[Debatte-Grundeinkommen] Ist ein Grundeinkommen überhaupt nötig?

Peter Voss, Odense vossp at tdcadsl.dk
Fr Mär 6 13:50:25 CET 2009


Lieber Jörg Drescher,

oh, je, Dein untenstehender Brief klingt ja ziemlich depressiv! - Vollbeschäftigung,  als Grundlage dafür, dass ein jeder in eine Gruppenmöglichkeit eingebunden sein kann, ist hier häufig genug als Utopi nachgewiesen worden. Warum alså dorthin zurück. 

Und wenn BGE-Empfänger keinen Sinn mit dem Leben fühlen, wie du glaubst, dann denke einmal an die Rentenempfänger oder an Kinder, die ja auch nicht Teil eines Arbeitsmarktes sind. Es scheint klar, dass es eine Menge von Leuten gibt, die sich unsicher und alleine-gelassen fühlen könnten. Dagegen hattest Du in einer Einlassung von vor wenigen Tagen
den Einsatz von einer grossen Anzahl von Sozialmitarbeitern gefordert. Bleib dabei. Die gehören zum Übergang dazu.

Und was den Einkommensabstand angeht zwischen einem nur BGE-Empfänger und einem der auch noch Vollzeitarbeit hat, kann man immerhin auf das Götz-Wernersche Modell verweisen, wo ein geringerer Abstand eingeplant ist - auch wenn die alleinige Finanzierung durch eine MwSt ganz sicher durch eine massive Reichenbesteuerung - auch um die Akzeptanz von Kapitalismus und Reichtum nach dem Crash zu erhalten - begleitet werden muss.

Also, Kopf hoch im depressiven und winterlichen Kiew.
Freundliche Grüsse / Peter Voss


  ----- Original Message ----- 
  From: Joerg Drescher 
  To: 
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  Sent: Tuesday, March 03, 2009 11:34 PM
  Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Ist ein Grundeinkommen überhaupt nötig?


  Hallo zusammen,

  wenn man sich einmal überlegt, was ein Grundeinkommen psychologisch anrichtet, frage ich mich immer mehr, ob das überhaupt der richtige Weg ist. Die wenigsten Menschen kommen damit klar, einfach nur Mensch zu sein. Wenn man Leute auf der Straße fragt, wer sie sind, so bekommt man häufig zur Antwort: Ich bin Ingenieur, Arzt, Sekretär, Arbeitsloser... Wer sagt schon gerne: Ich bin Mensch? - Das ist doch jeder und niemand ist dann mehr etwas besonderes. Wo bleibt das Individuum?

  Die Idee eines Grundeinkommens, so wie sie heute oftmals vermittelt wird, beraubt Menschen ihrer Identität und Individualität. Das stößt (natürlich) auf Ablehnung. Der Begriff "Grundeinkommen" scheint die Idee nur unzureichend zu beschreiben.

  Ich kann mich noch gut an den Berliner Kongress erinnern, als mir Christoph Schlee stolz sagte: Ich bin nun Pressesprecher im Netzwerk. Wer war er aber davor? Ein Niemand? Plötzlich hatte er eine Aufgabe und für sich einen Sinn im Leben mit dem Gefühl, "Diener" für eine "gute Sache" zu sein - gegeben durch eine Position, die seinem Wesen entspricht (oder wenigstens seiner Vorstellung davon). Dorothee Schulte-Basta und Reimund Acker waren "für eine gute Sache" in New York - ermöglicht von Menschen, die gleichfalls an "die gute Sache" glauben und anderen damit Dinge ermöglichen, die der Einzelne nicht hätte. Bedingungslos!

  Menschen rufen nicht nach Geld, sondern nach einer Aufgabe, die ihnen Sinn im Leben gibt und das Gefühl, für eine Gemeinschaft nützlich zu sein. Die wenigsten wollen etwas geschenkt, sondern für das, was sie tun, Anerkennung als das, was sie sind: Menschen. Es geht ihnen um eine Selbstentfaltung als Mensch unter Menschen.

  Wo aber ist in einer BGE-Gesellschaft diese Aufgabe? Ist ein BGE nicht absoluter Liberalismus, der die Abhängigkeit von Geld verstärkt? Entläßt man den Menschen nicht in eine Freiheit, mit der jeder einzelne dann selbst zurechtkommen soll? Versucht man etwa einen "neuen, besseren Menschen" zu kaufen? Alleingelassen mit etwas Geld, damit er selbst etwas aus sich und seinem Leben macht?

  In einer konsumfinanzierten BGE-Gesellschaft ist der Einzelne nur noch als Konsument notwendig - kein Unterschied zu heute. In einer einkommensfinanzierten BGE-Gesellschaft unterstützt derjenige mit Einkommen jene, die kein Einkommen haben - wieder kein Unterschied zu heute. Heute verwirklicht sich ein Teil der Gesellschaft auf Kosten anderer und wieso sollte sich dies unter einem BGE ändern - unabhängig von der Finanzierung?

  Ist unser Ziel nicht vielmehr eine Gesellschaft, die aus vielen Gemeinschaften besteht - kleinen Inseln, in denen sich Menschen gegenseitig helfen, damit sich jeder entfaltet? Wollen wir nicht Gemeinschaften, die andere Gemeinschaften unterstützen - ohne Neid, Gier und Hass? Brauchen wir dazu überhaupt ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Oder ist das BGE wesentlicher Bestandteil des "emanzipatorischen Sozialstaats"? Hilfsmittel im "jovialen Staat", der die hier aufgeworfenen Aufgaben "zum Wohle aller" zu lösen versucht? Garantiert!

  Nachdenkliche Grüße aus Kiew,

  Jörg (Drescher)
  Projekt Jovialismus
  http://www.iovialis.org
  http://www.smi2le.org



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