[Debatte-Grundeinkommen] Hallo. Kann mir mal jemand erklären ...

Matthias Dilthey info at psgd.info
Sa Jan 17 20:19:41 CET 2009


Hallo Manfred, Andre und liebe Liste!

Bevor man sich über die Höhe eines ev. Kinder-BGE unterhält, sollte man sich 
zumindest bezüglich der Diskussion über die Form des (Sozial-)Staats einig 
sein, in der das BGE umgesetzt wird.
Bisher dachte ich es besteht weitreichender Konsens im Netzwerk, dass wir ein 
"emanzipatorisches BGE" vertreten. Eingebettet in einen Emanzipatorischen 
Sozialstaat, ähnlich der als Anhang beigefügten Beschreibung.

Andre´s Argumente (15.01.), dass Kinder ja doch hohe Kosten verursachen, gehen 
völlig in´s Leere, da meine Forderung bezüglich der Kinder-BGE-Höhe 
"Kostenneutralität" lautet. Kostenneutralität schließt jedoch auch gleiche 
BGE-Höhe oder sogar ein höheres BGE als das Erwachsenen-BGE ein.
Auch das Bildungs-Argument greift nicht, da im emanzipatorischen Sozialstaat 
Bildung grundsätzlich kostenfrei ist.

Manfred baut seine Argumentation über eine BGE-Höhe auf, die erst als 
Familien-BGE als "emanzipatorisch" bezeichnet werden kann. D.h. dass der 
Überschuss durch das Kinder-BGE als Erhöhung des Familieneinkommens genutzt 
wird.
Manfred´s Forderung mag aus heutiger Sicht politisch durchaus gerechtfertigt 
erscheinen, ist jedoch im Kern anti-emanzipatorisch.
Ich teile Manfred´s Forderung nach einer BGE-Höhe für einen 
4-Personen-Haushalt (davon 2 Kinder) von 4.000 Euro, jedoch nicht die 
BGE-Zusammensetzung von 4x 1.000 Euro.
Denn ein so zusammengesetztes BGE wird bei geänderter Familienkonstellation 
eindeutig zu gering:
2 Erwachsene und ein Kind würden 3.000 Euro BGE ergeben;
2 Erwachsene ohne Kinder gar nur 2.000 Euro;
ein Single müsste sich sogar mit nur 1.000 Euro bescheiden. Ein Betrag, der 
keinesfalls als "emanzipatorisch" bezeichnet werden kann.
(Katja Kipping fordert selbst für ein SANKTIONIERTES ALGII eine Untergrenze 
von 800 Euro; 
http://www.bge-portal.de/20090117168/Nachrichten/Nachrichten/BGE-versus-Grundsicherung-in-der-Partei-Die-Linke.html ) 


Ein emanzipatorisches BGE setzt sich aus drei Komponenten zusammen:
1. das physische Existenzminimum, erhöht um
2. die soziokulturelle Komponente, zuzüglich der
3. emanzipatorischen Komponente

Größenordungungsmäßig besteht m.E. Konsens, dass das physische Existenzminimum 
zuzüglich der soziokulturellen Komponente heute für einen Single-Erwachsenen 
ca. 1.000 Euro im Monat beträgt (BGE als Sozialhilfe-Ersatz).
Emanzipatorisch wird ein BGE jedoch erst, wenn die Wahl-Freiheit bezüglich 
"Erwerbsarbeit Ja oder Nein" den einzelnen Menschen nicht zu zu großem 
Verlust zwingt: z.B. kein Auto mehr, keine Sparmöglichkeiten mehr ... 

Somit sollte ein emanzipatorisches Erwachsenen-BGE nicht unter 1.300 Euro 
liegen. Nachdem bei Kindern bis zu einem gewissen Alter eine emanzipatorische 
Komponente nicht monetär befriedigt werden kann, sollte (bzw. darf) das 
Kinder-BGE abweichend vom Erwachsenen-BGE sein.
Bei kostenmäßiger Bildungsfreiheit (inkl. ev. Krippe und Kindergarten, Schulen 
und Studium, Lehrmittel etc.) sehe ich das notwendige, aber auch hinreichende 
Kinder-BGE bei ca. 650 Euro. Damit wäre die 4-köpfige Familie "Mustermann" 
auch wieder bei ca. 4.000 Euro ...

Matthias Dilthey
Platenstraße 21
91054 Erlangen
Tel.: 09131/29889

Am Donnerstag, 15. Januar 2009 10:18 schrieb Manfred Bartl:
> Hallo!
>
> Kinder sollten das BGE in gleicher Höhe wie Erwachsene bekommen.
>
> Im Zentrum des BGE stehen wirtschaftliche Unabhängigkeit, die brauchen
> Menschen in allen Lebensaltern, und Verwaltungsvereinfachung, die mit
> verschiedenen Grundeinkommensbeträgen wieder aufgeweicht wird.
>
> Matthias, Du machst einen Denkfehler. Nach geltender Gesetzeslage
> (Volljähigkeit ab 18) können Kinder über ihre eigene wirtschaftliche
> Unabhängigkeit innerhalb einer Familie ohnehin erst ab einem Alter von
> 18 Jahren verfügen.
>
> Bis dahin müssen die Eltern für eine sinnvolle Verwendung des
> Kinder-Grundeinkommens sorgen. Wichtig ist hier also weniger die Höhe
> als vielmehr die Verantwortung. Diese liegt aber - ebenfalls per
> Gesetz - allein in den Händen der Eltern und sollte auch nicht
> detaillierter beeinflusst werden. Wohin das führt, sieht man ja an der
> perversen Rückhaltetaktik der Neoliberalen gegen Erhöhungen des
> Kinder-Hartz-IV-Regelsatzes, weil man nicht sicherstellen könne, dass
> das Geld auch wirklich bei den Kindern ankommt....
>
> Im Übrigen halte ich 4000 Euro netto für eine vierköpfige Familie
> nicht wirklich für Luxus. Gegenüber der Welt ist es auf Dauer
> ungerecht, das stimmt. Da muss noch viel geschehen, um die Dritte Welt
> wieder mit ins Boot zu holen. Aber in Deutschland lebt man damit
> allerhöchstens sorglos - und exakt das ist der Zweck des
> Grundeinkommens!!
>
> Gruß
> Manfred


Am Donnerstag, 15. Januar 2009 10:09 schrieb Andre Trecksel:
> Hallo Matthias, Hallo Alle.
>
> Am 14.01.2009 17:18, schrieb Matthias Dilthey:
> > Hallo zusammen,
> >
> > das Kinder-BGE sollte bezüglich der BGE-Höhe "kostenneutral" festgesetzt
> > werden um
> > einerseits zu verhindern, dass Kinder alleine wegen des BGE auf die Welt
> > gebracht werden
> >
> > und andererseits der Kinderwunsch wegen zu geringem BGE nicht erfüllt
> > werden kann.
>
> Je jünger ein Kind ist um häufiger braucht es doch neue Kleidung,
> Windeln, Kinderwagen, Schulbildung & -bücher, Berufsausbildung, Studium,
> ... Kinder sollten möglichst früh lernen mit Geld richtig umzugehen und
> (auf humanstem Wege) dass es in dieser Welt (leider) nichts umsonst
> gibt. Warum sollen Kinder nicht sehen, dass ihr Leben Geld kostet, das
> irgendjemand ihr Essen, ihre Kleidung, ihre Bildung, ja sogar ihre
> Freizeitaktivitäten bezahlen muss. Heute jammern immer wieder Leute
> darüber, dass Jugendliche sich z.B. auf Spielplätzen für Kinder(!)
> besaufen; dabei gibt es einfach kaum Möglichkeiten für Jugendliche die
> sie sich leisten können. Viele Jugendliche werden aus purer Langeweile
> (aber auch aus Zukunftsängsten) kriminell.
>
> Heute zahlen die Eltern für all das, so dass die Kinder erstmal glauben,
> dass alles kostenlos sei. Sie klärt ja keiner über diesen Umstand auf,
> nicht die Eltern und nicht die Schule (wie kann es sonst sein, dass
> schon Teenager Handyschulden haben?). Erst wenn sie dann ins Berufsleben
> einsteigen, fallen sie in dieses Loch, das sich Kapitalismus nennt, auf
> den sie keiner vorbereitet hat und depressiv werden oder schlimmeres.
> Das ist ja gerade das tragischste an unserer Gesellschaft, das wir
> unsere Kinder zwar mindestens 9 Jahre in die Schule stecken, aber wenn
> sie da raus kommen, sind sie überhaupt nicht aufs Leben, Finanz- und
> Schuldensystem, Arbeitsmarkt und nicht mal Demokratie vorbereitet.
> Sicher Ausnahmen gibt es immer.
>
> Kindern und Jugendlichen sollte eindeutig klar gemacht werden, dass
> Bildung und Wissen das wichtigste in ihrem Leben sind und das höchste
> Gut, dass man erhalten kann. Echte Demokratie kann es nur geben, wenn
> die Bürger aufgeklärt und wissend sind. Andernfalls hat man nur das was
> wir in diesem Land haben. Nach dem Motto: Warum eine stressige Diktatur
> mit ihren aufwendigen Machterhaltungsinstrumenten, wenn eine Demokratie
> mit einem dummen Volk viel bequemer ist.
>
> Die Gefahr, dass Kinder nur des Geldes wegen auf die Welt kommen,
> existiert auch, wenn diese weniger bekommen, das Argument lasse ich also
> nicht gelten. Heute gibt es »Kindergeld« und »Elterngeld« und allzuoft
> wird dieses Geld nicht zu 100% für die Kinder ausgegeben.
>
> > Möchte man ein emanzipatorisches BGE (keinen Sozialhilfe-Ersatz), so kann
> > das Kinder-BGE eventuell auch deutlich tiefer als das Erwachsenen-BGE
> > angesiedelt sein, da bei Kindern naturgemäß über die BGE-Höhe keine
> > emanzipatorische Wirkung entfaltet werden kann.
>
> Zunächst mal wird es ja immer Menschen geben, die über das allgemeine GE
> hinaus einen Bedarf haben, Kranke, Rollstuhlfahrer, etc. die ihren
> Mehrbedarf nicht selbst decken können. Natürlich muss es für diese eine
> Sozialhilfe geben. Der »normale« Bürger braucht das aber nicht, da der
> ja seinen Bedarf vollständig mit dem GE decken kann, ansonsten hätte man
> beim GE etwas falsch gemacht.
>
> Natürlich kann Emanzipation nur durch Aufklärung geschehen.
> Beispielsweise: Nur weil Frauen dann ein eigenes, festes GE erhielten,
> wären sie zwar finanziell unabhängig aber ja auch nicht automatisch
> geistig emanzipiert.
>
> Ich finde es nur ungerecht, Kinder als Menschen zweiter Klasse zu
> betrachten, die es nicht verdienen den vollen GE-Satz zu erhalten. So
> wirkt das nämlich auf mich.
>
> > In wieweit und ab welchem Alter man Jugendliche mit vollem BGE bedenkt,
> > sollten Erziehungswissenschaftler diskutieren. Ich kann mir vorstellen,
> > dass es der Entwicklung eines/er Jugendlichen mit z.B. 12 Jahren nicht
> > unbedingt immer zuträglich ist, wenn dieser/e über volle wirtschaftliche
> > Unabhängigkeit verfügen kann.
>
> Wie gesagt, Kinder/Jugendliche müssen lernen mit Geld sinnvoll
> umzugehen. Da Kinder/Jugendliche nicht voll geschäftsfähig sind, sehe
> ich keinen Nachteil darin ihnen gleichberechtigt die gleiche Höhe
> auszuzahlen. Natürlich können Babys nicht selbst in den Laden gehen und
> sich ihre Windeln kaufen, daher brauchen Kinder/Jugendliche einen
> Treuhänder - gute Eltern oder das Jugendamt.
>
> Viele Grüße
> Andre

>
> 2009/1/14 Matthias Dilthey <info at psgd.info>:
> > Hallo zusammen,
> >
> > das Kinder-BGE sollte bezüglich der BGE-Höhe "kostenneutral" festgesetzt
> > werden um
> > einerseits zu verhindern, dass Kinder alleine wegen des BGE auf die Welt
> > gebracht werden
> >
> > und andererseits der Kinderwunsch wegen zu geringem BGE nicht erfüllt
> > werden kann.
> >
> >
> > Möchte man ein emanzipatorisches BGE (keinen Sozialhilfe-Ersatz), so kann
> > das Kinder-BGE eventuell auch deutlich tiefer als das Erwachsenen-BGE
> > angesiedelt sein, da bei Kindern naturgemäß über die BGE-Höhe keine
> > emanzipatorische Wirkung entfaltet werden kann.
> > In wieweit und ab welchem Alter man Jugendliche mit vollem BGE bedenkt,
> > sollten Erziehungswissenschaftler diskutieren. Ich kann mir vorstellen,
> > dass es der Entwicklung eines/er Jugendlichen mit z.B. 12 Jahren nicht
> > unbedingt immer zuträglich ist, wenn dieser/e über volle wirtschaftliche
> > Unabhängigkeit verfügen kann.
> >
> >
> > Matthias Dilthey
> >
> > Am Mittwoch, 14. Januar 2009 12:57 schrieb Andre Trecksel:
> >> 1)
> >> ... warum Kinder in einigen Modellen weniger Geld bekommen sollen?
> >>
> >>
> >>
> >> Viele Grüße
> >> Andre Trecksel
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