[Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
So Sep 19 10:03:39 CEST 2010


Hallo Ingo und sonstige Interessierte,

Rechte sind immer eine abstrakte, da Logik erfordende, Angelegenheit... Allerdings ich finde es schade, daß sich das Grundeinkommen von vielen eben nicht abstrakt als Recht denken läßt, sondern immer ein Bezug zur Arbeit hergestellt wird. Offenbar hängt es mit der Begrifflichkeit zusammen, weil "Einkommen" mit Arbeit assoziiert wird.

Sprechen wir allerdings vom Grundeinkommen als Recht und konzentrieren uns auf den Rechtsanspruch, sollten wir bemerken, daß ein Recht immer mit einer Pflicht verbunden ist. Ein subjektives Recht fordert von einem Objekt (einer öffentlichen Institution - respektive dem Staat) dessen Pflicht, diesen Rechtsanspruch zu erfüllen.

Wird objektive Pflicht zum subjektiven Recht, kann man von einem (subjektiven) Recht auf (objektive) Pflicht sprechen. Will man diese Formel verallgemeinern, um die Trennung in subjektiv und objektiv zu vermeiden, beinhaltet das "Recht auf Pflicht" 4 Fälle, die sich in zwei Kategorien teilen lassen:
Die Kategorie der Forderung:
Das subjektive Recht auf objektive Pflicht
Das objektive Recht auf subjektive Pflicht
Die Kategorie der Selbstverpflichtung:
Das subjektive Recht auf subjektive Pflicht
Das objektive Recht auf objektive Pflicht

Entsprechend kann das Recht auf Pflicht als Forderung nach Selbstverpflichtung verstanden werden.

Daraus folgt: Wenn es aber kein Recht ohne Pflicht gibt, kann das Grundeinkommen als Recht dann überhaupt "bedingungslos" (im Sinne keiner "Gegenleistung") sein? Welche Pflicht könnte der Staat an den Einzelnen stellen? Ist es nicht "moderner Ablaßhandel", seine Staatsbürgerpflicht allein durch Bezahlung seiner Steuern zu erfüllen?

Die Betrachtung, das Grundeinkommen als Recht zu sehen, führt meiner Meinung nach zu einem grundlegenden Überdenken des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft, das weit über das individuelle Verhältnis zwischen Auskommen und Arbeit hinausgeht. Prinzipiell könnte man auch das "Recht auf sauberes Wasser" heranziehen, doch offenbar eignet sich das Grundeinkommen deshalb besser, weil wir in einer monetär- und arbeitsgeprägten Welt einen besseren Bezug zu diesem "Grundrecht" haben.

Auf weitere Meinungen zum Thema warte ich gespannt,

viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus





  ----- Original Message ----- 
  From: Ingo Groepler-Roeser 
  To: Joerg Drescher 
  Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Saturday, September 18, 2010 5:44 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


  Nun ist es allerdings so, daß lediglich verfassungsrechtliche Bedingungen noch keine gesetzliche Verpflichtung implizieren.
  Da in diesem Falle das "rechtsgebende" Organ der Souverän ist, hat er es selbst verpasst, sich zu verpflichten, eine Pflicht zum Recht zu artikulieren.
  Solange über Menschenrechte in dem Falle reflektiert wird, bleibt die Angelegenheit abstrakt.

  Arbeit wird immer mehr (anstatt anläßlicher moderner Forschungs- und Wirkungsergebnisse) zum Fetisch.
  Parallelgesellschaften und Kreativwirtschaft (digitale Bohemé) mutieren zum Mainstream und führen so zu einer Egalisierung des individuellen Anspruchs.
  Es scheint so, als sei die virtuelle Welt (etwa in der Debatte bei wired) weiter, als die reale Welt: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,712637,00.html.

  Ob diese Erkenntnis allerdings progressiv ist (nicht jede ist zwangsläufig progressiv), wäre zu beobachten.
  In Wired selbst (http://www.wired.com/magazine/2010/08/ff_webrip/all/1), wie auch in der kritischen Wikipediaforschung scheint sich Resignation oder Kanalisierung einzustellen.

  Hinzu kommt die politisierte Debatte in randständigen politischen Institutionen, verbunden mit einer Gerechtigkeitsmoral anhand ideologisch eindimensionaler Ziele, in der die Selbstausbeutung als angeblicher sozialer Motor eine perfide Rolle spielt. Darin wird Arbeit zu einer Befriedigung stilisiert.


  ....
  Ingo Groepler-Roeser


  Am 17. September 2010 16:56 schrieb Joerg Drescher <iovialis at gmx.de>:

    Hallo zusammen,

    offenbar ist diese Diskussionsliste etwas eingeschlafen, was hoffentlich nicht heißt, daß es keine Diskussion mehr über das Grundeinkommen gibt. Ich möchte hiermit einen Austausch anstoßen, der sich auf das "Grundeinkommen als Recht" bezieht.

    Wer sich ein bisschen mit Recht beschäftigt, sollte prinzipiell darauf kommen, daß es jemanden geben sollte, bei dem dieses Recht "einklagbar" ist. Dies ist in Bezug auf Nichtstaatsbürger interessant, wenn es um das "Grundeinkommen als Recht" geht. Hannah Arendt forderte zum Beispiel in Bezug auf die Menschenrechte ein "Recht, Rechte zu haben".

    Wer den Film von Häni/Schmidt gesehen hat, dürfte die Aussage kennen (die im Beiheft auf Seite 18 zu finden ist), daß es kein "Recht auf Pflicht" gäbe. Seit ich den Film zum ersten Mal sah, stieß mir diese Aussage sauer auf, da für mich dieses "Recht auf Pflicht" eine zentrale Bedeutung hat und ich es sogar als fundamentales Naturrecht betrachte. Nun ist leider (wie so vieles in dem Film) unklar, was damit eigentlich gemeint ist.

    Welche Folgen allerdings die Aussage "Es gibt kein Recht auf Pflicht" haben würde, kann man sich an der "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" vom 1. Sept. 1997 ausmalen, die ich im Zusammenhang mit der Einführung eines Grundeinkommens für essentiell sehe:
    http://www.interactioncouncil.org/udhr/de_udhr.html

    Vor allem Art. 9 ist Voraussetzung für ein Grundeinkommen... Aber wenn es niemand mehr als sein Recht ansieht, solche Pflichten zu erfüllen (weil es ja laut Häni/Schmidt kein "Recht auf Pflicht" gibt), möchte ich nicht wissen, was mit der Menschheit passieren würde...

    Ich hoffe, auf der Liste sind noch ein paar Leute, die an einem Austausch über das Thema "Grundeinkommen als Recht" interessiert sind.

    Viele Grüße aus Kiew,

    Jörg (Drescher)
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