[Debatte-Grundeinkommen] "Gegenleistung" fürs BGE

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Di Okt 19 09:11:57 CEST 2010


Hallo AgneS, und wen's sonst noch interessiert,

laß' Dir von einem eingebildeten Schnösel (Mephisto) nur sagen: Was würde Dich die Einsicht kränken: wer kann was dummes, wer was kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht?

Ich ziehe mich aus der Diskussion zurück, da jeder verantwortlich für sich selbst denken kann und niemand irgendjemandem etwas vorkauen muß. Wer glaubt, das Grundeinkommen würde an der Formel "Jeder ist seines Glückes Schmied" etwas ändern und jedem ein glückliches Leben bringen, hat aus meiner Sicht das Thema nicht verstanden. Wer zusätzlich glaubt, die Umstände müßten sich nur ändern, sollte sich vielleicht wirklich mehr mit den Quellen beschäftigen, die hier genannt wurden.

Statt die Aussage von Darwin so zu verstehen, ob wir denn wirklich (noch) "zivilisierte Menschen" sind (oder sogar je waren), meckert man hier an den Verhältnissen herum und macht den Egoismus als alleinige Quelle allen Wollens verantwortlich. Heißt das bei aller Konsequenz, daß wir unsere Existenz nur dem Egoismus unserer Eltern verdanken? Irgendwie scheint mir dieser Ansatz zu kurz gedacht...

Manchmal wünsche ich mir, daß jeder Mensch, der diese Welt in irgendeiner Form verändern will, erstmal eine Zeit lang unter den Verhältnissen leben soll, wie er sich die Welt denn dann vorstellt. Offenbar ist eine Diskussion darüber aus Vernunftsgründen und auf fairem Niveau nicht möglich.

Danke an alle, die sich an diesem Austausch beteiligt haben,

viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus


  
  ----- Original Message ----- 
  From: Agnes Schubert 
  To: Joerg Drescher 
  Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Wednesday, October 13, 2010 12:23 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen]"Gegenleistung" fürs BGE


  Joerg Drescher schrieb: 
    Hallo AgneS, und wen's sonst noch interessiert,

    die moralische Frage und Begründung mag in Deinen Augen keinen Sinn haben, weil eben irgendwelche "Mächte" dagegen sprechen, dennoch "wunderte" sich schon Darwin (wertneutral):
    Unter den Wilden werden die an Körper und Geist Schwachen bald eliminiert; die Überlebenden sind gewöhnlich von kräftigster Gesundheit. Wir zivilisierten Menschen dagegen tun alles mögliche, um diese Ausscheidung zu verhindern. Wir erbauen Heime für Idioten, Krüppel und Kranke. Wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte bieten alle Geschicklichkeit auf, um das Leben der Kranken so lange als möglich zu erhalten.
  Dabei geht es noch gar nicht mal nur um "irgendwelche" Mächte. "Die moralische Frage ..." ist eine sekundäre Abbildung, eine zusätzliche das Wesen vertuschende äußere Erscheinungsform der eigentlichen Begründung: des Egoismus,. Dieser steht als Triebkraft hinter letztlich jedem Handeln und jedem Wollen. 

  "... Wir zivilisierten Menschen dagegen tun alles mögliche, um diese Ausscheidung zu verhindern." 
  Das ist ja wohl mal ein Witz. Unter "alles mögliche" verstünde ich etwas anderes. Leute verhungern, erfrieren ... bei Überfluss in den Läden und nicht ausgelasteten Produktionskapazitäten, ... 

  "Wir erbauen Heime für Idioten..." 
  Wir haben ein Bildungssystem, dass jene mit wenig Bildung von weiterer Bildung ausschließt (Abgang nach oder gar vor Ende der Hauptschule) und jene mit viel Bildung den Zugang zu weiterer Bildung ermöglicht (Universitäten, ...) . Wir schaffen also (zusätzlich zu biologischen Bildungsproblemen Einzelner) die Sorte Auslese, die immer Dümmere und Schlauere hervorbringen muss! 

  Hätten wir wirklich das Anliegen mit Armengesetzen uns einem woher auch immer stammendem allgemeinen Menschenrecht auf Existenz o.ä. unterzuordnen, dann würden sich diese Armengesetze nicht nur auf die Nachbarn beziehen, sondern jeder Staat würde alle Armen weltweit gleich behandeln. Da sieht man schnell, dass das eben gegen bestimmte Interessen im jeweiligen Staat verstieße und wie sehr eben auch die Armengesetze, wohl nur scheinbar einer höheren Moral geschuldet sind. Eher sorgen sie einerseits für sozialen Frieden, der für eine Marktwirtschaft unabdingbar ist, und andererseits erhalten diese Armengesetze die Reservearmee der Arbeitslosen, auf die man dann bei bedarf wieder mit Gewinn zugreifen kann, wenn sich deren Arbeit für das Kapital lohnt. 
  Und dennoch: das Mitgefühl, was Einzelne anderen Einzelnen entgegenbringen, ist auch Triebfeder für genannte Heime usw. Aber es ist letztlich gleichfalls purer Egoismus, der dieses Mitgefühl mit Heimen zu befrieden sucht. Das sieht man daran, dass man sich eben solche Heime auch immer leisten können muss und es erst nach anderem auch gewissen Luxus eine Option zum Handeln darstellt - je nach dem, wie stark einen der Hunger (auch jener nach Luxus) oder eben das Mitgefühl belastet.
  Um zum Thema BGE zurückzukehren: Mir reicht es keineswegs, BGE zu erbetteln, in dem man an das Mitgefühl jener appelliert, die z.Z. die Macht und die Mittel haben es zu gewähren oder zu verhindern. Dann schon eher es ihnen als Geschäft anzubieten, bei dem indirekt auch sie ihren Schnitt machen. Oder aber man setzt sich dafür ein, dass jene, die mit BGE direkt besser fahren für die Durchsetzung des BGE die Macht ergreifen. 


    Macht ist eine Kraft, die Goethe im Faust durch Mephistos Selbstverständnis erklärbar ist: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Jellinek spricht deshalb (da er öfters auf Goethe Bezug nimmt) von der "normativen Kraft des Faktischen". Um das zu verstehen, sollte man allerdings das Original lesen: "Allgemeine Staatslehre" , Kapitel 11, Staat und Recht. http://www.archive.org/details/allgemeinestaats00jelliala (ist deutsch).

    Wenn man das durch hat, wird man wahrscheinlich verstehen, wie Recht entsteht. Damit sollte klar werden, warum wir noch kein Grundeinkommen haben und wie wir es vielleicht doch erreichen: das Faktische muß eine normative Kraft entwickeln.
  Das geht mir jetzt aber langsam ein wenig zu weit! Du gehst nicht auf meine Argumente ein, meinst aber, mir ein Buch zum Lesen zu geben, würde mir schon die Augen öffnen. Da gehe ich mit dir jetzt so um, wie mit vergleichbaren Zeugen von "besserem Wissen" : Tür wieder zu!  Deinen persönlichen "Wachturm" darfst du also selber lesen - und zwar so lange, bis du die scheinbaren Argumente darin zumindest selber soweit verstanden hast, dass du sie hier auch bringen kannst. 


    Die von mir so gern genannte "Pflicht" hat in meinem Verständnis viel mit Reife zu tun. Und es entwickelt sich weltweit eine neue "Kultur der Reife", die mit LOHAS, LOVOS oder "Creative Culture" umschrieben wird. Die "einfachen Leute" kommen weniger mit propagierten Freiheiten durch ein Grundeinkommen zurecht, als mit nachahmungswürdigen Vorbildern, die zeigen, wie man leben kann/soll. Deshalb entwickelt sich diese Kultur auch wesentlich schneller und konkreter als die abstrakte und erklärungsbedüftige Idee eines Grundeinkommens, die erst irgendwann in Zukunft "möglicherweise" Erfolg hat und keine praktische Anwendung aufzeigt: Außer einem begründeten "Ich will, ich will, ich will..." kommt nicht viel rüber, was eher Unreife zeigt. Wenn diese "neue Kultur" allerdings normative Kraft entwickelt, wäre ein Grundeinkommen in meinen Augen problemlos möglich... Ich bin zuversichtlich, denn das Leben könnte so einfach sein :-)
  Das hört man doch immer wieder gern ;-) 
  Mir nichts dir nichts wird man von einem eingebildeten Schnösel für "unreif" erklärt, weil man schlicht sagt, was man will. Verpackte man es aber in ein "Menschenrecht", dass einem dann als solches ja zustünde - oder besser: was anderen ja zustünde, die mehr oder weniger davon gleichfalls positiv wie negativ betroffen seien, - dann hätte es etwas von Reife, ja? 
  Wie gut die nachahmungswürdigen Vorbilder funktionieren, kann man z.B. am Jesus von Nazareth sehen. Wenn die Umstände gegen das vorbildliche "brave, anständige" Tun sprechen, dann lässt man es immer auch mal schnell bleiben. Nur dass man sich dann auch noch einreden darf, selbst schuld zu sein an seinem Elend, weil man seine Menschlichkeit nicht hin zu einer Bessermenschlichkeit entwickelt habe. Immer noch also die Floskel: "Jeder ist seines Glückes Schmied"

  Was du hier letztlich mit deinem Geschwätz von "Pflicht" willst, ist den Leuten etwas unterzujubeln, dass sie trotz eines BGE dann so handeln, als hätten sie keines, weil "die "einfachen Leute" ... weniger mit propagierten Freiheiten durch ein Grundeinkommen zurecht"kommen. Wenn es letztlich so ausgehen soll, dann könnten wir es mit dem BGE auch gleich lassen.
  Dein Unterfangen ist nicht sonderlich neu. Du möchtest den Menschen ändern, damit er besser in die Verhältnisse passt, damit er unter den Verhältnissen als "besserer" Mensch dann auch dort existieren kann. Ich will, dass sich die Verhältnisse ändern, damit der Mensch mit seinen bestehenden Trieben glücklicher wird. (oder eher noch: "... damit ich glücklicher werde." - "Mensch" bringe ich hier nur, weil ich hoffe, dass es anderen Menschen wie mir geht und wir unsere Kräfte vereinen.) 

  AgneS



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