[Debatte-Grundeinkommen] Berechtigte Empfänger des BGE - @AgneS

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Do Sep 24 11:56:18 CEST 2009


Hallo AgneS und wen's sonst noch interessiert,

Manfred Füllsack sprach in Kiew (und schon in Berlin) von einem Trend, daß sich die "Sozialsicherungssysteme" verschiedener Staaten globalisieren. Als Beispiel nannte er Mexiko und die USA: Die USA überlegt (ernsthaft), die Gelder zur Grenzsicherung an der US-Mexikanischen Grenze besser für den Ausbau der Infrastruktur in der mexikanischen Grenzregion auszugeben. Auch das Pilotprojekt in Namibia entspricht eigentlich einer Einmischung in die Sozialpolitik des Landes und führt zu dem Effekt, daß die Leute nicht abwandern. Ähnliche Überlegungen (so Füllsack) könnten zwischen der EU und z.B. der Ukraine umgesetzt werden...

Matthias (Dilthey) arbeitet seit längerem an einer Ausweitung seines bisherigen Modells, um die Verteilungsfrage zu lösen (wieviel Geld in Form einer individuellen BGE-Auszahlung in der Region und wieviel Geld in Form einer Infrastruktur-Verbesserung der Region). Wende Dich aber in diesen Fragen an Matthias...

Deine Überlegung, das BGE an den Aufenthaltsort zu koppeln, erscheint mir schwierig - dabei sprichst Du selbst an, daß das BGE in einem bestimmten Bezugszeitraum ausbezahlt werden soll; willst Du diesen bei der Aufenthaltsregelung täglich machen? Ich kenne Geschäftsleute, die Flugzeuge wie Taxis nutzen und sich über kürzere und längere Zeiträume in verschiedenen Ländern aufhalten...

Nehmen wir einen besonderen Aufenthaltsort: das Gefängnis - wie soll das dort gehandhabt werden? Oder im Krankenhaus - möglicherweise noch im Koma mit ungewissem Ausgang, ob der Patient jemals wieder erwacht. OK - Sonderfälle, aber an was will man die Ausbezahlung eines Grundeinkommens koppeln?

Ein Praxis-Beispiel besteht in Alaska: der Alaska Permanent Fund (APF) schüttet einmal jährlich Geld aus, das zwar nicht zum Leben reicht, aber doch der Idee des Grundeinkommens am ehesten entspricht. Das Wort "Grundeinkommen" ist in diesem Fall eher fehl am Platz, denn tatsächlich wäre es sinnvoller, von einer "Staatsdividende" zu sprechen. Die Regeln für die Bezugsberechtigung sind auch OK:

Antragsteller für einen Anteil an der Dividende dürfen nicht vorbestraft sein. Sie müssen mindestens ein Kalenderjahr Einwohner Alaskas sein und zum Zeitpunkt der Antragstellung unverbindlich die Absicht erklären, bis auf weiteres Einwohner bleiben zu wollen. (Quelle: Wikipedia)

Du sprichst von "gesellschaftlicher Teilhabe" (was übrigens Deutschland-spezifisch ist), was das Problem aufwirft, wo diese "Teilhabe" stattfinden soll (man denke nur an die vielen deutschen Rentner, die ihren Lebensabend in Spanien verbringen). Gleichfalls sprichst Du das Problem an, daß das BGE nicht volkswirtschaftlich "zurückfließt".

Eine Überlegungen zum "Geldabfluß-Problem" sind Parallel-Währungen - das Grundeinkommen wird in einer regionalen Währung ausbezahlt, die nicht tauschbar wäre (nur von den Verkäufern, da diese am globalen Handel teilnehmen). So sprach Werner Rätz (in Berlin) von einem "nicht-monetären Grundeinkommen", worunter man sich Bezugsberechtigungen für Grundnahrungsmittel, Energie, Kommunikation und Wohnraum vorstellen kann. Das kommt der Idee der "Parallel-Währung" nahe. Besucher könnten für die Zeit ihres Besuchs verpflichtet werden, sich eine Mindestsumme dieser "Währung" zu kaufen. Sonstige Einnahmen können in einer "global(er)en Währung" ausbezahlt werden, um damit z.B. in den Urlaub gehen zu können - das wäre gleichfalls ein Anreiz, gegen "richtiges Geld" zu arbeiten.

Tja... bringen uns diese Überlegungen nun näher zum Grundeinkommen oder zeigen sie, daß wir noch genügend Probleme zu lösen haben, die einer "sofortigen Einführung" entgegenwirken?

Ich hoffe, diesmal etwas mehr Unklarheit geschaffen zu haben, wie beim letzten mal ;-)

Liebe Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus


  ----- Original Message ----- 
  From: Agnes Schubert 
  To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Friday, September 18, 2009 3:51 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen]Berechtigte Empfänger des BGE


  Hallo Mitdiskutierende, hallo Mitlesende,

  ganz hat das von mir erbetene diskutieren nur zu dem einen Punkt nicht geklappt. Ich werde mich aber dennoch möglichst konsequent an mein Thema halten und bitte alle, die darüber hinaus etwas wichtig finden, einen eigenen Betreff zu eröffnen, um die Übersicht zu wahren. Ja ich bin mir bewusst, dass gelegentlich das eine immer mit dem anderen zu tun hat. Ich glaube aber, dass mein Grundproblem von anderen aufgeworfenen Fragen recht unberührt diskutierbar ist.


  "Was hat das BGE mit Urlaub zu tun?"
  "Warum sollte man jetzt den Aufenthalt kontrollieren? Wird das nicht eine Schnüffelei?"
  ...

  Bei Leistungsempfang ist immer mit versuchtem Missbrauch zu rechnen, wenn davon für die Empfänger eben entscheidende Lebensqualität abhängen kann. 
  Klar sein sollte: Einige Bedingungen des Grundeinkommens müssen kontrolliert werden, zumindest ja wohl, das jeder nur einmal das GE pro Bezugszeitraum enthält. 
  Einig wird man sich auch, dass man möglichst wenig Kontrollen einrichtet, ohne dadurch den Zweck des BGE oder die Volkswirtschaft zu gefährden.

  So wie man heute seine Steuern oft da zu zahlen hat, wo man sich die meiste Zeit aufhält, so kann man natürlich auch sagen, BGE steht jenem zu, der sich die meiste Zeit in Deutschland aufhält.
  Aber auch eine BGE-Bedingung "fester Wohnsitz in Deutschland" müsste man wohl kontrollieren. Ab wann zieht man die Grenze? Wer 6 Monate in Deutschland verbringt bekommt ein BGE? Wem ein Tag daran fehlt, der bekommt keines?
  Das Ausmaß der Kontrolle unterscheidet sich meines Erachtens auch überhaupt nicht von der Bedingung des tagtäglichen Aufenthaltes.
  Beides beinhaltet, dass man zum einen dem Empfänger die Angaben glaubt, und zum anderen diese Angaben aber auch kontrollierbar sind.
  Leider kann auch ich mir diesen Punkt, die Art der eventuellen Kontrolle, eben nicht wirklich als angenehm vorstellen. Das gilt aber für beide Bedingungen: die des überwiegenden wie für die des täglichen Aufenthaltes in Deutschland.
   
  Was spricht aber für die Kopplung des BGE an den täglichen Aufenthalt?
  Nichts dagegen habe ich, wenn jemand sein Einkommen - auch das aus dem BGE - spart, um dann längere Zeit im Ausland zu verbringen. 
  Ist es aber wirklich volkswirtschaftlich sinnvoll, jemandem, der sein Leben eher im Ausland verbringt und sich eventuell da an unserer Steuer vorbei etwas dazu verdient, bzw. eben keine Mehrwertsteuer in Deutschland zahlt ein BGE zu geben?
  Ist das gesellschaftliche Teilhabe, wenn der einzige gesellschaftliche Kontakt in der Überweisung des BGE besteht?
  Wo zieht man bei einem Urlaub/ Abeitsaufenthalt im Ausland die Grenze? Jemand der "nur" 5 und 1/2 Monate hier lebt, bekommt nichts, und jemand der 6 und 1/2 Monate sich in Deutschland aufhält, bekommt das volle BGE?

  Zur Erinnerung: Ziel des BGE ist es die gesellschaftliche Teilhabe - ja wo? - zu ermöglichen.


  Es gibt diesen "Pull-Effekt"  den Jörg ansprach (und auch den "Push-Effekt"), wenn das GE anziehend (abstoßend) wirkt wie ein Magnet. Ja - wenn! Diese Effekte gilt es zu beherrschen, zum einen so wie man auch heute etwas gegen diese Effekte unternimmt und von meiner Betrachtung her auch möglichst humaner als bisher.
  Zu den Touristen: Sie geben meist mehr für den Konsum aus, als ansässige. Sollte das BGE mehrwertsteuerfinanziert sein und vor allem sollten sämtliche Steuer auf die Mehrwertsteuer verlagert sein, relativiert sich dieser Effekt. 
  Zusätzlich bzw. auch andernfalls müsste man schauen, ob man hier das BGE selbst relativiert.
  Dafür wiederum und auch unabhängig von den Touristen, müsste man sehr stark überlegen, ob man das BGE nicht nur dann Einführen kann, wenn gleichzeitig alle Länder des Schengener Abkommens ein BGE (eventuell auch noch leicht unterschiedlicher Höhe) einführten. Andernfalls ist auch eine Rücknahme des Schengener Abkommens für mich eine Überlegung wert, da mir das BGE wichtiger scheint als jenes. Mit Hilfe der Grenzkontrollen könnten die Menschen ihren Aufenthalt  im Zweifelsfall beweisen, und man könnte die Migration kontrollieren. Wenn das BGE nach einmal begonnener partieller Einführung die von mir erhoffte Nachahmung findet, dann kann man die Freizügigkeit des  Schengener Abkommens wieder ausweiten. Dabei muss man sich aber wiederum bewusst sein, dass man dafür eventuell einen finanziellen Transfer zwischen den Staaten bräuchte, um so die verschiedenen BGEs auf einem Niveau zu halten, die die Migration nicht zum Problem machen. 


  PS.: mit "vorerst partieller Einführung des BGE" meinte ich genau dass, was ich danach ausführte: Die Einführung nicht gleich weltweit.

  AgneS



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