[Debatte-Grundeinkommen] Warum das Bedingungslose Grundeinkommen und Negative Einkommensteuer unfinanzierbar sind

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mo Dez 13 20:07:59 CET 2010


Hallo Peter,
Hallo Mitlesende,

es gibt eine Wissenschaft, die nennt sich Algebra, bei der es darum geht, mit Unbekannten zu rechnen. Wenn man also nicht genau wissen kann, was passiert, wenn ein BGE eingeführt wird, ist es aus meiner Sicht ein Trugschluß zu behaupten, daß es nicht trotzdem berechenbar ist. Der "Niemand" müßte sich nur überlegen, was denn eigentlich alles passieren kann und diese Annahmen bei seiner Berechnung (durch Unbekannte) berücksichtigen und sie in Abhängigkeiten zu Werten setzen, die das System entsprechend selbstregulieren. Daß das keine einfache Aufgabe ist, gebe ich zu - vor allem schließt sie dann "Stellschrauben" aus, an denen Menschen (fehlerhaft) herumdrehen können.

Auch wenn Du es nicht gerne hörst/liest:
* Das Dilthey-Modell hat den von Dir geforderten eigenen Topf für das BGE (finanziert aus Steuern mit "wertschöpfendem Charakter")
* Das Dilthey-Modell hat einen eigenen Topf für sonstige Staatsaufgeben (finanziert aus weiteren Steuern, sowie der Mehrwertsteuer)
* Das Dilthey-Modell ist selbstregulierend (es orientiert sich dabei an der Vorgabe der europäischen Armutsgrenze)
* Das Dilthey-Modell kann als Einstiegsstufe in einem Land verwendet werden und würde sogar Sozialstandards "exportieren"

Das Dilthey-Modell würde wahrscheinlich zu viele Wünsche auf einmal erfüllen und gewissen regulierungswütigen Menschen die Möglichkeit nehmen, an "Stellschrauben" zu drehen. Es würde die Kontrolle der Kybernetik überlassen und den Menschen komplett aus der Regulierung der Ökonomie freistellen.

Ein fachkompetenter Professor, der dazu noch Selbstkritik beweist, sollte aus meiner Sicht in der Lage sein, wenigstens nicht auszuschließen, daß es diesen "Niemand" nicht doch geben könnte. Kommt dann noch wirkliches Interesse am Thema hinzu, bin ich überzeugt, daß dieser Professor sich zumindest mit dem Vorschlag dieses "Niemand" auseinandersetzt und ein gerechtes Urteil darüber abgibt, ob es sich nur um eine "Spinnerei" oder einen ernstzunehmenden Vorschlag handelt. Daß irgendwelche "Lakeien" keine anderen Worte als "Wolkenkuckucksheim" für solche Vorschläge übrig haben, ist entschuldbar, da man ihnen die notwendige Fachkompetenz nicht unbedingt zutrauen darf. Damit meine ich weder Dich, Peter, noch Prof. Pelzer, sondern spreche allgemein vom Umgang mit meiner Vorstellung einer wissenschaftlichen Ethik, die nicht von Konkurrenz, sondern Tatsachenfindung geprägt ist.

Leider zerstören wir hier die von Matthias (Dilthey) angestoßene Diskussion, die eigentlich über ein ganz anderes Thema gehen sollte: Nämlich die Besteuerung der Arbeit von Automaten/Robotern, die bei der Unfinanzierbarkeitsthese von Patrick (Urbanke) unberücksichtigt ist. Wichtig ist das, wenn man Marx Aristoteles-Zitat berücksichtigt:
"Wenn", träumte Aristoteles, der größte Denker des Altertums, "wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephästos aus eignem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für die Herrn der Sklaven."
(Quelle: Das Kapital I, Seite 430, mit Fußnote 155 gekennzeichnet - http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_391.htm#Kap_13_3_b)
(Anm. Aristoteles ging es hier um die Befreiung der Herren von der Arbeit; Marx hingegen um die Befreiung der Sklaven von den Herren)

Wäre schön, wenn hier wieder über das Thema von Matthias geredet wird, denn eigentlich lohnt es sich, Marx Mißverständnis richtig zu stellen, um uns wirklich von der Arbeit befreien zu können, denn die Herren benutz(t)en Arbeit, um uns zu versklaven.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus




  ----- Original Message ----- 
  From: Peter Scharl 
  To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Sunday, December 12, 2010 11:55 AM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Warum das Bedingungslose Grundeinkommen und Negative Einkommensteuer unfinanzierbar sind


  Hallo Jörg, hallo Mitlesende,


  Danke für das Zitat von Prof. Pelzer aus früheren Publikationen, von mir jetzt unten fett und größer gemacht. Ich kenne Prof. Pelzer seit über 7 Jahren und bin SEHR froh, dass er KEINE "Wolkenkuckucksheime" in Sachen BGE von sich gibt, sondern SEHR vorsichtig seit Jahrzehnten  mit der ganzen Bürgergeld- und BGE-Materie umgeht.


  Genau UMGEKEHRT gehen ja sehr viele "BGE-Phantasten" damit um - die es sind, wissen es auch wer damit gemeint ist.


  Prof. Pelzer hat vollkommen recht, wenn er äußert, dass NIEMAND genau wissen kann, was passieren wird, wenn ein BGE eingeführt wird.


  ... Und genau deswegen ist es von so großer Wichtigkeit, 
      mal mit einer sehr "vorsichtigen Einstiegs-Stufe" anzufangen. 


  ... Und genau deswegen ist es von so großer Wichtigkeit,
      ein System anzuwenden, 
      das mindestens so viele "Stellschrauben" hat wie das Transfer-Grenzen-Modell.


  ... Und genau deswegen ist es von so großer Wichtigkeit,
      dass es für das BGE einen "komplett eigenen Finanzstock" geben MUSS,
      ähnlich wie das mit der Schweizer AHV (Alters- und Hinterbliebenen-Versorgung)
      seit über 60 Jahren hervorragend funktioniert.


  Dieses Mail sende ich in Bcc auch an Prof. Pelzer z.K.


  Ciao Peter Scharl 





  Am 10. Dezember 2010 14:41 schrieb Joerg Drescher <iovialis at gmx.de>:

    Hallo Peter,
    Hallo Mitlesende,

    muß man ein Buch schreiben und einen Professorentitel haben, um etwas beweisen/widerlegen zu können/dürfen? Aber lassen wir das mal dahingestellt...

    Meines Kentnissstands nach war es der gleiche Prof. Pelzer, der folgende Aussage zu seinem Modell von sich gab (ob er das in seinem Buch wohl wiederholt hat?):

    Unser Modell zeigt somit die prinzipielle Finanzierbarkeit eines BGE auf Basis des Status quo, es erlaubt aber keine genaue Prognose für die Zukunft nach seiner Einführung.

    Eine andere Frage ist die Unsicherheit für die Zukunft nach Einführung des BGE, die auch dann bleibt, wenn noch so genaue Daten aus der Zeit vor dessen Einführung vorliegen. Denn die Einführung eines BGE wird die Basis der Berechnungen verändern und Einfluss haben sowohl auf die Verteilung der Einkommen als auch auf das Gehalts- und Preisniveau.
    (Quelle: http://www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/content/forschendes_lernen/gruppen/fl/buergergeld/buergergeld4.pdf)

    Sofort einführbar und finanzierbar heißt leider nicht, daß es auch morgen noch funktionieren wird (keine Kausalität!). Noch weniger läßt sich aufgrund eines "ersten Schritts" sagen (und sei er noch so groß), ob man den Weg nach oben oder unten weitergehen will oder gar promt und auf immer und ewig stehen bleibt.

    Was spricht eigentlich gegen ein Modell, das "selbstregulierend" entscheidet, wie es bei der Auszahlung wirkt? Schließlich war das beim sogenannten Urey-Effekt und der dadurch entstehenden Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre auch mal so... (vgl. http://tinyurl.com/Urey-Effekt und http://www.martin-neukamm.de/leben2.html).

    Übrigens ist das TGM nicht die "erste Idee" für einen Schritt hin zu einem Grundeinkommen, wie es hier leicht mißverständlich proklamiert wird. Vielmehr gibt es seit 1980 einen 4-Stufenplan, wie man das Grundeinkommen einführen könnte/sollte. Leider ist in den seither vergangenen 30 Jahren nichts in diese Richtung passiert, außer, daß sich das grundsätzliche Problem weiter verstärkt hat. Daher frage ich mich manchmal, ob es nicht doch möglich wäre, die eine oder andere Stufe zu überspringen (vgl. Punkt 4 auf http://smi2le.org/cms/de/journal/economy/11-on-the-way-to-get-rich?start=1). Offensichtlich wird ja einiges dafür getan (bewußt oder unbewußt), daß der Euro, bzw. US-Dollar "abraucht", um dann auf den Ruinen etwas Neues entstehen zu lassen...

    Viele Grüße aus Kiew,

    Jörg (Drescher)
    Projekt Jovialismus


      ----- Original Message ----- 
      From: Peter Scharl 
      To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
      Cc: Patrick Urbanke 
      Sent: Tuesday, December 07, 2010 8:40 AM
      Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Warum das Bedingungslose Grundeinkommen und Negative Einkommensteuer unfinanzierbar sind


      Hallo Leute, 


      ... und immer wieder Hinweis auf das TGM Transfergrenzenmodell von Prof. Pelzer, der dazu ein neues Buch geschrieben hat, siehe Anlage. Er weist nach, dass ein BGE SOFORT einführbar und finanzierbar wäre.


      Meine Meinung ist bekannt. Eine Einstiegsstufe in´s BGE wird in etwa in der Höhe von HARTZ IV sein und HARTZ IV ersetzen oder es wird NIE kommen. Allein schon diese "Bedingungslosigkeit" mit Wegfall aller "geharzten" menschenunwürdigen Sanktionsmöglichkeiten wäre ein Riesen-Schritt. Nach dem Dilthey-Raster 2/c


      "Prinzipiell es gibt 9 theoretisch mögliche BGE-Varianten:

      Bei der Auszahlung:
      1. Arbeitszwang auslösende BGE-Höhe
      2. BGE als Sozialhilfe-Ersatz
      3. Emanzipatorische BGE-Höhe

      Bei der Finanzierung:
      a. Umverteilung von Unten nach Oben
      b. Horizontale Umverteilung
      c. Umverteilung von Oben nach Unten"


      Es stimmt, alle Phantastereien mit komplett anderen SteuerSystemen sind auf lange Sicht undurchführbar und verhindern einen Einstieg in ein BGE.


      Nix füa unguat - auf Bayrisch


      Peter Scharl - Allgäu


      per Bcc auch an Prof. Pelzer


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