[Debatte-Grundeinkommen] Grundrente

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Fr Jun 5 18:32:45 CEST 2009


Hallo zusammen,

erstmal danke für die kritischen Anmerkungen, die dieses Konzept hervorrief. 
Allerdings scheinen mir die unterschiedlichen Positionen nicht ganz 
verstanden zu haben, um was es geht. Das Auszahlungskonzept sieht sehr wohl 
ein "Bedingungsloses Grundeinkommen" vor - allerdings nicht in einer Höhe, 
von der viele träumen. Erst wer eine gewisse Zeit gearbeitet hat (hier 
stimme ich zu, daß es schwierig zu definieren ist, was "gesellschaftlich 
relevant" ist), hat Anspruch auf ein höheres "Grundeinkommen", die ich 
"Grundrente" nenne.

Dem Vorwurf, ich würde von einem "negativen Menschenbild" ausgehen, möchte 
ich insofern widersprechen, da ich den Menschen weder von Natur aus als 
"gut", noch als "schlecht" betrachte. Vielmehr sehe ich den Menschen als 
Produkt von (vererbten) Anlagen, Erfahrungen, Wissen und Umwelt. Der Mensch 
entwickelt sich erst zum Menschen und meiner Meinung nach hat die 
Gesellschaft die Aufgabe, diese Entwicklung zu fördern.

Die Überlegung der "Grundrente" löst auch das Dilemma, wann ein 
"Kindergrundeinkommen" aufhört und wann ein "Erwachsenengrundeinkommen" 
anfängt. Wer dies am Alter festmachen will, unterschlägt, daß sich Menschen 
unterschiedlich entwickeln. Mit einem "gesellschaftlichen Pflichtjahr" kann 
jeder selbst entscheiden, wann er vom Kind zum Erwachsenen werden will.

Was ich an der Gegenargumentation nicht verstehe, ist, daß alle davon 
ausgehen, man würde doch freiwillig arbeiten gehen. Warum also dann nicht 
auch freiwillig ein "gesellschaftliches Pflichtjahr" ableisten? Und ich 
möchte die Gesichter jener sehen, die das "Bedingungslose Grundeinkommen" 
aus dem Grund ablehnen, weil "gesellschaftlich relevante Arbeit" sonst 
liegen bliebe.

Zum Thema Freiheit, das der Idee vorausgeht, läßt sich sagen, daß Freiheit 
ein mehrdimensonaler Begriff ist. Zum einen beschreibt er Unabhängigkeit 
(Freiheit von), zum anderen aber auch Möglichkeiten (Freiheit zu). Wirkliche 
Freiheit entsteht im Wissen über die "Unabhängigkeiten" (Notwendigkeit) und 
die möglichen "Konsequenzen" (Einsicht) -> "Einsicht in die Notwendigkeit" 
(stammt meines Wissens von Hegel). Für diese Freiheit muß aber ein "Preis" 
"bezahlen" werden - nämlich Verantwortung für sich, seine Mitmenschen und 
seine Umwelt. Ob wir diesen "Preis bezahlen", hängt von unserem Gewissen ab. 
Dieses Gewissen entwickelt sich allerdings erst durch Wissen. Wer glaubt, 
das Gewissen würde sich einfach durch die wohlwollende Ausbezahlung eines 
Grundeinkommens bilden, verkennt, daß der Geschichte ein Lernprozess 
vorausgeht.

Dann gab's noch das Gegenargument der Liebe, die keine Bedingungen stellt. 
Dem stimme ich zu. Allerdings will ich fragen, ob jemand sein Kind total 
antiauthoritär erziehen und ihm nicht die Grenzen der Freiheit aufzeigen 
würde. Ein klassisches Beispiel ist die Geschichte mit der "heißen 
Herdplatte". Soll und darf man das Kind davon abhalten (in seine Freiheit 
eingreifen), selbst die Erfahrung zu machen, sich die Finger zu verbrennen? 
Was ist größere "Liebe" und welche Entscheidung hat "nachhaltigere Wirkung"?

Mein Traum einer Gesellschaft besteht darin, daß sich alle Mitglieder 
gegenseitig dahingehend "erziehen", ohne Gesellschaft leben zu können. Wer 
daran gewöhnt wird, alles für nichts zu bekommen, wird sich in einer Wildnis 
schwer tun, zu überleben. Und wer glaubt, jeder würde sich selbst dazu 
"erziehen", vergißt den pädagogischen Effekt, daß die Person genau das 
Gegenteil mit einem reinen Grundeinkommen lernen würde. Jede "vernünftige" 
Eltern erziehen ihr Kind dahingehend, selbständig zu werden - aus dem 
(Unter)Bewußtsein heraus, nicht ewig für das Kind da sein zu können (oder 
auch zu wollen). Eine BGE-Gesellschaft, die ihren Mitgliedern nicht 
beibringt, auch für die Gesellschaft etwas zu leisten, wird aus dem 
einfachen Grund scheitern, weil sich die Gesellschaft dadurch selbst 
abschafft, ohne ihre Mitglieder darauf vorbereitet zu haben (ich verzichte 
auf eine nähere Erklärung).

Vielleicht liege ich aber bei meinem Denkansatz falsch. Immerhin habe ich 
folgendes aus dem anderen Beitrag (Freiheit und Recht) begriffen: Ich 
besitze zwar die Freiheit, Recht zu haben, aber das gibt mir noch lange 
nicht das Recht, meine Freiheit zum Gesetz zu erklären.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
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