[Debatte-Grundeinkommen] Zwischengedanke

Wolf Bergelt klanggeist at gmx.net
Di Mai 12 14:38:49 CEST 2009


Hallo Ihr,

in den letzten Tagen hat sich hier ein Diskurs pro ("ich will 
mitbestimmen") und kontra ("Diktatur der Mehrheit") Volksentscheid  
zugespitzt, in dem alle Beteiligten m. E. gute, realitätsbezogene Gründe 
haben, wobei aber jeweils Einzelaspekte generalisiert werden, weshalb 
ich die Kontroverse zunehmend als Folge eines gegenseitigen 
Mißverständnisses wahrnehme, daß wiederum aus der Reduzierung von 
Begriffen auf Schlagworte zu resultieren scheint. M. E. kann, sollte und 
muß es Volksentscheide in allen Fragen geben, die Teile des Volkes oder 
ein ganzes Volkes als Gesamtheit betreffen. Das wäre demokratische 
Mitbestimmung in Fragen, die alle Betroffenen gleichermaßen angehen. 
Hingegen hat ein Volksentscheid dort nichts zu suchen, wo es um das 
Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen geht. Das wäre Mehrheitsdiktatur. 
Weil aber diese beiden Komponenten durch schlagwortartige 
Begriffsverkürzungen und auch real ständig durcheinander gebracht und 
miteinander vermischt werden (bzw. sind), kommt es aus meiner Sicht zu 
geistigem und emotionalem Unfrieden, der nicht zwangsläufig sein müßte, 
wenn wir uns vorher mehr gemeinsame Zeit für die Begriffsbildung nehmen 
würden.

"Ich will mitbestimmen" kann (bzw. sollte) doch immer nur heißen: "Ich 
will über alles mitbestimmen, was mich selbst betrifft", nicht aber "Ich 
will mitbestimmen, was der andere für sich zu tun und zu lassen hat." 
Was wir in Berlin gerade erst in Form der Pro Reli-Kampagnie erlebt 
haben, ist m. E. ein geeignetes Beispiel für die ungesunde Vermischung 
von Mehrheits- und Selbstbestimmungsrecht. Die Pro-Reli-Seite hat 
versucht, einen Selbstbestimmungaspekt des freien Geisteslebens zum 
mehrheitsfähigen Fremdbestimmungsaspekt zu machen. Daß das überhaupt 
gelingen konnte, hat natürlich auch damit zu tun, daß wir - anstelle 
eines einklagbaren allgemeinen Schulrechtes - eine allgemeine 
(polizeilich durchsetzbare) Schulpflicht haben, durch die das 
Selbstbestimmungsrecht in hohem Maße ausgehebelt werden kann. Da diese 
allgemein als selbstverständlich hingenommene Tatsache aber kaum 
hinterfragt wird, lassen sich auf dieser Basis natürlich auch andere 
Selbstbestimmungsaspekte in die Mehrheitssphäre ziehen, die dort gar 
nichts zu suchen haben. Und so könnte man die Beispiele munter 
fortsetzen, wo die Mehrheits- und die Selbstbestimmungssphäre geistig 
und real auf unheilvolle Weise ineinanderwirken. Ich denke, erst wenn 
wir diese beiden Sphären erkennend und tatsächlich besser 
auseinanderzuhalten lernen und dort ansiedeln, wo sie wirklich 
hingehören, kommen wir der Lösung dieses oft schmerzlichen Problems näher.

Wolf Bergelt

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Wolf Bergelt
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