[Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen-Petition in "Das Parlament" Nr. 3-4 vom 12.1.2009

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Fr Jan 16 02:28:00 CET 2009


Hallo, Andre!

Der Denkfehler liegt fortgesetzt bei Dir. Du schreibst:

> Empfindest Du es nicht als ungerecht, wenn diejenigen die eine Leistung
> erbringen auf dessen Vergütung eine Extra-Steuer zahlen, während andere
> die keine solche Leistung erbringen keine Extra-Steuer zahlen. Das haben
> wir ja jetzt und ist quasi eine Strafe für das Leistungerbringen.

Nehmen wir mal an (und das ist ja richtig), dass 39 % der Bürger einer
Erwerbstätigkeit nachgehen und 61 % dementsprechend nicht. Nehmen wir
weiterhin an - aber das enthält dann einen Bewertungsaspekt - das wäre
ungerecht. Ist es ja auch!! Aber FÜR WEN ist es denn ungerecht??

Du gehst allem Anschein nach davon aus, dass es ungerecht für die
Arbeitenden ist, weil sie nicht nur für die Allgemeinheit arbeiten
(womit Du übrigens nur meinen früheren Hinweis auf Sinn und Zweck der
Arbeit bestätigst!), sondern sie "zudem" auch noch finanzieren. Das
ist aber nichts richtig, da es sich um zwei verschiedene Ausprägungen
von "Allgemeinheit" handelt, einmal die rein wirtschaftliche und
einmal die gesellschaftliche (die natürlich auch wirtschaftliche
Aspekte hat). Die erste Allgemeinheit wird
privat((markt)wirtschaftlich) und atomistisch gesteuert, die zweite
hingegen kollektiv über die demokratisch gewählten Institutionen. An
beiden Allgemeinheiten sollten eigentlich alle Menschen
(uneingeschränkt: alle erwachsenen Menschen) teilhaben: An der ersten
über Arbeit und Konsum und an der zweiten über Steuern, Abgaben und
Wahlen. (Nebenbei: Das ist der Grund, warum ich Hartz IV ablehne, weil
es ein Menschenexklusionsprogramm darstellt, das Millionen Menschen
aus der Teilhabe an BEIDEN Allgemeinheiten GLEICHZEITIG ausschließt,
ohne dass sie etwas dafür könnten!) Die 61 % der Bevölkerung, die
nicht arbeiten, sind von der Teilhabe an der gesellschaftlichen
Allgemeinheit größtenteils ausgeschlossen bzw. ihr Anteil über die von
ihnen gezahlte Konsumsteuer wird (nicht ganz unberechtigt, weil so
gering) vernachlässigt oder schlicht vergessen.

Eine andere Gestalt des Problems: Viele halten es für gut, dass
Menschen mit niedrigem Erwerbseinkommen keine Einkommenssteuer zahlen
müssen. Ich sage: Das schließt sie von der Teilhabe an der kollektiven
Allgemeinheit aus. Denn: Nicht ganz unberechtigt könnten
Einkommenssteuerzahler behaupten, dass die niedrig bezahlten
Erwerbsarbeitenden "dem Steuerzahler auf der Tasche liegen"! Besser
wäre daher eine Lohnerhöhung im Niedriglohnsektor, also der
Einfachheit halber ein gesetzlicher Mindestlohn, sodass eine
angemessene Einkommenssteuer gezahlt werden könnte.

Du verschärfst den Denkfehler sogar noch:

> Denn die Einkommenssteuer macht menschliche Arbeit teuer,
> was einen Grund darstellt, dass wir viele Arbeitslose haben
> und Arbeit im Ausland oder von Maschinen verrichtet wird.

Dies ist eine neoliberale Legende, die jeder Realität entbehrt. Der
größte Faktor an der Massenarbeitslosigkeit ist die zu lange
Arbeitszeit. Würde man die wöchentliche (oder monatliche?) Arbeitszeit
dynamisch an die steigende Produktivität anpassen, also fortgesetzt
reduzieren, hätte man NIE ein Arbeitslosigkeitsproblem!

Der zweitgrößte Faktor ist die falsche, weil menschenfeindliche
Bewertung der volkswirtschaftlichen Gesamtkosten von
Massenarbeitslosigkeit. Wenn man die deutsche Volkswirtschaft als
einem Zweck verpflichtete wirtschaftliche Einheit ansieht (und diesen
Denkfehler begehen alle Neoliberalen und vor allem die bescheuerten
Autoren des EU-Verfassungsentwurfs mit ihrem "starken Wirtschaftsraum
Europa"), dann könnte man meinen, dass es billiger wäre, wenn 40
Millionen Einwohner den Löwenanteil der aus ihrer Wirtschaftsleistung
resultierenden Löhne unter sich aufteilen und den 7 Millionen
Arbeitslosen nur ein paar Almosen zukommen lassen würden. Das ist aber
gleich aus mehreren Gründen offensichtlich falsch: Wenn alle
Erwerbspersonen Deutschlands arbeiten würden, hätte man noch im
schlechtesten aller denkbaren Fälle dieser Verteilung zwar weniger
Lohn pro Kopf, aber a) mehr Freizeit und b) mehr Gerechtigkeit. In
allen anderen (betriebswirtschaftlich gedachten) Konstellationen hätte
die deutsche Volkswirtschaft 7 Millionen Erwerbstätige mehr und könnte
dementsprechend beträchtlich mehr leisten und würde beträchtlich mehr
Volkseinkommen und Einkommen pro Kopf erzielen. Allerdings muss man
Deutschland in eine globale Marktwirtschaft eingebettet denken: Wenn
Deutschlands Löhne sinken (was sie ja tun) oder wenn mehr
Erwerbspersonen zu gleichen Konditionen (40-Stunden-Woche) arbeiten,
dann ist das zwar ein wirtschaftlicher Erfolg "Deutschlands", der aber
auf Kosten der umgebenden Volkswirtschaften (und immer auf Kosten der
Dritten Welt) geht. Das, lieber Andre, konnte man doch in stetiger
Wiederholung auf den NachDenkSeiten nachlesen, der Primärquelle aller
kritischen Denker unserer Tage. Abgesehen davon - und das vergisst
selbst Albrecht Müller immer mal wieder! - ist der "Erfolg" einer
Volkswirtschaft im Vergleich zur Welt kein Selnstzweck. Deutschland -
oder sonst ein Land im Sinne einer Volkswirtschaft - muss nicht das
beste Land in der Produktion oder im Export sein, sondern einzig und
allein seinen Einwohnern ein gutes Leben ermöglichen.

Noch ein Wort zur automatisierten Arbeit und zum Export von Arbeit ins
Ausland. Sinn des kollektiven Wirtschaftens ist die Reduzierung der
Mühen des Einzelnen, mit denen das gute Leben ermöglicht wird. Die
Übertragung gefährlicher, mühseliger, monotoner und überhaupt
schwieriger Arbeit an Roboter ist durchaus ein Bestandteil dieses
Strebens, also ein Erfolg der Wirtschaft und - ich gestehe es - sogar
ein Erfolg des dem Kapitalismus innewohnenden (allerdings NICHT
zielgerichteten, NICHT im Einzelnen rational nachvollziehbaren!!!!)
Rationalisierungszwangs. Die im Anschluss resultierende
Arbeitslosigkeit entsteht nicht durch die automatisierte Arbeit AN
SICH, sondern durch die Regelungsunfähigkeit der
Produktionsmitteleigner, die resultierende Freizeit auf die
Mitarbeiter zu verteilen, indem die Arbeitszeit dynamisch reduziert
wird! Allerdings darf die Robotisierung auch kein Selbstzweck und kein
Fetisch der Produktivitätssteigerung werden. Wenn Robotisierung und
Automatisierung zu Entfremdung der verbleibenden Mitarbeiter vom
Produktionsprozess und zu Verlust von anwendungstechnischem Know-how
oder zu zu hohem Energieverbrauch führt, sollte sie natürlich nicht
umgesetzt werden. Leider ist die deutsche Volkswirtschaft nicht dem
"pursuit of happiness" verpflichtet und der erste, der die
Robotisierung dennoch einführt, sorgt dank Kapitalismus dafür, dass
alle anderen es auch machen müssen...

Der Export von Arbeit in andere Länder geschieht nicht, weil die
deutschen Einkommenssteuern, Lohnnebenkosten und Lebenshaltungskosten
so HOCH sind, sondern weil diese Produktionsfaktoren anderswo so
NIEDRIG sind! Man muss schon beim richtigen Maßstab bleiben! Wenn
Nike-Schuhe im hintersten Winkel der Erde unter menschenunwürdigen
(Lohn-)Verhältnissen für den westlichen Konsum produziert werden, dann
ist der zugrunde zu legende Maßstab offensichtlich der westliche! Die
Politik müsste also dafür sorgen, dass Maximalstandards weltweit
durchgesetzt werden und eine Abwärtsspirale in Richtung
Minimalstandards verhindern. Ich würde meinen, dass dies auf der Hand
liegt...

Weiterhin behauptest Du:

> Denn Konsumsteuern sind viel gerechter: Wer mehr Leistung in Anspruch
> nimmt (konsumiert), zahlt auch mehr Steuern. Das besteuert die Reichen
> stärker als die Armen.

Dies ist ebenso offensichtlich falsch, weswegen ich Konsumsteuern
überhaupt nur zur Konsumsteuerung in Erwägung ziehen würde. So zahlen
Eltern auf Produkte für ihre Kinder Konsumsteuern, obwohl die Kinder
gar kein Einkommen haben, von dem sie die Produkte selbst oder gar die
Steuern darauf bezahlen könnten. Außerdem übersieht diese Darstellung
komplett, dass Reiche sich in unserer Gesellschaft vor allem dadurch
auszeichnen, dass sie das Tauschmittel (!) Geld mehr horten als
verkonsumieren (können). Konsumsteuern sind ohnehin grundfalsch
ausgelegt, da man durch Konsumreduzierung (die wahrhaftig nicht in
allen Bereichen sinnvoll ist, auch wenn sich "Sparen" oder
"Energiesparen" gut anhört!) die Finanzierung des Gemeinwesens
herunterfährt. Konsumsteuern sind also grundlegend kontraproduktiv.
Weiterhin dienen Steuern in einem Wirtschaftssystem, das wie unseres
(leider) nicht nur Einkommen, sondern auch Vermögen kennt, der
Vermögensumverteilung. Mit Konsumsteuern allein wirst Du den
(Vermögens)Reichen nie und nimmer beikommen!

Das aber müssen wir, denn Gerechtigkeit werden wir nur finden, wenn
jeder sich nach seinen Fähigkeiten einbringen und sich seinen
Bedürfnissen entsprechend versorgen kann, wenn der Maßstab hierfür
dynamisch kollektiv festgelegt wird und von diesem Maßstab abweichende
Individuen im Kollektiv entweder Lösungen für eine befriedigende
Reduzierung ihres Anspruches oder Ressourcen finden, um möglichst
viele in den Genuss der Befriedigung dieses neuen, einem
Realitäts-Check unterworfenen Bedürfnisses zu bringen - kurz gesagt:
im Anarchismus!

Und um auch das letzte von Dir angesprochene Thema aufzugreifen:
Gesundheit ist kein marktfähiges Produkt (Anders ausgedrückt:
Gesundheit sollte nicht dem kapitalistischen Prinzip der künstlichen
Verknappung einer Ware unterzogen werden!) und muss so bald und
umfassend wie möglich von der Marktwirtschaft abgekoppelt werden. Die
Gesundheitsversorgung muss - ebenso wie der Öffentliche
Personennahverkehr - allen frei und umfassend zugänglich sein.

Viele Grüße
Manfred


2009/1/15 Andre Trecksel <grundeinkommen at andre.trecksel.de>:
>
> Und hier steckt dein Denkfehler, denn Du sagst ja:
>
> Der Staat darf keine zusätzlichen Zwangsabgaben einführen, die nur von
> Teilen der Bevölkerung zu leisten wären oder nur Teile des Einkommens
> berücksichtigen, wie es derzeit bei den Sozialversicherungen der Fall ist.
>
> Denn deine Idee geht ja nur auf, wenn alle einer Erwerbstätigkeit
> nachgingen. Aber das tun nunmal derzeit nur ca. 39% der Bürger. Empfindest
> Du es nicht als ungerecht, wenn diejenigen die eine Leistung erbringen auf
> dessen Vergütung eine Extra-Steuer zahlen, während andere die keine solche
> Leistung erbringen keine Extra-Steuer zahlen. Das haben wir ja jetzt und ist
> quasi eine Strafe für das Leistungerbringen. Steuern heißen ja Steuern weil
> sie eigentlich steuern sollen. Tabaksteuer gibt's damit weniger geraucht
> wird, Alkoholsteuer gibt's damit weniger getrunken wird. So die Theorie. In
> der Praxis funktioniert dieses Prinzip aber sehr wohl bei der
> Einkommenssteuer, denn die sorgt ja praktisch dafür, dass weniger Einkommen
> erzielt (gearbeitet) wird. Denn die Einkommenssteuer macht menschliche
> Arbeit teuer, was einen Grund darstellt, dass wir viele Arbeitslose haben
> und Arbeit im Ausland oder von Maschinen verrichtet wird.
>
> Daran solltest Du erkennen können, dass die Einkommensteuer von
> Ungerechtigkeit nur so schreit, weshalb ich auch für Konsumsteuern bin. Denn
> die sind viel gerechter: Wer mehr Leistung in Anspruch nimmt (konsumiert)
> zahlt auch mehr Steuern. Das besteuert die »Reichen« stärker als die
> »Armen«. Bei Produkten oder Dienstleistungen, die der Umwelt oder der
> Gesellschaft schaden könnte es dann einen höheren Konsumsteuersatz geben.
>
> Zum Existenzminimum zählt auch eine Absicherung gegen alle normalen Risiken
> des Lebens, insbesondere Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Das bedeutet
> insbesondere auch, dass diese Risiken ebenfalls proportional zum
> Erwerbseinkommen von allen Bürgern solidarisch finanziert werden sollten.
>
> Na was denn jetzt, sollen die 39% Arbeitenden nun für die 100% Bürger die
> Gesunfheitskosten übernehmen? Wenn das Grundeinkommen für alle eventuellen
> Gesundheitsprobleme aufkommen sollen, dann müsste ja bei Einführung des GE
> zunächst mal jedem Bürger einmalig (und bei Inanspruchnahme erneut) mehrere
> 100.000 € ausgezahlt werden für den Fall, dass mal eine sehr teuere
> Operation oder Therapie zahlen müsste. Es braucht also weiterhin ein
> Krankenkassensystem.




-- 
Manfred Bartl
Rheinallee 19
55118 Mainz
Tel. 06131 / 371 472
Tel. 06131 / 83 84 394
Handy 0179 / 11 70 216
E-Mail: sozial at gmail.com

so-zi-al: http://myblog.de/so-zi-al/

Linkswärts e.V.:
http://www.linkswärts.de/
http://www.linkswaerts.de/



Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen