[Debatte-Grundeinkommen] Grundrente

willi übelherr wube at gmx.net
Fr Jun 5 01:22:02 CEST 2009


hallo joerg,

ich stelle immer wieder fest, wie du dich selbst fesselst durch
deine skeptisch/negative grundhaltung zu den menschen. warum hast
du so große angst davor, daß die bedingungslosigkeit zur reinen
schmarotzerhaltung mißbraucht wird.

du skizzierst es so
 > Hintergrund dieser Gedanken ist, weil ich immer mehr zu dem Schluß
 > komme, daß Menschsein eine Sache der Erziehung und Bildung ist.
 > Wer lernt, mit seiner Freiheit umzugehen, kann wirklich frei werden.

oder mit humboldt
ein freier mensch kann nur in freiheit entstehen

zwischen diesen beiden positionen liegen welten oder der protestantismus,
wie jeder will. entscheidend sind immer die materiellen bedingungen zu
unserer reproduktion. sie determiniert letztlich denn notwendigen anteil
an gesellschaftlicher tätigkeit in der produktiven sphäre. damit rückt
der strukturelle und konstruktive überbau in den vordergrund, der das
verhältnis zwanghaftem und notwendigem aufwands definiert. solange wir
uns im übermaß mit nutzlosen und überflüssigen tätigkeiten beschäftigen,
sind die verteilungsfragen notwendiger tätigkeiten auf alle völlig über-
flüssig.

frei sich entfaltende und entwickelnde menschen werden diesen unsinn, der
hier bei uns getrieben wird, und nicht nur in der ökonomischen sphäre,
doch mit sicherheit nicht mittragen. sie benutzen den verstand zur über-
legung, wie wir auf der grundlage des von der natur uns zur verfügung
stellenden ressourcen mit möglichst wenig aufwand ein 'gutes leben' für
alle ermöglichen. und da menschen in ihrer freien lebensäußerung sehr
aktiv sind und in ihrem natürlichen wesen nach entfaltung drängen, ist
die gleichmäßige verteilung der notwendig anfallenden tätigkeiten auf
diesem niedrigen niveau mit sicherheit kein problem. selbst zeitliche
verschiebungen stellen kein problem dar.

wesen deiner sperre in deinem denken ist die determinierung auf diese konkrete
form gesellschaftlicher konstruktionen. sie sind aber nicht frei entstanden,
auf rationalem kalkül aller, sondern als zwangssysteme konstruiert. der
innere widerspruch für das BGE ist auch hier zu suchen. wenn ein derartig
emanzipatorisches und egalitäres konzept in eine welt der konstruierten
ungleichheiten eingepflanzt wird, dann müssen innere spannungen auftreten
und es gibt kein finanzierungsmodell, das diese implizierte widersprüch-
lichkeit auflöst.

du musst dich schon entscheiden, willst du die zwangssysteme aufrecht
erhalten und vielleicht ein bißchen ungerechtigkeiten minimieren oder
willst du die selbst auflösen und betrachtest das BGE als eines von vielen
übergangsstufen. letztlich ist immer das ziel entscheidend, das anzustreben
unser wille ist. und auf dem weg dorthin gehen wir auf realen gegebenheiten,
auf der substanz des historisch entstandenen. und du weißt es selbst, die
aufklärung müssen wir erst noch organisieren.

mit gruss, willi



Joerg Drescher schrieb:
> Hallo zusammen,
> 
> vor kurzem habe ich mit einem befreundeten Rechtsanwalt, der in der DDR aufgewachsen ist, übers BGE geredet Ich schätze ihn sehr für sein Gerechtigkeitsempfinden, was auch in diesem Gespräch zum Ausdruck kam. Er sieht zwar die ganzen Probleme in der Sozialversorgung, besteht aber auf den Gerechtigkeitsanspruch, daß Leute, die etwas von einer Gemeinschaft (bedingungslos) verlangen, auch etwas an die Gemeinschaft (bedingungslos) zurückgeben sollen. So unrecht will ich ihm in diesem Fall gar nicht geben.
> 
> Aus dem Gespräch entwickelte sich das Konzept einer Grundrente, das im Prinzip der Idee des "Bedingungslosen Grundeinkommens" insoweit ähnlich ist, als daß es die Kriterien des BGEs "aufweicht". Das bedeutet konkret:
> 
> Es gibt ein "Bedingungsloses Grundeinkommen", das in seiner Höhe wirklich nur das nötigste abdeckt (besser als "garantiertes Minimum" zu verstehen); wer allerdings eine Zeit lang "gesellschaftsrelevante Arbeiten" leistet (z.B. für zwei Jahre), erwirbt damit den Anspruch auf eine Grundrente, die höher liegt, als dieses "Minimum". Wer keine Lust hat, "gesellschaftsrelevante Arbeit" zu leisten, kann sich in der freien Wirtschaft versuchen, muß allerdings selbst für seine Rente sorgen - was er immer hat: sein "Minimum".
> 
> Einerseits hat dieses Auszahlungsmodell den Effekt, daß Menschen wirklich mit der Arbeitswelt in Berührung kommen und auch einmal lernen, was "Arbeit" heißt. Andererseits wird die große Angst etwas beiseite geschoben, daß Dinge nicht mehr gemacht werden, weil sich niemand dafür findet, aber die "gesellschaftlich relevant" sind (z.B. Müllabfuhr, Straßenkehren usw.). Zudem kann derjenige bei der "gesellschaftsrelevanten Arbeit" seine eigenen Fähigkeiten kennen lernen und kommt mit den Belangen der Gesellschaft in Berührung. Der "Erziehungseffekt" ist gleichzeitig, daß einer Leistung eine Vorleistung vorausgeht - daß Nehmen und Geben in Einklang stehen sollte.
> 
> Jene, die ihre "gesellschaftlichen Pflichtjahre" hinter sich gebracht haben (was es übrigens heute in Form von Bundeswehr oder "Zivildienst" für Männer in Deutschland schon gibt), können danach mit einer Grundrente tätig werden (das gibt's heute nicht) - diese entspricht im Prinzip dem, was unter "Bedingungsloses Grundeinkommen" verstanden wird (mit der Vorbedingung, der Gesellschaft etwas zu leisten). Diese Zeit hat außerdem den Effekt, wie sie in totalitären Regiemen genutzt wurden (z.B. bei der HJ, FDJ oder "Pioniere"...), um den Gemeinschaftssinn zu fördern. Wer geht schon freiwillig zu den Pfadfindern, wenn die Eltern diese Erfahrung nicht selbst gemacht hätten?
> 
> Hintergrund dieser Gedanken ist, weil ich immer mehr zu dem Schluß komme, daß Menschsein eine Sache der Erziehung und Bildung ist. Wer lernt, mit seiner Freiheit umzugehen, kann wirklich frei werden. Und es ist Aufgabe einer Gesellschaft, so mein Fazit, diesen (Selbst)Lernprozess in Gang zu bringen - eine alleinige, vor allem bedingungslose Auszahlung eines Grundeinkommens, halte ich inzwischen für den falschen Weg, wenn nicht begleitende (auch bedingte) Maßnahmen daneben stehen.
> 
> Über Meinungen freue ich mich natürlich,
> 
> viele Grüße aus Kiew,
> 
> Jörg (Drescher)
> 
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