieder dort liegen, wo sie heute liegen.
"Demnach würde die tatsächliche Kaufkraft nur noch ca 50 % des zu
veranschlagenden BGEs betragen."
Das ist eine Schlussfolgerung aus bereits vorher nicht verstandenen
Zusammenhängen.
"Darüber hinaus bleibt die Frage, inwieweit dieses Modell sich auf sämtliche
Produkte,
Dienstleistungen und die verschiedensten Gewerbe etc. übertragen liesse."
Stimmt, diese Frage bleibt und sie ist unzureichend beantwortet bisher.
"... Anstelle staatlicher Institutionen und Behörden (z.B. BA) könnten
arbeitsmarktpolitische Regulierungen von seiten der Unternehmen eigenmächtig
vollzogen werden- ein neuer radikaler Marktliberalismus bzw. -radikalismus
wäre geboren."
Das ist nicht ganz falsch, die Unternehmen können arbeitsmarktpolitisch aber
nur durch Anreize regulieren, da wo ich Arbeitskräfte haben will muss ich
sie ausloben anderenfalls begnügt sich der Umworbenen mit dem
Grundeinkommen.
In Wirklichkeit reguliert also nicht das Unternehmen sondern der
Mitarbeiter.
"Niemand mehr müsste"
stimmt!
"und könnte über das Marktgeschehen Kontrolle ausüben."
das stimmt natürlich nicht, nur, dass der Kontrolle des Marktgeschehens die
Willkür und ein Teil der macht entzogen wurden.
"Dem Staat käme in diesem Segment nur noch eine marginale Rolle zu."
Richtig, ab dem Moment der erfolgreichen und dauerhaften Einführung des BGE
liegt die Kontrolle ausschließlich beim Bürger denn er/sie hat die
Möglichkeit NEIN zu sagen.
"Arbeitskräfte würden analog ohne irgendwelche Auflagen und Verpflichtungen
zum Spielball von Unternehmen mutieren"
genau das würden sie nicht, dank BGE ist jeder Mensch frei in seiner
Entscheidung.
"Gewerkschaften und sämtliche denkbaren Interessenvertretungen würden
überflüssig."
Das stimmt genau und ist einer der Gründe, warum die Gewerkschaftsbewegung
bei der Frage des BGE sehr gespalten ist.
"Dadurch, dass dem Staat in wirtschaftspolitischer Hinsicht mindere
Bedeutung zukäme, würden Unternehmen dieses Vakuum direkt besetzen: eine
gewaltige Machtrolle, eine kaum auzumalende Horrorvision."
Politik ist heute das Instrument der Wirtschaft zur Regulierung der eigenen
Erfordernisse, das BGE wirkt in die entgegen gesetzte Richtung.
"Was die Auswahl und den Bestand des Personals anginge, wäre hier ein fast
grenzenloser Spielraum gegeben."
Richtig, jedoch ergibt sich dieser Spielraum nicht für das Unternehmen
sondern für das Personal.
"Sämtliche Belange, wie Einstellungsmodi bishin zu Kündigungen,
sämtliche Arbeitsrechtlichen Belange wären ohne Auflagen und Grenzsetzungen."
Sagen wir mal lieber sie wären frei verhandelbar zwischen AG und AN.
"Jedes Unternehmen könnte über Personalpolitik etc. autokratisch herrschen."
Das passiert heute, ohne BGE.
"Keine andere Macht könnte Einfluss nehmen."
Alle Mächte, die in den letzten Jahren Einfluss hätten nehmen können haben
angesichts der Drohung von Arbeitsplatzabbau den Schwanz eingezogen,
Arbeitnehmervertreter haben die Errungenschaften von fast 100 Jahren
schrittweise verkauft oder hergeschenkt und die Politik hat für teures Geld
überflüssige Arbeitsplätze bei den Unternehmen gekauft, oder glaubt irgend
jemand in dieser Runde, ein Unternehmen würde einen Arbeitsplatz einrichten
den es eigentlich nicht braucht, wenn dieser nicht hochsubventioniert wäre?
"Den Begleitumständen eines Sklavenhandels wären Tür und Tor geöffnet."
Der Sklavenhandel ist das, was wir heute haben.
"Führt man diesen Gedanken weiter fort, könnte man der Rhetorik anheim
fallen und fragen, wozu man dann eigentlich noch die Politik oder den
Politiker brauche, wenn doch Unternehmer dies viel unbürokratischer und
besser zu leisten in der Lage sind."
Die Politik von heute brauchen wir tatsächlich nicht.
"Der Autor ist dennoch für das Konzept "Grundeinkommen" als längst
überfällige und radikale Trennung von Erwerbsarbeit und Einkommen -
alternativ zu derzeitigen Regelungen (Hartz 4, ein Euro-jobs, etc.) inklusiv
aller vorbefindlichen Sanktionssysteme"
Hier wir der Artikel langsam konstruktiv und der nun folgende Teil der
Ausführung steht in krassem Gegensatz zu den vorherigen Ausführungen- der
Autor widerspricht sich selbst - glücklicherweise.
Martin Brucks
Am 24.04.2011 18:54, schrieb Toni Weiser:
hier als pdf
Mit freundlichen Grüssen
Toni Weiser, cr. rer. nousologie
44263 Dortmund
Tel: 0231 435648
From: toniweiser at hotmail.com
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Subject: Beitrag zum Abdruck freigegeben
Date: Tue, 19 Apr 2011 20:43:37 +0200
Sehr geehrte Damen und Herren,
gerne komme ich auf das Angebot von Herrn Blaschke zurück und
gebe den Beitrag (s. ANhang) zum Abdruck frei, falls Sie keine Einwände
haben.
Mit freundlichen Grüssen
Toni Weiser, cr. rer. nousologie
Dipl-Päd. /Konzertorganist
Alfred-Trappen-Str. 7
44263 Dortmund
Tel: 0231 435648
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