[Debatte-Grundeinkommen] Recht zur Pflicht

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Di Okt 5 21:42:32 CEST 2010


Hallo Peter, und jeden den's sonst noch interessiert!

ein ganz herzliches Danke für Deine Ausführung! Ich könnte Dich in den Arm nehmen! - Der Schlüssel liegt im Verständnis der Präposition! Sage ich "Ich könnte Dich auf den Arm nehmen" würde es etwas ganz anderes bedeuten...

Mir fiel schon bei Martina auf, daß sie nicht "Recht auf Pflicht", sobdern "Recht zur Pflicht" schrieb. Deine Antwort ließ mich nochmals darüber nachdenken. Die Geschichte hängt mit unserem Verständnis des kleinen Worts "auf" zusammen... Bin wohl auch ein "Dilletantenphilosoph", da mir das nicht früher auffiel ;-)

Wir sind uns einig, daß es Rechte und Pflichten gibt. Die Frage lautet, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen - dazu benutzen wir Präpositionen. Und so kommt die Formel "Recht auf Pflicht" zusammen - mit der Präposition "auf". Auch "zu" ist eine Präposition. Was ist aber nun wirklich gemeint?

Bei Präpositionen gebrauchen wir (im deutschen und in vielen anderen Sprachen) noch grammatikalische Fälle, um sie richtig zu deuten. Sagen wir: (Das) Recht auf (die) Pflicht (Akkusativ), beschreiben wir ein "Wohin"; Sagen wir: (Das) Recht auf (der) Pflicht (Dativ), beschreiben wir einen "Ort". Denken wir uns noch Verben dazwischen, kommt zum Beispiel heraus: Das Recht folgt auf die Pflicht, was die Pflicht (im Ablauf) vor das Recht stellt.

Bei der Präposition "zu" wird's schwieriger. (Das) Recht zu der Pflicht (Dativ): richtungsweisend, das Recht läuft in Richtung Pflicht; "zeitlich", das Recht (zeitgleich) bei/mit Pflicht.

Der Betreff hieß allerdings: "Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein" - Vom Recht (Dativ, Ausgangspunkt) auf Pflicht (wenn die, dann Akkusativ und damit wohin; wenn der, dann Dativ und damit Ort), Mensch zu sein (Nebensatz, der eigentlich mit "um" eingeleitet wird und eine Begründung darstellt).

Nun können wir uns bis zum St. Nimmerleinstag streiten, was vorher da war, das Recht oder die Pflicht (Henne-Ei-Problem). Wir würden uns in guter Tradition mit der Folge von Milliarden von Toten befinden, die durch den Streit, wie Recht und Pflicht zueinander im Verhältnis stehen (und damit richtig ist) ihr Blut und Leben gelassen haben oder lassen mußten. Die Lösung des Henne-Ei-Problems liegt in unserer Wertung (einer Eigenschaft unseres Menschseins), und die Gewichtung hängt sehr stark individuell, kulturell, von Ansichten, Wissensstand, Umständen - kurz, vom Kontext - ab. Die BGE-Gemeinde bezieht sich gerne auf's "Recht-Haben". Das hat faktisch jeder, da es sich um einen persönlichen Standpunkt handelt. Solange dieser nicht von irgendwem anderen (mit dem gleichen Recht) in Frage gestellt wird, gibt's auch keine Probleme (z.B. auf einer einsamen Insel, wo ein Mensch mit bedruckten Papierscheinchen sitzt, aber nix anderes hat, außer den Platz und das ihn umgebende Salzwasser). Im Zusammenleben gibt's aber auch Pflichten (wer in einer WG lebt oder gelebt hat, dürfte das kennen) - entweder sein Recht zu verteidigen, durchzusetzen, nachzugeben oder eine Einigung zu finden; oder es erst gar nicht zu nutzen.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus





 
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  To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Monday, October 04, 2010 1:47 PM
  Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Recht zur Pflicht


  Zum Thema "Recht zur Pflicht" möcht ich etwas aus der Praxis mitteilen.

  In der dänischen Arbeitsmarktpolitik hat man unter der sozialdemokratischen Regierung Nyrup Rasmussen das System Recht und Pflicht eingeführt. Dies bedeutet, das man das Recht auf Arbeit hat und die Pflicht hat die angewiesene Arbeit aufzunehmen. Da es natürlich, wie wir im BGE-Netzwerk wissen, nicht genügend Arbeit für Alle gibt, werden Arbeitserstattungen angeboten. Da kann es einen Germastisten treffen, dass er einem 6-wöchigen Kursus im Schreiben von Stellungsgesuchen zugeteilt wird. Ein anderer könnte die Aufgabe gekommen, 6 km Landstrasse in der einen und anschliessend der anderen Richtung und Seite täglich abzuschreiten und Abfall aufzusammeln. Dies sind schlimme Beispiele aus der Praxis.

  An dieser Praxis vom Recht zur Pflicht kann man ablesen, dass "Recht zur Plicht" recht leicht zur Perversion beider Begriffe führen kann.

  Man möge gleichzeitig sich vor Augen führen, dass Recht und Pflicht in vielen Fällen in der Realität doch nur Beispiele von gegenseitiger Verpflichtung sind - z.B.: habe ich die Verpflichtung eingegangen eine Mauer von 2 m Höhe und 5 m Länge zu mauern gegen einen Bezahlung von 1000 Euro. Und so ist es ja auf dem gesamten Gebiet der Arbeitsmarktfragen.

  Desweiteren sei darauf hingewiesen, das Rechte und Pflichten sich  oft asymmetrisch gegenüberstehen und öfter noch garnichts miteinander zu tun haben. Ein Beispiel: zwar hat man die Pflicht jemanden vor dem Ertrinken zu bewaren. Aber ich habe nicht das Recht von einem z.B.  Selbstmörder zu erwarten, dass er mir dankbar sei.

  Kommen wir zum BGE, dann kann es sich nur um ein unbedingtes Recht handeln. Die Pflicht des Bürgers hierzu ist asymmetrisch: er ist verplichtet, Bürger zu sein, was beinhaltet, sich  von Kriminalität fernzuhalten und ansonsten seine Bürgerpflichten wahrzunehmen, dws u.A. besagen, sich wie ein ordentlicher Mensch ordentlich zu halten und die Pflichten wahrzunehmen, die ein jeder anderer auch wahrnehmen soll, so er kann.

  Es darf darum keine Reziprozität von Bürgerlohn und Arbeitspflicht geben, weil die Pflichten, die im vorigen Absatz genannt sind schon die möglichen Pflichten, die man einem Bürger abverlangen darf, sein können und tatsächlich auch dass ist, was ein geschwächter Mitbürger überhaupt schaffen kann, also womit er voll ausgelastet sein dürfte.

  Nicht ganz hierher gehörend, aber ein gutes Schlusswort seiend: Universell muss das BGE deshalb sein, dass auch der vermögende Bürger jeden Monat sehen und vergleichen kann, für welchen Betrag andre, weniger gut gestellte Bürger (im Falle eines Konkurses auch er selbst) leben müssen.

  Mit freundlichem Gruss 
  Peter Voss



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