[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Christine Ax ax at fhochx.de
Mo Okt 26 16:47:16 CET 2009


Hallo Ihr zusammen, 

in diesem Kontext interessant sind viele Untersuchungen, die in der
jüngeren Vergangenheit sowohl von den empirischen
Wirtschaftswissenschaftlern als auch mit Kindern gemacht wurden. Das
Gefühl für Gerechtigkeit stellt sich bei Kindern irgendwann ein.. so mit
5 oder sechs Jahren meine ich zu erinnern. Es liegt scheinbar in unserer
Natur oder ist in unserem "sozialen Wesen" angelegt. Auch die
Wirtschaftswissenschaften gehen ja zunehmend davon aus, dass wir in
unserem Verhalten den Aspekt der Gerechtigkeit stets mitdenken und er
unser Verhalten/Entscheidungen mit beeinflusst. 
Außerdem gibt es seit der französischen Revolution einen Diskurs über
Gerechtigkeit, der etwas mit Gleichbehandlung und Chancengleichheit zu
tun hatte. Das Bürgertum hat das Schwert der Gerechtigkeit gegen den
Adel geschwungen, um Vorrechte qua Geburt abzuschaffen und wollte 
an ihre Stelle das Ideal der Gleichbehandlung und gerechten Entlohnung
von Leistung zu stellen. Leider liegt es wohl auch in der Natur des
Menschen das eigene Vermögen - und sei es auch ererbt - sofort als das
Eigene zu verteidigen und als Art persönlichen Verdienst anzusehen. Ich
treffe immer wieder Menschen, die ihr Glück ausschließlich dem Umstand
verdanken, in die richtige Familie hineingeboren zu sein. Sie fühlen
sich gerne als Elite und verschwenden keinen Gedanken daran, dass sie
ihren Wohlstand nicht eigenen Verdiensten verdanken. Politisch relevant
dürfte der Gedanke der Gerechtigkeit immer dann werden, wenn abweichend
von unserem persönlichen und kollektiven Gerechtigkeitsgefühl und
-begriff das Ausmaß der Ungerechtigkeit so groß ist, dass viele Menschen
bereit sind, für mehr Gerechtigkeit aufzustehen und zu kämpfen oder/und
wenn sie die Hoffnung verloren haben, dass sie von "denen da oben" noch
vertreten werden. 

Mir persönlcih gefällt der Bibelspruch sehr gut der da lautet: Ein Tag
Gerechtigkeit ist mehr Wert als 100 Jahr Almosen. Gerechtigkeit hat für
mich nicht nur eine materiellen Chrarakter sondern eine immateriellen:
Ohne Gerechtigkeit ist die Würde des Menschen in Gefahr. Simone Weil hat
in den 20er Jahren in ihren Fabriktagebüchern sehr eindrucksvoll den
Hunger der Menschen nach Gerechtigkeit beschrieben. 

Es grüßt vom Netzwerk Hamburg
Christine Ax 
www.koennensgesellschaft.de 


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Von: debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de
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Auftrag von Joerg Drescher
Gesendet: Donnerstag, 22. Oktober 2009 15:39
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Sachverhalt:Hallo zusammen,

im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen kam bei mir die Frage auf, ob 
Gerechtigkeit verhandelbar sein kann. Nun mag der eine oder andere 
einwenden, daß es unterschiedliche Formen der Gerechtigkeit gibt und
sich 
die Frage somit nicht pauschal beantworten läßt. Handelt es sich
allerdings 
bei diesen Gerechtigkeitsformen nicht um unterschiedliche Blickwinkel
auf 
ein und das selbe Thema?

Wenn Gerechtigkeit verhandelbar ist, so entspricht dies einem 
Kontraktualismus und der Markt ist der Ort, an dem Verträge ausgehandelt

werden - Vertragsabschlüsse wiederum finden dann statt, wenn ein Konsens

zwischen den Vertragsparteien gefunden wurde - und Konsens bedeutet im 
Prinzip: die Vertragsparteien fühlen sich "gerecht" behandelt.
Allerdings 
verweise ich auf den Artikel "Der Markt als Gott", der die
allgegenwärtige 
Allmacht des Marktes als Religionsersatz beschreibt:
http://www.bge-portal.de/View-document-details/10-Der-Markt-als-Gott.htm
l

Wer nun glaubt, ein Grundeinkommen sei "gerecht", sollte sich die Frage 
stellen, ob Gerechtigkeit verhandelbar ist und vor allem wer dann der 
Handelspartner wäre. Haben wir überhaupt ein Recht auf Gerechtigkeit?

Im dt. Grundgesetz gibt es eigentlich keinen direkten Anspruch auf 
Gerechtigkeit. Zwar ist in Art. 1(2) von Gerechtigkeit die Rede, aber
nur 
als Folge von unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten. Art.

14(3) kennt eine "gerechte Entschädigung" bei Enteignungen, wobei gerade

hier die "Verhandelbarkeit" auftaucht. Letztlich muß sich noch 
Bundespräsident(in)/-kanzler(in)/minister(innen) durch Eid dazu
bekennen, 
Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben - verhandelbar ist dies
allerdings 
nicht (und leider auch nicht wirklich öffentlich, was die
Eidesleistenden 
darunter eigentlich verstehen).

Über Meinungen zum Thema freue ich mich...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org


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