[Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen durch Volksentscheid

Henrik Wittenberg henrik.wittenberg at googlemail.com
Mo Mär 9 02:04:59 CET 2009


Hallo Jörg,

deine Bedenken halte für intellektuell interessant, aber für eine 
abschließende Beurteilung der direkten Demokratie als demokratisches 
Gestaltungsmittel doch für reichlich „akademisch“. In der Praxis stellen 
sich eben manche Fragen anders dar – dass zeigen die vielen Erfahrungen 
mit der direkten Demokratie in der Schweiz und in anderen Ländern.

Bestimmte politische Entscheidungen, wie z.B.: Privatisierungen von 
Volkseigentum (Bahnprivatisierung oder Verkauf von Wasserwerken), 
Beitritt eines Landes zu einem Bündnis (Nato/Europa) oder der Umbau des 
Steuer-/Renten-/Sozialsystems sind für mich so fundamental, dass eine 
Abstimmung in diesen Fällen eigentlich obligatorisch sein sollte (in der 
Schweiz gilt das für viele Bereiche, bei uns fällt mir momentan nur das 
Auflösen von Bundesländern ein).

Bürgerforen, Bürgergutachten etc. sind eine schöne Sache. Wir in Köln 
haben z.B. einen "Bürgerhaushalt". Leider sind die Themen begrenzt, über 
die man mitbestimmen kann (Themenausschlüsse gibt es auch bei 
Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene). Ideal wäre doch, wenn die Bürger 
bei allen Themen (auch Haushalt und Finanzen) mitbestimmen könnten. Das 
ganze sollte allerdings auch einen bindenden Charakter haben. Ansonsten 
verkommen Bürgerforen zu Spiel- bzw. „Openspace“-Plätzen, die viele 
schöne „Leitfäden“ hervorbringen, aber keine Handlungsaufforderungen in 
Form von Gesetzesinitiativen an die Parlamente in Auftrag geben. In der 
Schweiz können die Bürger über alle Finanzfragen mit bestimmen, auch 
über die Höhe der Steuern. Das führt zur allgemeinen Zufriedenheit 
(weniger Steuerhinterziehung). Viele Städte haben gute Erfahrungen mit 
Partizipationsmodellen gemacht.

Die Argumente und Befürchtungen, dass die Themen zu komplex, die Zeit zu 
knapp und die Akteure zu ungebildet sind, kann man auch genauso auf die 
Verfahren der repräsentativen Demokratie übertragen (welcher 
Parlamentarier im jetzigen Bundestag durchschaut denn wirklich das 
Grundeinkommen?).

Bei einem Referendum ist in der Regel Zeit genug für alle Bürger, sich 
zu informieren, sich dadurch weiterzubilden, zu diskutieren etc. Wenn es 
nach eineinhalb Jahren zur Abstimmung kommt (als dritten Schritt nach 
der Volksinitiative und dem Volksbegehren) gibt es genug „Weise“, die in 
der Lage sind, nach bestem Wissen und Gewissen abzustimmen.

Hier gibt es einen neuen Artikel von Gerald Häfner zum Thema:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/928400/

Von ihm gibt es auch den Vortrag „Direkte Demokratie und Grundeinkommen“:
http://www.youtube.com/watch?v=5icNYenFuIU

Wer dann noch Lust hat, der kann sich das Interview mit Prof. Hermann K. 
Heußner und Dr. jur. Otmar Jung (Buch: „Mehr direkte Demokratie wagen. 
Volksentscheid und Bürgerentscheid.") anhören:
http://pcast.sr-online.de/play/fragen/2009-02-23_demokratie220209.mp3

Viele Grüße aus Köln,

Henrik Wittenberg
Kölner Initiative Grundeinkommen
www.bgekoeln.de

> Hallo Henrik,
> Hallo zusammen!
>
> Du spricht damit ein wichtiges Thema an, das sich durch das 
> Grundeinkommen ergibt. Manche (nicht alle!) Menschen wollen durch 
> einen mehrgewinn an (Frei)Zeit auch mehr Mitspracherecht bei der 
> politischen Entscheidungsfindung. Bei "direkter Volksabstimmung" habe 
> ich allerdings gewisse Magenschmerzen, die ich (noch einmal) wie folgt 
> begründe:
>
> Nehmen wir die Energieversorgung. Ich halte es für gefährlich, 
> Entscheidungen durch Mehrheitsverfahren herbeizurufen. Wenn nämlich 
> gewisse Lobbygruppen die Atomenergie als einzigstes Heilmittel 
> propagieren, ohne die Neben-/Folgewirkungen zu erklären, kann leicht 
> eine Mehrheit für Atomstrom generiert werden. Das Dilemma besteht im 
> Wissen um das, über was entschieden werden soll (was heute schon im 
> Bundestag nicht richtig funktioniert, weil viele Abgeordneten nicht 
> wissen, was sie da eigentlich wirklich entscheiden). Dazu kommt noch, 
> dass man die (oftmals komplexen) Zusammenhänge verstehen soll. Man hat 
> dafür nicht die nötige Zeit, bzw. will sich auch gar nicht damit 
> beschäftigen (und so jemand soll abstimmen dürfen, ohne den 
> Sachverhalt zu kennen?). Aus diesen Gründen wurde die repräsentative 
> Demokratie eingeführt (sollen sich die Abgeordneten mit dem Thema 
> rumärgern). Ein Grundeinkommen wird daran nicht viel ändern.
>
> Das Hauptproblem besteht darin, daß in manchen Bereichen gar keine 
> Abstimmung möglich ist (z.B. läßt sich nicht "demokratisch" 
> entscheiden, was eins plus eins ist, oder ob die Sonne scheint) und in 
> anderen Bereichen eine Diktatur der Mehrheit entsteht (was nicht 
> unbedingt die optimale Lösung für ein Problem darstellt - das haben 
> wir heute).
>
> Es gibt andere Methoden, direkte Demokratie auszuüben. Zum Beispiel 
> finde ich "Bürgerforen", bzw. "Bürgergutachten" sehr interessant:
> http://tinyurl.com/buergerforum
> http://tinyurl.com/buergergutachten
>
> Eine weitere Idee, die eigentlich aus der Wirtschaft kommt, nenne ich 
> "Staatliches Vorschlagswesen":
> http://tinyurl.com/akxpoj
> http://tinyurl.com/alu44t
>
> Bitte bedenkt nicht nur das Wohl, sondern auch den Nutzen und Schaden, 
> wenn ihr Überlegungen anstellt. Nicht alles, was für Euch gut 
> erscheint, ist für alle gut - schlimmer noch: es kann den Nutzen 
> senken und Schaden erhöhen. Spielt einfach "Kanzler(in)" und macht das 
> Gedankenexperiment, wie ihr dessen/deren Aufgabe umsetzt 
> (http://tinyurl.com/Amtseid). So einfach ist Jovialismus ;-)
>
> Viele Grüße aus Kiew,
>
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
> http://www.smi2le.org
>
>
>
>
> ----- Original Message ----- From: "Henrik Wittenberg" 
> <henrik.wittenberg at googlemail.com>
> To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> Sent: Monday, February 23, 2009 5:01 PM
> Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen durch Volksentscheid
>
>
>> Wie geht es weiter nach der Petition?
>>
>> Wer sich nicht mit dem Mittel des Petitionsrechtes als demokratisches 
>> Gestaltungselement zufrieden geben möchte, der hat auf der folgenden 
>> Website die Gelegenheit, sich an der „Aktion Volksabstimmung“ zu 
>> beteiligen. Damit kann jeder Wähler die Bundestagskandidaten in 
>> seinem Wahlkreis dazu auffordern (per Post oder auf 
>> www.abgeordnetenwatch.de), sich in der nächsten Legislaturperiode für 
>> die Einführung des bundesweiten Volksentscheids einzusetzen:
>>
>> www.aktion-volksabstimmung.de
>>
>> Hier eine kurze Beschreibung von der Website der Aktion:
>>
>> „Die Stimme für die Demokratie einsetzen!
>>
>> Seit kurzem gibt es in Deutschland die „Aktion Volksabstimmung!“, 
>> initiiert von dem gemeinnützigen Unternehmen OMNIBUS FÜR DIREKTE 
>> DEMOKRATIE. Ziel ist die Einführung eines bundesweiten 
>> Abstimmungsrechts. Michael von der Lohe, Geschäftsführer des OMNIBUS, 
>> erläutert: „Wir sind heute aufgerufen, uns als Souverän zu erheben 
>> und die Notwendigkeiten der Zeit zu ergreifen. Die Volksabstimmung 
>> ist das notwendige Instrument dafür, der Gesellschaft neue 
>> Rechtsformen geben zu können. Rechtsformen, in denen sich die 
>> Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit entwickeln können“.
>>
>> Die „Aktion Volksabstimmung!“ fordert ein dreistufiges 
>> Abstimmungsrecht. Im ersten Schritt, der Volksinitiative, soll ein 
>> Vorschlag mit 100.000 Unterschriften zur Beratung in den Bundestag 
>> eingebracht werden können. Im zweiten Schritt, dem Volksbegehren, 
>> soll mit 1 Million Unterschriften erwiesen werden, dass genügend 
>> Menschen den Vorschlag für wert erachten, dass er allen Bürgern zur 
>> Entscheidung vorgelegt wird. Im dritten Schritt, dem Volksentscheid, 
>> soll die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden.
>>
>> Die „Aktion Volksabstimmung!“ besteht aus Aktionskarten, die im 
>> Freundes- und Bekanntenkreis verteilt werden. Die Karten können an 
>> die Mitglieder des Deutschen Bundestags geschickt werden. Damit 
>> werden die Abgeordneten aufgefordert, das Recht der Volksabstimmung 
>> einzuführen. Die Bundestagsabgeordneten sind in Deutschland zurzeit 
>> die einzige Instanz, die diese Entscheidungskompetenz haben. Für die 
>> Grundgesetzänderung zur Einführung der Volksabstimmung ist im 
>> Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig.
>>
>> Die Absender der Aktionskarten kündigen an, bei der nächsten 
>> Bundestagswahl ihre Stimme für die Volksabstimmung einzusetzen, falls 
>> diese bis dahin nicht eingeführt ist. Entweder als Wähler durch die 
>> Wahl eines Abgeordneten, der sich konsequent für die Volksabstimmung 
>> einsetzt, bzw. einer Partei, deren Abgeordnete dies tun. Oder als 
>> Nichtwähler durch die Einsendung der Wahlbenachrichtigung an den 
>> OMNIBUS, um öffentlich zum Ausdruck zu bringen, dass das Wählen erst 
>> dann wieder verantwortet werden kann, wenn es auch das Recht der 
>> Volksabstimmung gibt. „Es kann also Jeder mitmachen, der die 
>> Volksabstimmung will“, so von der Lohe.“
>>
>> Viele Grüße aus Köln,
>>
>> Henrik Wittenberg
>> Kölner Initiative Grundeinkommen
>> _______________________________________________
>> Debatte-grundeinkommen Mailingliste
>> JPBerlin - Politischer Provider
>> Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>> https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen
>>
>
>




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen