[Debatte-Grundeinkommen] Kompetenz zur Freiheit
Norbert Maack
nofrima at t-online.de
Mo Dez 21 01:00:25 CET 2009
Hallo Jörg,
wie entlässt man ein Volk in die Freiheit? Das ist ein sehr praktisches
Problem.
Ich gehe zunächst mehr von einer theoretischen Ebene heran und frage
nach den Bedingungen für Freiheit bzw. nach einer Definition von
Freiheit. Solange wir uns nicht einig sind, was wir unter Freiheit und
Gerechtigkeit verstehen, ist es ziemlich sinnlos darüber zu diskutieren.
Du scheinst den Begriff Freiheit im Sinne von "Freiheit zu .." zu
verstehen, während ich ihn als "Freiheit von ..." auffasse. Leider haben
wir nur einen Begriff für diese verschiedenen Phänomene. Der
Zusammenhang zwischen diesen beiden ist interessant, überfordert mich
aber leider, ihn hier in der notwendigen Kürze darzustellen.
Dennoch würde ich mir wünschen, dass wir diesen Unterschied
berücksichtigen und nicht durcheinander bringen.
Ein Volk in die Freiheit zu entlassen bedeutet. es in die _Freiheit von_
einer Besatzungsmacht zu entlassen. Damit ist weder dafür gesorgt, dass
innerhalb des Volkes jederR Einzelne frei _von_ Herrschaft/Abhängigkeit
von anderen Einzelnen innerhalb diese Volkes wäre noch dass jedeR
Einzelne die Freiheit erhält, zu nehmen oder zu bekommen was er/sie
braucht.
Die "Freiheit zu ..", zu tun und damit zu nehmen was man _will_, sollte
eingeschränkt werden auf die Freiheit zu nehmen, was man _braucht_, bzw.
zu geben, was andere brauchen.
Unter der Bedingung von knappen Lebensmitteln (die man braucht) und
Privateigentum (das man nicht braucht) kann eine "Kompetenz zur
Freiheit" doch nur darin bestehen, die (Privat-)Eigentumsverhältnisse
anzuerkennen und sich diesem Rahmen einpassend die verbleibenden,
relativen "Freiheiten zu .." zunutze zu machen; d. h. im Extremfall eher
zu verhungern als sich (von den PrivateigentümerInnen) zu nehmen was man
braucht.
Der Vertrag über Eigentums- und Besitzverhältnisse, den Du erwähnst, ist
nicht ein Vertrag, der von Individuen frei miteinander ausgehandelt,
sondern den Angehörigen eines Staates oder Volkes in die Wiege gelegt,
aufokroiert wird.
Wenn in einem Volk/Staat oder auch global die "Freiheit zu ..." ungleich
verteilt ist, d. h.dass die einen nahezu alles tun können was sie
wollen ohne Rücksicht darauf was andere brauchen, dann herrscht
Ungerechtigkeit. Wenn dafür gesorgt ist, dass die Bedürfnisse aller
Wesen erfüllt werden, dann herrscht Gerechtigkeit. Dies verstehe ich
als Ziel des BGE.
Unter Bedingungen der Unfreiheit ( d.h. solange nicht alle Wesen ihr
Recht auf _würdiges Leben _erfüllt bekommen) Kompetenz zur Freiheit zu
erwerben halte ich praktisch für unmöglich. Es geht in solchem Fall um
relative Freiheit. Ich meine, dass relative Freiheit keine wirkliche
Freiheit ist und von daher plädiere ich dafür, den Begriff "Freiheit"
nicht ohne Attribute zu verwenden, d.h. immer beizufügen, welche
Freiheit gemeint ist: Freiheit von xy oder Freiheit zu xy.
Vielleicht kommen wir dann weiter ...
Mit sonnigen Grüßen
Norbert Maack
Joerg Drescher schrieb:
> Hallo Norbert und wen's sonst noch interessiert,
>
> Du sprichst ein Thema an, das (Verteilungs)Gerechtigkeit und Freiheit
> in einen Zusammenhang setzt. Der Kuchen war ein Beispiel, das weder
> überflüssig, noch knapp, noch Luxus sein sollte. Vielmehr ging es mir
> darum, am Beispiel "Freiheit zu Nehmen" zu zeigen, daß im Ergebnis
> Ungerechtigkeit herauskommen kann, wenn jemand keine "Kompetenz zur
> Freiheit" hat (sich mehr nimmt und anderen nichts übrig läßt). Wenn Du
> eine "gerechte Welt" möchtest, wäre die "Kompetenz zur Freiheit"
> vielleicht ein Schlüssel dazu. Begriffe wie "Besitz" und "Eigentum"
> beruhen prinzipiell auf einem Vertrag und bedürfen Institutionen, die
> die Einhaltung des Vertrags durchsetzen (können) - die "Kompetenz zur
> Freiheit" wird Gesetzen und den jeweiligen Instituationen überlassen.
>
> Aber belassen wir's mal dabei und schauen uns ein Beispiel an, was
> passiert, wenn ein Volk einfach in die Freiheit entlassen wird. Dazu
> eignet sich der Irak, der von Hussein "befreit" wurde. Die USA hatte
> keine "Exit-Strategie", was eigentlich nach der "Befreiung" passieren
> soll. Dazu empfehle ich folgende zwei Dokumentationen:
> Irak: Invasion der Amateuere
> http://www.youtube.com/watch?v=KfQXy8KlIew
> Meine Heimat/Euer Krieg
> http://www.youtube.com/watch?v=mZdln8SSGYQ
>
> Die fatalen Folgen des Kriegs haben entsprechend sehr viel damit zu
> tun, weil unklar war, wie die Bevölkerung eine "Kompetenz zur
> Freiheit" erlangt und keine entsprechenden Strukturen (Institutionen)
> geschaffen wurden, um die Bevölkerung "kompetent zu machen". Das
> Ergebnis war/ist ein "anarchistischer Zustand". Ähnliches war/ist auch
> in Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu beobachten, die nicht
> wußten/wissen, wie sie mit der neugewonnenen Freiheit umgehen
> soll(t)en. Für den Irak war/ist übrigens ein Grundeinkommen angedacht
> (siehe http://tinyurl.com/preview.php?num=y9y8qh4), was nach o.g.
> Berichten verständlich wird, da die "Aufständischen" aus der Auflösung
> der irakischen Armee resultierten, wo sie noch ein Ein-/Auskommen hatten.
>
> Um allerdings in Deutschland zu bleiben, wird an einem Beispiel
> deutlich, daß es beim Grundeinkommen um die "Kompetenz zur Freiheit"
> geht (siehe http://tinyurl.com/preview.php?num=dhdybb). Ist es mit
> "Verteilungsgerechtigkeit" durch das Grundeinkommen getan? Mag ja
> sein, daß sich die meisten auf dieser Liste eine "Kompetenz zur
> Freiheit" zutrauen (incl. der "Einsicht in die Notwendigkeit",
> arbeiten zu gehen), doch darf man das pauschalisieren? Die meisten
> glauben wohl, daß Verstand/Vernunft schon gerecht verteilt seien.
>
> Die Einführung eines Grundeinkommens ohne "begleitende Maßnahmen" (im
> Sinne eines "emanzipatorischen Sozialstaats") kommt aus meiner Sicht
> dem Beispiel Irak gleich und kann ähnliche Folgen haben (im Sinne von
> chaotischen Zuständen). Wer Kinder hat, soll sich bitte einmal die
> Frage stellen, was das Ziel seiner Erziehung ist, um eine Vorstellung
> zu bekommen, was unter "begleitende Maßnahmen" (des Staates) zu
> verstehen ist. Und wer seine eigene Erziehung überdenkt, kann sich
> überlegen, welches Ziel erreicht wurde.
>
> Viele Grüße aus Kiew,
>
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
>
>
>
>
>
> ----- Original Message -----
> *From:* Norbert Maack <mailto:nofrima at t-online.de>
> *To:* Joerg Drescher <mailto:iovialis at gmx.de>
> *Sent:* Sunday, December 06, 2009 8:03 PM
> *Subject:* Re: [Debatte-Grundeinkommen] Kompetenz zur Freiheit
>
> Hallo Joerg, hallo alle,
> das Beispiel , das Du anführst, ist nicht ein Beispiel für
> Freiheit. Es geht vielmehr um die Schilderung des Versuchs, unter
> Bedingungen der Unfreiheit Kompetenz in Verteilungsgerechtigkeit
> zu erwerben. Das zu verteilende Gut, der Kuchen, ist ein
> überflüssiges und knappes Konsum-, Luxusgut, das mit Freiheit
> nichts zu tun hat.
>
> Man kannn ja Freiheit auch mal als Freiheit von Privateigentum
> sehen. Dann würde nicht ein Kuchen zur Aufteilung anstehen,
> sondern die 12 Menschen würden je nach ihren Bedürfnissen so viel
> Brot backen, dass alle satt werden.
>
> Wir werden lernen, uns Situationen vor- und dann auch
> herzustellen, in denen wir wirklich "frei" sind.
>
> Mit sonnigen Grüßen
> Norbert Maack
>
>
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