[Debatte-Grundeinkommen] Thesen zur politischen Linkenundcrossover-Veranstaltung in Hattingen

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Di Nov 17 11:46:12 CET 2009


Hallo Christine,

danke für die freundliche Einladung, allerdings werde ich in nächster Zeit (aus finanziellen Gründen) nicht nach Deutschland kommen können. Das Projekt Jovialismus ist relativ einfach zu verstehen, wenn man sich überlegt, was das Wort "jovial" ursprünglich bedeutete. Ich kam Anfang der 1990er Jahre auf die Idee, als ich mich mit dem Grundgesetz beschäftigte und dabei den Amtseid des Bundespräsidenten, Bundeskanzlers und der Bundesminister entdeckte. Dieser Eid legt eigentlich die Richtlinien der Politik fest. Interessant dabei ist, daß inhaltlich ähnliche Eide in sehr vielen Verfassungen unterschiedlichster Staaten existieren und für mich einen "gemeinsamen (globalen) Nenner" darstellen. Da der Eidesinhalt auf die Zeit der Aufklärung zurückgeht (als es noch keine Globalisierung gab), ist heute unter globalen Bedingungen die nationalstaatliche Bedeutung in Frage zu stellen. Gemeint ist: Das Wohl eines Volkes, sowie deren Nutzenmehrung, bzw. Schadensabwehrung, sollte unter globalen Bedingungen nicht mehr auf eine Nation (ein Volk) beschränkt bleiben, sondern sich auf die Menschheit als Ganzes beziehen. Andernfalls schadet der "Volksegoismus" letztlich allen - auch dem Volk, dem das Wohl an Eides statt versprochen wurde (Bsp: Wenn Brasilien auf das Volkswohl bedacht ist und der Regenwald zur Erzielung von Einnahmen abgeholzt wird, um dort Soja anzubauen, schadet dies langfristig der Menschheit - tolleriert Deutschland dieses Vorgehen, um billig an Soja für Tierfutter zu kommen, verstärkt das "Nationalwohl" diesen Prozess).

Kurz zusammengefaßt: Das Projekt Jovialismus beschäftigt sich mit Fragen, wie die Inhalte der Amtseide aus unterschiedlichen Verfassungen für die Menschheit als Ganzes umgesetzt werden können und orientiert sich dabei an der ursprünglichen Bedeutung des Worts "jovial" (wohlwollend, gönnerhaft, leutselig...).

Dabei spielt im Wirtschaftsbereich die Idee des Grundeinkommens die Hauptrolle; und im Bereich Demokratie ein "staatliches Vorschlagswesen" (vgl. Ideenmanagement), wobei Bürgerforen solche Vorschläge (aus der Bevölkerung und Politik) begutachten und als (transparente) Entscheidungshilfe für die Politik erarbeiten sollen. Die Vorteile gegenüber Volksentscheiden:
.) aktive Beteiligung am Entscheidungsprozess (nicht nur ja/nein) und dadurch eine Analyse von pro und contra
.) Transparente Entscheidungsfindung (bei ja/nein-Entscheidungen sind die Entscheidungspräferenzen unklar)
.) Verantwortlichkeit liegt bei konkreten Entscheidungsträgern (bei Volksentscheiden liegt die Verantwortung bei unbekannten Mehrheit, was einer "Diktatur der Mehrheit" gleich kommt)
.) relativ einfache Integrierbarkeit in die heutige Handhabung von "Demokratie" (repräsentative Demokratie)

Im Gegensatz zum Grundeinkommen gibt es für das Ideenmanagement sehr viele praktische Beispiele (allein die Anwendung in Unternehmen ist enorm; oder ein Beispiel für die kommunale Anwendbarkeit: Curitiba). Vor allem würde dieses Verfahren auch gut zur "Idee Grundeinkommen" (vor einer Einführung) passen...

Ich hoffe, damit erklärt zu haben, um was es bei dem Projekt geht...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org



  ----- Original Message ----- 
  From: Christine Ax 
  To: 'Joerg Drescher' ; 'Robert Zion' ; 'Debatte Grundeinkommen' 
  Cc: iovialis at gmx.de 
  Sent: Tuesday, November 17, 2009 7:26 AM
  Subject: AW: [Debatte-Grundeinkommen] Thesen zur politischen Linkenundcrossover-Veranstaltung in Hattingen


  Lieber Herr Drescher, und wen es sonst noch interessiert. 

   

  Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag. Sie sprechen mir aus der Seele. Die Debatte, die in diesem Kreis geführt wird, erscheint auch mir selten abgehoben und ich habe den Eindruck gewonnen, dass es um Nabelschau und Selbstbeweihräucherung geht. Es erinnert mich - man möge mir verzeihen - an die Diskussionen der K-Gruppen aus meiner Jugendzeit, wo es letztlich nur darum ging zu zeigen, wie schlau man ist aber nicht wirklich darum, wie wir Menschen erreichen und überzeugen können. Dabei scheint mir die Stärke des Themas Grundeinkommen genau darin zu liegen, dass es "Arbeit unter den Bedingungen der Freiheit" (www.koennensgesellschaft.de) ermöglicht und damit jedem Menschen die Chance eröffnet seine Fähigkeiten zu leben und weiter zu entwickeln. Ich arbeite gerne und viel mit Österreichern zusammen, weil dort eine  Wohlstands- und Wachstumsdebatte geführt hat, die ich für wirklich wichtig halte. Die Frage danach was in Zukunft überhaupt noch wachsen darf, ist alles entscheidend. Es ist auch die Frage nach der Zukunft der Arbeitsgesellschaft (Arendt). Wir werden die Menschen nur gewinnen können, wenn wir ihnen mehr als Geld bieten können: ein gutes Leben (weniger Konsum) und die Chance auf persönliches - aktives - Glück sowie die Freiheit ihren eigenen Weg zu gehen. Ihr Jovialismus ist mir sehr sympathisch. Sind Sie demnächst einmal in Hamburg?  Hätten Sie Zeit und Lust ihr Projekt  im Netzwerk Grundeinkommen vorzustellen? 

   

  Christine Ax  

  AG "Arbeit am Grundeinkommen"

  Netzwerk Grundeinkommen Hamburg  

   
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20091117/49c188ce/attachment.html>


Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen