[Debatte-Grundeinkommen] Berechtigte Empfänger des BGE

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Fr Sep 11 21:49:52 CEST 2009


Hallo AgneS und wen's sonst noch interessiert,

bitte nicht solche Fragen stellen, denn damit werden viele Träumer auf den Boden der Realität geholt. Du zeigst damit, daß eine BGE-Einführung (bestenfalls gleich mit 1.500 Euro oder mehr) so einige Probleme mit sich bringt, die weit über das hinausgehen, was sich "Otto-Normal-Befürworter" so durch den Kopf gehen lassen kann. Quält sich der Unentschlossene noch mit dem Gedanken, ob dann noch jemand arbeiten würde (was eher auf einer fehlerhaften Vorstellung des Arbeitsbegriffs beruht und deshalb die Fragestellung vielmehr lauten müsse, was der Einzelne dann noch [für Geld] arbeiten kann), fängst Du an, nach Bedingungen für die Bedingungslosigkeit zu fragen... Herr Liebermann fand meinen "Führerscheinvorschlag" mal nicht so toll, da doch jeder Bürger sei - auf meine Frage, ab wann ein Mensch "Bürger" sei, kam nichts mehr... Also blasen wir Deine Bedingungslosigkeitsinfragestellung weiter auf: Sollen Kinder, Erwachsene und Rentner alle das Gleiche bekommen? Wenn nein, woran macht man diese Bedingungen dann fest? Am Alter? An "Reifeprüfungen"? An "Bezugsberechtigungsbedingungen" ala "ab 40 abgeleistete Arbeit"? Schaffen wir uns dadurch wieder Bürokratie und Arbeit, die keiner machen will, weil er ja ein Grundeinkommen bekommt und sich lieber frei selbst entfaltet?

Nun gut, wir wollen aber nicht übertreiben und "Otto-Normal-Befürworter" noch mehr den Kopf verdrehen. Vielmehr möchte ich auf Deinen Vorschlag eingehen, indem ich frage, ob ein "an den Aufenthalt gekoppeltes Grundeinkommen" nicht dazu führen würde, daß Touristen einfach da bleiben wollen, bzw. alles daran setzen, wieder zu kommen, um dann da zu bleiben (wo es ein GE gibt). Du nennst es Migrationsstrom - ich spreche in dem Fall von einem "Pull-Effekt", denn das GE wirkt anziehend wie ein Magnet... Dabei gibt's auch noch einen "Push-Effekt" - die Leute "fliehen" aus ihrem Land, weil's dort gar keine anderen Perspektiven gibt, als zu gehen. Wenn Du also den Pull-Effekt abmindern möchtest, solltest Du dort, wo die Leute weg wollen, eine Umgebung schaffen, daß sie dort bleiben (Reduzierung des Push-Effekts). Susanne Wiest meinte kürzlich irgendwo mal, ein GE sei ein "Grund zum hierbleiben" - für jene, die schon da sind, bestimmt; für andere wäre ein BGE ein "Grund zu kommen"...

Aber mal abgesehen von diesen nachvollziehbaren Schwierigkeiten bei der Idee, haben wir immer noch keine Bedingungen für die Bedingungslosigkeit. Will man den Menschen wirklich als solchen betrachten und ihm ein Grundeinkommen zustehen, muß man zu dem Schluß kommen, den Du gezogen hast: es gibt einfach keine "deutschen Menschen", weshalb die nationalstaatliche Bedingung nicht sonderlich hilfreich ist. Würden dann Deutsche, die im Ausland leben, auch ein GE bekommen (ich z.B. in der Ukraine ein deutsches GE - 1500 Euro wären hier luxuriös!)? Die Kopplung an den Wohnsitz hört sich gut an, wenn da nicht der Pull-Effekt wäre. Das könnte man allerdings umgehen, indem man in Ländern mit einem BGE anfängt, wo eigentlich niemand "freiwillig" hin will und die sowieso von Armut betroffen sind (z.B. Albanien, die Ukraine, afrikanische Länder...).

Tatsächlich sollte man beim intensiveren Nachdenken über die Idee irgendwann zu dem Schluß kommen: Das ist ja ein globales Projekt, das uns da bevorsteht! Nur sollte man "Nägel mit Köpfen" machen und auch mal damit beginnen. Nach 500 Jahren seit Thomas Morus und nach 25 Jahren BIEN ist es eigentlich mal Zeit, über reale Umsetzungsmöglichkeiten zu sprechen. Deshalb finde ich die "Bedingungen für die Bedingungslosigkeit" ein spannendes Thema, wobei mir nur ein Ansatz bekannt ist, der sich damit intensiver auseinander setzt - einerseits, weil das Modell zwischenstaatliche Lösungen zuläßt, die zu einer Ausweitung des "Wirtschaftssystems" führen könnten; andererseits, weil Methoden entwickelt wurden, um mit den Pull-/Push-Effekten umzugehen und diese zu "lenken". Aber da die Masse der BGE-Szene "Otto-Normal-Befürworter" sind, interessiert sich kaum jemand für diese Themen... 

Ein aufenthaltsbedingtes Grundeinkommen würde dann klappen, wenn wir ein weltweites Grundeinkommen hätten - und dann noch möglichst ein überall gleich hohes. Dann könnten wir aber auch gleich das Geld abschaffen... Vielleicht, irgendwann, in der Zukunft...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg






  ----- Original Message ----- 
  From: Agnes Schubert 
  To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Saturday, September 05, 2009 6:41 PM
  Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Berechtigte Empfänger des BGE


  Ich möchte hier gerne mal ein Problem des BGE möglichst singulär diskutieren. 

  Ein ungeklärtes Problem des "bedingungslos" genannten Grundeinkommens sind die Bedingungen bei einer partiellen Einführung. 
  Da das BGE  wohl. nicht weltweit für alle in gleicher Höhe eingeführt wird, (was den Zeitpunkt der Einführung eines Grundeinkommens stark verschieben würde) muss es - zumindest vorläufige - Bedingungen geben. 
  Die Frage, die da unmittelbar auftaucht, ist die der Anspruchsberechtigung von Personen bzgl. des Aufenthaltsortes oder der Mitgliedschaft einer wie auch immer bestimmten Gemeinschaft. Hier einige der Meinungen, die da zu hören und zu lesen sind:
  Das Grundeinkommen sollen alle bekommen,
  - die Deutsche sind. (Ich denke wir sind uns hier zumindest soweit einig, dass aus dieser nationalistische Grenzziehung keine Bedingung des Grundeinkommens herrühren  kann!)
  - die Bürger der BRD bzw. des jeweiligen das Grundeinkommen einführenden Landes sind.
  - die im Land mit dauerhaftem Wohnsitz gemeldeten sind.
  - die im Land mit dauerhaftem Wohnsitz gemeldeten und EU-Bürger sind.

  Die Idee die ich hier diskutieren möchte:
  Das Grundeinkommen sollen alle bekommen, die sich aktuell in dem Bezugsgebiet aufhalten.
  Es ist somit nicht die Staatszugehörigkeit oder der gemeldete dauerhafte Wohnsitz von Bedeutung.

  Einige Betrachtungen dazu: 
  - Jene, die ihren tatsächlichen dauerhaften Aufenthalt im GE-Land haben, haben ihn auch eben auch täglich.

  - Gerade in Kombination mit einer oft angedachten Finanzierung des GE durch eine MwSt scheint es die optimal passende Bedingung zu sein. Jene die die höhere Mehrwertsteuer zu bezahlen haben, die sich eben vor Ort aufhalten, brauchen auch eher  höheres Einkommen.
  Ausländer mit Aufenthalt im GE-Land werden so nicht benachteiligt. Urlauber im GE-Land geben meist mehr aus und trügen so zumindest auch wieder zur Finanzierung des BGE bei. - Bekämen sie gar kein GE, würde der inländische Tourismus darunter leiden. Um gegenteilige ökonomische Verwerfungen zu Verhindern  ist hier eventuell über ein abgeschwächtes GE nachzudenken.
  Einheimische, die außerhalb - in einem Land mit geringerer Mehrwertsteuer - Urlaub machen, Bedürfen m.E. eines GEs nicht. Das Argument, das auch Urlaub zur gesellschaftlichen Teilhabe dazu gehört, passt hier nicht, da die Finanzierung des Urlaubs ja auch aus dem GE des restlichen Jahres erfolgen kann und ein Ganzjahresurlaub im Ausland eben genau keine Gesellschaftliche Teilhabe mehr ist.
  Arbeitsbedingte Aufenthalte im Ausland sind aus der Wertschöpfung der entsprechenden Arbeit zu finanzieren.

  Unabhängig von der genauen Ausgestaltung der Bedingung zur Bezugsberechtigung des GE bleibt die Abgrenzung zum nicht GE-Ausland ein Problem. Auf die Migrationsströme hat ein GE immer Einfluss, wenn es nicht wirklich bedingungslos gezahlt wird. Dennoch kommt es darauf an, die Bedingungen so zu gestalten, dass man nicht zusätzlicher Zwangsmaßnahmen bedarf, um Migrationseffekte zu bewältigen. 



  AgneS



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